AnatolGogol hat geschrieben: 31. Juli 2017 19:09
Dunkirk (2017) - Christopher Nolan
"Weltkrieg durch die türkise Brille"
Wertung: 5,5 / 10
Lustig. Habe heute ein zweites Mal in Dunkirk reingeschaut (die Erstsichtung im Kino hatte mich gänzlich unbeeindruckt zurückgelassen und ich hielt ihn für Nolans schwächsten Film seit Insomnia). Dennoch wollte ich den Film, auch wegen vieler interessanter Meinungen dazu (etwa von einem meiner besten Freunde oder auch die überraschend positiven Stimmen einiger User hier im Forum) eine zweite Chance geben, wie ich ohnehin ein großer Freund zweiter Chancen bin. Also Blu-ray von der Bibliothek geholt und ab das gute Stück. Und direkt nach der Sichtung des Films lese ich mich per Suchfunktion durch den Nolan Thread und was sehe ich da? Der Herr General Gogol hat vor etwa 1 1/2 Jahren meine heutige Sichtung des Films bereits perfekt zusammengefasst. Das ist einerseits für mich klasse zu lesen gewesen, macht einen eigenen Fließtext meinerseits allerdings vollkommen obsolet. Well played, Anatol!
Dennoch ein paar Anmerkungen meinerseits...
AnatolGogol hat geschrieben: 31. Juli 2017 19:09
Dunkirk ist kein "Spielfilm" im eigentlichen Sinn des Wortes, sondern vielmehr eine Collage an Impressionen rund um die britische Evakuierung an der französischen Küste. Entsprechend knapp sind Dialogpassagen gehalten, wie auch echte Charakterentwicklung kaum stattfindet. Dunkirk will vor allem das "wie" darstellen und weit weniger ein "was". Das ist gleichzeitig seine große Stärke wie auch seine kritische Schwäche
Tatsächlich fasst das ideal zusammen, wie sehr der künstlerische Aufhänger des Films sein größter Triumph aber auch sein größter Stolperstein ist. Dunkirk funktioniert besonders zu Beginn imo deshalb, weil er weniger an einer Art figürlich bezogener Dramatisierung der Dünkirchen-Ereignisse interessiert als viel mehr eine Art Hautnah-Erfahrung für den Zuschauer darstellt, der den eingeschränkten Blickwinkel der Soldaten teilt und so "mittendrin" deren Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit
miterlebt, ein selten wirklich passender Begriff, der hier ausnahmsweise vollkommen ins Schwarze trifft. Es fällt in dem Zusammenhang natürlich auf, dass Nolan vollkommen auf ein physisches Auftreten der Deutschen verzichtet und den Gegner damit nicht nur anonymisiert, sondern den Krieg und die Flucht von Dünkirchen als historisches Ereignis entpolitisiert. Somit ergäbe es
über weite Strecken des Films (später mehr dazu) Sinn, Dunkirk nicht als Kriegsfilm, sondern als (experimentellen) Thriller zu betrachten, denn der Krieg (bzw. die missliche Lage der Soldaten) ist hier bestenfalls ein nötiger Katalysator, um genau diese Extremsituationen herbeizuführen, denen sich Nolan filmisch annähert. Gleichzeitig aber ist dieser radikal entschlankte, rohe und unmittelbare (da expositionslose) Ansatz auch (m)ein Problem mit diesem auf dem Papier hoch interessanten Film: Was hier über die brachiale und unglaublich gewaltige Soundkulisse, den unverschämt treibenden Soundtrack von Hans Zimmer und die epische Inszenierung erreicht werden soll, ist ein absolutes Hineinfühlen in die Situation der Soldaten. Genau das will mir nicht gelingen, denn obgleich es für Nolan als Regisseur sinnig war, auf eine Art "filmische Lenkung" zu verzichten und daher eine eindeutige Charakterzeichnung oder gar Entwicklung auszusparen (da diese von seinem Quasi-"Live"-Ansatz ablenken würde), erzeugt sie bei mir vor allem eine komplette Unterkühltheit und Nüchternheit, die mich zum objektiven Beobachter "fremder" Gesichter macht, deren Verzweiflung und Leid ich zwar spüre, welche mir aber trotzdem nicht nahegehen.
AnatolGogol hat geschrieben: 31. Juli 2017 19:09ich gehe davon aus, dass viel des gezeigten Kriegsgeräts digital erzeugt wurde, allein: man sieht nichts davon. Daher kann man nur den Hut vor der tricktechnischen Umsetzung ziehen, alles passt nahtlos zueinander, der Film wirkt echt und es kommt nie der Eindruck vieler (nein, der meisten) aktueller Produktionen auf, dass eigentlich alles im Studio vor Green screen gedreht wurde
Ja, für mich ist auch das das Highlight gewesen bei der heutigen Sichtung. Dunkirk ist tricktechnisch der Marvel-Konkurrenz haushoch überlegen, und das kann man sicher auch als Fanboy dieser Schmiede (als solcher würde ich mich nicht bezeichnen, aber da ich die doch alle fast mehr als einmal und auch recht aufmerksam geschaut habe kann ich eine gewisse Zugänglichkeit zu diesen Filmen wohl kaum leugnen) neidlos und vorbehaltlos anerkennen. Sicherlich glänzt Nolan auch hier als Regisseur wieder einmal dadurch, Practical Effects so grandios mit nahezu "unsichtbarem" CGI zu verbinden, dass die perfekte cineastische Illusion entsteht. Gerade ein Film wie Dunkirk verlangt auch nach genau diesem Niveau (und deshalb hätte man Nolans Konzept in dieser brachialen, angestrebt epischen Wirkung kaum als Arthouse Movie umsetzen können), denn worum es ihm geht, ist die vollkommene filmische Immersion, das besprochene "Mittendrin"-Erlebnis. Und im technisch-visuellen Bereich liefert er dabei mehr als ab. Nicht Blade Runner 2049, nicht Avengers: Infinity War und auch nicht Mad Max: Fury Road, nein, Dunkirk ist die Messlatte im Bereich Effektkunst, an der die großen Blockbuster der nächsten Jahre sich messen müssen.
AnatolGogol hat geschrieben: 31. Juli 2017 19:09Nolan bleibt wie bereits erwähnt seinem Inszenierungsstil treu, was sich u.a. auch in einer gewissen Langsamkeit ausdrückt. Man kann (bzw. viele tun dies) das als "episch" oder "wuchtig" bezeichnen, für mich wirkt es aber in erster Linie schwerfällig. Besonder auffällig ist dies finde ich in den Actionszenen (wovon der Film jede Menge hat), so verzichtet Nolan beispielsweise in den Luftkämpfen auf eine übermäßig dynamische Gestaltung
Anatol, ich freue mich regelrecht, in dir in dieser Hinsicht einen Bruder im Geiste gefunden zu haben, denn dieser Eindruck, den ich nach der Kinosichtung nur schwer verbalisieren konnte, findet sich in diesen Zeilen wieder. Was mich am meisten daran irritiert, ist vor allem, dass obwohl Nolans Dunkirk gemeinhin zugesprochen wird, viele typische Attribute des Regisseurs vermieden zu haben (Übererklärungen, plakative Metaphern, Pathos-Holzhammer etc.), immerhin verzichtet Nolan hier gänzlich auf seine sonst ausladenden Dialogzeilen, so ist sein visueller Stil unterm Strich hier kaum anders als in seiner sonstigen Arbeit der letzten Jahre, insbesondere seines filmischen Erbes seit 2005 ("Batman Begins"). Das muss nicht per se etwas schlechtes sein (warum sollte ein eigener Stil auch als Problem bezeichnet werden), aber dennoch verwundert es mich, dass dieser in der Intention ganz andere Nolan-Film dann optisch doch quasi exakt genauso aufgezogen wird wie seine ansonsten in ganz andere Kerben schlagenden Dark-Knight-Filme. So oder so: Mit der Inszenierung insbesondere der "Actionszenen" bin ich nicht warm geworden. Gerade hier müsste sich aus meiner Sicht viel mehr von dem Immersions-Gefühl abspielen, doch dafür ist Dunkirk zu... und ich traue mich kaum, es zu schreiben, aber dafür ist Dunkirk zu "schön" inszeniert. Die Flugszenen etwa setzen immer wieder auf diese vermeintlich "epischen" Aufnahmen, und auch vieles, was sich auf dem Wasser anspielt wird von der Kamera nicht unbedingt theatralisch, aber zumindest "zu ästhetisch" bzw. ästhetisierend eingefangen. Dunkrik springt da für meinen Geschmack vor allem in der zweiten Hälfte unentschlossen zwischen authentischer Nabelschau der Kriegsverzweiflung und wuchtigem Schlachtengemälde hin und her und verliert dabei sein Ziel aus den Augen. Nolan sucht die großen Bilder, anstatt beim einfachen Soldaten zu bleiben. Und genau daher kommt der wie du richtig schreibst schwerfällige, in der Tat kontra-dynamische Eindruck. Die Action offenbart sich als präzise Fassade, als exakt geplantes filmisches Kabumm, aber hier verliert Dunkirk mich als Zuschauer. Teilweise würde ich den Effekt damit vergleichen, als hätte Steven Spielberg in der fantastischen Eröffnungssequenz von "Der Soldat James Ryan" plötzlich ein paar Vogelperspektiven eingestreut, mit entsprechend schmalziger musikalischer Untermalung - den Effekt der völligen Verwahrlosung und des Schreckens in Anbetracht der entsetzlichen Brutalität hätte diese allzu inszenatorische Auffälligkeit ohne Frage für mich gemindert. Ein Film wie Dunkirk braucht keine Actioninszenierung à la Mission Impossible und nicht jeder "Kriegsfilm" muss aussehen wie Black Hawk Down, und doch ist hier gefühlt etwas nicht richtig. Das Chaos ist zu kontrolliert.
AnatolGogol hat geschrieben: 31. Juli 2017 19:09
auch in Punkte Spannungsaufbau konnte Nolans Inszenierung nur wenig Pluspunkte bei mir sammeln
Dies würde ich Dunkirk zugegebenermaßen nicht unbedingt als negativ anlasten wollen, auch wenn ich es genauso sehe. Wirklich spannend im Suspense Sinne soll Dunkirk ja gar nicht wirklich sein, aber es stimmt schon, dass auch mich das Geschehen zu sehr kalt gelassen hat. Warum das so ist, habe ich bereits erklärt. Anmerken möchte ich aber, dass Nolan zumindest hin und wieder lobenswerterweise auf klassische Suspense-Mittel verzichtet. Das gelingt ihm nicht immer und einige Szenen (Stichwort: Spitfire) müssen als Zugeständnisse an das angepeilte breite Publikum gesehen werden, dennoch hält er sein Konzept meist aufrecht durch. Das mag uns beiden emotional nicht unbedingt gefallen, ist aber für sich genommen schon eine Qualität, die ich ihm als Erzähler zu Gute halten möchte.
AnatolGogol hat geschrieben: 31. Juli 2017 19:09
Nolan konnte auch diesesmal nicht widerstehen seinem Film eine trendige türkise Farbgebung zu verpassen. Gleichwohl er ansonsten dem alten Spielbergschen Muster eines farblich entsättigten Pseudo-Schwarzweiss-Looks folgt drückt er durch den intensivem Türkis-Stich dem Film unverkennbar seinen eigenen Stempel auf. Eine merkwürdig anachronistisch anmutende Entscheidung
So ist es! Das mag nicht jedem (störend) auffallend, aber die eigentlich (besonders durch die Ausstattung) enorme historisch authentische Wirkung des Films macht dieser Look auch für mich zunichte. Unabhängig davon, dass es mir ganz persönlich ästhetisch nicht wirklich entspricht, überall dieses unangeneheme Türkis wahrzunehmen, passt der Look kaum zur unabhängig vom erzählerischen Zeit-Gimmick (welches mir beim ersten Sehen so gut wie gar nicht aufgefallen ist und dessen Sinn sich mir nicht erschließt) größtenteils naturalistischen Herangehensweise. Nun muss so ein Film auch nicht unbedingt wie eine Dokumentation aussehen, aber so intensiv eingefärbt werden muss das Bild dann auch wieder nicht, zumal hier die Wahl des Türkis-Stichs wie du sagst ganz eindeutig auch eine Trend-Entscheidung gewesen ist, die den Film recht deutlich als Kind seiner Entstehungszeit markiert.
AnatolGogol hat geschrieben: 31. Juli 2017 19:09
Das im Trailer noch so stark präsente Pathos wird über große Strecken erfreulicherweise eher auf Sparflamme gekocht, wird im Nolan-typischen Bombastfinale dann aber erwartungsgemäß doch noch in voller Pracht aufgefahren. Auch ist nicht zu übersehen, dass alle Protagonisten charakterlich äusserst nobel dargestellt werden als Repäsentaten erstrebenswerter Werte, was man durchaus als gewisse Eindimensionalität werden kann
Ein Punkt, der in diesem Forum hitzig genug diskutiert wurde, daher nur so viel von mir: Ich kann mich noch gut erinnern, bei den Trailern zu Dunkirk gerne mit den Augen gerollt zu haben. "Survival is victory", hieß es da, meine ich. Eine krachende Niederlage wie die von Dünkirchen zum Sieg umzudeuten, mag als Propagandaziel in den 40er Jahren auf der britischen Insel verständlich gewesen zu sein, diese alte Mär aber 70 Jahre später in einem (wie oben erwähnt) ansonsten eben gänzlich unpolitischen Film, für den der Krieg bis dato nur ein austauschbarer Background war, wiederzukäuen, hinterließ bei mir einen bitteren Nachgeschmack. Der deutlich politischere Film "Darkest Hour" über Winston Churchills erste Wochen als Premierminister empfindet die Flucht von Dünkirchen zwar ebenfalls als zumindest logistischen Erfolg, behält aber in diesen Momenten eine melancholische Stimmung und lässt nicht vergessen, dass damit noch kein echter Sieg gegen Nazideutschland errungen wurde. Nun: Dunkirks Ende ist vielleicht nicht ganz so schlimm, wie ich es in Erinnerung habe, aber dennoch viel zu dick aufgetragen. Zugegebenermaßen ist die Churchill-Rede am Schluss zumindest insofern nicht gänzlich falsch gesetzt, weil sie etwas ironisch von einem "Neubeginn" des Krieges spricht (bzw. diesen ankündigt), während die heimgekehrten Soldaten sichtbar sich am Ziel fühlen. Ihnen fällt gerade eine große Last von den Schultern, sind dem Albtraum endlich entkommen, da kündigt Churchill aus dem Off an, dass der Krieg noch lange nicht vorbei ist. Kein grundsätzlich schlechter Gedanke, aber eben nur auf dem Papier. In der letztlichen Umsetzung mit dem emotional-aufbauschenden Zimmer-Score, der obligatorischen abschließenden Nolanesquen Parallelmontage und dem heroisch aufblickenden Soldaten als Schlussbild liefert Nolan hier leider gefühlt doch im vollen Umfang nach, was er vorher zu vermeiden vermochte - und so bleibt für mich ein extrem ärgerlicher Abschluss, der den Film punktetechnisch leider ein gutes Stück weiter nach unten zieht als er ansonsten vielleicht dank seiner letztlich mutigen und experimentellen (wenngleich bei mir nur halb zündenden) Veranlagerung gelandet wäre.
Ein Extrakritikpunkt mag mir erlaubt sein, und dieser lässt sich in zwei Worte fassen: Tom Hardy. Jetzt bloß keine Schnappatmung kriegen, sollte hier noch jemand mitlesen: Natürlich ist Hardy kein schlechter Schauspieler. Ich halte ihn zwar für viel zu hoch geschätzt, aber er weiß handwerklich zu liefern. Seine Besetzung in Dunkirk aber bereitet mir Bauchschmerzen. Sein Pilot Farrier ist wie eigentlich alle anderen Akteure in Dunkirk kein Charakter, sondern eine leere Hülle, an die der Zuschauer seine eigenen Empfindungen projizieren kann. Er ist nicht "der Pilot", wie es eine typische privilegierte Hauptfigur wäre, er ist "irgendein Pilot". Und das ändert sich schlagartig, wenn er im Zuge der abschließenden Parallelmontage seine Maske abnimmt und sich als der Filmstar Tom Hardy entpuppt. Dieses überflüssige Stunt-Casting (überflüssig, weil Hardys Qualitäten hier kein bisschen genutzt werden und er anders als als Bane in The Dark Knight Rises hinter der Maske vollkommen verschwindet) sorgt für einen Aha-Moment, der erneut mit der filminternen Immersion bricht und den gern zitierten Suspension of Disbelief für mich empfindlich gestört hat - und das sogar mehr als das trotz nachvollziehbarer Idee imo unerträgliche Churchill-Voiceover.
AnatolGogol hat geschrieben: 31. Juli 2017 19:09
Unterm Strich für mich ein typischer Nolan, der leider aufgrund seiner inhaltlichen Reduziertheit und einigen handwerklichen Entscheidungen die mir persönlichen wenig taugen das Mittelmaß in Gänze nicht zu durchbrechen weiss.
Ein schönes Schlusswort, den ich mich gerne anschließe. Den viel zitierten Über-Nolan (der wäre imo eher Prestige, müsste Memento aber nach vielen Jahren dringend nachholen) kann ich in Dunkirk nicht entdecken und er hat meine Meinung von ihm als sein schwächster Film seit Insomnia definitiv bestätigt und mir sogar noch ein Stückweit weniger gefallen als 2017 im Kino - vielleicht sehe ich ihn nun sogar insgesamt als seinen uninteressantesten Film. Das ist schade, da der Ansatz zumindest aufregend anders ist, doch auf Spielfilmlänge gemünzt sind die Abnutzungserscheinungen für mich schlicht zu eklatant und die Ausführung mit meinem Geschmack nicht kompatibel. Dem hervorragenden Review von Anatol habe ich ansonsten nichts zuzufügen - aber ich denke, das reicht ja auch.