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von Nico
Agent
Ein Quantum Trost
(Quantum of solace)
2008
Regie: Marc Forster
Mit "Ein Quantum Trost", der mein erster Bondfilm im Kino war, drehte man erstmals in der Geschichte des James Bond-Franchises ein direktes Sequel und zwar zum Erfolgsfilm "Casino Royale" aus dem Jahr 2006. Der Deutsch-Schweizer Marc Forster wurde als erster Regisseur außerhalb des Common Wealth dazu ausgewählt, den 2. Film mit Daniel Craig in der Hauptrolle zu inszenieren. Mit nur 106 Minuten ist er der kürzeste Film der Reihe und diese Kürze erweckt zusammen mit den schnellen Schnitten, zu denen ich noch kommen werde, den Eindruck "einer Pistolenkugel, die einem um die Ohren geschossen wird", wie es mal jemand sehr treffend ausdrückte.
Der Film startet – wie schon sein Vorgänger "Casino Royale" – ohne die traditionelle Gunbarrel-Sequenz am Anfang, sondern mit einer sehr schönen Kamerafahrt über den Gardasee, der in eine weniger schöne Autoverfolgungsjagd mündet. "Weniger schön" deshalb, weil man, obwohl sie anscheinend gut inszeniert ist, kaum etwas von ihr erkennt. Alle halbe Sekunde gibt es einen Schnitt, was dazu führt, dass man nicht mitten im Geschehen ist, sondern eher verkrampft davorsitzt. Die Titelsequenz wurde diesmal nicht von Daniel Kleinman, sondern vom Studio MK12 gestaltet, das insgesamt eine ordentliche Arbeit abliefert aber die für Kleinman typische Verbindung zum Filmthema vermissen lässt. Nach der PTS ist man in Siena, wo Mr. White verhört wird und relativ schnell durch die Hilfe eines MI6-Doppelagenten wieder frei kommt. Die folgende Verfolgungsjagd mit der Parallelmontage zum Pferderennen ist an sich wieder gut inszeniert. Immer, wenn einer der beiden Kontrahenten stürzt, stürzt auch ein Jockey oder Pferd, leider erkennt man auch hier wieder viel zu wenig, es geht sogar so weit, dass ich kurzzeitig Kopfschmerzen bekam. Von Siena sieht man dadurch auch leider viel zu wenig, auch wenn es eigentlich gut eingefangen wurde.
Leider, leider zieht sich das Phänomen der schnellen Schnitte durch die meisten Actionsequenzen, erst zum Schluss des Filmes hin wird es Gott sei Dank wieder übersichtlicher. Und an Action gibt es in QOS nicht gerade wenig. Zu nennen wären unzählige Zweikämpfe zwischen Bond und schnell vergessenen Gegnern, die sinnlose und schwer zu folgende Bootsaction, die akzeptable, da besser erkennbare Flugzeugaction und auch schließlich das gelungene Finale, auf das ich noch näher eingehen werde. Doch zum Glück besteht der Film nicht nur aus Action. Viele ruhige Momente lockern das Geschehen auf und laden oft zum Schmunzeln ein, denn auch an Humor fehlt es nicht. Positiv zu nennen wäre hier Greenes Party, Bonds Besuch bei Mathis, Mathis Tod und die Szene, in der Bonds und Camille mehr oder weniger zufällig den Damm entdecken und somit aufklären, um was es dem Villain eigentlich geht. Sowieso spielt der komplette Plan von Greene/ Quantum eher eine untergeordnete Rolle, was ganz gut ist, da so der Fokus mehr auf dem Thema Rache liegt, welches omnipräsent im Film ist und welches eine ganz besondere Bond-Bondgirl-Beziehung schafft, da sich beide an jemandem rächen wollen. Dass es zwischen den beiden keinen Sex gibt ist auch ein Novum innerhalb der Reihe.
Zu meinen Lieblingsszenen aus "Ein Quantum Trost" gehört die Tosca-Szene. Die Seebühne Bregenz ist an sich schon eine tolle Location und sehr geeignet für James Bond, wie diese aber genutzt und dargestellt wird gefällt mir wirklich auserordentlich gut. Die Idee eines Treffens einer geheimen Organisation mitten in der Öffentlichkeit ist etwas besonderes und dieses Treffen ist hervorragend inszeniert. Dass Mr. White als einziger sitzen bleibt und sich nicht zu erkennen gibt, wirft einige Fragen auf und lässt seinen Charakter noch rätselhafter erscheinen als er es sowieso schon ist. Wie zur folgenden Action und Bonds Jagd durchs Restaurant und die Küche keine Geräusche außer der Musik zu hören sind, löst irgendwie eine Gänsehaut aus bei mir. (In der ganzen Opernszene ist David Arnold mit "Night at the Opera" wirklich fantastisch)
Aber auch abgesehen von der Tosca-Szene gibt es einige Stellen im Film, die mir sehr gefallen haben. Fragt man sich zwischenzeitlich, ob man hier gerade wirklich einen James Bond-Film guckt, wird man durch kleine Anspielungen wie der Deckname R. Sterling (Robert Sterling war Bonds Tarnname in TSWLM!) auf Bonds Visitenkarte von Universal Exports oder größer angelegte Reminiszenzen an alte Bondfilme (Gemma Arterton mit Öl überzogen) daran erinnert: Ja, es ist Bond. Auch die Technik beim MI6 (der Touch-Tisch) hat mir sehr gefallen.
Auch wenn der Film nur 106 Minuten lang ist, hat man zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, er wäre zu kurz geraten. Im Gegenteil: Manchmal fühlt er sich immer noch zu lang an. Mit mehr oder weniger gemischten Gefühlen geht es also schließlich ins Finale, welches hervorragend inszeniert ist und welches mit der "Ruhe vor dem Sturm"-Atmosphäre vorher etwas ganz besonderes ist. Wie Camille Rache an Medrano nimmt und Bond darauf verzichtet, Greene zu töten, um ihr beizustehen gehört zu den Höhepunkten des Films und auch der finale Kampf Bond vs. Greene gefällt. Hier zeigen beide Schauspieler noch einmal, was sie draufhaben. Auch Bonds anschließendes Gespräch mit Camille über Rache, welche den Toten egal sei und der Epilog, in dem Bond endlich Vespers Freund aufspürt ist sehr gelungen. Der Dialog zwischen Bond und M ist ebenfalls schauspieltechnisch gut.
Apropos Schauspieler. Im Vergleich zu CR fällt der Cast zwar ein wenig ab, ist aber an sich nicht schlecht. Daniel Craig spielt mit der gleichen Intensität und Hingabe wie in "Casino Royale", zurück kehren Judi Dench als M und Giancarlo Giannini als Mathis, neu zum MI6 stößt Rory Kinnear als Bill Tanner. Auch Jeffrey Wright ist zurück als Felix Leiter und wirkt noch sympathischer als schon in CR. Mathieu Almaric spielt den Villain Dominic Greene sehr überzeugend und schleimig. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir sein Satz: "Red nicht mit mir, als ob ich DUMM WÄRE!" Dieses ruhige und beherrschte, dann aber wahnsinnige hat mir sehr zugesagt und streckenweise erinnerte er mich damit an Klaus Maria Brandauer als Largo... Nach dem phänomenalsten Bondgirl der gesamten Serie, nämlich Eva Green aus CR, konnte ihre Nachfolgerin nur abfallen. Olga Kurylenko schafft es aber tatsächlich trotzdem, einen bleibenden und sehr positiven Eindruck zu hinterlassen, gerade, da ihre Rolle deutlich anders angelegt ist als Greens und auch deutlich anders als alle vorherigen Bondgirls. Als 2. Bondgirl fungiert Gemma Arterton als Strawberry Fields, die einige gute Szenen und einen tollen Abgang hat, insgesamt aber leider für meinen Geschmack deutlich zu kurz vorkommt. Auch wenn man zugeben muss, dass ein Ausbauen ihrer Rolle überhaupt nicht in den Film gepasst hätte. Als letztes wäre Jesper Christensen zu nennen. Der mysteriöse Mr. White wird durch QOS nicht gerade unmysteriöser und Christensens Darstellung trägt dazu einiges bei. Man darf gespannt sein, wie er in "Spectre" agieren wird.
Kaum ein anderer James Bond-Film hat so ein "Location-Hopping" zu zeigen wie QOS: London, Österreich, Italien, Venezuela, Panama, Mexiko und Chile. Und das in nur 106 Minuten! Da liegt es auf der Hand, dass die einzelnen Locations viel zu wenig und viel zu kurz gezeigt werden. Schade, hier wäre deutlich mehr drin gewesen.
Passend zu den Locations ist Dennis Gassner zu erwähnen, der in QOS Peter Lamont als Production Designer ablöst und mit seinen Werken schon fast Erinnerungen an Ken Adam weckt. Das Hotel in der Wüste ist jedenfalls ganz, ganz großes Kino.
Fazit:
"Ein Quantum Trost" setzt die Handlung aus "Casino Royale" fort. Dies wird im Film eigentlich ganz gut dargestellt, die Figuren und ihre Motivationen sind einleuchtend und gut geschrieben. Man mag es aufgrund der Drehbusch-Schwierigkeiten nicht vermuten, aber die Negativ-Punkte von QOS liegen nicht in der Handlung begründet. Viel mehr ist es die hektische Inszenierung und das nur kurze Anreißen von einzelnen Szenen und Schauplätzen, das dem Film schadet. Hinzu kommt noch der (mit vollkommenem Recht!) oft kritisierte Schnitt, der vielleicht seine Begründung hat, aber dennoch beim Zuschauer das Gefühl des Unwohlseins hervorruft. Bei keinem anderen Bondfilm habe ich mich so schwer mit der Punktevergabe getan und bei der nächsten Sichtung kann es wieder ganz anders aussehen, aber zum momentanen Zeitpunkt und nach einiger Überlegung gibt es stark nach unten tendierende:
8/10 Punkte
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