Re: Zuletzt gesehener Film

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iHaveCNit: Hacksaw Ridge (2017)

„Andrew Garfields gläubiger Leidensweg in Japan Teil 1“


Bevor wir im März sehen, wie Andrew Garfield in Martin Scorseses „Silence“ als Jesuit vor der japanischen Verfolgung flüchtet, bekommen wir von einem weiteren großartigen und polarisierenden Regisseur einen Kriegsfilm serviert, der es in sich hat. Mel Gibson, der als Schauspieler schon lange durch eigenes Zutun kaum mehr eine Rolle spielt, meldet sich zumindest als Regisseur nach seinen 3 Werken „Braveheart“ ; „Die Passion Christi“ und „Apocalypto“ mit seinem 4. Film „Hacksaw Ridge“ zurück, der nun auch in der Awardseason mit 6 Oscarnominierungen berücksichtigt wurde.

Uns wird die Geschichte von Desmond Doss erzählt, der sich im 2. Weltkrieg zwar für den Dienst für sein Land entschieden hat, aber als gläubiger Christ und Pazifist den Dienst an der Waffe verweigert. Sein langer Kampf, als Feldsanitäter ohne Waffe in den Krieg ziehen zu dürfen wird uns gezeigt und auch welch Unmenschliches er damals am „Hacksaw Ridge“ geleistet hat, in dem er 75 verletzten Kameraden das Leben gerettet hat.

„Hacksaw Ridge“ ist ganz großes Kino. Aber auch polarisierend. Zweigeteilt wird uns in der ersten Hälfte die Vorgeschichte und Ausbildung gezeigt und in der zweiten Hälfte befinden wir uns auf dem Schlachtfeld. Im ersten Teil fühlt man sich unweigerlich an Filme wie „Captain America: The First Avenger“ oder auch „Full Metal Jacket“ erinnert. Aber wir bekommen einen schönen Einblick in die Hintergründe, die zur Überzeugung von Desmond Doss geführt haben, dazu wird die Beziehung zu seinem Vater und auch die Liebesbeziehung zur Krankenschwester Dorothy sehr fein herausgearbeitet. Es erweist sich mittlerweile als Glücksgriff, dass Garfields Spiderman-Run nur 2 Filme gedauert hat, so dass er in weitaus besseren Rollen spielen darf. Wie Andrew Garfield den Film trägt, ist wirklich erstaunlich gut. Auch von Hugo Weaving, Teresa Palmer, Luke Bracey und Sam Worthington bin ich positiv überrascht gewesen. Ob Vince Vaughn als eigentlicher Comedydarsteller hier als harter Ausbilder passt, polarisiert, aber ich fand das ganz in Ordnung, weil durch die Szenen in der Ausbildung so auch eine gewisse Portion ernster Galgenhumor eingebunden wurde. Im zweiten Teil geht es dann an den „Hacksaw Ridge“ einen Kamm an der Küste zu Okinawa, der als strategisch wichtiger Punkt eingenommen werden muss. Hier wird dann an Gewalt und Brutalität alles herausgehauen, was geht, um den Schrecken des Krieges in seiner stärksten Konsequenz und Sinnlosigkeit zu präsentieren. Abgetrennte Gliedmaßen, brennende Körper und Leichenberge pflastern den Weg auf dem Hacksaw Ridge. Die Darstellung hier lässt Erinnerungen an Spielbergs „Der Soldat James Ryan“ wach werden und ist mindestens genauso hart und unerbittlich. Rein handwerklich auf technischer Seite ist hier der Film perfekt.

Aber es gibt genau diese Polarisierung, die den Film davon hindert, bei mir die 10 herauszuholen. Zum einen ist es klar, dass Andrew Garfield als amerikanischer Kriegsheld genau aus diesem Grund für den Oscar nominiert wurde wie vor 2 Jahren ein Bradley Cooper in der Rolle des „American Sniper“ Chris Kyle. Garfields Charakter hat seine Überzeugung (mal ganz unabhängig vom Glauben an Gott) den ganzen Film über und durchlebt daher keine richtige Entwicklung. Diese Entwicklung durchleben eigentlich nur sein militärisches Umfeld, die von regelrecht angewiderter Anfeindung bis hin zur Glorifizierung Doss als strahlenden Samariter wechselt. Zum anderen ist es natürlich wichtig zu fragen, ob in der Geschichte um einen Pazifisten die Gewaltdarstellung im 2. Teil so fokussiert werden musste, auch wenn diese nicht zum Selbstzweck glorifiziert wird. Am Ende wird dann auch mit vielleicht ein wenig Druck auf die Tränendrüse die Geschichte mit leichtem Pathos und Patriotismus geschwängert, die dem Film nicht gut tut, auch wenn wir es mit einer klassischen amerikanischen Heldenstory zu tun haben. Trotz allem bleibt der Film sehr spannend, unterhaltsam, dramatisch und aufwühlend.

„Hacksaw Ridge“ - My First Look – 9/10 Punkte.
"Weiter rechts, weiter rechts ! ..... "

Re: The One and Only - Mel Gibson

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AnatolGogol hat geschrieben:Mel führt Regie in einem WWII-Film? Wie grossartig ist das denn!? Na wenn das kein Film für Vaters Sohn ist weiss ich es auch nicht. :D
Dann möchte ich hier doch noch auch noch meine Eindrücke nachlegen, obwohl ich sie etwas knapper zu halten gedenke. HCN hat eigentlich das meiste schon in Reviewform gut auf den Punkt gebracht und in erster Linie möchte ich seine Kritik unterstreichen, da ich den Grossteil seiner Eindrücke sowieso teile. Nur dass es sich bei Hacksaw um Gibsons vierten Film handelt ist falsch, ein kleiner Blick in die Filmografie sagt mir, dass es sein fünfter ist. :D
HCN007 hat geschrieben:[„Hacksaw Ridge“ ist ganz großes Kino.
, dem ist eigentlich schon nicht mehr viel hinzuzufügen. Gibson strukturiert seinen Film in zwei Teilen, wobei die erste Hälfte den Weg der Hauptfigur Desmond Doss hin zur Armee verfolgt und seine Motivation, auf seine eigene Weise im Weltkrieg mitzumischen, sowie seine Überzeugung, keine Waffe zu tragen und die damit verbundenen Widerstände auf die er mit diesem Idealismus stösst, gründlich erforscht. Mit am erstaunlichsten an dieser Prämisse ist, wie geschickt Gibsons Inszenierung dramaturgische Stereotypen umschifft, obwohl viele der inhaltlichen Elemente, wie zum Beispiel die raue Kindheit des Protagonisten oder sein "Ausgestossenen-Dasein" in der Kompanie mit Sicherheit keine Innovation darstellen. Gibson gelingt es, diese Geschichte gleichermassen sanftmütig und spannend zu erzählen und sich genügend Zeit für die Entwicklung der Hauptfigur zu nehmen. Überhaupt fokussiert sich der Film sehr konsequent auf seinen Protagonisten, und der ausrangierte Spiderman Andrew Garfield nutzt den ihm zugeteilten Raum optimal und glänzt in einer Rolle, die gleichzeitig integer, konfliktbehaftet und dreidimensional ist. Die Nebenfiguren haben vornehmlich eine dienende Funktion und lenken nie zu sehr von der Hauptrolle ab, dennoch setzt Hacksaw Ridge auch in diesem Bereich einige Highlights, hauptsächlich in Form von Hugo Weaving, der Desmonds Vater verkörpert. Weaving triumphiert förmlich - aber wie bereits angemerkt, ohne das Gleichgewicht der Rollenverteilung zu stören - als strenger, saufender und gebrochener Patriarch und WW1-Veteran, und hat einige darstellerisch unglaublich imposante Szenen auf seiner Seite, gerade wenn er die Verletzlichkeit seiner Figur offenbaren darf.
Spoiler
Zum Beispiel beim Abendessen, als er erfährt dass sein Sohnemann Hal sich zum Kriegsdienst gemeldet hat, oder wenn er sich dann doch dazu entscheidet, Desmond in seinem Vorhaben zu unterstützen und an seiner Seite vor dem Kriegstribunal erscheint.
Eher ungewöhnlich mutet die Besetzung von Komödiant Vince Vaughn als Drill-Sergeant an, eine Besetzung, die entgegen aller Erwartungen aber umso besser funktioniert. Auch hier weichen Gibson (und Vaughn) den gefährlichen Klischees gekonnt aus und schaffen es, dass der Sergeant den ihm zugeteilten Rollentypus des strengen, militärischen Instruktors ausfüllt, ohne zur Karikatur zu werden. Stattdessen liefert die Figur gerade die richtige Prise schwarzen Humor und ergänzt die Handlung wunderbar.

Die zweite Hälfte fokussiert sich dann nahezu ausschliesslich auf die "Combat-Szenen" an der japanischen Kriegsfront und entwickelt damit die Figur des Desmond, der nun seine Wundertaten als Sanitätssoldat vollbringen darf, konsequent weiter. Das geschieht logischerweise nicht ohne eine gehörige Portion an Pathos, aber Gibson vermeidet es, sich durch übermässige Glorifizierung oder Dämonisierung im heiklen Kriegsthema und dessen Stereotypen zu verstricken. Stattdessen bleibt er seinem Protagonisten treu und liefert ehrlichen und gut gemachten Pathos, der im Dienst der narrativen Prämisse steht. Essentieller Bestandteil dieser zweiten Hälfte sind wie gesagt die Schlachtenszenen an der Kriegsfront "Hacksaw Ridge" in Japan, und die sind kurz gesagt sagenhaft und von einer audiovisuellen Intensität, die einen in den Kinosessel drückt. Gibson ist daran interessiert, den Krieg als chaotisches und brutales Gemetzel zu zeigen, setzt an den richtigen Stellen aber auch dramaturgische Variationen und Spannungsbögen, die dem Bilderrausch zusätzliches Gewicht verleihen.

Hacksaw Ridge ist genau der starke Kriegsfilm geworden, den sich die Forengemeinde hier herbeigesehnt hat, und es ist ein Film, an dem Vaters Sohn fürwahr seine Freude haben dürfte. Auszusetzen gibt es lediglich einige Kleinigkeiten, zum Beispiel die gelegentliche Sprunghaftigkeit der Inszenierung in der ersten Hälfte oder dass einige der interessant angerissenen Nebenfiguren irgendwann etwas ins Hintertreffen geraten (was im Kontext der Dramaturgie zwar Sinn ergibt, da sich der zweite Akt eben voll und ganz auf die Fronterlebnisse von Desmond fokussiert, einige Handlungselemente dann aber doch etwas im Nirgendwo verlaufen lässt). Am meisten profitiert Hacksaw Ridge inszenatorisch von seiner emotionalen Intensität, die keineswegs frei von Breitseiten-Pathos ist, diesen aber als emotionales Instrument geschickt einzusetzen weiss, sowie von seinen bildgewaltigen und dramaturgisch effizienten Kriegsszenen und seiner treffend eingesetzten Besetzung. Für mich starke 8,5 Punkte.
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Re: The One and Only - Mel Gibson

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Klingt prächtig und ich ärgere mich jetzt umso mehr, dass er hier im Kino so schnöde verschmäht wird (ich habe ein ganz mieses Gefühl, dass ich bei Elle das gleiche erleben werde...). Der Film darf sich dafür dann aber im Juni als BD zu den anderen vier Regie-Gibsons in meinem Regal gesellen. :)
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Re: The One and Only - Mel Gibson

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vodkamartini hat geschrieben:Im Kino: Hacksaw Ridge

Mel as we know him. Dennoch allemal sehenswert.

http://www.ofdb.de/review/291252,712201 ... tscheidung
Spannende Kritik, die auf interessante Art mögliche Schwächen und berechtigte Kritikpunkte aufzeigt, aber auch den inszenatorischen Stärken Respekt zollt. Nur nennst du Desmond Doss im vierten und fünften Abschnitt wiederholt Edward. :)
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Re: The One and Only - Mel Gibson

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vodkamartini hat geschrieben:Klare Empfehlung fürs Kino.
Schschsch, wir wollen Anatol nicht unnötig fertigmachen. :wink:
vodkamartini hat geschrieben:Inwieweit man die Schwächen als solche empfindet, hängt stark von persönlichen Ansichten und Überzeugungen ab.
Finde ich jetzt nicht zwingend, ich kenne Passion of the Christ nicht aber nachdem ich Hacksaw Ridge gesehen habe verstehe ich nur zu gut, was Anatol damit meint man könne den Film unabhängig von persönlichen (religiösen) Überzeugungen geniessen. Ich finde der christliche Background drängt sich nie zu sehr auf, selbst an Stellen an denen das leicht hätte passieren können wie bei Doss' endlosem "Let me get one more"-Monolog. Das steht bei allem Pathos immer noch im Dienst der Geschichte und fühlt sich irgendwie doch nicht nach religiöser Propaganda* an. Doss' buchstäbliche "Reinigung" nach seinem Rettungseinsatz war die einzige Stelle an der mir etwas zu dick aufgetragen wurde, wie er da messiasgleich mit Wasser übergossen wird ist zu viel des Guten.

* A Propos religiöse Propaganda: Bei mir haben Vertreter der Siebenten-Tags-Adventisten, der Freikirche der Doss angehörte (was im Film nur einmal kurz erwähnt wird), im Kinofoyer Bücher zu seiner Lebensgeschichte verteilt, mit prominentem Aufkleber zu Kontaktadressen der lokalen STA drauf. Das hat mich dann doch etwas irritiert. :)
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Re: The One and Only - Mel Gibson

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GoldenProjectile hat geschrieben:
* A Propos religiöse Propaganda: Bei mir haben Vertreter der Siebenten-Tags-Adventisten, der Freikirche der Doss angehörte (was im Film nur einmal kurz erwähnt wird), im Kinofoyer Bücher zu seiner Lebensgeschichte verteilt, mit prominentem Aufkleber zu Kontaktadressen der lokalen STA drauf. Das hat mich dann doch etwas irritiert. :)
Metzeln für die "gute Sache", hmmm?

Re: The One and Only - Mel Gibson

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Das ist schon mehr dick aufgetragen. Auch als Doss mit der Bahre hinabgelaassen wird, ist das wie eine Himmelfahrt inszeniert. Alle warten vor dem letzten Sturm auf Doss Gebet usw.

Man kann natürlich einwenden, dass der echte Doss eben genau so war, was stimmt. Aber natürlich hat sich Gibson nicht zufällig diesen Charakter ausgesucht.
http://www.vodkasreviews.de

https://ssl.ofdb.de/view.php?page=poste ... Kat=Review

Re: The One and Only - Mel Gibson

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vodkamartini hat geschrieben:Man kann natürlich einwenden, dass der echte Doss eben genau so war, was stimmt. Aber natürlich hat sich Gibson nicht zufällig diesen Charakter ausgesucht.
Jep, da ist was dran. Eigentlich wäre ich jetzt schon neugierig, mir den mal anzusehen, aber ob ich den volle 140 Minuten im Kino aushalte... ich bezweifel es mal ganz stark. Erst recht nach dem, was man auch vermehrt zum Film lesen kann. "Metzeln für die gute Sache", wie Maibaum eben geschrieben hat. Und nach American Sniper gleich die nächste Glorifizierung des US-Soldaten-"Heldentums" mit Heiligsprechung etc... immerhin ist mir schon klar, warum der Film bei den Oscars so viele Nominierungen eingeheimst hat. :wink:
https://filmduelle.de/

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Re: The One and Only - Mel Gibson

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Na, daran zweifel ich mal lieber. Also am ersten Satz, nicht am zweiten, die pazifistische Grundhaltung Doss' ist ja bekannt.
Wie gesagt, vielleicht schaue ich ihn mir ja irgendwann mal an. Zumindest audiovisuell könnte er mir gefallen, darin liegt Gibsons große Stärke.
https://filmduelle.de/

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