Samedi hat geschrieben: 31. Oktober 2019 16:00
craigistheman hat geschrieben: 31. Oktober 2019 15:51
Samedi hat geschrieben: 31. Oktober 2019 12:39
"Joker" ist übrigens aktuell der umsatzstärkste R-Rating-Kinofilm aller Zeiten.
Dann hätten sie aus dem R-Rating ja noch etwas mehr rausholen können! Mir war vieles in diesem meiner Ansicht nach durchaus gelungenen Film leider nicht zuende gedacht, wenn schon auf "Provoaktion", dann richtig. Unglaublich, wie viel mutiger und radikaler Regisseure wie Scorcese in den 70er/80er Jahre waren. Man könnte meinen, Hollywood seien die Eier abgefallen.
Was genau hättest du denn beim "Joker" "mutiger", "radikaler" und "provokativer" haben wollen?
Mutig, radikal und provokant wäre es gewesen, wenn nicht wieder "die üble, egoistische, menschenverachtende Gesellschaft" für das Verderben eines Einzelschicksals verantwortlich gemacht worden wäre - wie es in zig Hollywood-Filmen vor und nach "Joker" der Fall ist.
Ein Mensch kann sich auch ganz von alleine zu einem Monster entwickeln, kann auch einfach Spaß an Perversion und Sadismus empfinden, so ganz ohne Kindheitstrauma, sondern weil es möglich ist, weil es einen Kick verschafft und weil die meisten Menschen mit so einem Verhalten in ihrer unmittelbaren Umgebung erstmal nicht rechnen. Es ist eigentlich völlig trivial.
Denn so dappt "Joker" in folgende Falle: "Wenn du A erlebst, dann musst du auch bei B ankommen und dich für die ganze Scheiße an C rächen".
Die Menschen um Arthur werden in ihrer Bosheit zu Karrikaturen, nach dem Abspann kann ich getrost nachhause gehen und denken "ich habe mit der gezeigten Welt und den Charakteren nichts zu tun", mich dann hinlegen und gut einschlafen. Denn es gibt für alles eine beruhigende Erklärung, der Mann ist so, weil er schlimmes erlebt hat.
(Das macht Scorcese in Taxi Driver zwar auch, allerdings verhält sich Travis sehr viel ambivalenter und unberechenbarer. Letztlich schaufelt er sich in vielen Situationen sein eigenes Grab, wobei der Film stets offen lässt, ob Vietnam ihn zu dem gemacht hat, was er ist, oder ob er nicht schon vor Vietnam ein reaktionärer und rassistischer Hinterweltler war, wie so viele anderen Menschen auch. Nur die greifen eben nicht zur Waffe und gehen bei dem ersten Date auch nicht ins Pornokino, weil sie zumindest noch über ein feine(re)s, nuanciert(er)es Einschätzungsvermögen verfügen. Das sind schon tiefere Fragen, mit denen sich der Film beschäftigt. In Taxi Driver sieht man an vielen Stellen unerträgliche, gesellschaftliche Gewalt. Die 12-jährige Prostituierte, die von ihrem Zuhälter mit Stoff gefüttert wird und unter Tags auch an Polizisten "verliehen" wird, das ist schon ne andere Hausnummer und wurde in dieser Form zumindest im US-Kino noch nicht gezeigt... Dabei handelt es sich um eine von vielen Realitäten, mit denen sich die Menschheit herumplagen muss... Dass sich Travis zum politischen Attentäter hochstilisieren will, um sich aufgrund seines verletzten Egos durch einen selbstverschuldeten Korb Gehör zu verschaffen, ist auch so ein Punkt. Als es misslingt, befreit er eben das Kind aus dem Bordell, Hauptsache er hat das Gefühl etwas bedeutendes zu tun. Die Ziele, die er sich aussucht, sind willkürlich. Das ist eine in meinen Augen sehr viel glaubhaftere Form von "Wahnsinn", ein Film kann jedoch eh nur eine vage Annäherung an diese Themen sein. Trotzdem zeigten sich Scorcese und New Hollywood in den 70ern fortschrittlicher und motivierter, als es heutzutage der Fall ist. Hollywood sind nach der UA-Pleite und mit dem Simple Plan der konsumorientierten 80er die Eier abgefallen. Hier und da gibt es Lichtblicke, die kommen aber von AutorenregisseurInnen (wobei Frauen hier leider hoffnungslos in der Unterzahl sind), die die Major-Studios erst nach ihrem kommerziellen Durchbruch rekrutieren.)
Dann war mir einiges nicht zuende gedacht oder zu sehr durch die Blume erzählt. Wenn schon Melodram und Psychothriller, dann richtig. Dann lasst euch doch etwas richtig fieses einfallen, hier sind es wieder einmal nur Klischee-Motive, die Arthur in den Abgrund reißen. Das Missbrauchs-Kapitel z.B. wird im Vorbeigehen erwähnt, damit es von der Liste gestrichen werden kann und weil es dann doch wieder zu unangenehm für den average Blockbuster-Zuschauer wäre.
Dann wird mir im Film in bekannter Hollywood-Manier zu viel erklärt, ich muss nicht sehen, dass Arthurs Nachbarin und Love Interest in vielen Situationen nur fabuliert ist, um zu begreifen, wie einsam der Charakter ist und wonach er sich sehnt.
Trotz aller Kritikpunkt hat mir "Joker" sehr gut gefallen, allen voran Phoenix' Performance und die aller Beteiligten, auch die Ausstattung und die Musik schaffen eine dichte, morbide, in diesem Genre nicht alltäglich Atmosphäre - der bis jetzt geerdeteste DC Franchise-Film. Ich fühlte mich farbtechnisch und vom heruntergekommenen urbanen Setting her oft an Friedkins genialen "The Exorcist" erinnert - die Szenen, in denen Damien Karras seine kranke Mutter in der Bronx besucht, das Krankenhaus oder die U-Bahn...