Nico hat geschrieben: 18. Januar 2020 23:59
Da muss ich aber dann doch auch mal meine Verwirrung in den Raum werfen: Noch mehr als Hitler unterscheidet sich hier doch Goebbels vom Original. Wie Groth den darstellt, ist zwar ziemlich genial, aber niemand würde auch nur im Ansatz auf die Idee kommen, dass er Joseph Goebbels verkörpert, wenn man es nicht wüsste. Wie kannst du damit weniger ein Problem haben als mit dem Wuttke-Hitler?
Ich finde Groth hat die typischen Manierismen da schon ziemlich gut drauf. Vor allem durch das Gestikulieren, den rheinischen Dialekt und die leutselige Jovialität wird das Original wie ich finde schon gut getroffen. Klar, dass ist natürlich alles bis in Comic-hafte übertrieben, aber im Kern sind da viele Sachen, die man so oder so ähnlich gemeinhin auch dem echten Goebbels zuschreibt. Goebbels zu spielen ist aber eh keine besonders einfache Aufgabe, da der Kerl wohl auch in Echt eine ziemlich operettenhafte Persönlichkeit war. Das nachzuahmen gerät dann leicht in den Verdacht des Overactings, ich denke da beispielsweise an Moritz Bleibtreus Darstellung in Oskar Röhlers Jud Süss, in welchem er seine Interpretation auch zwischen übertrieben-lauter Jovialität und bitterböser Kaltblütigkeit anlegt. Von daher bin ich mir noch nicht mal so sicher, ob auch in Groth scheinbar so übertriebener Darstellung am Ende vielleicht nicht doch viel mehr von der Realität mit drin steckt, als man das glauben würde.
GoldenProjectile hat geschrieben: 19. Januar 2020 00:47
Da sind wir voll auf einer Wellenlänge. Es ist nicht matchentscheidend bzw. filmentscheidend, aber es ist ein unnötig mieses erklärender Handlungselement, das dem Schlussakt bei genauerer Überlegung zumindest einen bitteren Beigeschmack gibt.
Du meinst bitteren Nachgeschmack, weil dadurch die verbleibenden Mädels moralisch schlechter wegkommen? Spielt das überhaupt eine Rolle bei dem, was sie am Ende mit Stuntman Mike abziehen? Klar, Tarantino inszeniert das clever genug, dass die Mädels aufgrund der vorangegangenen 100 Minuten quasi das moralische Recht auf ihrer Seite haben, aber eigentlich haben sie das ja eben nicht weil sie in letzter Konsequenz auch nichts anderes machen als Mike, nämlich ihre Überlegenheit willkürlich ausspielen. Von daher spielt es für mich eigentlich auch keine Rolle mehr, dass sie das nervende Cheerleader-Mäuschen bei einem potenziellen Geistesverwandten der Hillbillys aus Boormans Deliverance abladen. Oder besser gesagt: es kündigt indirekt schon das Ende an, denn wenn die Tanten schon so skrupellos gegenüber ihrer eigenen Freundin vorgehen, dann sollte Mikes finales Schicksal auch niemanden mehr überraschen.
GoldenProjectile hat geschrieben: 19. Januar 2020 00:47
An alle Fans des Gefreiten Butz: Ist euch bekannt bzw. aufgefallen, dass Sönke Möhring später als "Scharführer Walter Fratzer" mit seiner französischen Freundin ("Amour, Babette") auf Autogrammjagd beim Schützen Zoller geht?
Ja, aber nicht optisch (der platinblondierte Möhring ist erstaunlich effektiv verändert worden), sondern aufgrund der typisch Möhringschen Aussprache. Ich glaub, die sprechen alle so in der Familie, der Wotan klingt auch genau so.
Nico hat geschrieben: 19. Januar 2020 00:56
Jaja, da hast du ja absolut recht! Die Frage ist nur, ob Micky das auch wusste. Erscheint mir ehrlich gesagt nicht sonderlich wahrscheinlich und das ist es, worauf ich hinaus wollte. Ich nehme Hickox also durchaus ab, in Unwissenheit über die Verbreitung und Varietäten der deutschen Sprache, in einer spontan dahingeschusterten Ausrede dem August klar machen zu wollen, dass in diesem Dorf alle so reden wie er.
Genau da hakt das Ganze dann auch für mich. Auch der in Dialekten und Akzenten nicht ganz so geübte Durchschnittsdeutsche kann normalerweise anhand der Aussprache ganz gut bestimmen, aus welchem Eck des Landes/Sprachraums jemand kommt. Vielleicht kann man keinen Schwaben vom Badener oder einen Sachsen vom Thüringer unterscheiden, aber zumindest kann man die Region gut zuordnen. Das gilt auch für Akzent beim (Versuch) Hochdeutsch (zu) sprechen, denn irgendetwas charakteristisches bleibt eigentlich immer übrig (sonst wäre es ja auch kein Akzent). Und die Art und Weise wie Fassbender spricht, lassen wir mal außen vor, ob es ihn nun als Brite verrät oder nicht, passt einfach zu keinem dieser übriggebliebenen Dialektcharakteristiken. Hinzu kommt, dass gerade Bewohner der schweizer Bergwelt gemeinhin ein recht starker Dialekt und entsprechend Akzent unterstellt wird. Das in Kombination mit der Aussage, dass im PizPalü-Kaff alle so sprechen ist dann wie ich finde einfach vollkommen unglaubwürdig. Daher frage ich mich an dieser Stelle eigentlich immer: ist Tarantino so clever, dass er das alles genau weiss und es bewusst einsetzt, um die Absurdität von Fassbenders Geschichte und damit letztlich die gesamte – recht dilettantisch aufgezogene – Operation Kino der Allierten weiter ins Lächerlich zu ziehen oder hat er einfach keine Ahnung davon und Fassbenders Geschichte soll ein besonders cleverer Ausbund an Kreativität sein. Ich bin hin und hergerissen, denn einerseits passt die erste Variante sehr gut dazu, dass die Alliierten und Aldos Kommandotrupp im Speziellen fast durchgängig als ziemliche Doofköppe dargestellt werden, aber andererseits macht die Drei-Finger-Bestellung dann eben wenig Sinn, da ja bereits zuvor eigentlich alles klar ist.
Casino Hille hat geschrieben: 19. Januar 2020 02:05
In meinen Augen sind es Szenen wie diese, in denen Tarantino mehr leistet als mit seinem technischen Können zu überzeugen oder seinem filmenzyklopädischen Wissen anzugeben. Hier erweist er sich als intelligenter und mutiger Filmemacher, der nichts dem Zufall überlässt und sich mit einfachen Dingen nicht zufrieden gibt, der Schwarz-Weiß-Denken nicht gedankenlos bedient.
Ich bin mir da nicht ganz so sicher wie du. Denn dafür funktionieren viele von Tarantinos Film im Hinblick auf die gezeigte Moral am Ende doch zu eindeutig. Klar, in IB werden die Amis als tumbe Holzköpfe dargestellt und der Nazi-Protagonist als das intellektuell turmhoch überlegene Cleverle, aber Ende obsiegt dann ja doch wieder das „Gute“ im Sinne eines eher einfachen Schwarz-Weiss-Moraldenkens. Nix gegen das Ende von IB, das ist super und absolut perfekt, spiegelt aber eben auch eine einfache Moral wieder, die sich häufig bei Tarantino finden lässt. Ob das nun die bösen Skalvenhalter sind, die ultracool niedergemäht werden, die hinterhältig-bösartigen Hippies, denen ordentlich der zensiert versohlt wird oder eben ein sadistischer Frauen-Mörder, der eine Kostprobe seiner eigenen Medizin verabreicht bekommt. Am Ende behält hier immer die Gruppe die Oberhand, die die allgemein gültige Moral auf ihrer Seite weiss. Klar, Tarantino lässt sie alle auch böse und ambivalent handeln, aber die übergeordnete Moral ist bei ihm eigentlich eher simpel geprägt. Von daher finde ich das Ende von DP dann doch nicht ganz so clever und intelligent wie du, wie ich mir auch nicht so sicher bin, dass er das Ende nicht eher als Verbeugung vor der Coolness des Subgenres wissen will denn als Quasi-Anprangerung von eben jenem.