Welcher ist der beste Film von Quentin Tarantino?

Reservoir Dogs
Insgesamt abgegebene Stimmen: 5 (15%)
Pulp Fiction
Insgesamt abgegebene Stimmen: 8 (24%)
Jackie Brown
Insgesamt abgegebene Stimmen: 1 (3%)
Kill Bill: Volume 1
Insgesamt abgegebene Stimmen: 2 (6%)
Kill Bill: Volume 2
Insgesamt abgegebene Stimmen: 2 (6%)
Death Proof: Todsicher
Insgesamt abgegebene Stimmen: 2 (6%)
Inglourious Basterds
Insgesamt abgegebene Stimmen: 7 (21%)
Django Unchained
Insgesamt abgegebene Stimmen: 2 (6%)
The Hateful Eight
Insgesamt abgegebene Stimmen: 2 (6%)
Once Upon a Time... in Hollywood
Insgesamt abgegebene Stimmen: 3 (9%)
Insgesamt abgegebene Stimmen: 34

Re: Die Filme des Quentin Tarantino

677
Diese Woche habe ich mal wieder einige Tarantinos geschaut. Pulp Fiction ist schon ein sehr guter und kurzweiliger Film mit ein paar bizarren und tollen Ideen, stilvoller Kameraarbeit, spritzigen Dialogen und Zitaten und ein paar richtig, richtig guten Szenen (Willis' Katana-Kellerszene ist einer der besten und coolsten Rache-Momente überhaupt). Dass es bei mir aber nicht für das vielgelobte Meisterwerk reicht liegt immer noch an denselben Gründen wie seit Jahren. Die durcheinander-gemischte Erzählstruktur bietet mir insofern keinen nennenswerten Reiz oder Mehrwert, dass eine durchgängige Narration fehlt, die die einzelnen Segmente miteinander verbindet. Vielmehr schaue ich zweieinhalb Stunden einer Abfolge von gelungenen Einzelgeschichten zu, die sich stilistisch ähneln und deren Protagonisten sich gelegentlich kurz kreuzen. Ausserdem schwächelt der letzte Akt ein bisschen, nach der pointierten und frechen Mia-Episode und dem spannend-cool-grotesken Butch-Segment passiert in der Story mit der Leichenbeseitigung und dem Kneipenüberfall nichts mehr, was an den vorherigen starken Narrationsfluss anknüpfen würde und plätschert nur noch gemütlich dem Ende entgegen. Trotzdem sehr unterhaltsam und noch 8 Punkte.

Bei Kill Bill dagegen setzen sich die teilweise nicht-chronologisch organisierten Kapitel elegant zu einer konsequenten Erzählung zusammen, die sich über beide Teile - die aber trotzdem nur ein Film sind - erstreckt (und trotzdem stellt die Schwertkampfszene im Schnee am Ende von Vol 1 einen grandiosen vorläufigen Abschluss dar, die ihre Wirkung auch erst durch die längere Intermission vollständig entfalten kann). Die virtuosen und ausgefallenen Actionszenen, die ihre Anleihen sowohl beim Western als auch beim Eastern nehmen, sind ein Segen für den Film und genau passend eingesetzt. Und überhaupt ist Kill Bill wohl mit Abstand Tarantinos visuell intensivster, vielseitigster und reichhaltigster Film. Ein hochunterhaltsames, actiongeballtes, buntes und tiefgängiges Bizarro-Fest im Wert von 9 Punkten.

Dann habe ich meiner Freundin noch Inglourious Basterds gezeigt (selber zum zigsten Mal gesehen), und es ist sein allerbester. Die narrative Struktur trifft noch mehr als bei Kill Bill ins Schwarze, weil sie die ausufernde Handlungswelt (bei all den Charakteren und der dargestellten geschichtlichen Parallelwelt hätte der Film, wäre er von Disney produziert worden, sicherlich schon ein Dutzend Prequels und Spin-Offs nachgeschleppt) auf nur fünf überschaubare Kapitel zusammenbringt und dabei alles notwendige erzählt. Und das was erzählt wird ist im Prinzip eine totale Satire, ein riesiger Nonsens. Da stecken so viele Details, manche subtil und manche brachial, in den Figuren, den multilingualen Dialoggefechten, den Entwicklungen der Handlung, den filmhistorischen Querverweisen und dem unverschämten Umgang mit der Weltkriegshistorie, dass es einfach nur einen Heidenspass macht. Gleichzeitig kann man das allermeiste aber durchaus auch ernst nehmen, weil in den kunstvoll arrangierten Dialogen eben auch genauso viel Intelligenz wie Blödsinn steckt und die Dramaturgie auch einiges an Spannung garantiert. Inglourious Basterds bringt es fertig, Authentizität und burleske Überzeichnung zu kombinieren. Und die Schauspieler sind exzellent, nicht nur Sankt Waltz, sondern alle, bis in die klitzekleinsten Rollen. 10 Punkte, und meine Freundin fand ihn sogar gar nicht mal so schlecht, Mission ist also geglückt.
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Re: Die Filme des Quentin Tarantino

678
Ich gehe da mit vielem d’accord, wenngleich IB für mich weder Tarantinos Bester noch ein Meisterwerk ist, aber die von dir angeführten Stärken sehe ich an den gleichen Stellen. Bezüglich KB möchte ich aber ergänzen, dass ich hier Teil 1 für die deutlich bessere Hälfte ansehe, da in sich stimmiger und auch qualitativ homogener. Teil 2 leidet für mich bereits seit Erstsichtung im Kino darunter, dass das Schlussdrittel rapide an Qualität einbüsst gegenüber den äusserst vergnüglichen und auf demselben Niveau wie Teil 1 agierenden ersten beiden Dritteln. Alles nach dem Abstecher der Braut bei Esteban ist mir zu ausgedehnt und geschwätzig, ohne dass es Handlung und Figuren wirklich relevant voranbringt.

Auch empfinde ich das Happy End mit seinem Mutzi-Putzi-Muttergefühls-Overkill schrecklich, auch daher sind KB 1 und KB 2 zwei komplett unterschiedliche Filme für mich (obwohl KB 2 wie gesagt über weite Strecken ebenso stark ist und kaum weniger zynisch daherkommt). Und genau hier finde ich PF dann wesentlich stimmiger zu Ende gebracht.

Bezüglich PF möchte ich noch anmerken, dass die starke Fragmentierung bzw. Episodenhaftigkeit und damit einhergehend die fehlende dramaturgische Zusammengehörigkeit (sieht man von den von dir erwähnten Berührungspunkten ab) für mich kein Problem darstellen und schon gar keinen Kritikpunkt, weil ich den Film immer schon so verstanden habe, dass dies genau so gewollt ist. Daher macht auch antichronologische Kunstgriff durchaus Sinn, weil er – so zumindest mein Verständnis – nicht der Dramaturgie dienen, sondern lediglich den Zuschauer verblüffen soll. Das ist zwar irgendwo schon Gimmick-Filmmacherei, aber wenn sie so gekonnt daherkommt wie in diesem Fall, dann nehme ich das gern in Kauf. Segment 3 ist übrigens auch für mich das Schwächste, auch weil Tarantino hier wieder seinem Hang zur Geschwätzigkeit erliegt (wenngleich die Dialoge hier erheblich besser sind als im oben kritisierten letzten Drittel von KB2 und diese vor allem auch Figuren und Handlung erkennbar voranbringen).

Noch eine Ergänzung zu KB: für mich würde der Film (noch) besser funktionieren, wenn Tarantino auf das Überleben der Tochter verzichtet hätte. Klar, der Knalleffekt am Ende von Teil 1 (kongenial unterlegt mit James Lasts Musik) ist grossartig und man hätte den ersten Teil wirklich nicht besser enden lassen können. Aber leider enstehen dadurch viele der Probleme, die mir in Teil 2 dann etwas den Spass verderben. Teil 2 ist im letzten Drittel kein Revenge-Flick mehr, sondern fühlt sich eher wie eine Family-Soap an. Dadurch wird die Abrechnung mit Bill komplett entwertet und fühlt sich eher wie eine Zwangsmaßnahme an, da man genau das eben erwartete und nicht darauf verzichten konnte. Hinzu kommt der charakterliche Bruch der Braut. Die 180 Grad-Kehrtwendung von der eiskalten Killerin zur hormongesteuerten Mutzi-Putzi-Sonnenschein-mit-Tränchen-in-den-Augen-Muster-Mammi finde ich furchtbar (etwas, dass mir auch schon in Renny Harlins „The long Kiss Goodnight“ äusserst unangenehm aufgestossen ist) und unglaubwürdig (wohingegen die zwar ähnlich, aber eben auch weitaus weniger extrem in Bezug auf die „Charakter-Deformierung“ angelegte Szene, in der die Braut erfährt, dass sie schwanger ist, sehr gut funktioniert). Tarantino hätte daher aus meiner Sicht besser daran getan KB als reines Rache-Epos durchzuziehen und statt dem endlosen Geblubber bei der Family-Reunion auf ein knalliges, finales Duell zwischen den beiden Antagonisten zu setzen.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Die Filme des Quentin Tarantino

679
AnatolGogol hat geschrieben:Teil 2 leidet für mich bereits seit Erstsichtung im Kino darunter, dass das Schlussdrittel rapide an Qualität einbüsst gegenüber den äusserst vergnüglichen und auf demselben Niveau wie Teil 1 agierenden ersten beiden Dritteln. Alles nach dem Abstecher der Braut bei Esteban ist mir zu ausgedehnt und geschwätzig, ohne dass es Handlung und Figuren wirklich relevant voranbringt.

Auch empfinde ich das Happy End mit seinem Mutzi-Putzi-Muttergefühls-Overkill schrecklich, auch daher sind KB 1 und KB 2 zwei komplett unterschiedliche Filme für mich (obwohl KB 2 wie gesagt über weite Strecken ebenso stark ist und kaum weniger zynisch daherkommt).

für mich würde der Film (noch) besser funktionieren, wenn Tarantino auf das Überleben der Tochter verzichtet hätte. Klar, der Knalleffekt am Ende von Teil 1 (kongenial unterlegt mit James Lasts Musik) ist grossartig und man hätte den ersten Teil wirklich nicht besser enden lassen können. Aber leider enstehen dadurch viele der Probleme, die mir in Teil 2 dann etwas den Spass verderben. Teil 2 ist im letzten Drittel kein Revenge-Flick mehr, sondern fühlt sich eher wie eine Family-Soap an. Dadurch wird die Abrechnung mit Bill komplett entwertet und fühlt sich eher wie eine Zwangsmaßnahme an, da man genau das eben erwartete und nicht darauf verzichten konnte. Hinzu kommt der charakterliche Bruch der Braut. Die 180 Grad-Kehrtwendung von der eiskalten Killerin zur hormongesteuerten Mutzi-Putzi-Sonnenschein-mit-Tränchen-in-den-Augen-Muster-Mammi finde ich furchtbar (etwas, dass mir auch schon in Renny Harlins „The long Kiss Goodnight“ äusserst unangenehm aufgestossen ist) und unglaubwürdig (wohingegen die zwar ähnlich, aber eben auch weitaus weniger extrem in Bezug auf die „Charakter-Deformierung“ angelegte Szene, in der die Braut erfährt, dass sie schwanger ist, sehr gut funktioniert). Tarantino hätte daher aus meiner Sicht besser daran getan KB als reines Rache-Epos durchzuziehen und statt dem endlosen Geblubber bei der Family-Reunion auf ein knalliges, finales Duell zwischen den beiden Antagonisten zu setzen.
Ich finde auch, dass Kill Bill im letzten Kapitel etwas nachlässt, nur empfinde ich den "Verlust" als weit weniger drastisch und fällt er gemessen an der sehr langen Laufzeit und bis dahin durchgehend hohen Qualität beider Teile weniger ins Gewicht. Dass die eiskalte Killer-Braut im Angesicht ihrer Tochter Muttergefühle entwickelt halte ich für logisch und authentisch, die Alternative wäre halt nur gewesen wie du vorschlägst Töchterchen gleich wegzulassen. Irgendwie ist es aber auch eine tolle Idee, den Doppelfilm in einem intimen Rahmen und mit einem unerwarteten Twist (zumindest für die Protagonistin, dem Zuschauer wurde das Überleben der Tochter ja schon viel früher verraten) enden zu lassen. Denn wie hätte Tarantino den stilisierten Blutrausch der vorherigen Kämpfe noch überbieten sollen? Er hätte den "Endkampf" gegen Bill zwangsmässig zu einer ausufernden Über-Schlacht machen müssen, daher ist der unerwartet "kleine" und simple Schluss auch die logische Alternative.

Der Zusammenhang zwischen dem Ende von Teil 1 und der Fortführung in Teil 2 erschliesst sich mir aber nicht ganz. Oder meintest du das wie ich gerade mit dem nicht mehr zu steigernden Spektakel?
AnatolGogol hat geschrieben:Daher macht auch antichronologische Kunstgriff durchaus Sinn, weil er – so zumindest mein Verständnis – nicht der Dramaturgie dienen, sondern lediglich den Zuschauer verblüffen soll.
Macht für mich immer noch nicht viel Sinn, der "Verblüffungseffekt" ist dann bei der zweiten Sichtung weg und generell können die Zeit- und Handlungssprünge vielleicht in den ersten Minuten das Interesse wecken, verlieren ihre Wirkung danach aber mehr und mehr wenn man merkt dass man einem neuen, geschlossenen Handlungsstrang folgt und die vorherigen nicht mehr wirklich beachten muss.

Edit: Was alle drei bzw. vier Filme gemein haben ist dass sie viel besser sind als der etwas dröge Django, der hier kurioserweise die Bestenliste anführt. Forengeschmack ist schlecht.
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Re: Die Filme des Quentin Tarantino

680
Bei Pulp Fiction ist es aber gerade wichtig, dass man manche Sachen erst dann erfährt, wenn man sie erfährt. So beispielsweise die Tatsache, dass Jules nach der Bonnie-Situation aussteigt, diese Information wäre an chronologisch richtiger Stelle im Film vollkommen wirkungslos gewesen und genauso muss die Willis Szene in der Form zeitlich verschoben sein, wie sie ist, sonst ergibt der Film wenig Sinn.

Das Finale von Kill Bill ist sehr antiklimaktisch, aber das ist genau richtig so, die finale Abrechnung mit Bill ist wie sie sein soll. Teil 1 ist natürlich ein Meisterwerk und ein durchweg epischer (oder antiepischer?) Rachefilm, der nach dem Klingonen-Zitat ein wilder Ritt wird, wie es ihn nicht oft zu sehen gibt.
https://filmduelle.de/

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Re: Die Filme des Quentin Tarantino

681
Casino Hille hat geschrieben:Bei Pulp Fiction ist es aber gerade wichtig, dass man manche Sachen erst dann erfährt, wenn man sie erfährt. So beispielsweise die Tatsache, dass Jules nach der Bonnie-Situation aussteigt, diese Information wäre an chronologisch richtiger Stelle im Film vollkommen wirkungslos gewesen und genauso muss die Willis Szene in der Form zeitlich verschoben sein, wie sie ist, sonst ergibt der Film wenig Sinn.
Warum? Jules taucht nach der Bonnie-Situation (chronologisch) sowieso nicht mehr auf und hätte auch ohne den Ausstieg aus dem Killergeschäft keinen Grund dazu. Diese Information hat auf genau eine Episode eine Auswirkung, nämlich auf die letzte. Genauso verliert oder gewinnt das Willis-Segment kaum an Sinn oder Unsinn durch seine Platzierung. Ich sage sogar: wäre sie chronologisch platziert worden wäre immerhin der dramaturgische und unterhaltsame Höhepunkt am Ende, und Pulp Fiction würde mit einem Knall enden statt mit einer nichtendenwollenden Elegie über Hezekiel. Nichts im Film schlägt den schwertschwingenden Butcher-Butch. Tärätätät-tärätätä!

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Re: Die Filme des Quentin Tarantino

682
Es gibt im Film eigentlich kein Gespräch über Ezekiel, das Bibel-Zitat ist nämlich ziemlicher Nonsens und stammt überhaupt nicht aus der Bibel, sondern aus dem Film "The Bodyguard" von Tatsuichi Takamori. :D Was für die Bedeutung des Films nicht so ganz unwichtig ist. Und doch, Jules Ausstieg ist der einzig passende Schlusspunkt, weil es der Moment ist, auf den Tarantino da hinaus will und deswegen baut er ihn ja vorher auch zweieinhalb Stunden lang auf. Ich denke, die zeitliche Verschiebung Pulp Fictions ist sicherlich in Teilen auch eine emotionale Sache, die man einfach gefühlsmäßig verstehen muss, aber es hat auch einen sachlichen Sinn, wobei das je nach Lesart des Films ein anderer sein kann.
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Re: Die Filme des Quentin Tarantino

683
GoldenProjectile hat geschrieben:Denn wie hätte Tarantino den stilisierten Blutrausch der vorherigen Kämpfe noch überbieten sollen? Er hätte den "Endkampf" gegen Bill zwangsmässig zu einer ausufernden Über-Schlacht machen müssen, daher ist der unerwartet "kleine" und simple Schluss auch die logische Alternative.
Ich kann deinen Einwand nachvollziehen und in der Tat ist actiontechnisch das Spektakel am Ende von Teil 1 nicht mehr zu toppen. Aber ein echtes finales Duell hätte sich ja bereits durch die intimere Atmosphäre (weil eben 1 gegen 1 und nicht 1 gegen 88+) vom Finale des ersten Films abgegrenzt. Dafür wäre dann aber vermutlich Carradine der falsche Darsteller gewesen, da ich ihm in seinem damaligen Alter ein physisch anspruchsvolle Actionszene nicht so recht zugetraut hätte (und das wäre dann schon ein erheblicher Verlust, weil Dave ein Eckpfeiler beider Filme ist). Aber auch ohne eine echte Alternative anbieten zu können mag ich das gefühlsduselige Herzschmerzige im Finale von KB2 einfach nicht (und bevorzuge meinen Martial-Arts-Kram am liebsten rustikal und zynisch).
GoldenProjectile hat geschrieben:Der Zusammenhang zwischen dem Ende von Teil 1 und der Fortführung in Teil 2 erschliesst sich mir aber nicht ganz. Oder meintest du das wie ich gerade mit dem nicht mehr zu steigernden Spektakel?
Ich meinte, dass das Weglassen der überlebenden Tochter den Knalleffekt von Teil 1 zerstört hätte (weil er dann ja nicht da wäre) – und so paradox das klingen mag, diese Enthüllung halte ich für einen der absoluten inszenatorischen Höhepunkte in Tarantinos Karriere.
GoldenProjectile hat geschrieben:Macht für mich immer noch nicht viel Sinn, der "Verblüffungseffekt" ist dann bei der zweiten Sichtung weg
Das Problem ergibt sich bei Gimmicks aber halt immer, z.B. bei Hitchs roter Lola oder The 6th Sense. Einmal bekannt wird sich nie wieder die gleiche Wirkung einstellen (und die war bei PF bei mir im Kino damals schon enorm, da so unerwartet)
GoldenProjectile hat geschrieben:und generell können die Zeit- und Handlungssprünge vielleicht in den ersten Minuten das Interesse wecken, verlieren ihre Wirkung danach aber mehr und mehr wenn man merkt dass man einem neuen, geschlossenen Handlungsstrang folgt und die vorherigen nicht mehr wirklich beachten muss.
Den Eindruck hatte ich nie, auch nicht bei wiederholten Sichtungen. Die anti-chronologische Abfolge fühlt sich für mich immer sehr stimmig an.
GoldenProjectile hat geschrieben:Edit: Was alle drei bzw. vier Filme gemein haben ist dass sie viel besser sind als der etwas dröge Django, der hier kurioserweise die Bestenliste anführt. Forengeschmack ist schlecht.
[/quote]
Unbedingt, Django ist für mich eh sein mit Abstand schwächster Film.
Casino Hille hat geschrieben:Bei Pulp Fiction ist es aber gerade wichtig, dass man manche Sachen erst dann erfährt, wenn man sie erfährt. So beispielsweise die Tatsache, dass Jules nach der Bonnie-Situation aussteigt, diese Information wäre an chronologisch richtiger Stelle im Film vollkommen wirkungslos gewesen und genauso muss die Willis Szene in der Form zeitlich verschoben sein, wie sie ist, sonst ergibt der Film wenig Sinn.
Wow, habe ich noch nie so gesehen, ist aber absolut logisch.
Casino Hille hat geschrieben:Das Finale von Kill Bill ist sehr antiklimaktisch, aber das ist genau richtig so, die finale Abrechnung mit Bill ist wie sie sein soll. Kill Bill 2 schwächelt leider trotzdem merklich in dem doch etwas langen Teil nach der Rückblende zur Ausbildung der Braut, da dann Michael Madsen und Daryl Hannah zu sehr im Fokus stehen und die Braut etwas verdrängen. Da hätte man straffen können. Teil 1 ist natürlich ein Meisterwerk und ein durchweg epischer (oder antiepischer?) Rachefilm, der nach dem Klingonen-Zitat ein wilder Ritt wird, wie es ihn nicht oft zu sehen gibt.
Die Einbindung von Madsen und Hannah finde ich genau richtig, auch da beide für mich zu den Stärken des Films (bzw. der Filme) gehören.

Schön, dass hier mal wieder richtig diskutiert wird (auch wenn ich kaum hinterherkomme...) :D
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Re: Die Filme des Quentin Tarantino

684
GoldenProjectile hat geschrieben: Warum? Jules taucht nach der Bonnie-Situation (chronologisch) sowieso nicht mehr auf und hätte auch ohne den Ausstieg aus dem Killergeschäft keinen Grund dazu. Diese Information hat auf genau eine Episode eine Auswirkung, nämlich auf die letzte. Genauso verliert oder gewinnt das Willis-Segment kaum an Sinn oder Unsinn durch seine Platzierung. Ich sage sogar: wäre sie chronologisch platziert worden wäre immerhin der dramaturgische und unterhaltsame Höhepunkt am Ende, und Pulp Fiction würde mit einem Knall enden statt mit einer nichtendenwollenden Elegie über Hezekiel. Nichts im Film schlägt den schwertschwingenden Butcher-Butch. Tärätätät-tärätätä!
Nein, nein, nein², nein³, es ist gerade die Erzählanordnung die PF den genialen Kick gibt, die die 3 cleveren Kurzfilme zu einer brillanten Einheit zusammenschweißt, und das funktioniert beim ersten Mal, also mit Überraschungseffekt, genau so toll wie beim 10. oder 100. Mal. Und das ist alles, nur kein Gimmick, sondern bewundernswerte, faszinierende, mich umhauende Erzählkunst.
Wenn ich nur an den Aufbau von PF denke, dann läuft mir schon ein kleiner, netter, sehr angenehmer Schauer den Rücken runter. Und das Ende von PF ist einfach perfekt so wie es ist, das geht gar nicht, das an der chronologisch richtigen Stelle zu haben. Ganz zu schweigen von der brillanten Folge der Auftaktszenen, also bevor eigentlich die erste Episode offiziell mit deren Titeleinblendung startet.

Re: Die Filme des Quentin Tarantino

685
Casino Hille hat geschrieben:Und doch, Jules Ausstieg ist der einzig passende Schlusspunkt, weil es der Moment ist, auf den Tarantino da hinaus will und deswegen baut er ihn ja vorher auch zweieinhalb Stunden lang auf.
Tut er das? Sicher kann man bei das Motiv "raus aus der Gangsterwelt und ab in den Ruhestand" auch bei Hattori Hanzo McClane feststellen, und mit ganz viel Fantasie und Interpretationsfreude wird man es vielleicht sogar bei Travolta finden, wenn der lieber mit Uma Thurman ausgeht als Leute zu schlachten. Aber als durchgängiges Motiv im Film habe ich das nie gesehen. Never.

Dass Jacksons Hezekiel mit der echten Bibelstelle etwa so viel gemein hat wie die Pfandleiher-Folterknechte mit Romantik war mir schon klar, mir ging es um den Kontext des Films.
AnatolGogol hat geschrieben:Ich meinte, dass das Weglassen der überlebenden Tochter den Knalleffekt von Teil 1 zerstört hätte (weil er dann ja nicht da wäre) – und so paradox das klingen mag, diese Enthüllung halte ich für einen der absoluten inszenatorischen Höhepunkte in Tarantinos Karriere.
Ach so, ich dachte du meinst mit Knalleffekt das Crazy 88 Gemetzel mit anschliessendem Frau gegen Frau im verschneiten Ziergarten. Letzteres ist nämlich für mich einer seiner inszenatorischen Höhepunkte.
AnatolGogol hat geschrieben:Den Eindruck hatte ich nie, auch nicht bei wiederholten Sichtungen. Die anti-chronologische Abfolge fühlt sich für mich immer sehr stimmig an.
Hast du dich nicht auch schon kritischer in dieser Hinsicht geäussert?
AnatolGogol hat geschrieben:ich sehe aber auch keine erheblichen Auswirkungen auf den Film durch die teilweise antichronologische Erzählstruktur. Die Eliminierung einer Hauptfigur (Travolta) im 2. Akt ist schon ein sehr schöner Effekt, ähnlich wie in Hitch seinerzeit bei Psycho im Sinn hatte. Das kommt schon sehr überraschend und vor allem derart beiläufig, dass zwangsläufig beim Zuschauer die Fragezeichen nur so um den Kopf schwirren. Wenn er dann im 3.Akt wieder auftaucht ist das schon ein sehr schöner Aha-Moment, mehr aber eigentlich auch nicht. Die kleinen Querverweise wie Willis Auftritt in Akt 1 sind nette Gimmicks, haben aber für mich keinen wirklichen Einfluss auf die Handlung im Sinne einer Verwebung der Teilplots.
AnatolGogol hat geschrieben:Schön, dass hier mal wieder richtig diskutiert wird (auch wenn ich kaum hinterherkomme...) :D
Wem sagst du das! Eigentlich habe ich ja zu tun... :)
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Re: Die Filme des Quentin Tarantino

686
Maibaum hat geschrieben:und das funktioniert beim ersten Mal, also mit Überraschungseffekt, genau so toll wie beim 10. oder 100. Mal. Und das ist alles, nur kein Gimmick, sondern bewundernswerte, faszinierende, mich umhauende Erzählkunst.
Wenn ich nur an den Aufbau von PF denke, dann läuft mir schon ein kleiner, netter, sehr angenehmer Schauer den Rücken runter.
Schön für dich :wink:

Ich habe vor der gestrigen Sichtung auch schon erwartet, dass sich die Struktur mir endlich entfalten würde, dass ich den Film damals die ersten beiden Male viel zu rational geschaut habe, zu wenig intuitiv. Aber es wollte leider nicht klappen und meine emotionalen Verständigungsprobleme mit der Erzähltechnik sind dieselben geblieben, Tja, man kann halt nicht alles haben.
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Re: Die Filme des Quentin Tarantino

687
GoldenProjectile hat geschrieben:Hast du dich nicht auch schon kritischer in dieser Hinsicht geäussert?
GP, das kollektive Forengedächtnis. :D
Mein vormaliges Geblubber steht doch aber noch nicht mal groß im Gegensatz zu meinem heutigen Auswurf. Das "stimmig" war auf dein Bemerkung gerichtet, dass der anti-chronologische Effekt mehr und mehr an Wirkung verliert. Einen großen dramaturgischen Effekt habe ich da zwar nie drin gesehen (obwohl einiges von dem was Hille schreibt sehr logisch klingt) und im Gegensatz zu Maibaum sehe ich da auch nicht wirkliche Genialität darin (wie für mich Tarantino generell viel mehr äusserst befähigter Handwerker denn Genie ist), aber stimmig ist das anti-chronologische Gimmick durchaus. Ich erinnere mich noch gut an meine Erstsichtung und daran, dass man mit fortlaufender Dauer sich gefragt hat, mit welcher unerwarteten Wendung (hinsichtlich der zeitlichen Struktur) der Film als nächstes um die Ecke kommt.
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Re: Die Filme des Quentin Tarantino

688
AnatolGogol hat geschrieben:und so paradox das klingen mag, diese Enthüllung halte ich für einen der absoluten inszenatorischen Höhepunkte in Tarantinos Karriere
Vollkommen richtig, es geht mir genauso. Das ist ein absolut erhabener Moment, ganz großes Gänsehaut-Kino. Übrigens ist Kill Bill aus diesem Grund auch ein Zweiteiler und nicht ein Film, egal was Tarantino sagt. Dieser Schlusspunkt von Vol. 1 ist überwältigend und MUSS ein Ende markieren. Zumal es auch sinnig ist, dort eine Trennung beider Filme vorzunehmen. Das fühlt sich viel befriedigender an, als Kill Bill als EINEN Film zu betrachten… obgleich er natürlich schon ein Gesamtkunstwerk ist. Nur eben eines in zwei Teilen. :wink:
AnatolGogol hat geschrieben:Das Problem ergibt sich bei Gimmicks aber halt immer, z.B. bei Hitchs roter Lola oder The 6th Sense. Einmal bekannt wird sich nie wieder die gleiche Wirkung einstellen
Jop, weshalb ich solche Twist-Endings nicht sonderlich mag, sofern der ganze Film einzig auf deren Wirkung hin aufbaut. 6th Sense halte ich trotz des vermeintlich tollen Endes für eine Esoterik-Schmonzette, vergleichbare Filme finde ich ähnlich wenig berauschend. Pulp Fiction steht da dicke drüber, weil das eben doch deutlich mehr ist, als nur ein Twist, der beim ersten Mal etwas Verwirrung stiften soll (mal ehrlich, so verwirrend ist PF ja nun auch wieder nicht, bis auf die Tatsache, dass der Film nach seinem zweiten Drittel noch mal zum Anfang zurückspringt, denn tatsächlich ist da sonst kaum etwas verschoben).
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Re: Die Filme des Quentin Tarantino

689
Casino Hille hat geschrieben:Das fühlt sich viel befriedigender an, als Kill Bill als EINEN Film zu betrachten… obgleich er natürlich schon ein Gesamtkunstwerk ist. Nur eben eines in zwei Teilen. :wink:
Ich sehe KB mittlerweile eindeutig als eine Trilogie in 2 Teilen ...

Wenn ein Twist schon das Wesentliche ist, was ein Film zu bieten hat, dann verpufft die Wirkung natürlich beim 2. Mal, bzw verpufft meist schon der ganze Film weit vorher, wenn so ein Twist dann
auch noch meilenweit absehbar ist. Aber auch der genannte Hitchcock, obwohl sicher keiner seiner Top filme hat doch noch mehr zu bieten, und das gilt auch für The 6th Sense