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Ein etwas anderes Bild über Ian Leicester Fleming zu dessen 100. Geburtstag
Quelle: Welt online
27. Mai 2008, 17:32 Uhr von Wieland Freund
James Bonds Erfinder Ian Fleming – Der Spion, der sich nicht liebte
Er war das Schwarze Schaf der Familie und rettete das Ansehen Großbritanniens. Der Schriftsteller Ian Fleming, an diesem Mittwoch vor 100 Jahren geboren, diente im Zweiten Weltkrieg als Spion und erfand schließlich den Agenten James Bond. So wurde er zum Karl May des Kalten Krieges.
Dorian Gray blieb ewig jung, weil an seiner statt sein Bild alterte. Bei Ian Fleming war es umgekehrt. Fleming schuf James Bond und alterte nachher umso schneller; Bond hingegen, für immer 007, wurde eben erst zu Daniel Craig verjüngt. Bond ermittelt, Bond gewinnt, er wechselt allenfalls die Hemden und Gesichter: Unterhaltungsmaschinen, schrieb ein unvorstellbar junger Umberto Eco vor mehr als 40 Jahren, zelebrierten „die absolute Redundanz“, um innerhalb der Massenkultur zu funktionieren. Die Lektüre von allen zwölf Bond-Romanen und sämtlichen Bond-Storys hatte Eco diese Erkenntnis beschert. War Ian Fleming ein Pionier des Pop? Wenn, so war er gewiss nicht dazu geboren. Flemings Familie genoss, als Ian an diesem Mittwoch vor hundert Jahren auf die Welt kam, beinahe noch viktorianisches Ansehen. Großvater Robert hatte eine berühmte Handelsbank gegründet, Vater Valentine (für die Tories im Parlament) war im Ersten Weltkrieg den Heldentod gestorben (kein geringerer als Winston Churchill schrieb seinen Nachruf), Bruder Peter schließlich war Journalist und Reiseschriftsteller von Rang. Selbst wo Fleming etwas gelang (der Bericht über einen Moskauer Spionageprozess etwa, in seiner Zeit als Journalist), blieb er „der kleine Fleming“.
Der beste Sportler von Eton
Und es gelang ihm ja nicht viel. Kein Abschluss in Eton, dem Elite-Internat, kein Abschluss in Sandhurst, der Offiziersschmiede – das ging an die Nieren. Als Fleming gleich zwei Mal hintereinander zum besten Sportler Etons gekürt wurde (was vor ihm nur einem einzigen anderen Schüler gelungen war), erklärte er, dieser andere sei bestimmt auch ein zweiter Sohn gewesen, der einen brillanten älteren Bruder kompensiere. Zudem vergällten die großväterlichen Millionen (die Fleming aufgrund eines denkbar komplizierten väterlichen Testaments nicht mal zur Verfügung standen), Fleming den Brotberuf. Weil er als Journalist seiner Meinung nach kein echtes Geld verdiente, ging er an die Börse, als „einer der schlechtesten Broker der Welt“, wie ein Bekannter meinte. Fleming hatte zahllose Affären, rauchte zahllose Zigaretten und gönnte sich zahllose Drinks und sah, alles in allem, einer Bilderbuchkarriere als schwarzes Schaf entgegen. Der Zweite Weltkrieg ersparte sie ihm. Fleming heuerte beim britischen Marinegeheimdienst an und stieg zur rechten Hand John Godfreys auf, „Director of Naval Intelligence“ und Vorbild für den „M“ der Bond-Romane. Flemings Zeit im berühmten „Room 39“, der wimmelnden Schaltzentrale des zu Kriegsbeginn wohl effektivsten britischen Nachrichtendienstes, bietet seit langem Stoff für viele Legenden. Denn was Fleming dort ausheckte, schwankte zwischen Genie und Wahnsinn, oder, anders, zwischen Realität und Fiktion. Einen mit britischen Spezialkräften besetzten Bomber vom Typ Heinkel He 111 etwa wollte Fleming abstürzen lassen; die Absturzopfer sollten dann sogleich die herbeieilenden Nazis überrumpeln und wichtige Entschlüsselungstabellen kapern.
Das Kriegsmuseum zeigt Flemings Jacke
Das klingt nach jenen absurden Abenteuern, die der Karl May des Kalten Kriegs knapp 15 Jahre später für 007 ersann. Doch Spionage und Spionageroman sind unheimliche Verwandte. Flemings Spezialtruppe mit der „Lizenz zum Töten“ jedenfalls – die „Red Indians“ genannte „30 Aussault Unit“ – operierte erfolgreich hinter den Linien, und im Londoner „Imperial War Museum“ ist derzeit die Jacke zu sehen, die Commander Fleming bei der Flucht aus Dieppe anno 1940 trug. Fleming traf J. Edgar Hoover, und seine Pläne zum Aufbau eines amerikanischen Auslandsgeheimdienstes spielten bei der Gründung der CIA angeblich durchaus eine Rolle.
Glücklich jedoch machte Fleming dieser Erfolg nicht; er blieb der Spion, der sich nicht liebte. Als er sich Anfang der Fünfzigerjahre in seinem Haus „Goldeneye“ auf Jamaika hinsetzte, um den ersten Bond zu schreiben, tat er das bald mit Todesverachtung. Morgens 1000 Wörter Bond, nachmittags noch einmal 1000 Wörter und dazwischen ging der Autor Schnorcheln oder auf Barracuda-Fang. Angefangen mit „Casino Royale“ erschien ab 1953 ein Bond-Roman pro Jahr, und nicht einen seiner geheimen Pläne, den bald als lästig empfundenen Agenten um die Ecke zu bringen, setzte Fleming um. Lieber blieb er in seiner Folterkammer.
„Casino Royale“ nannte er ein „ochsiges Opus“, auf sein „Genie“, sagte er, lohne sich nicht zu warten, weil „es einfach nicht kommt“, und überhaupt spiele er, Fleming, nicht mit den Einsätzen Shakespeares: „Ich habe keinen Ehrgeiz.“
Die lange Folter in "Casino Royale"
Das allerdings war ein Bluff und nicht mal ein besonders guter. Daheim nämlich ließ Fleming seine eigenen Romane in teures Leder binden und verleibte sie seiner Bibliothek der Meisterwerke ein. Dass seine Frau Ann, geschiedene Lady Rothermere, die Bond-Bücher verachtete und sich lieber mit „richtigen“ Schriftstellern umgab, wird weder Flemings schriftstellerische Minderwertigkeitsgefühle noch seine porentiefe Frauenfeindlichkeit gemildert haben. Für die Seele Großbritanniens, das eben ein Weltreich verloren hatte, war James Bond – der Brite, der ein ums andere Mal das Spiel der neuen Supermächte entschied – Balsam. Für Ian Fleming war er vielleicht bloß seine erfolgreichste Niederlage. Im auf den Hard-Rock Mickey Spillanes und Raymond Chandlers getrimmten „Casino Royale“ betritt Bond die Bühne erst als byronischer Held (die widerspenstige Stirnlocke! die kleine Narbe!), um schließlich als bloße „Maschine“ zu enden. Zwischen ambitioniertem Anfang und zynischem Schluss aber liegt die seitenlange Folterung Bonds, ganz so als wollte sich Fleming für seinen hoffnungslosen Ehrgeiz in effigie bestrafen. Man hat Ian Fleming des McCarthyismus’, Kolonialismus’, Rassismus’, Sadomasochismus’ und der Misogynie geziehen, und mindestens richtig ist, dass Fleming für Bonds „Junggesellenreinheit“ jede Frau opfert und kaum ein rassistisches Klischee auslässt, wenn er einen zünftigen Bösewicht braucht.
Umberto Eco schimpft über Fleming
Schon jener junge Umberto Eco allerdings, von dem bereits die Rede war, wollte das nicht ganz ernst nehmen. Lieber exkulpierte er den Schöpfer James Bonds mit einer Ohrfeige. „Fleming“, schrieb Eco, sei „in dem Maße Rassist, wie es jeder Illustrator ist, der den Teufel darstellen soll und ihn mit schrägen Augen malt; er ist Rassist wie es die Amme ist, die vom bösen Mann erzählt und ihm zum schwarzen Mann macht.“ Fleming sei schlicht und einfach „Zyniker, ein Ingenieur des Konsumromans“.
Seltsam, aber wahr: Jenseits von „Room 39“ führt der Weg von James Bond zu Ian Fleming nicht über den Luxus, sondern das Leid. Hinter der mondänen Fleming-Fassade hockt ein gepeinigter Ian, dessen Sex, wie eine Ex-Geliebte sagte, reine Kopfsache war, und dessen Küche, wie der Dramatiker Noel Coward behauptete, bloß nach Achselhöhlen schmeckte. Fleming liebte Rührei und romantische Poesie und schrieb Kaviar und prosaische Thriller. Deren ganz großen Erfolg übrigens erlebte er nicht. Mit der gleichen Verachtung, mit der er die Bond-Romane schrieb, rauchte und trank sich Ian Fleming bis 1964 zu Tode.
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