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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Star Wars: Das Erwachen der Macht
Es ist endlich wieder echter Sand. Echte Erde. Echte Raumschiffcockpits. Echter Schnee. Anfassbar, greifbar, nachfühlbar. Die Kreaturen nicht mehr hoch designte Pixelungetüme, sondern gar schon mechanisch stockend anmutende (Kostüm-)Wesen aus ... "Fleisch und Blut". Von Beginn an ist "Das Erwachen der Macht" eine Zeitreise, eine Erinnerung an eine ganz große Filmtrilogie der späten 70er und frühen 80er Jahre und ein nostalgischer Trip voller Déjà-vus. Von den digitalisierten und sterilen Umgebungen und der omnipräsenten reizüberflutend-schnellartigen Leblosigkeit von George Lucas Prequel-Trilogie zu seinem "Star Wars" Meilenstein ist in der von J.J. Abrams inszenierten siebten filmischen Fortführung der legendären Saga nichts mehr zu spüren. Abrams huldigt den Originalen, bleibt vor Ehrfurcht fast 140 Minuten lang auf den Knien verharren und setzt dem beliebtesten Dreiteiler der Filmgeschichte ein optisch mehr als eindrucksvolles Denkmal.
Die Schauwerte und vor allem die visuelle 1:1 Nachahmung von ganz besonders Lucas allseits bekanntem 77er Erstling "Krieg der Sterne" ist dabei die größte Stärke der 2015er Auferstehung. Abrams versteht es, den der Marke eigenen Eskapismus nicht einfach nur zu behaupten, sondern suggerierend in Bilder zu verpacken. Wenn riesige Raumschlachten, Lichtschwertkämpfe oder kosmisch verblüffende Ereignisse brillant und einwandfrei getrickst auf der Leinwand erscheinen, bekommt das "Star Wars" Universum endlich wieder eine Seele zurück und wächst über die eiskalte Berechnung von Computerprogrammieren hinaus, entwickelt in den Köpfen der Zuschauer ein Eigenleben. Ob Tie-Fighter vom Wüstensand Jakkus verschlungen werden, gigantische Laserstrahlen ganze Sonnensysteme auslöschen oder putzig-skurrile Kreaturen zusammensitzen, man ist endlich wieder Teil eines gefühlt unendlich weiten Universums voller Möglichkeiten. Das ist natürlich auch den CGI-Grafikern zu verdanken und was diese hier abliefern, leutet eine neue Dimension der Computer-Animation ein, die von praktischen Effekten nicht mehr zu unterscheiden ist. Diese Authenzität macht den Eskapismus erst möglich - gestützt durch massig gelungene Anspielungen und Insider-Gags. Der größte Besetzungscoup ist dabei klar die Rückkehr von Harrison Ford als Han Solo: Wenn der jedem Kind bekannte Filmprotagonist in alter Manier schelmisch grinsend mit Chewbacca, R2-D2 und C-3PO sein Abenteuer erlebt, macht man sich über Fords fortgeschritten reifes Alter keine Gedanken mehr, sondern ist praktisch gezwungen, mit den Kindheitshelden eine gute Zeit zu verbringen.
Doch Abrams Angst, an den hohen Erwartungen der Fans zu scheitern, war merklich gewaltig. Mit zunehmender Laufzeit wird leider klar, dass er hinter all den schönen Witzeleien und Rückbesinnungen den Umstand zu verbergen versucht, keine wirklich eigenen Ideen für die "Star Wars" Saga zu haben. So ist der Ablauf der 140 Minuten langen Handlung eine exakte Wiederholung sämtlicher bekannter Momente der Vorgänger und weckt alle paar Minuten den Eindruck, sämtliche Szenarien schon einmal präsentiert bekommen zu haben, wobei Abrams hier nicht einfach der gewollten Traditionalität erliegt, sondern sehr präzise unentschuldbare Paralellen ohne kreative Hintergedanken aneinander fügt. In der zweiten Hälfte fällt das bis dahin hauptsächlich durch die Befriedigung primitiver Fanerwartungen überzeugende Konstrukt in sich zusammen und weiß den Mangel an Substanz nur mit einer unüberschaubaren Anzahl an Action-Setpieces zu kaschieren. Eine schwache Antwort auf eine bis dahin noch kaum gestellte Frage: Wozu ein eigentlich beendetes Franchise wiederbeleben, um dann nur mit einem Quasi-Remake mit zahlreichen Retro-Einlagen aufzuwarten? Ausgerechnet bei den drei wirklich neuen Bösewichtscharakteren verfällt Abrams der Marvelisierung (benannt nach den Comic-Filmen des Marvel Studios), schiebt die wichtigen Entwicklungen und erklärenden Hintergründe mit vagen Andeutungen auf die Nachfolger auf und macht es sich allgemein auffallend oft etwas zu leicht damit, wenig überzeugende Mystifizierung statt Konkretisierung zu betreiben.
Zusätzliche Pacing Probleme und manch fragwürdige Besetzung (Adam Driver wirkt als ambivalent gemeinter Schurke Kylo Ren hoffnungslos überfordert, während der wunderbare Max von Sydow in einem fürchterlich dämlich kurzen Cameo verheizt wird) wollen natürlich nicht ungenannt bleiben, dennoch gibt es gerade auf der Seite des Casts neben den alten Bekannten erfreuliche Überraschungen, bzw. eine gewaltig große Überraschung, namentlich Daisy Ridley. Die junge Frau spielt die Schrottsammlerin Rey mit solcher Leidenschaft und mimischer Kraft, dass sie alle Blicke auf sich zieht. Da können ihre dennoch guten männlichen Kollegen John Boyega und Ford kaum mithalten: Ridley wird für zukünftige Generationen zweifellos das sein, was kultige Charaktere wie Yoda oder Luke Skywalker einst gewesen sind und ist eine der wenigen starken Frauen-Rollen im Blockbuster-Bereich. Manche Actionmomente sind ebenfalls zu loben, wenn beispielsweise der Millennium Falke in bekannter Manier seine Verfolger abschüttelt, dann hat das Eleganz, Gewicht und vermittelt endlich wieder authentisch das Gefühl für die Kräfteverhältnisse und die Geschwindigkeit solcher Verfolgungsjagden. Leider gerät die Endlosaction im Schlussdrittel (ironischerweise wie beim Vorbild "Krieg der Sterne") ermüdend repetitiv und ein langer Einschub im Mittelteil rund um merkwürdige Tentakel-Aliens und intergalaktische Schmuggelbanden ist bestenfalls unfreiwillig komisch angehaucht, trägt zum dünnen Hauptplot aber nichts relevantes bei. Entschlankung hätte hier gut getan, erst recht, wenn bis auf ein wenig Fanservice und Figurenetablierung für die Nachfolger am Ende nicht viel mehr beim Publikum hängenbleibt. Teilweise entschädigen können dafür der zuckersüße Droide "BB-8" (optisch ein Schneemann ohne Mittelteil) und der frische Score John Williams, der seine Operrette um neue einprägsame Themen erweitern konnte.
Fazit: Beim neuen Ableger des "Star Wars" Universums wollten alle Beteiligten möglichst auf Nummer sicher gehen. Die vielen Wiederholungen lassen das Gesamterlebnis dementsprechend etwas nichtssagend wirken. Trotzdem: Man ist nach 1983 endlich wieder in den Weiten der Sternenmär angekommen und der Nostalgie wird sich kaum ein Fan entziehen können... ein großes Universum sollte in Zukunft aber auch entsprechend große Geschichten verlangen dürfen. Die Optimisten sprechen daher von massig Luft nach oben - die Pessimisten von netter Konsens-Einmalunterhaltung. Künftige Abenteuer werden entscheiden, ob Abrams Star Wars Debüt die Mühe wert gewesen ist.
6/10
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Let the sheep out, kid.