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von GoldenProjectile
'Q Branch' - MODERATOR
Silence (2017, Martin Scorsese)
Es ist bitter: Nach über 25 Jahren, in denen er sich mit dem Stoff beschäftigt hat, konnte Martin Scorsese sein Wunsch- und Herzensprojekt Silence endlich in die Lichtspielhäuser bringen, nur um finanziell damit ordentlich unterzugehen. Woran liegt es? Ist der Stoff zu schwerfällig für die Popcorn verschlingenden Kinogänger? Vermutlich, denn Scorsese lässt hier all die religiösen Motive, die sein Werk vom ersten Tag an wie Leitfaden durchzogen haben, in einer ausgedehnten Missionarsgeschichte kulminieren. Zwei junge Jesuitenpriester reisen im 17. Jahrhundert ins buddhistische Japan, in dem Christen gnadenlos von den Autoritäten verfolgt werden und sich und ihren Glauben versteckt halten müssen. Die Mission lautet nicht nur, das Wort Gottes zu verbreiten und den gepeinigten christlichen Bevölkerungsgruppen in ihren dunklen Stunden beizustehen, sondern auch einen sagenumwobenen Priester ausfindig zu machen, der Gerüchten zufolge vom kirchlichen Weg abgekommen sei. Dieser Auftrag ist für die beiden Protagonisten eine Herzensangelegenheit, genau wie der Film für Scorsese.
Der frühere Priesteranwärter Scorsese ist viel zu klug und filmisch zu reif, um eine schlichte Dämonisierung der japanischen Christenverfolgung oder im Umkehrschluss ein Heiligenbild der mutigen Priester, die sich dieser Gefahr ausliefern, abzugeben. Vielmehr ist Silence ein Drama über die inneren Zweifel und Widersprüche eines Gläubigen, die sich äusserlich in der schweren christlichen Metaphorik seiner Monologe und der Geschichte um den unnachgiebigen Kampf zweier religiöser Kulturen manifestiert. Die Reise in die Dunkelheit und in die Gefahr, um eine verlorengegangene, über alle Massen mystifizierte Legende aus den eigenen Reihen zu finden erinnert an Apocalypse Now und dessen literarische Vorlage Heart of Darkness, die schlichte Eleganz der Bilder von mittelalterlichen japanischen Stätten und dem grenzenlos anmutenden, regnerischen und nebelverhangenen Urwald kommt einer transzendierten Hommage an Akira Kurosawas Klassiker gleich. Es geht darum ob ein Baum in diesen fremden Ländereien nicht gedeihen kann, oder der zugrunde liegende Boden vergiftet wurde, wie es der Inquisitor, herausragend verkörpert vom japanischen Komiker Issey Ogata, in seinen elegant geschriebenen verbalen Konfrontationen mit dem Priester Rodrigues erläutert. Die Frage nach dem richtig und falsch der portugiesischen Kolonialisierungs- und Missionierungsversuche wird dem Zuschauer gegenüber nicht eindeutig beantwortet, zu tief ist Silence zu diesem Punkt bereits in eine undurchschaubare Grauzone eingetaucht.
Wenn man genauer nachdenkt und die Wirkung dieses Films Revue passieren lässt ist es kein Wunder mehr, weshalb Silence so rar besucht wird. Auch wenn die Verbindung durch den Namen Scorsese auf dem Filmplakat steht - dass eine langsam erzählte, elegische Studie über den Glaubenskonflikt eines Mannes in einer fremden Welt weniger Leute anlockt als ein lustig umherkriechender, zugedröhnter Leonardo DiCaprio und eine sexualisierte Margot Robie ist glasklar, wenn auch schade. Denn Silence erlaubt es trotz oder gerade wegen seiner vermeintlichen Sperrigkeit, darin einzutauchen, und sich mit den Konflikten auf einer emotionalen Ebene zu befassen. Den Zuschauer, der dazu bereit ist, lenkt wenig ab, denn der Filmtitel ist Programm und bis auf die sanfte, hintergründige Geräuschkulisse von zirpenden Grillen und plätschernden Bächen herrscht Stille, die es einem erlaubt dem gezeigten und gesagten in aller Ruhe zu folgen und es zu verarbeiten. Für mich haben sich die zweieinhalb Stunden gelohnt, auch wenn ich nicht wirklich ausdrücken kann, was denn am Ende von dieser filmischen Reise geblieben ist, ob das Ende einfallslos oder clever ist, ob der Film prätentiös oder genial ist. Vermutlich alles zusammen.
We'll always have Marburg
Let the sheep out, kid.