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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Django Unchained
Wenn es ein Genre gibt, dass in den letzten Jahren von Hollywood wohl am sträflichsten vernachlässigt wurde, dann ist es ohne Frage der Western. Dies ist auf der einen Seite sehr schade, weil dieses einst so fantastische Meisterwerke wie "Zwei glorreiche Halunken", "Spiel mir das Lied vom Tod" oder eben "Django" hervorbrachte, auf der Anderen jedoch auch absolut verständlich, da diese Filme durch ihre expliziten Gewaltdarstellungen und ihre ansonsten eher simplen Rachestorys heute nur noch wenig salonfähig sind. In Anlehnung an diese großen Klassiker hatte es sich nun jedoch "Regie-Wunderkind" Quentin Tarantino zur Aufgabe gemacht, diesen Umstand zu korrigieren und mit seiner Version eines modernen Western den alten Haudegen Sergio Leone, Sergio Corbucci oder Enzo Barboni ihren Tribut zu zollen. Ein geglücktes Unterfangen?
Man ist versucht, sofort ja zu sagen, denn die ersten zwei Stunden von "Django Unchained" sind Kino in seiner allerbesten Form. Dies beginnt schon mit dem famosen Intro und der kongenialen Einführung des Dr. King Schultzes, der mit Christoph Waltz ideal besetzt ist. Meisterhaft versteht es Tarantino in den ersten Szenen nicht nur den Ton des Filmes, sondern auch die Grundkonstellation seiner beiden Protagonisten klar zu machen und dabei mit viel Humor dennoch zu unterhalten. Praktisch die komplette erste Stunde des Filmes besteht aus lauter gelungenen Einzelszenen, die allesamt als Hommagen an alte Genreklassiker funktionieren, dabei aber dennoch nie losgelöst vom Geschehen sind und ein flüssiges Ganzes ergeben. Neben der Ermordung der Brittle-Brüder und dem Training in der eiskalten Winterlandschaft sticht vor allem die mittlerweile wohl schon legendäre Kapuzen-Szene heraus, die sowohl von ihrer Länge als auch von der Komik her perfekt integriert ist und durchaus dafür sorgen kann, dass man vor lauter Lachen Bauchschmerzen bekommt. Sowas kann Tarantino und es gelingt ihm hier besser denn je. Wenn er nebenbei dann noch subtil berühmte Sagengeschichten und andere Querverweise sowie einige ausgefallene Brutalitäten mit Leichtigkeit in das Geschehen einbindet, ist wohl jeder Zuschauer vom Sog der Geschichte gefangen.
Darauf folgt dann die relativ lange Candyland-Passage. Diese kommt zwar weniger abwechslungsreich daher und scheint im Allgemeinen nur aus wenigen langen Sequenzen zu bestehen, ist dafür aber durch ihr gesundes Maß an Hitchcockscher Suspense, ihre menschlichen und authentischen Dialoge und den brillanten Auftritten von Leonardo DiCaprio und Samuel L. Jackson, die beide vielleicht die beste schauspielerische Darbietung ihrer Karriere abliefern, eine wundervolle Ode an den Film und wirklich spannend. Die Dinner-Szene und das Händeschütteln zwischen Candie und Schultz stellen mit Sicherheit den Höhepunkt des gesamten Werkes da. Besonders großartig sind diese Momente deshalb, weil Tarantinos erwähnten Dialoge von einer Treffsicherheit gekennzeichnet sind, dass die Ohren sich erregt daran erfreuen. Bissig, pointiert und immer mit dem gewünschten Unterton liefern sich die Charaktere so spannende "Gefechte". In all diesen unfassbar guten Momenten bleibt zwar Jamie Foxx als Django ziemlich blass und kann weder vom Charisma noch von seinem Schauspiel selbst mit seinen Gegenübern und erst recht nicht mit Genre-Vorbildern à la Franco Nero oder Clint Eastwood mithalten. Dies macht jedoch ironischerweise rein gar nichts, da der Schwerpunkt nie wirklich auf ihm liegt und sein blasses Auftreten die Wirkung der Figur noch gewissermaßen stützend trägt. Dennoch hätte man sich in der ein oder anderen Szene etwas mehr Initiative von ihm erhofft. Doch sei es drum. Großartig dafür, wie die Candyland-Handlung in eine relativ krasse und eigentlich als Finale empfundene Actionszene mündet und Tarantino geschickt eine weitere Wendung anhängt, die leider jedoch im Nachhinein einen 180 Grad Wechsel des Filmes bedeuten soll.
Denn warum er ein relativ langes, für die Handlung eigentlich unnötiges Dénouement inszeniert hat, wird nicht richtig klar, da man es erstens mit der Glaubwürdigkeit hier sehr weit treibt und diese letzte beinahe schon surreale Gewaltorgie nicht nur fehl am Platz wirkt, sondern Gewalt als Lösung aller Probleme darstellt und völlig unnötig heroisiert, während man vorher doch gerade so bedacht darauf gewesen ist, den Albtraum des Sklavenhandels der damaligen Zeit (wenn auch überspitzt) korrekt darzustellen. Dennoch sollen diese abschließenden Probleme die Stärken des Filmes nicht vergessen machen. Seit dem Ende der großen Western-Ära war es wohl kaum jemanden so gelungen, dass Feeling dieser filmischen Epoche derart gelungen einzufangen, wie Tarantino. Dass er sich dafür direkt in seinem Soundtrack (bis auf ein paar musikalisch "unkonventionelle" Einflüsse von außerhalb) bei Western-Legende Ennio Morricone und anderen entsprechenden Vorbildern bedient, verstärkt diesen Eindruck. Faszinierend ist und bleibt aber, wie er seine ganze Handlung und Inszenierung um die zentralen Charaktere aufbaut und gerade Waltzs Figur als Mittelstück des Filmes und Jacksons Rolle als Intrigant in Shakespearescher Tradition den Großteil des Spaßes ausmachen. So ist Tarantinos Western am Ende nicht nur Wildwest-Auferstehung, sondern auch ein faszinierendes Schauspielstück und toll geschriebenes Autorenkino.
Fazit: Mit "Zwei glorreiche Halunken" hat Tarantinos Cowboy-Show freilich nicht viel gemein. Die herrlich politisch unkorrekten Dialoge, die verschrobene und völlig überzogene Gewaltdarstellung, die skurrilen Charaktere, die bemerkenswerten Darstellungen von Waltz, Jackson und Di Caprio, das Timing, die Kompostionen und auch der Soundtrack, in seiner absurden Zusammenstellung aus Morricone-Stücken und Hip-Hop-Musik, unterscheiden sich grundlegend von den großen Vorbildern, machen aber genauso einen irrsinnigen Spaß. Das leider der im abschließenden Part ein wenig auf der Strecke bleibt, ist ein kleines Ärgernis, dass den Filmgenuss aber in Relation nur geringfügig trübt. "Django Unchained" ist so am Ende vielleicht auf den letzten Metern daran gescheitert, einer der allerbesten Western überhaupt zu werden, dürfte den Titel "unkonventionellster Western" aber ohne Zweifel verliehen bekommen.
9/10
https://filmduelle.de/
https://letterboxd.com/casinohille/
Let the sheep out, kid.