Re: Der Hitchcock Thread

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Ich finde es nur ewig schade, dass Grant in NBN als Roger Thornhill nicht von Curt Ackermann oder Paul Klinger gesprochen wurde, sondern von Erik Ode, der so gar nicht passen will.
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"Wo man lacht, da lass dich ruhig nieder. Böse Menschen lachen immer wieder."

Re: Der Hitchcock Thread

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Heute war im Rahmen meiner locker-spontanen Hitchcock-Rückschau Vertigo an der Reihe, und ich mag gerade gar nicht allzu viel dazu schreiben. Ähnlich wie North by Northwest, nur noch in viel stärkerem Masse, entwickelt Hitchcocks 58er-Jahrgang mit fortschreitender Laufzeit zunehmend surreale Qualitäten, verlässt das geschriebene Wort und das reine Handlungsgerüst, um sich in filmischen Wegen zu entfalten. Es verschwimmen die Grenzen zwischen Madeleines sinisteren Schauergeschichten, Elsters grausamer Täuschung und Scotties erschütternder Besessenheit, während die Realität, die Bodenhaftung den tragischen Charakteren zunehmend entgleitet und irgendwann ganz verloren geht.

Ich hatte nach der neuerlichen Sichtung kurz das Gefühl, dass dies Hitchcocks einziger Film sei, dass sein gesamtes Oeuvre an tollen Film nur existiert, um auf diesen grossen Knall zu warten. Bemerkenswert, vor allem weil Vertigo der aussergewöhnlichste Film in seinem Werk ist und trotz klarer Regie-Handschrift auf seiner eigenen Wellenlänge zu sein scheint. Es ist übrigens auch der einzige von vierzehn Filmen in meiner Universal-/Paramount-Collection, dessen Hauptmenü nicht von der klassischen Titelmelodie aus "Presents" unterlegt ist. Stattdessen herrscht Stille. Und wenn Herrmanns schaurig-betörender Score, womöglich sein bester, zu dem surrealen Farbenspiel des Vorspanns einsetzt, ist die Wirkung umso prägender.

Jedenfalls, wenn die Sight&Sound-Fritzen wieder behaupten, Vertigo sei der beste Film aller Zeiten wird es mir schwerfallen, ihnen zu widersprechen.
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Re: Der Hitchcock Thread

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Ich habe aufgehört in diesen Kategorien zu denken. :) So etwas wie den besten Film gibt es nicht. Ich hab inzwischen so viele Filme gesehen, dass ich nicht mal mehr eine vernünftige Top Ten aufstellen kann, so viele Filme würden mir dazu einfallen. Hängt zudem inzwischen sehr stark von der jeweiligen Stimmung ab, welchen ich nun gerade besonders gut finde. Letztendlich ist das eine sehr sehr subjektive Angelegenheit und nicht irgendwie messbar oder ähnliches. Vertigo ist aber sicherlich einer von Hitchs interessantesten Filmen, obgleich mir der unsichtbare Dritte immer deutlich mehr Spaß macht, und das ist es, was am Ende zählt.
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Re: Der Hitchcock Thread

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Vertigo ist die Definition des Magengruben-Films - ein Film, dessen Ende ganz tief in jene hineinprügelt und einen geplättet zurücklässt. Das schaffen in dieser vernichtenden Konsequenz nur eine Handvoll Filme auf der Welt. Genau wie in North by Northwest erlaubt es sich Hitchcock, den großen Twist der Geschichte (Judy und Madeleine sind dieselbe Person / Es gibt keinen Roger Thornhill) bereits aufzulösen lange bevor die jeweilige Hauptfigur (Jimmy Stewart / Cary Grant) hinter das Geheimnis kommen. In beiden Fällen erweist sich diese ungewöhnliche Entscheidung als Geniestreich, denn sie verlagert jeweils den Fokus der Filme: So geraten beide Werke nie zu Mysterythrillern, sondern betonen die Tragik (bzw. in NBN die tragische Komik) ihrer Protagonisten, die jeweils im Zentrum stehen. Für Vertigo gilt, dass Jimmy Stewart in seiner beachtlichen Karriere vermutlich nie besser war als hier, immerhin ist Vertigo quasi seine Paraderolle ins Extrem gesteigert: Der schwache Held, der trotz allen aktiven Handels nie Einfluss auf sein Schicksal nehmen kann und seiner Tragik logischerweise nicht entrinnt, bzw. sich durch sein Eingreifen erst selbst ins Verderben stürzt. Ein bekannter, immer wieder amüsanter Fakt ist, dass den meisten Zuschauern bei der ersten Sichtung vollkommen entgeht, dass der Schurke (bzw. Mörder) am Ende gar davonkommt. Auch das ist ein Zeichen dafür, wie wenig Hitchcock am klassischen Krimi oder Thriller interessiert war und das Vertigo hier in seiner eigenen, vorzüglichen Liga spielt. Ein Gedicht!
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Re: Der Hitchcock Thread

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vodkamartini hat geschrieben: 30. Mai 2019 07:13 Ich habe aufgehört in diesen Kategorien zu denken. :) So etwas wie den besten Film gibt es nicht. Ich hab inzwischen so viele Filme gesehen, dass ich nicht mal mehr eine vernünftige Top Ten aufstellen kann, so viele Filme würden mir dazu einfallen. Hängt zudem inzwischen sehr stark von der jeweiligen Stimmung ab, welchen ich nun gerade besonders gut finde.
Klar, das war auch mehr als Floskel gemeint und bewusst so formuliert dass ich zumindest nicht das Gegenteil behaupten würde. Alleine bei Hitchcock finde ich Psycho und Window mindestens genauso toll, die bilden seit Jahren mein heiliges Hitch-Trio. Unter den besten Filmen bzw. Lieblingsfilmen eine Rangliste zu erstellen ist schon verdammt schwierig, auch wenn es reizvoll ist. Ich werde im Alltag regelmässig nach meinem Lieblingsfilm gefragt und kontere immer mit "viele", ich glaube da habe ich noch nie angefangen, Filme aufzuzählen.

(die einzige Frage, die mir womöglich noch häufiger gestellt wird ist "wer wird der neue Bond?", was ich mittlerweile nicht mehr hören kann.)
vodkamartini hat geschrieben: 30. Mai 2019 07:13 Letztendlich ist das eine sehr sehr subjektive Angelegenheit und nicht irgendwie messbar oder ähnliches.
Sowieso.
vodkamartini hat geschrieben: 30. Mai 2019 07:13 Vertigo ist aber sicherlich einer von Hitchs interessantesten Filmen, obgleich mir der unsichtbare Dritte immer deutlich mehr Spaß macht, und das ist es, was am Ende zählt.
Was sind denn sonst so deine liebsten Hitchcöcker? Das arme Fenster ja leider schon mal nicht. Psycho? Notorious? Birds? Dial M?
Casino Hille hat geschrieben: 30. Mai 2019 08:02 Für Vertigo gilt, dass Jimmy Stewart in seiner beachtlichen Karriere vermutlich nie besser war als hier, immerhin ist Vertigo quasi seine Paraderolle ins Extrem gesteigert: Der schwache Held, der trotz allen aktiven Handels nie Einfluss auf sein Schicksal nehmen kann und seiner Tragik logischerweise nicht entrinnt, bzw. sich durch sein Eingreifen erst selbst ins Verderben stürzt.
Spannende Beobachtung. Dass Stewart letztendlich nur Spielball finsterer Mächte ist, wird in Vertigo wunderbar tragisch und erschütternd herausgearbeitet.
Casino Hille hat geschrieben: 30. Mai 2019 08:02 Ein bekannter, immer wieder amüsanter Fakt ist, dass den meisten Zuschauern bei der ersten Sichtung vollkommen entgeht, dass der Schurke (bzw. Mörder) am Ende gar davonkommt.
Hitchcock musste ja sogar ein alternatives Ende drehen für die Zensurvorgaben, dass ein primärer Antagonist nicht ungeschoren davonkommen darf. Da hört man angeblich im Radio, dass Elster polizeilich gesucht wird. Hitchcock konnte das dann erfolgreich abwimmeln. Aus heutiger, eine Spur aufgeklärterer Sicht ist Vertigo sowieso nie an einem klassischen Kriminalfall, bzw. an Elster als Mörder seiner Frau interessiert. Das ist ein kleines Handlungsventil für ein viel grösseres, komplexeres Filmpuzzle (ich sage jetzt bewusst nicht MacGuffin, wir wollen Maibaum ja nicht ärgern).
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Re: Der Hitchcock Thread

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GoldenProjectile hat geschrieben: 30. Mai 2019 11:10 Was sind denn sonst so deine liebsten Hitchcöcker? Das arme Fenster ja leider schon mal nicht. Psycho? Notorious? Birds? Dial M?
Mein liebster ist sicher North by Northwest. Dann kommen aber eine Reihe ebenfalls hoch geschätzter Filme: natürlich Psycho, Dial M und Rope. Ich mag auch den sehr leichten To catch a Thief sehr gerne, ebenso wie den nicht sehr leichten Shadow of a Doubt. Nicht so sehr angetan bin ich von dem Klassiker-Trio Window, Birds, Man who knew too much, dennoch alles gute FIlme. Marnie sehe ich dagegen immer wieder gerne, der ja ansonsten immer etwas durchfällt. Notorious hab ich zu lange nicht mehr gesehen, wäre mal wieder ne Sichtung wert.
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Re: Der Hitchcock Thread

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Klar, es gibt so viele.

Meine ultimative Top 3: Psycho, Window, Vertigo, dicht gefolgt von North by Northwest. Mehr Mainstream-Geschmack geht wohl nicht. :)

Dial M und Rope mochte ich auch immer sehr gerne, könnte beide mal wieder schauen. Birds und Frenzy müssten dringend mal wieder gesichtet werden, um sie genauer einzuschätzen.

To Catch a Thief und Marnie, obwohl grundverschieden, waren damals bei der Erstsichtung die schwächsten für mich. Auch hier herrscht Nachholbedarf. Topaz und Torn Curtain würden einer Neusichtung wohl nicht standhalten.

Bei The Man Who Knew Too Much meinst du wohl das Remake (obwohl ja der erste Film von einigen hier im Forum vergöttert wird). Fand ich damals klasse. Shadow of a Doubt eher weniger, aber auch der müsste für ein geltendes Urteil neu evaluiert werden.

Notorious habe ich erst letztes Jahr gesehen, dafür im Kino und er hat mich überzeugt. Spannung, Eleganz, Romanze, Spionage, Grant, Bergman - Top.

Ebenfalls sehr gut: Stage Fright, Strangers on a Train und Family Plot.

Ab 1950 habe ich alles irgendwann mal gesehen, davor nur sehr wenig. Ich habe mir nach der grossen Universal-Paramount- und der kleineren 1950er-WB-Box eine Krüppel-Collection mit älteren Filmen gekauft, statt den drei weiteren Boxen mit denen man Hitch bis zurück zu 1934 und sogar etwas darüber hinaus relativ komplett abdeckt. Durch diesen Fehler bin ich irgendwie steckengeblieben und müsste mich sammlerisch neu organisieren, und die korrekten Boxen kaufen um endlich auch Material wie Suspicion, Lifeboat, Spellbound oder die sechs englischen Krimis aus den 30ern zu sehen.
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Re: Der Hitchcock Thread

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GoldenProjectile hat geschrieben: 30. Mai 2019 11:10 Hitchcock musste ja sogar ein alternatives Ende drehen für die Zensurvorgaben, dass ein primärer Antagonist nicht ungeschoren davonkommen darf. Da hört man angeblich im Radio, dass Elster polizeilich gesucht wird. Hitchcock konnte das dann erfolgreich abwimmeln.
Kann man im Bonusmaterial von DVD und BD schauen und die Szene ist furchtbar und komplett antiklimaktisch. Hätte man die dröge Szene (das ist Erklärbär Fakultät 11!) wirklich an das drastische Ende drangeklatscht, wäre der Film stark beschädigt worden (eine ganz andere Gewichtsklasse als zB der andere Erklärbär in Psycho). Aber sieh selbst:

GoldenProjectile hat geschrieben: 30. Mai 2019 11:10 Aus heutiger, eine Spur aufgeklärterer Sicht ist Vertigo sowieso nie an einem klassischen Kriminalfall, bzw. an Elster als Mörder seiner Frau interessiert. Das ist ein kleines Handlungsventil für ein viel grösseres, komplexeres Filmpuzzle (ich sage jetzt bewusst nicht MacGuffin, wir wollen Maibaum ja nicht ärgern).
Absolut, und das radikale Ende macht das dann auch ein für alle mal deutlich (nicht, dass es in den vorangegangenen 2 Stunden nicht schon deutlich genug gewesen wäre). Das clevere an Vertigo ist aber, dass er auch als Thriller prima funktioniert.
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Re: Der Hitchcock Thread

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GoldenProjectile hat geschrieben: 30. Mai 2019 11:10
Das ist ein kleines Handlungsventil für ein viel grösseres, komplexeres Filmpuzzle (ich sage jetzt bewusst nicht MacGuffin, wir wollen Maibaum ja nicht ärgern).
Hmm, gute Frage, das könnte durchaus ein weiterer MacGuffin sein, auch wenn der Typ selber ja (glaube ich) im Film kurz auftaucht. Das wäre dann aber ziemlich nah dran am MacGuffin, oder zumindest ein Halber.

Man könnte ja mal eine liste mache in welchen Hitchcocks nun wirklich MacGuffins auftauchen, und in welchen nicht.

Tante Wiki meine folgende seien welche:

die „Geheimklausel“ in Der Auslandskorrespondent
das Kinderlied in Eine Dame verschwindet
die „Weltfriedensformel“ in Der zerrissene Vorhang
die „39 Stufen“ im gleichnamigen Film, über deren Sinn und Wesen man bis kurz vor Ende des Films nichts erfährt
die wahre Identität von John Robie (Cary Grant) in Über den Dächern von Nizza
die „Regierungsgeheimnisse“ in Der unsichtbare Dritte
das McKittrick Hotel in Vertigo – Aus dem Reich der Toten
die Person der ersten Mrs. de Winter in Rebecca
der Inhalt der Weinflaschen in Berüchtigt. –
die 40.000 Dollar in Psycho
das Feuerzeug mit den eingravierten Initialen in Der Fremde im Zug
der Mikrofilm in Topas

Maibaum meint:

Uhh, nicht einfach, bei einigen weiß ich gar nicht mehr konkret was gemeint ist, was an sich schon mal fast dafür sprechen würde.

Kein MacG sind aber die 40.000 Dollar in Psycho, denn die sind ja konkret da, und motivieren sehr direkt die erste Hälfte von Psycho, auch wenn sie dann nach dem Handlungsbruch keine Rolle mehr spielen.

Das Feuerzeug mit den eingravierten Initialen in Der Fremde im Zug. Nein, kaum.

Das McKittrick Hotel in Vertigo. Ähhh, keine Ahnung, warum das Hotel? Müsste ich noch mal schauen.

Die Person der ersten Mrs. de Winter in Rebecca. Ich sag mal nein.

Die wahre Identität von John Robie (Cary Grant) in Über den Dächern von Nizza. Ebenfalls nein, das ist sogar mal ein richtiger Whodunit, auch wenn der Spaß des Films nicht in der Täterfrage liegt. Auch Psycho ist ein Whodunit, wenn auch ein verdammt raffinierter.

Der Inhalt der Weinflaschen in Berüchtigt ist nicht der MacG von Notorious, sondern die Pläne der Ex-Nazis, mit denen die der Flascheninhalt zwar in Verbindung steht, aber das bleibt so unkonkret daß Notorious auf jeden Fall ein klassisches Beispiel für eine MacG ist (was mich als Jugendlicher auch irritiert hatte, denn ich dachte: wie,was der Film ist vorbei? Wo bleibt die Action, wo die Bestrafung der Schurken, wann werden die Pläne direkt vereitelt?).
Die anderen 5 sind ebenfalls gute Beispiele für klassische MacGuffins, und es fällt auf daß das alles Agentenfilme sind, bei denen man sowas auch am Besten machen kann, und in denen das Hitch auch immer wieder (aber nicht immer) gemacht hat.

Es sind jedenfalls insgesamt sehr, sehr wenige Filme überhaupt, in denen ein MacG wirklich auftaucht.

Und was war noch mal überhaupt ein MacGuffin?
Zum Beispiel Moby Dick ohne daß der Wal je gesichtet wird, oder die Schatzinsel ohne daß diese je erreicht wird, besser noch Die Schatzinsel bei der die Handlung ganz in England bleibt, und es nur um die Jagd nach der Karte geht (und dafür ist es unerheblich ob die Karte echt ist oder gefälscht).
Und solche Dinge sind eben relativ unkommerziell, und deswegen werden sie auch so selten gemacht, und nur dadurch kann der MacG auch was Besonderes sein.

Re: Der Hitchcock Thread

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Maibaum hat geschrieben: 2. Juni 2019 16:35 Hmm, gute Frage
Spannende Analyse. Ich habe viele der Filme zu lange nicht mehr oder noch gar nicht gesehen und im Prinzip ist ja auch relativ egal, was ein McG ist und was nicht. Aber zum Hotel in Vertigo: Carlotta, deren Geist vermeintlich die vermeintliche Frau des vermeintlichen Mörders heimsucht, hat da gelebt, und die falsche Madeleine quartiert sich in ihrem Wahn um die Vergangenheit zeitweise da ein. Das heisst das Hotel hat für den Film die genau gleiche Bedeutung wie z.B. der Blumenstrauss, das Gemälde im Museum oder der Grabstein. Alles Orte oder Elemente, die die Frau in ihrer Besessenheit aufsucht. Da hätte man auch gleich die Figur Carlotta als McG nennen können, was vielleicht gar nicht so verkehrt gewesen wäre, aber auch da ist Vertigo eigentlich zu kompliziert und raffiniert als dass ich in Schubladen à la McG würde denken wollen.

À propos Carlotta: Das ist einer dieser Teile des Films, bei denen es für den Zuschauer bzw. für mich Sinn macht, sich zusammen mit dem Film von der reinen Handlungsebene zu lösen. Denn egal ob diese gesamte Besessenheit durch eine Tote nur der Spuk einer Schauspielerin war, es ist auf faszinierende Art schaurig und fesselnd und verstörend und schön zugleich, in der Art, wie es sonst fast nur David Lynch hinbekommt.

Notorious würde ich gleich wieder sehen wollen, ist hier zu Hause aber leider nur in der Krüppelbox vorrätig und damit in einer der germanischen Versionen. Da muss ich aufs Kino warten oder mir endlich die korrekten Boxen holen.

Die Definition, was jetzt McG ist und was nicht, beschäftigt mich nicht so sehr, aber was da teilweise im Wiki-Artikel steht (auch abseits von Hitchcock) ist schon ziemlich absurd. Da ist gefühlt jeder Gegenstand der in einem Film von Wichtigkeit ist ein McG.
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Re: Der Hitchcock Thread

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Ja das stimmt, diese MacGuffin Geschichte ist vollkommen ausgeufert (genau wie der Begriff Anti-Held), und wird mittlerweile für fast alles verwendet was eine Art "Handlungsvorwand" darstellt, und verwässert da durch das Besondere zum Beliebigen.
Tatsächlich ist der überwiegende Teil der auf Wiki angeführten Beispiele aus andere Filmen ganz gewiss kein MacG, sondern Handlungsbausteine wie sie in fast jeden Genre Film sich finden lassen, wenn nicht gar überhaupt in fast jedem erzählenden Werk. Das macht so überhaupt keinen Sinn mehr, und ist sicher nicht das, was Hitchcock damals etwas vage erklärt hat.

Selbst die von mir verwendeten Beispiele (Moby Dick, Schatzinsel) wären ja noch wesentlich dramatischer und größer als die Mini- Vorwände wie Hitch sie teils in seinen Thrillern benutzt hat.

Eigentlich war der MacG (wie das ganze Truffaut/Hitchcock Buch) nur dazu da (vor allem für Truffaut) um zu zeigen, daß die damalige klassische Filmkritik (bzw Kulturkritik), im Falle von Hitchchock (und anderen von den Cahiers gepriesenen Regisseuren) meist versagt hat. Anders ausgedrückt, daß die "Anderen" relative Idioten waren, die Filme "falsch verstanden" haben, und sich zu leicht von gediegenen Scheiß bluffen ließen. Das veränderte damals durchaus den Blick auf den Film im Allgemeinen, und davon profitiert auch heute im anderen Extrem der Mainstream Film, aber andererseits hat die Zeit auch viele von den teils krassen Urteilen der Cahiers Leute wieder relativiert.

Re: Der Hitchcock Thread

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GoldenProjectile hat geschrieben: 2. Juni 2019 18:32 Denn egal ob diese gesamte Besessenheit durch eine Tote nur der Spuk einer Schauspielerin war, es ist auf faszinierende Art schaurig und fesselnd und verstörend und schön zugleich, in der Art, wie es sonst fast nur David Lynch hinbekommt.
Ist eigentlich bekannt, wie Lynch zu Vertigo steht? Rein gefühlstechnisch dürfte das ein prägender Film für ihn und seine Filmografie gewesen sein und die Mystery-Aspekte von Vertigo nehmen vieles vorweg, was Lynch dann vollkommen losgelöst von einer nachvollziehbaren Handlung ausgebaut hat. Der herrliche Albtraum von Stewart etwa (tricktechnisch eine Meisterleistung im Jahre 1958) wäre hier als Schlüsselszene zu nennen. Oder die tolle und später von Terry Gilliam in 12 Monkeys zitierte Szene bei den Mammutbäumen, die einen verschrobenen, unwirklichen Ton annimmt.
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Re: Der Hitchcock Thread

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Maibaum hat geschrieben: 2. Juni 2019 20:05 Ja das stimmt, diese MacGuffin Geschichte ist vollkommen ausgeufert (genau wie der Begriff Anti-Held), und wird mittlerweile für fast alles verwendet was eine Art "Handlungsvorwand" darstellt, und verwässert da durch das Besondere zum Beliebigen.
Aber genau das ist es: es kommt in (fast) jedem Film bzw. erzählenden Werk vor. Hitchcock hat ihm nur einen Namen gegeben.
Aber ein MacGuffin ist nicht die Ausnahme, sondern der Regelfall. Es war nie als etwas "Besonderes" gedacht.

Die Lektor in FRWL ist komplett austauschbar. Wenn das Objekt der Begierde im Film ein Mikrofilm, Geheimpapiere oder ein Teddybär mit wertvollem Inhalt gewesen wäre, würde die gesamte Handlung nicht um 1% abweichen.

Und jetzt die Frage an dich, Maibaum: warum muss ein MacGuffin etwas Besonderes sein? (*duckundweg*?

Re: Der Hitchcock Thread

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Die MacMoneysac Diskussion ist irgendwo ganz putzig, denn letzten Endes ist der Begriff, den Hitch ursprünglich als Spaß gebrauchte, heutzutage vollkommen außer Kontrolle geraten. Liest man das Truffaut Buch, das jeder "gute" Filmfan im Schrank stehen haben sollte, wird im Abschnitt zu "The Foreign Correspondent" eigentlich klar, dass Hitch mit dem MacDingsbums Begriff vor allem erklären wollte, dass seine Spionagefilme (etwa North by Northwest, The 39 Steps oder Notorious) nicht so tumb waren wie damals oft missverstanden wurde - in etwa so wie Maibaum es vor 2-3 Posts geschrieben hat. Hitchcock versuchte zu erklären, dass hinter den sehr simplen Handlungskatalysatoren (die sich zumeist auf die Motivation der Schurken beziehen, denn das Uran aus Notorious oder die Regierungsgeheimnisse aus North by Northwest etwa sind für die jeweilige Cary Grant Figur (oder Ingrid Bergman) reichlich irrelevant, auch hier ein großer Unterschied zwischen Bond und Hitchcock Film) ein Konzept liegt, und das es in einem guten Thriller nicht immer nötig ist eine genaue Antwort darauf zu haben, wonach der Schurke eigentlich her ist. Mittlerweile benutzt man den Begriff tatsächlich für fast alles, was eine äußere Handlung in irgendeiner Form motiviert, womit praktisch jeder Film einen MacDonald hätte. Aber so hat es Hitch nicht gemeint, gerade weil die Sache ohnehin eher scherzhafter Natur war.
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Re: Der Hitchcock Thread

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Casino Hille hat geschrieben: 3. Juni 2019 21:52 Ist eigentlich bekannt, wie Lynch zu Vertigo steht? Rein gefühlstechnisch dürfte das ein prägender Film für ihn und seine Filmografie gewesen sein und die Mystery-Aspekte von Vertigo nehmen vieles vorweg, was Lynch dann vollkommen losgelöst von einer nachvollziehbaren Handlung ausgebaut hat. Der herrliche Albtraum von Stewart etwa (tricktechnisch eine Meisterleistung im Jahre 1958) wäre hier als Schlüsselszene zu nennen. Oder die tolle und später von Terry Gilliam in 12 Monkeys zitierte Szene bei den Mammutbäumen, die einen verschrobenen, unwirklichen Ton annimmt.
Rein gefühlstechnisch sehe ich das auch so, aber mir ist kein konkretes Statement zum Film bekannt und ich habe auf die schnelle auch nichts gefunden, ausser diese Analyse hier, aber auch da gibt es kein Zitat.

In seiner persönlichen Top Ten taucht Vertigo zumindest nicht auf, dafür aber Rear Window. Andere Lieblingsfilme, die mir auch schon bekannt waren, sind Otto e Mezzo, Sunset Boulevard und Wizard of Oz. Boulevard hatte durch seinen Titel einen direkten Einfluss auf Mulholland Drive sowie auf den Namen Gordon Cole in Twin Peaks, in The Return dann sogar mit direktem Boulevard-Bezug. Der Oz-Wizard hat seinen Wild at Heart beeinflusst, der sich teilweise als eine Art postmoderne Reflexion des klassischen Kindermusicals versteht.

https://mubi.com/de/lists/david-lynchs-favourite-films

Ein weiterer Film, der als Inspiration recht offensichtlich ist, aber in der Top Ten nicht auftaucht, wäre Bergmans Persona (wobei Lynchs beste Filme dem natürlich turmhoch überlegen sind). Muss aber natürlich alles nichts heissen, zehn ist ja bekanntlich zu wenig für eine Top Ten.
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