Re: Der Batman-Thread

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Dann gliedere ich mich mal in der Region derer ein, die sich dem Rausch ergeben haben !

iHaveCNit: Joker (2019)
10.10.2019


Kommen wir nun zu der für mich vielleicht schwierigsten Review in diesem Jahr, denn nachdem ich gestern Abend Todd Philipps „Joker“ gesehen habe, brauchte ich ein bisschen Zeit über das Gesehene nachzudenken und durchaus den ein oder anderen Gedanken zu reflektieren. Denn „Joker“ ist aktuell einer meiner Filme des Jahres, wenn nicht sogar der Film meines Jahres 2019 geworden.

Arthur Fleck hat es in seinem Leben nicht gut getroffen. Während in Gotham die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft, ist Arthur Fleck ganz unten angekommen. Als Leihclown verdient er sich ein wenig Geld und zuhause pflegt er vollkommen von der Außenwelt isoliert seine kranke Mutter, während er selbst mit einer psychischen Störung zu kämpfen hat. Der freudlose Arthur, für den jedes Lachen eine regelrechte Tortur darstellt träumt jedoch davon, endlich als Komiker wahrgenommen zu werden. Bis ihn eine Kette von Ereignissen so an die Wand drängt, dass er nichts mehr zu verlieren hat.

„Joker“ ist eine der ikonischen Figuren, selbst wenn wir uns außerhalb des DC-Universums bewegen. Und filmisch haben wir bisher einige interessante Ansätze geboten. Allen voran den Ansatz eines Jack Napier, in Form von Jack Nicholson, dessen Overacting mir jetzt nicht so zugesagt hat ; dann die über alles stehende Performance eines namenlosen Joker vom leider viel zu früh verstorbenen und zurecht posthum mit dem Oscar gewürdigten Heath Ledger bishin zum zuletzt zum psychotischen Bling-Bling-Tattoo-Gangster verkommenen Jared Leto. Da fragt man sich natürlich auch, ob es überhaupt einen Film braucht, um die Hintergründe eines „Joker“ darzustellen. Das kommt natürlich immer darauf an. Die beste Erfahrung für eine Tragödie ist die Komödie, so dass der eigentlich für Komödien wie die „Hangover“-Trilogie und „Stichtag“ bekannte Regisseur Todd Philipps hierfür eine richtig gute Wahl gewesen ist. Und gerade in einer filmischen Zeit, in der sich Regisseure gerne bei Vorbildern bedienen um auch Liebeserklärungen an die Filme der Regisseure zu liefern, finde ich es auch gar nicht problematisch, dass sich Todd Philipps hier an den Filmen „The King of Comedy“ und „Taxi Driver“ von Martin Scorsese bedient, denn sowohl die Charakterstudien, als auch die Gesellschaftsstudien beider Filme wie auch jetzt von „Joker“ sind absolut zeitlos, selbst wenn wir uns in einer sehr 80er-Jahre-lastigen Welt wiederfinden – und da passt mit Robert DeNiro auch die Besetzung einer Nebenfigur perfekt. Der Film zeigt uns auf eindringliche Art und Weise, wie wir als ignorante und unempathische Gesellschaft Außenseiter wie Arthur Fleck noch weiter an den Rand drängen, so dass diese nur noch nach einem Ventil greifen, die dadurch entstandene Wut regelrecht ausbrechen zu lassen – um die Welt brennen zu sehen. Das ist vor allem depressiv und nihilistisch und der Film lässt das alles auf einem sehr bodenständigen Niveau ablaufen, so dass die Gewaltspitzen des Films richtig reinhauen. Die audiovisuelle Gestaltung des Films ist richtig stark von der Kameraarbeit, den Kostümen, dem Make-Up und auch der wundervollen Musik der Cellistin und Filmmusikkomponistin Hildur Gudnadottir, die mit ihrer Musik die Streicherklänge eines Hans Zimmer-Scores von „The Dark Knight“ aufgreift und mit bombastischen sphärischen Klängen eines Johann Johannsson ergänzt, so dass die Musik den Film teilweise mit Musik und Bildern in den Rausch eines Fiebertraums verfrachtet. Den Rausch eines harten, depressiven und nihilistischen Fiebertraums habe ich im letzten Jahr bereits auch mit „You Were Never Really Here“ bzw. „A Beautiful Day“ von Lynne Ramsay erlebt. Was das mit „Joker“ zu tun hat ? Ganz klar einen der besten und wandlungsfähigsten Schauspieler unserer Zeit – Joaquin Phoenix, der mit jeder Pore seines Körpers und mit jeder Facette seines Schauspiels den wohl interessantesten Filmcharakter auf so unglaubliche Art und Weise darstellt und alleine mit seiner Performance den Zuschauer emotional herausfordert, denn bei dem gezwungenen, schmerzhaften Lachen, das einen regelrecht anstecken kann kann es im selben Moment passieren, dass es einem auch ob der ganzen Härte und Tragik im Hals stecken bleibt. Ich habe nur die Befürchtung, dass die Rolle und der Film allgemein zu hart und zu traurig ist, so dass all der Hype für die kommende Award-Saison sowohl für Joaquin Phoenix als auch den Film nur ein Hype ohne Ergebnis bleibt. Und es kann auch extrem sein, wenn man durch diesen Film als Gesellschaft einen unbequemen Spiegel vorgehalten bekommt, der eine wichtige Botschaft für uns bereits hält – dass wir uns als Gesellschaft auch um die Personen kümmern sollten, die vollkommen unsichtbar an den Rand gedrängt worden sind und sonst nur noch Ablehnung widerfahren, denen das Leben immer und immer wieder unnötig erschwert wird.
Denn die teils ignorante und absolut unempathische Behandlung von Personen wie Arthur Fleck ist nicht in Ordnung – genau wie es natürlich auch nicht in Ordnung ist, wenn Leute wie Arthur Fleck am Ende einen Zustand der kompletten Anarchie und Gewalt herbeiführen. Da bewegt sich dieser Fiebertraum eines Psychogramms auf jeden Fall in vielen Graustufen und lässt den Zuschauer selbst urteilen. Der eigenständige Film schafft es auch auf sehr bodenständige und treffende Art und Weise die Filmwelt, in der er spielt zu integrieren und durchaus auch beim ein oder anderen Element den Zuschauer aufs Glatteis zu führen, so dass man sich am Ende wirklich fragt und emotional herausfordert – ob man nun in einem Fiebertraum ist oder die harte Realität einen eingeholt hat.

„Joker“ - My First Look – 10/10 Punkte
"Weiter rechts, weiter rechts ! ..... "

Re: Der Batman-Thread

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Joker

Lange Zeit stand ich dem Projekt „Joker“ mehr als skeptisch, vielleicht sogar ablehnend gegenüber. Ein Film über die Ursprünge des Jokers sind etwas, das ich wirklich nicht gebraucht habe. Mehr noch, es nimmt der Figur ihre größte Stärke (Auch wenn das einige Comics zugegebenermaßen auch getan haben, aber die kenne ich eben nicht). Neben Heath Ledgers grandiosem Schauspiel war es mit die größte Stärke von Nolans Joker aus „The Dark Knight“, dass er für den Zuschauer unverständlich blieb und nicht zu greifen war. Doch die hervorragenden Trailer schafften es mich trotz all dieser Zweifel schon am ersten tag ins Kino zu locken. Ich wurde nicht enttäuscht und bekam einen äußerst gelungenen Film zu sehen, auch wenn es schade ist, dass man heute eine Comicfigur verwenden muss um einen solchen Film halbwegs massentauglich zu machen.
„Joker“ ist in erster Linie eine tragische Charakterstudie, ein psychologisches Drama und zugleich eine Gesellschaftskritik. Der Film trifft und geht unter die Haut, er ist unbequem und dürfte dem ein oder anderen Mainstreamkinogänger, der aufgrund des Titels angelockt wurde, ein gänzlich neues Kinogefühl mitgeben. Tragisch, traurig und gleichzeitig bedrohlich, hier wurde ein Mix geschaffen, der durchweg packt und den Zuschauer förmlich in den Film hinein zieht. Unterstrichen und zeitweise erst hervorgerufen wird das durch den eindrucksvollen Soundtrack der Komponistin Hildur Gudnadottir (Sicario 2), die hier ein weiteres Mal ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen kann.
Ich kann die Kritik, die dem Film (neben dem vielen Lob) weltweit und speziell in den USA entgeenschlägt durchaus verstehen, auch wenn ich sie nicht teile. Denn „Joker“ verlangt ein mündiges, reifes Publikum, das selbst urteilen kann, da die Geschichte nicht wertend erzählt ist und Personen wie dem Hauptcharakter Arthur Fleck tatsächlich falsche Überzeugungen vermitteln könnte. Doch gerade in umgekehrter Richtung kann ein solcher Film wichtig sein, ja geradezu ein Weckruf.
Meine ursprüngliche Sorge, man würde den Joker seiner größten Stärke berauben ist nur bedingt war geworden. Denn am Ende dieses Films sehen wir einen ganz anderen Joker als beispielsweise in The Dark Knight. Die Figuren sind auch am Ende so unterschiedlich, dass es beinahe absurd ist, dass sie beide den gleichen Namen tragen und den gleichen Charakter darstellen sollen. Deshalb wird man beim Schauen anderer Filme mit dem Joker wohl nie seine Hintergrundgeschichte aus diesem Film im Kopf haben. Dafür sind sie einfach zu unterschiedlich. Und auch das muss man, nach mehreren anderen Interpretationen dieser Figur, erst einmal schaffen.

9/10
"You only need to hang mean bastards, but mean bastards you need to hang."

Re: Der Batman-Thread

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dernamenlose hat geschrieben: 12. Oktober 2019 14:23 Denn am Ende dieses Films sehen wir einen ganz anderen Joker als beispielsweise in The Dark Knight. Die Figuren sind auch am Ende so unterschiedlich, dass es beinahe absurd ist, dass sie beide den gleichen Namen tragen und den gleichen Charakter darstellen sollen. Deshalb wird man beim Schauen anderer Filme mit dem Joker wohl nie seine Hintergrundgeschichte aus diesem Film im Kopf haben. Dafür sind sie einfach zu unterschiedlich. Und auch das muss man, nach mehreren anderen Interpretationen dieser Figur, erst einmal schaffen.
Wo siehst denn du die grossen Unterschiede zwischen Ledgers Joker und Phoenix im Endstadium seines Films? Ich finde dass beide den Kern der Figur und was ich mir darunter vorstelle, sehr gut treffen, nämlich das irrationale, anarchische Weltbild und die unkaputtbare "Ziellosigkeit", beide definieren sich im Prinzip ein Stückweit dadurch, dass sie gar nicht aufgehalten werden können weil sie nichts, nichts, gar nichts zu verlieren haben bei dem was sie tun.

Bezüglich der Origin-Story dürfte es natürlich jedem klar sein, dass da ein paar ernsthafte soziale und psychische Probleme im Hintergrund sind, ob man sich etwas ausmalen will, ob man den neuen Film zur "Erklärung" heranziehen möchte oder ob es einen überhaupt kümmert ist natürlich jedem selbst überlassen. Prinzipiell funktioniert der Joker für mich nur oder vor allem mit Batman, wie im Dark Knight Returns Comic gesehen (wenn der Joker jegliches Interesse an kriminellen Machenschaften verliert solange Batman im Ruhestand ist) oder auch im Dark Knight Film wird es gut herausgearbeitet ("You. Complete. Me."). Das wirkt dann etwas seltsam wenn man es nicht vermeiden kann, sich auszumalen wie der Joker jetzt erst einmal 15-20 Jahre auf Batman "warten" muss (und bis dahin bestimmt 60 sein wird). Wenn (und das ist ein grosses "wenn") ich mir etwas über die Anfänge des Jokers vorstellen möchte, dann muss da zwingend mit Batman reinspielen, halt eben wieder wie in Dark Knight, auch wenn dort nichts explizites über die Herkunft des Jokers gesagt wird (zum Glück) aber doch Bats derjenige ist, der diesen abgefahrenen Irrsinn erst aus der Reserve lockt, überhaupt zu seinen Machenschaften "provoziert".

PS 1: Etwas, das mir im Film tatsächlich Logik-mässig etwas aufgefallen ist: Drei Leute werden spätabends an einer verlassenen, heruntergekommenen U-Bahn-Station erschossen und es wird ein riesiges Thema draus gemacht, das wochenlang die Titelseiten belegt und die gesamte Bevölkerung beschäftigt. Ernsthaft? In Gotham, dem kriminellsten, verruchtesten, gefährlichsten Grossstadtmoloch, den man sich ausmalen kann? Das habe ich dem Film nicht so ganz abgekauft.

PS 2: Schön, dass wir Toms und Marthas Schicksal inklusive Perlenkette mal wieder sehen durften, das war mal wieder überfällig... :wink:
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Re: Der Batman-Thread

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Ich finde auch eher, dass man da keine Origin-Story braucht und dass der Joker ohen Batman etwas in der Luft hängt. Mich jedenfalls interessiert das alles nur sehr mäßig bis gar nicht. Man entmysthifiziert solche Überbösewichte dadurch nur und nimmt ihnen ein gutes Stück ihrer Aura. Will ich sehen warum der Joker so wurde wie er in Batman auftritt? Muss jeder für sich selbst entscheiden, ob ihn das interessiert. Fand das auch schon bei Darth Vader überflüssig, aber immerhin erzählt Lucas hier noch sehr zentral den Übergang von Republik zu Diktatur.
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Send in the Clowns

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GoldenProjectile hat geschrieben: 11. Oktober 2019 16:46 Die vorherigen Filmteile waren wie erwartet ein Gemisch aus Dingen, die ich über den Joker nicht wirklich wissen will, Dinge, die man sich über den Joker auch leicht selbst zusammenreimen kann wenn man denn will und Reminiszenzen an das offensichtliche Vorbild Taxi Driver, das in Stil und Handlung deutlich zitiert wird, sind aber durchaus stimmungsvoll inszeniert, wenn auch teilweise in der Ausführung des psychologischen Dramas (das ich wie gesagt beim Joker als Erklärung gar nicht sehen möchte, und man sich sowieso einigermassen zusammenreimen will wenn man es braucht) etwas "verkrampft".
Das fasst den Film sehr hübsch zusammen, und ich sehe den Film an sich wie du, in Summe aber noch etwas negativer, weil es zu viele Dinge gibt, die mir nicht schmecken wollen. Zu vordererst: Die Taxi Driver & King of Comedy Zitate sind überdeutlich, und wurden in wirklich jeder nennenswerten Besprechung des Films zurecht aufgeführt. Martin Scorsese war ursprünglich mal stärker an Joker beteiligt, u.a. sogar als geplanter Regisseur, daraus wurde aber letztlich nichts. Es wäre interessant gewesen zu sehen, wie er an diesen Stoff herangeht, und ob er sich ebenso stark von sich selbst inspiriert gezeigt hätte. Ein Kino-Scorsese wäre mir jedenfalls trotz DC Hintergrund lieber gewesen als ein Netflix-Scorsese. Aber das nur am Rande.

Der Konflikt, den du oben ansprichst, den sehe ich auch. Der Film ist wunderbar inszeniert, besondere Klasse sind die sehr schöne Kameraarbeit, Lawrence Sher gelingen wunderbare Aufnahmen. Eine Oscarnominierung in dieser Kategorie ist wohl schon so gut wie sicher. Joker ist einer dieser Filme, die man einfach gerne ansieht. Und bei denen man gerne zuhört. Hildur Guðnadóttir zählt in meinen "Ohren" seit Jahren zu den interessantesten Talenten der Filmmusik, und hat für die Miniserie "Chernobyl" erst vor Kurzem eine Jahrhundertarbeit geleistet. So stark ist ihr Joker Soundtrack natürlich nicht, aber es ist dennoch einer der stärksten Scores der Comicfilmgeschichte und das fast mühelos. Ganz große Klasse - auch hier wäre eine Oscarnominierung angebracht. Leider leider will mir der Film aber von Seiten des Drehbuchs absolut nicht gefallen und ich fürchte, ich muss eigentlich fast allem widersprechen, was hier im Thread bereits lobend erwähnt wurde. So gut Joaquin Phoenix sicherlich auch spielt (wenngleich: meilenweit weg von der Schauspielkunst Heath Ledgers in The Dark Knight - und auch meilenweit weg von seinen eigenen Kracher-Leistungen in The Master oder You Were Never Really Here), der Film hat nichts wirklich interessantes zu erzählen - oder besser: er hat nichts interessantes zu sagen. In etwa dem Maße, in dem der Film dafür gelobt wird, kein 08/15 Comicfilm zu sein, muss ich ihm vorhalten, in seinem Genre (dem Psychodrama) eine Reißbrett-Struktur vorzuweisen. Gewissermaßen ist Joker eine Art Arthousefilm-Bestof oder ein Mixtape aus einer Reihe sehr viel besserer Vorbilder: Taxi Driver und King of Comedy sind offensichtlich, aber auch Clockwork Orange, Fight Club, American Psycho, You Were Never Really Here, Nightcrawler, Raging Bull etc. lassen sich leicht wiederfinden, wenn man denn will. Nun ist natürlich alles irgendwo schon mal da gewesen und das soll daher nicht mein Hauptargument gegen das Script von Joker sein.

Zentrales Problem ist für mich die Fokussierung auf Hollywood übliche Küchenpsychologie. Der Joker, eine in den Comics und auch in früheren Verfilmungen, ungreifbare Figur, eine Art direkte Verkörperung der Anarchie, bekommt hier in einem Abwatsch die ganze Palette an den üblichen Ursachen präsentiert, die Hollywood parat hat, um das Morden einer Figur zu erklären: Natürlich ist Arthur psychisch-krank, natürlich ist er ein Muttersöhnchen, natürlich hat er ein verdrängtes Trauma, natürlich wurde er als Kind missbraucht, selbstverständlich hat er Vaterkomplexe, sowieso ist klar, dass er seinen Vater zu töten gedenkt und mit der Liebe läuft es auch nicht. Aber für einen Film, der so viel Zeit mit der psychologischen Analyse des Jokers verbringt, bleibt er erschreckend simpel gehalten: Kaum hat Arthur eine Waffe in seinem Besitz, ballert er bei erst bester Gelegenheit drei Männer über den Haufen. Daraus entwickeln tut sich kaum etwas, seine persönliche Geschichte läuft weiter und wird nach und nach einfach mit mehr Toten versehen, ehe er das Clowns-Makeup aufträgt. Eine deutlich subtilere Erzählweise hätte dem Film gut getan, um sich wirklich mit dieser Figur und ihrer Wandlung zu beschäftigen. "Bemüht" trifft es gut - der Film hakt die Entwicklung Arthurs wie auf einer Strichliste ab, ist aber merkwürdig desinteressiert daran, diese tiefer zu erforschen. Vielleicht, weil er am Ende eben doch nur der Joker werden soll, der noch nie eine sonderlich komplexe Figur gewesen ist.

Was mir außerdem gar nicht gefällt, ist, wie feige der Film sich immer wieder davon stiehlt, konkret zu werden. Die Auflösung etwa um die Zazie Beetz Rolle hätte mir gut gefallen, wenn der Film sich getraut hätte, die wahren Umstände etwas offener zu lassen. Dank einer blöden Erklärbär-Erzählweise wird aber noch mal schön vorgekaut, wie dieser Handlungsstrang einzuordnen ist - eine mir unverständliche Entscheidung, die den Easy Way Out für die Erzähler bietet, aber mir dadurch kein Futter zum Nachdenken und Reflektieren gibt. Ähnlich verhält es sich mit der angeblichen "Gesellschaftskritik" des Films, von der ich auch in diesem Thread schon gelesen habe. "Gesellschaftskritik" ist ein Label, welches dem Film schon vor Kinostart anhaftete, und seitdem gebetsmühlenartig ständig wiederholt wird. Da frage ich mich aber ernsthaft: Was soll die Gesellschaftskritik in Joker sein? Kann das jemand erklären? Und weiß der Film es überhaupt selbst? Ich bin mir da bezüglich letzterer Frage etwas unsicher. Man kann Joker entfernt als Kritik am Gesundheitssystem der USA sehen, allerdings ist das in diesem spezifischen Fall auch vor allem dem Period Piece Aspekt (der Film spielt 1981) geschuldet. Sicher lässt es sich in die Moderne übertragen, aber was hat Joker davon ab zu sagen? Nicht falsch verstehen: Natürlich muss nicht jeder Film mit einer Botschaft daherkommen oder etwas formulieren wollen, doch Joker bleibt in seiner Darstellung einer destruktiven Gesellschaft wirklich merkwürdig unkonkret, ohne eine Haltung zu entwickeln. Letztlich verbleibt die Geschichte der Arthur-Figur bei einem simplen "Schuld haben immer die anderen", was für solch einen Film, der die sozialen Umstände von Jokers Entstehung erklären will, erstaunlich blutleer ist.

Eine letzte Anmerkung: Das letzte Drittel hat auch mir gefallen, wenn endlich mal etwas passiert und wir ein wenig in die Anarchie dieser Figur eintauchen, und Joaquin Phoenix endlich der echte Joker, so wie man ihn kennt, sein darf. Leider rutscht er hier etwas ins Overacting ab, aber das mag ich ihn gerne verzeihen, da die Figur sehr gut getroffen wird. Viel besser wäre aber gewesen, von Vornherein den gesamten Film ohne eine Einbindung der Wayne Familie zu zeigen. Auf der Pressevorführung wurde bei der Ermordung der Waynes am Ende hörbar von mehreren Personen aufgestöhnt - mir inklusive. :wink: Das hat in dem Film nun echt gar nichts zu suchen. Und leider wirkt der ganze konstruierte Handlungsbogen um eine mögliche Halbbruderschaft zwischen Arthur und Bruce doch wie ein starkes Überbleibsel aus der Comic-Mythologie, aus der diese Figur stammt. Mich haben all diese Szenen immer zu stark daran erinnert, dass Joker eigentlich zu Batman gehört und das man seine Geschichte nicht ohne Batman erzählen kann - was man hier gewissermaßen versucht, ohne ganz auf Batman zu verzichten. Eine sehr merkwürdige Entscheidung, die aber gut zur Mutlosigkeit passt, die ich dem Film trotz aller Progressivität an der Oberfläche vorwerfe.
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Re: Der Batman-Thread

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GoldenProjectile hat geschrieben: 12. Oktober 2019 14:42 Wo siehst denn du die grossen Unterschiede zwischen Ledgers Joker und Phoenix im Endstadium seines Films? Ich finde dass beide den Kern der Figur und was ich mir darunter vorstelle, sehr gut treffen, nämlich das irrationale, anarchische Weltbild und die unkaputtbare "Ziellosigkeit", beide definieren sich im Prinzip ein Stückweit dadurch, dass sie gar nicht aufgehalten werden können weil sie nichts, nichts, gar nichts zu verlieren haben bei dem was sie tun.
Das anarchische Weltbild sehe ich bei Phoenix Joker eben kaum. Auch am Ende nicht. Die Anarchie die am Ende in Gotham herrscht (sofern die Szenen überhaupt als Realität einzuordnen sind) ist das, was die Menschen aus Flecks Taten gemacht haben, er selbst hat eine gewisse Anarchie lediglich als Weg für sich selbst gefunden. Ledgers Joker trägt diese aber mit missionarischem Eifer in die Welt hinaus. Das ist für mich bei Arthur Fleck unvorstellbar. Der sitzt am Ende vermutlich in psychischer Behandlung und tritzt da den ein oder anderen Mitinsassen, wie man in der letzten Szene sieht. Damit hat es sich und damit ist er glücklich. Ich sehe da nirgends das Bedürfnis diese Einstellung zu verbreiten, alles was in der Stadt geschieht war in der Form ja nie beabsichtigt.
Und auch rein von der Persönlichkeit her gibt es riesige Unterschiede. Ledgers Joker ist zwar irre, gleichzeitig aber auch ein charismatischer Mensch, der andere Menschen um sich scharen kann, ein solcher Mensch wird Arthur Fleck nie werden (auch wenn sich in einer Szene sämtliche Clowns der Stadt um ihn versammeln) und so wie ich ihn verstehe hat er auch nicht das Bedürfnis danach.
Und auch wenn beide Joker eine Sache machen ("It´s about sending a message.") gehen sie daran völlig anders heran, und wollen ziemlich unterschiedliche Aussagen treffen. Arthur Fleck ist ziemlich egozentriert, in seinem Fernsehaufrtitt geht es um sich, um die Gesellschaft in Bezug auf ihn. Sein Joker definiert sich über seine Vorgeschichte. Und das allein ist ein radikaler Unterschied zu Ledgers Joker, der sich selbst nicht unwichtiger sein könnte.
Casino Hille hat geschrieben: 12. Oktober 2019 16:41 Ähnlich verhält es sich mit der angeblichen "Gesellschaftskritik" des Films, von der ich auch in diesem Thread schon gelesen habe. "Gesellschaftskritik" ist ein Label, welches dem Film schon vor Kinostart anhaftete, und seitdem gebetsmühlenartig ständig wiederholt wird. Da frage ich mich aber ernsthaft: Was soll die Gesellschaftskritik in Joker sein? Kann das jemand erklären?
Sicher nicht die Kritik am Gesundheitssystem. Das ist doch lediglich ein Symptom dessen, was der Film beschreibt. Er beschreibt den Umgang der Gesellschaft mit Menschen an ihrem Rand und das in den unterschiedlichsten Facetten. Das geschieht nicht immer sehr subtil und hätte hier und da vielleicht ein bisschen besser gemacht werden können, aber letzten Endes zeigt "Joker" auf wozu das ganze führen kann. Ob der Film das jetzt gelungen rüberbrungt oder nicht muss jeder selbst wissen, aber es ist doch sehr eindeutig da.
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Re: Der Batman-Thread

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dernamenlose hat geschrieben: 12. Oktober 2019 20:42 Das anarchische Weltbild sehe ich bei Phoenix Joker eben kaum...
Gute Beobachtungen, aber ich denke das meiste kann trotzdem insofern relativiert werden, dass eben der Kern der Figur getroffen wurde. Die beiden Jokers agieren halt in einem anderen Kontext: Phoenix ist in Teilen ich-bezogener, weil dies eben seine ganz persönliche Anfangsgeschichte betrifft, Ledger wird Batman gegenübergestellt, der schon die Hälfte des Jokers ausmacht (während umgekehrt der Joker einen gewissen Teil von Batman ausmacht).

Ich denke auch Ledger hat nicht das Bedürfnis, um jeden Preis eine Überzeugung zu verbreiten. Ich kann ihn mir sehr gut vorstellen, wie er nach den Ereignissen aus Dark Knight in seiner Gummizelle hockt und auf seine kranke Art damit genauso glücklich ist, wie Phoenix. So interpretiere ich den Joker, und finde das von beiden im Kern gut getroffen (wie gesagt, halt in einem ganz anderen Kontext und damit nicht zu einhundert Prozent vergleichbar). Er hat gewisse Ziele, gewisse Vorplanungen, aber kein übergeordnetes, langfristiges Ziel, er kann nicht geschlagen werden weil sowohl er selbst als auch die Gesellschaft ihm egal sind. Wenn er geschnappt wird und entkommen kann, umso besser, aber wenn er gefangen bleibt findet er das fast genauso lustig. Und wie gesagt, Batman ist halt wichtig, im Prinzip will der Joker vor allem seine morbiden Spässe mit der Fledermaus spielen, das ist es, was ihn am meisten antreibt. Er findet diesen sturköpfigen, eisern seine Tötungsregel verfolgenden Typen lustig und will seine Grenzen testen.

Was das Charisma angeht, das mag in gewissem Masse stimmen, allerdings müssen das auch in Dark Knight ziemlich schräge Vögel sein, die freiwillig bei ihm mitmachen. Ein grosser Anführer wird er nie werden, und er hat auch in Dark Knight nur ein paar vereinzelte Sonderfälle, die ihm zur Hand gehen. Ich kann mir sofort vorstellen, dass auch einige der Revolutionsclowns sich ihm sofort ähnlich anschliessen würden. In diesem Sinne hat der Phoenix-Joker eigentlich sogar die grössere Führerschaft, weil er von einem ganzen Movement begeistert aufgenommen und als Symbolfigur akzeptiert wird. Aber das war halt nur der erste wirkliche Tag des Jokers, wenn er nach dem Abend weitermacht und ganz durchstartet, hätten sicher viele nicht mehr den Mumm oder die Überzeugung, mit ihm rumzurennen, wie es halt bei solchen Demos, Aufständen etc. immer einen radikalen Kern gibt und eine grössere Masse, die gerne und laut Krach macht, aber dann rennt, wenn es gefährlich wird.
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Re: Der Batman-Thread

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GoldenProjectile hat geschrieben: 12. Oktober 2019 21:20 Ich denke auch Ledger hat nicht das Bedürfnis, um jeden Preis eine Überzeugung zu verbreiten. Ich kann ihn mir sehr gut vorstellen, wie er nach den Ereignissen aus Dark Knight in seiner Gummizelle hockt und auf seine kranke Art damit genauso glücklich ist, wie Phoenix.
Oh ja. Der Joker hat einen Heidenspaß in The Dark Knight und für sich hat er sowieso gewonnen. Er hat Batman dazu gebracht, seine eine Regel zu brechen und er hat Gotham, Batman und vor allem sich selbst bewiesen, dass auch im angeblich ach so guten Harvey Dent, Gothams weißen Ritter, ein Monster steckt. Ich sehe in Phoenix in den letzten zwanzig Minuten den klassischen Joker, wie er in den Comics und Filmen mit leichten Abweichungen immer dargestellt war. Um eine Botschaft geht es ihm da in der Show zwar schon, aber er will sicher nicht die Revolution auslösen, die er auslöst. Genauso wie es auch Ledger immer darum geht, etwas zu beweisen, genauso aber auch über den Stand der Dinge lachen würde, wenn es ihm nicht gelingt oder er aufgehalten wird (siehe in TDK die Auflösung der Fährenszene: "Na nu, das hat nicht geklappt. Naja, Shit happens, jag ich halt alle hoch"). Und natürlich tritt er auch anarchisch auf und erst recht charismatisch ("Was für ein Auftritt", wie De Niro sagt). Allein wie sich sein Verhalten seiner "Mom" gegenüber ändert, zeigt doch, wie sehr er in der Rolle dieses Jokers aufgeht. Und bei der TV Show zeigt Phoenix eine vollkommen veränderte Körpersprache. Sowas kann der Mann einfach, auch wenn er es hier und da etwas übertreibt, aber Arthur Fleck ist auch keine so komplexe Figur wie etwa Joe in You Were Never Really Here, ein übrigens meisterhaftes poetisches Gewaltdrama, das auch auf den Spuren von Taxi Driver wandelt und zu den großen Filmen des Jahrzehnts gehört.
dernamenlose hat geschrieben: 12. Oktober 2019 21:20 Er beschreibt den Umgang der Gesellschaft mit Menschen an ihrem Rand und das in den unterschiedlichsten Facetten. Das geschieht nicht immer sehr subtil und hätte hier und da vielleicht ein bisschen besser gemacht werden können, aber letzten Endes zeigt "Joker" auf wozu das ganze führen kann.
Den Aspekt muss ich verpasst haben. Gesellschaftskritik kann ich da im besten Willen nicht entdecken. Ich fürchte aber auch, der Film denkt, er sei gesellschaftskritisch. Oder zumindest Todd Phillips, ein Film kann natürlich nicht denken, auch wenn sich das immer schön sagen lässt. So schlecht wird mit Arthur jedenfalls gar nicht umgegangen - zumindest nicht durch die Gesellschaft. Er wird zweimal verprügelt, von Mistkerlen, die es sowohl auf der Straße als auch an der Börse gibt. Und er bekommt keine vernünftige Therapie, trotz seiner klaren Probleme, weil eben die Mittel für gesundheitliche Maßnahmen gekürzt werden (der Film spielt 1981, und spielt auf echte Geschehnisse in den USA in diesem Jahr an). Aber ansonsten? Wann ist die "Gesellschaft" denn schlecht zu Arthur? Wann hat die Gesellschaft überhaupt etwas mit Arthurs Pech zu tun? Seine Hintergrundgeschichte, die der Film spät liefert, ist ein privates Einzelschicksal. Der Rest sind ein paar Prügelattacken, die keinen Rückschluss auf die Gesellschaft erlauben. Und sonst? Thomas Wayne sagt einmal im Fernsehen einen Satz, den der Pöbel falsch versteht und darauf Randale macht, das kann man mit viel guten Willen als "Gesellschaftskritik" verstehen, aber da ist sich der Film nicht sicher, denn andersrum wird Wayne auch nicht als Unsympath gezeigt, sondern als jemand, der ein politisches Amt bekleidet, um nach eigener Aussage genau diesen Leuten zu helfen. Also, wo ist der "Umgang der Gesellschaft mit Menschen an ihrem Rand" im Film? Sicher: Joker sagt am Ende in der Liveshow "Wäre ich der Tote in der U-Bahn gewesen, ihr alle hättet mich nicht beachtet", aber das hat mich eher etwas erstaunt, weil Arthur im ganzen Film eigentlich von Niemandem außer seiner Therapeutin nicht beachtet wird und das vorher nie wirklich ein Thema war. Im Gegenteil, viele zeigen sich ihm gegenüber sehr verständnisvoll. Seine Kollegen, die laut seines Chefs angeblich Angst vor ihm haben, besuchen ihn in seiner Wohnung nach dem Tod seiner Mutter und die Frau im Bus, die ihn erst wegen seiner Albernheiten ihrem Sohn gegenüber angeht, wird sofort still, als sie um seine Krankheit weiß und zeigt Rücksicht. Ich bleibe dabei: Der Film ist sich arg unschlüssig, worauf er hinauswill und er muss auch auf gar nicht hinaus wollen, aber was er da formuliert ist nicht so richtig schlüssig in sich. Wirklich schade, denn das starke Ende deutet an, wie wuchtig der Film hätte sein können ohne das klapprige Drehbuchgestell, dass der angepeilten Charakterstudie praktisch keine Entwicklung beimengt. So ist es viel Style, wenig Substance. Insgesamt verläuft der Film mir zu sehr in platten Attitüden und inszenatorisch leider auch in affektierten Gesten - was jetzt sehr hart klingt, obwohl er mir auf simpler Ebene dann doch Spaß gemacht hat, zumal es auch etwas hübsch deftige Gewalt gab.
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Re: Der Batman-Thread

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GoldenProjectile hat geschrieben: 12. Oktober 2019 21:20 Was das Charisma angeht, das mag in gewissem Masse stimmen, allerdings müssen das auch in Dark Knight ziemlich schräge Vögel sein, die freiwillig bei ihm mitmachen. Ein grosser Anführer wird er nie werden, und er hat auch in Dark Knight nur ein paar vereinzelte Sonderfälle, die ihm zur Hand gehen. Ich kann mir sofort vorstellen, dass auch einige der Revolutionsclowns sich ihm sofort ähnlich anschliessen würden.
Ohne, dass er sie dazu auffordern würde, ähnlich wie in der Szene als ihn alle auf dem Auto bejubeln. Das vielleicht ja. Aber ich versuche mir einfach mal Szenen aus "The Dark Knight" mit ihm vorzustellen und das funktioniert für mich einfach nicht.
GoldenProjectile hat geschrieben: 12. Oktober 2019 21:20 Ich denke auch Ledger hat nicht das Bedürfnis, um jeden Preis eine Überzeugung zu verbreiten. Ich kann ihn mir sehr gut vorstellen, wie er nach den Ereignissen aus Dark Knight in seiner Gummizelle hockt und auf seine kranke Art damit genauso glücklich ist, wie Phoenix.
Vermutlich schon, der Joker kann schließlich überall seinen Spaß haben. Da hast du sicher recht. Dass er aber eine Überzeugung um jeden Preis verbreiten will zeigt doch die Szene im Krankenhaus mit Harvey Dent in der er es dem Zufall überlässt, ob er weiter lebt oder stirbt einzig und allein zu dem Zweck um Dent zu dem werden zu lassen, was er am Ende des Films ist. Das würde ich schon als "um jeden Preis" beschreiben.
Casino Hille hat geschrieben: 13. Oktober 2019 00:03 Aber ansonsten? Wann ist die "Gesellschaft" denn schlecht zu Arthur?
Da gäbe es schon noch ein paar mehr Stellen. Allen voran sicherlich das Zeigen seines ersten Auftritts in Murrys Show, mit dem auf seine Kosten Witze gemacht werden, sowie seine Einladung in die Show die letzten Endes ja auch nur dazu dienen sollte sich über ihn lustig zu machen. Und es werden ja nicht nur Gelder im Gesundheitssystem gekürzt, worunter er dann zu leiden hat, auch zu dem Zeitpunkt als die Sitzungen noch stattfinden scheint ihm ja nicht wirklich zugehört zu werden. Auch dabei wird er also nur bis zu einem gewissen Grad ernst genommen. Er wird gefeuert, für den Besitz einer Waffe, die er eigentlich gar nicht wollte, während sein Kollege es später so hinstellt als habe er sie ihm abgekauft. Auch wenn der ihn nach dem Tod seiner Mutter zwar besuchen kommt, er hat erst durch ihn seinen Job verloren (weshalb er vom Joker ja auch ermordet wird). Zuvor wurde ihm auch die Geschichte mit dem Schild nicht geglaubt, das dann von seinem Gehalt abgezogen wird.
Casino Hille hat geschrieben: 13. Oktober 2019 00:03 Seine Hintergrundgeschichte, die der Film spät liefert, ist ein privates Einzelschicksal.
Kann mir die eigentlich jemand nochmal erklären. Irgendwie bin ich da nicht ganz durchgestiegen. Ist die Frau die er pflegt nun die gleiche, die in den Rückblenden zu sehen ist? Wenn ja: Warum lebt er dann bei ihr, sie wurden doch scheinbar voneinander getrennt. Wenn nein, warum erzählen dann beide die gleiche Geschichte? Von wem wurde Arthur warum, wann adoptiert und was hat Wayne damit etwas zu tun oder entspringt das lediglich ihrer Fantasie?
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Re: Der Batman-Thread

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dernamenlose hat geschrieben: 13. Oktober 2019 15:58 Ohne, dass er sie dazu auffordern würde, ähnlich wie in der Szene als ihn alle auf dem Auto bejubeln. Das vielleicht ja. Aber ich versuche mir einfach mal Szenen aus "The Dark Knight" mit ihm vorzustellen und das funktioniert für mich einfach nicht.
Für mich funktioniert das eigentlich recht gut. Wenn ich noch einmal bedenke dass der eine quasi der Joker an seinem ersten Tag als Joker ist (nicht nur bezogen auf seinen ersten öffentlichen Auftritt, sondern auch auf den psychischen "Absturz" in die Rolle, dann kann ich mir Phoenix' Joker sehr gut ein, zwei Jahre später und weiter angeheizt durch das Auftauchen Batmans in der Ledger-Rolle vorstellen.
dernamenlose hat geschrieben: 13. Oktober 2019 15:58 Vermutlich schon, der Joker kann schließlich überall seinen Spaß haben. Da hast du sicher recht. Dass er aber eine Überzeugung um jeden Preis verbreiten will zeigt doch die Szene im Krankenhaus mit Harvey Dent in der er es dem Zufall überlässt, ob er weiter lebt oder stirbt einzig und allein zu dem Zweck um Dent zu dem werden zu lassen, was er am Ende des Films ist. Das würde ich schon als "um jeden Preis" beschreiben.
Das sehe ich anders. Erstens hat das für mich weniger mit "um jeden Preis" zu tun als vielmehr mit "Risiken machen den Spass erst aus", und zweitens will er Harvey hier ganz bestimmt nicht von seiner Sache überzeugen sondern seine Freude daran haben wie dieser vermeintlich edle Charakter in einer solchen Extremsituation auch zu Extremen greift, und sich damit über Dent sowie indirekt über Gordon und vor allem Batman lustig machen. Und das hat er geschafft, und zwar auch wenn Harvey die andere Seite der Münze getroffen hätte, dann vielleicht sogar umso mehr.
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Re: Der Batman-Thread

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Hätte Harvey den Joker da im Krankenhaus erschossen, hätte der im Jenseits noch bis zur Unendlichkeit darüber gelacht. Wie der brillante Ledger in seinem letzten Satz in The Dark Knight zusammenfasst: "Madness is like gravity... all it takes is a little push." Btw: Was für ein geiles Zitat, das Writing von The Dark Knight ist wirklich auf einem anderen Niveau als im üblichen Comic-Actioner. Wie einige jetzt den Phoenix (Der ja nicht schlecht ist) über den Ledger stellen können, ist mir unbegreiflich. Das eine ist eine schauspielerisch exzellente Leistung, und das andere eine Performance für die Ewigkeit, die in die Popkultur in Nullkommanichts einging und über die man noch Jahrzehnte reden wird. Und das in einem Film(genre), das bis dahin eher belächelt wurde.

Die große Gesellschaftskritik sehe ich in Joker leider auch mit den Erklärungen immer noch nicht, das scheint mir alles auf dem Papier liegen geblieben zu sein, ohne es in den Film zu schaffen. Ein paar Leute verhalten sich ihm gegenüber nicht optimal, aber Arthur ist sicher kein Typ, der nur durch Einflüsse von außen durchdreht, dafür ist er von Beginn an zu kaputt und es tut dem Film vielleicht im Vergleich zu ähnlichen Stoffen nicht unbedingt gut, dass man als Zuschauer, der nicht die letzten 11 Jahre hinterm Mond gelebt hat, bereits weiß, wer der Kerl einmal werden wird. Aus diesen paar Ereignissen jedenfalls, die dann alle nicht sonderlich schwerwiegen, da dramaturgisch letztlich alles von dem einen konventionellen Wendepunkt abhängt (der Aufdeckung seiner zutiefst traumatischen Kindheit, denn lerne: Wer als Kind missbraucht wird, der bringt laut Hollywood später Leute um - altes Filmgesetz), lässt sich niemals eine ernstzunehmende Aussage über moderne Verhältnisse treffen - der englische Eindruck "try hard" kommt mir da in den Sinn. Ich hätte dem Film ein besseres Drehbuch gewünscht, eines das sich für psychologische Tiefe und nicht für leere Gesten interessiert. Die Verknüpfungen zur Trump Administrative etwa sind papier dünn und das aus drei Morden in einer U-Bahn in einer angeblich so kaputten Stadt wie Gotham eine Revolte ausbricht, ist dann auch nicht sonderlich glaubwürdig. Zumal diese für den Plot wichtige Revolte dann auch wieder beinahe nur in Dialogen thematisiert wird - ein Thema, über das ich mich in anderen Threads genug ausgelassen habe. :wink: Wenn ich an einen wahnsinnig vielschichtigen Film wie Taxi Driver oder an ein psychologisches Meisterwerk wie Clockwork Orange denke, dann kommt mir Joker leider erstaunlich hohl vor, zumindest als nicht gehaltvoller als seine jährlichen Comicverfilmungs-Kameraden. Aber vielleicht sollte ich von einem Film, der sich lose am 70er Jahre New Hollywood Kino orientiert, um einem bekannten Batman-Gegner eine Hintergrund-Geschichte zu verpassen, auch keinen zu tiefsinnigen Film erwarten und vielleicht ist meine Erwartungshaltung hier zu hoch.

Aber um den Bogen zu Ledger zu spannen: an die Komplexität der Nolan-Filme (wie man nun zu ihnen stehen möchte, sei dahingestellt) kommt Phillips hier nicht heran und es ist im Hinblick auf genau diesen Film nur wieder umso erstaunlicher, wie selbstsicher Nolan dreimal in Folge klassische Action-Unterhaltung mit tieferen Inhalten zu verknüpfen gelungen ist. Auch wenn es dafür sicherlich wieder genug Meinungen gibt, die das auch anders bewerten. Aber für mich ist The Dark Knight nicht nur ein um Welten tiefgründigerer Film als Joker, auf ihn würde ich den Begriff Gesellschaftskritik oder eher Gesellschaftsstudie wirklich gelten lassen - und mit dem moralischen Verfall des Harvey Dent erzählt er sogar dieselbe Geschichte wie Joker ganz nebenbei und psychologisch sehr viel tiefschürfender. Allerdings gilt: Wenn euch Joker in der Hinsicht viel gegeben hat, will ich euch das natürlich nicht nehmen. Ich wünschte nur, mir wäre dieselbe Ansicht vergönnt gewesen. :)
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Re: Der Batman-Thread

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Casino Hille hat geschrieben: 13. Oktober 2019 19:27 Wie einige jetzt den Phoenix (Der ja nicht schlecht ist) über den Ledger stellen können, ist mir unbegreiflich. Das eine ist eine schauspielerisch exzellente Leistung, und das andere eine Performance für die Ewigkeit, die in die Popkultur in Nullkommanichts einging und über die man noch Jahrzehnte reden wird. Und das in einem Film(genre), das bis dahin eher belächelt wurde.
Ist das denn so? Ich habe nur, um heute ruhig schlafen zu können mal "Joker-Ranking" gegoogelt und mir die ersten paar Einträge angesehen und da stehen Ledger und teils auch Hamill in der Regel noch deutlich vor Phoenix. Irgendwo gab es sogar eine ziemlich kritische Auseinandersetzung mit der Neuadaption der Figur, zwar wurde Phoenix' Schauspiel gelobt aber die Entwicklung der Figur kritisiert.

Ansonsten sehr viel Zustimmung zu deinem Beitrag (eigentlich all deinen Beiträgen hier im Thread), genau das meinte ich mit der Krankenhausszene und dass mir das Drama um die Morde in ausgerechnet einer Stadt wie Gotham etwas unglaubwürdig erschien habe ich ja auch schon angemerkt. Insgesamt sehe ich den Film wohl doch noch etwas positiver, einfach weil er in seiner Präsentation fast durchgehend sehr stimmungsvoll aufgebaut war, aber für mich passt bei allen sicher vorhandenen Stärken einfach so manches nicht ganz zusammen.
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Re: Der Batman-Thread

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Die Frage, die sich mir bezüglich der Herkunft des Jokers stellt:
Spoiler
Normal ist der Joker in den Comics mit dem Namen Jack Napier behaftet. Wenn der Film hier uns einen "Arthur Fleck" serviert und sich im Rahmen des Films erst andeuten soll, dass es sich um einen Spross aus einer angeblichen Affäre zwischen Thomas Wayne und Penny Fleck handelt, es sich dann um einen von Penny Fleck adoptierten Jungen handelt, da hält man sich eigentlich auch die Option offen, ob Penny Fleck dem adoptierten Sohn den Namen "Arthur" gegeben hat, er jedoch ein gebürtiger Jack Napier ist. Aber das wird ja nicht eindeutig vom Film beantwortet und falsche Fährten können damit auch gelegt worden sein.
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Re: Der Batman-Thread

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Ich glaube, da bringst du etwas durcheinander. Der klassische und kanonische Joker hat meines Wissens weder einen Namen noch eine eindeutig definierte Herkunftsgeschichte, Jack Napier ist eine Erfindung des 89er-Films. Mögliche Backstorys waren immer nur sehr vage und mit bewusst offenen Möglichkeiten (wie z.B. in Alan Moores Killing Joke, das ja sicher jeder hier gelesen hat, und wenn nicht, fix nachholen) oder gleich Teil einer eindeutigen Elseworld-Story, die also bewusst ihr ganz eigenes Ding durchzieht, so wie z.B. der neue Film. Der soll absolut eigenständig und ein alternativer Ansatz an die Figur sein (auch wenn ich denen ein Sequel durchaus zutrauen würde, ich bleibe vorerst misstrauisch).
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