Re: Der Kriegsfilm - Teil 1

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GoldenProjectile hat geschrieben: Ich muss zwar zugeben, dass ich historische Aufnahmen in denen Hitler zu sehen ist (noch) nie mit grossem Interesse studiert habe, dennoch frage ich mich, wo du in Ganz' Darstellung solch gravierende Abweichungen zur Vorlage siehst. Waren nicht eben gerade die merkwürdige Aussprache, die bizarr überspitzten jähzornigen Momente und dazwischen die fast schon manisch fokussierten leisen Töne Hitlers Markenzeichen? Zumindest stelle ich mir Hitler ehrlich gesagt ziemlich genau so vor, wie Ganz in verkörpert. Überhaupt habe ich bisher noch keine Hitler-Darstellung in einem Spielfilm als unpassend empfunden. Mag aber sein, dass die oberflächlichen Eigenschaften der Person Hitler leicht zu spielen sind und die Schwächen und Abweichungen leicht verschleiern, falls du das meinst.

Selbe Frage zu Speer und Goebbels.
Hitler hatte eine recht tiefe Stimme, Ganz Stimme dagegen ist schrill und eher hoch. Hitler hatte diesen etwas stakkatohaften Sprechryhtmus, zumindest wenn er sich in Rage geredet hat, der gerne karrikiert wird, davon ist bei Ganz nix zu hören. Er macht zwar sowas ähnliches, das hat aber mit dem Original wenig gemein. In seiner Darstellung unterscheidet er sich nicht gravierend von diversen anderen, die ich von Ganz kenne. Vor einigen Tagen wurde hier DiCaprio vorgeworfen, dass er in Revenant nicht in der Rolle aufgehen würde, sondern man im Prinzip immer DiCaprio sehen würde. Das kann man sicher so sehen, aber das ist bei Ganz noch in viel stärkerem Maße der Fall. Ich habe prinzipiell nix gegen Ganz Darstellung (ich hätte es mir zwar etwas subtiler gewünscht, aber auch in Rage ist er in seiner Intensität schon gut), aber da er die vielleicht am meisten medial gezeigte Figur der Weltgeschichte darstellt erwarte ich da schon etwas mehr Bemühung sich dem historischen Original anzunähern, zumal er optisch Hitler ja auch nicht wirklich ähnlich sieht. Goebbels rheinischer Dialekt gibt es zwar auch bei Matthes, aber ich habe den typischen Goebbels-Singsang vermisst. Olli Dittrich hatte das z.B. sehr gut hinbekommen in dem Stauffenberg-Tv-Film vor ein paar Jahren, selbst Bleibtreu fand ich besser in der Rolle in Jud Süss. Heino Ferch als Speer ist eigentlich schon per Definition ein Widerspruch in sich. Ferch ist immer Ferch, egal was er spielt, so auch als Speer. Eine typische Star-Besetzung für eine Rolle, die einen wandelbaren Charakterdarsteller erfordert hätte.
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Re: Der Kriegsfilm - Teil 1

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Okay, verstanden und akzeptiert. Aber du musst zugeben, dass das alles leicht auszublenden ist bzw. gar nicht erst wirklich auffällt, wenn man die realen Charaktere nie wirklich seriös studiert hat. Ich habe mir vorhin, motiviert durch deinen Beitrag, Goebbels' Sportspalastrede und zehn Minuten öffentliches Adolfsgeschrei angetan, nur ist es halt schwierig, von solchen durchstrukturierten Propagandatiraden auf das Verhalten der Personen hinter den Kulissen zu schliessen (auf welches Der Untergang ja weitgehend abzielt). Schlussendlich ist es ja auch "nur" ein Spielfilm und keine Dokumentation oder bebilderte Geschichtsstunde, daher verzeihe ich ihm dramaturgische Anpassungen und darstellerische Freiheiten auch, da sie a) wie bereits erwähnt mir sowieso nicht wirklich drastisch aufgefallen sind und b) der Film ja anscheinend sehr genau beim historischen Sachverhalt bleibt und eine nüchterne Perspektive auf das Nazitum anbietet. Bezüglich der Darsteller: Hierin scheint Der Untergang ja sowieso ziemlich glamourös und prestigeträchtig besetzt, als Fast-Nichtkenner der deutschen Filmszene ist mir zwar Heino Ferch kein Begriff, aber ich habe zumindest Kretschmann in einer kleineren und Gnädinger in einer winzigen Rolle (als Göring) erkannt.
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Re: Der Kriegsfilm - Teil 1

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GoldenProjectile hat geschrieben:Okay, verstanden und akzeptiert. Aber du musst zugeben, dass das alles leicht auszublenden ist bzw. gar nicht erst wirklich auffällt, wenn man die realen Charaktere nie wirklich seriös studiert hat.
Wie gesagt finde ich Ganz Darstellung an sich ja nicht schlecht, gerade in Bezug auf Müdigkeit und Ausgebranntheit, die er seiner Figur verleiht. Würde er einen fiktiven Charakter spielen wäre ich vermutlich auch etwas nachsichtiger, wenngleich mir hier wie schon erwähnt trotzdem etwas das Subtile fehlt. Die Frage ist hier letztlich, ob man bei einer historischen Figur bereit ist eine freie(re) Interpretation (sowohl äusserlich als auch darstellersich) zu akzeptieren. Angesichts des eigenen Anspruchs, den der Film bei Veröffentlichung vollmundig erhob ("wir zeigen Hitler erstmals so, wie er wirklich war") finde ich das dann aber schon etwas problematisch, denn entweder man will der historischen Figur Hitler auf den Grund gehen, dann aber bitte auch richtig und möglichst originalgetreu, oder man zeigt ihn als darstellerische Interpretation nach dem Motto "hauptsache Schnauzbart und Scheitel, alles andere ist eh nicht so wichtig". Aber das eine anzustreben und das andere zu machen passt nicht zusammen.
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Re: Der Kriegsfilm - Teil 1

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Ich finde du übertreibst hier etwas. Völlig an der historischen Vorlage vorbei wäre Ganz' Darstellung, wenn er Hitler so gespielt hätte wie Freeman Mandela verkörpert hat. Blödes und sehr spontanes Beispiel, ich weiss, aber ich hoffe du verstehst was ich meine: Den Unterschied zwischen einer eigenständigen Interpretation mit einigen Freiheiten und der Verkörperung einer vollkommen anderen Figur, die im Untergang nur rein zufällig den Namen Hitler trägt. Den Punkt, dass Ganz Hitler optisch nicht ähnlich sieht, zieht wie ich finde auch nicht wirklich. Es kommt wohl nur in den seltensten Fällen vor, dass ein Schauspieler seinem historischen Vorbild aufs Haar gleicht. Ausserdem, welcher Darsteller des ollen Adolf sieht ihm schon wirklich ähnlich? Moretti? Wuttke? Hopkins? Bamber? Schneider? Carlyle? Guinness? Wohl keiner von denen. Seien wir ehrlich: Was Hitler optisch ausmacht(e) sind der Schnurrbart, die Frisur, die Uniform. Die eigentlichen Gesichtszüge verschwinden darunter fast.

Vielleicht bin ich in dieser Ansicht zu oberflächlich und/oder historisch zu wenig bewandert, doch ich sehe einfach nicht, was an Ganz' Verkörperung so grundlegend verkehrt sein soll. Aber ich halte ja auch Pitt für einen wandelbaren Schauspieler... :wink:
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Re: Der Kriegsfilm - Teil 1

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GoldenProjectile hat geschrieben:Ich finde du übertreibst hier etwas. Völlig an der historischen Vorlage vorbei wäre Ganz' Darstellung, wenn er Hitler so gespielt hätte wie Freeman Mandela verkörpert hat. Blödes und sehr spontanes Beispiel, ich weiss, aber ich hoffe du verstehst was ich meine: Den Unterschied zwischen einer eigenständigen Interpretation mit einigen Freiheiten und der Verkörperung einer vollkommen anderen Figur, die im Untergang nur rein zufällig den Namen Hitler trägt. Den Punkt, dass Ganz Hitler optisch nicht ähnlich sieht, zieht wie ich finde auch nicht wirklich. Es kommt wohl nur in den seltensten Fällen vor, dass ein Schauspieler seinem historischen Vorbild aufs Haar gleicht. Ausserdem, welcher Darsteller des ollen Adolf sieht ihm schon wirklich ähnlich? Moretti? Wuttke? Hopkins? Bamber? Schneider? Carlyle? Guinness? Wohl keiner von denen. Seien wir ehrlich: Was Hitler optisch ausmacht(e) sind der Schnurrbart, die Frisur, die Uniform. Die eigentlichen Gesichtszüge verschwinden darunter fast.

Vielleicht bin ich in dieser Ansicht zu oberflächlich und/oder historisch zu wenig bewandert, doch ich sehe einfach nicht, was an Ganz' Verkörperung so grundlegend verkehrt sein soll. Aber ich halte ja auch Pitt für einen wandelbaren Schauspieler... :wink:
Die Kritik richtet sich auch nicht in erster Linie an Ganz Aussehen, sondern an die Tatsache, dass er darstellerisch wenig bis gar nichts versucht, um seine Interpretation ans Original anzulehnen. Dann erst kommt der Aspekt der fehlenden Ähnlichkeit verstärkend dazu. Mein Hauptkritikpunkt ist und bleibt: Ganz spielt Ganz als Hitler verkleidet. Den Vergleich zu Freemans Mandela finde ich da übrigens sogar ziemlich treffend.
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Re: Der Kriegsfilm - Teil 1

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Ich sehe das Hauptproblem im falschen Sprachduktus, der einfach nicht authentisch wirkt bzw. ist. Es ist der klassische Fehler der allermeisten Film-Hitlers, ihn permanent im Reichsparteitags-Duktus parlieren zu lassen, was ausgemachter Blödsinn ist (das war bis ins kleinste Detail einstudiert und für öffentliche Auftritte vorbehalten). Gerade bei einem Film der den Dikator in den Mittelpunkt stellt und endlich mal authentisch sein will sowie den privaten Hitler zeigen will, ist das ein ebenso unverzeihlicher wie ärgerlicher Fehler.
http://www.vodkasreviews.de

https://ssl.ofdb.de/view.php?page=poste ... Kat=Review

Re: Der Kriegsfilm - Teil 1

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vodkamartini hat geschrieben:Ich sehe das Hauptproblem im falschen Sprachduktus, der einfach nicht authentisch wirkt bzw. ist. Es ist der klassische Fehler der allermeisten Film-Hitlers, ihn permanent im Reichsparteitags-Duktus parlieren zu lassen, was ausgemachter Blödsinn ist (das war bis ins kleinste Detail einstudiert und für öffentliche Auftritte vorbehalten). Gerade bei einem Film der den Dikator in den Mittelpunkt stellt und endlich mal authentisch sein will sowie den privaten Hitler zeigen will, ist das ein ebenso unverzeihlicher wie ärgerlicher Fehler.
Okay, okay. Das verstehe ich. macht Sinn.
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Re: Der Kriegsfilm - Teil 1

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Ich finde auch den "Reichsparteitags-Modus" wenig überzeugend, auch das klingt nur entfernt nach dem Original. Auch wenn es härter klingt als es gemeint ist: Ganz ist im Untergang am besten, wenn er nix sagt.
Zuletzt geändert von AnatolGogol am 30. Januar 2016 14:44, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Der Kriegsfilm - Teil 1

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vodkamartini hat geschrieben:Es ist der klassische Fehler der allermeisten Film-Hitlers, ihn permanent im Reichsparteitags-Duktus parlieren zu lassen, was ausgemachter Blödsinn ist
Das ist natürlich absolut korrekt und sicherlich ein echter Kritikpunkt an "Der Untergang" und auch an Ganz Darstellung.
https://filmduelle.de/

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Re: Der Kriegsfilm - Teil 1

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Wie stehen die gestandenen Genrefachmänner zu Terrence Malicks The Thin Red Line?

Ich habe ihn eben gesehen und bin hin und weg. Der Film funktioniert auf allen erdenklichen Ebenen, sei es als atemloses und dynamisches Kriegsspektakel, als kritische Auseinandersetzung mit dem Kriegsthema, als dreidimensionale Studie der Männer hinter den Waffen und Uniformen oder als fast schon spirituelle Auseinandersetzung mit dem Pazifikkonflikt im Zweiten Weltkrieg. Malicks Inszenierung vereint all diese Ebenen mühelos und ist von einer beständigen Makellosigkeit in der majestätischen und nuancierten Kameraführung, der visuellen Einbindung von Flora und Fauna und dem faszinierenden Kontrast zwischen Schönheit und Gewalt. Das vielgesichtige Starensemble (Caviezel, Chaplin, Penn, Cusack, Koteas, Brody, Reilly, Leto, Travolta, Savage, Harrelson, Clooney und viele mehr) ist durchgehend bärenstark, aber sie alle müssen sich hinten anstellen bei der Ausnahmeleistung des sensationellen Nick Nolte, der die erste Filmhälfte förmlich an sich reisst.

Ich habe grosse Lust, ihn mir demnächst gleich noch einmal anzusehen, was durchaus passieren könnte.
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Re: Der Kriegsfilm - Teil 1

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GoldenProjectile hat geschrieben:Wie stehen die gestandenen Genrefachmänner zu Terrence Malicks The Thin Red Line?

Ich habe ihn eben gesehen und bin hin und weg. Der Film funktioniert auf allen erdenklichen Ebenen, sei es als atemloses und dynamisches Kriegsspektakel, als kritische Auseinandersetzung mit dem Kriegsthema, als dreidimensionale Studie der Männer hinter den Waffen und Uniformen oder als fast schon spirituelle Auseinandersetzung mit dem Pazifikkonflikt im Zweiten Weltkrieg. Malicks Inszenierung vereint all diese Ebenen mühelos und ist von einer beständigen Makellosigkeit in der majestätischen und nuancierten Kameraführung, der visuellen Einbindung von Flora und Fauna und dem faszinierenden Kontrast zwischen Schönheit und Gewalt. Das vielgesichtige Starensemble (Caviezel, Chaplin, Penn, Cusack, Koteas, Brody, Reilly, Leto, Travolta, Savage, Harrelson, Clooney und viele mehr) ist durchgehend bärenstark, aber sie alle müssen sich hinten anstellen bei der Ausnahmeleistung des sensationellen Nick Nolte, der die erste Filmhälfte förmlich an sich reisst.

Ich habe grosse Lust, ihn mir demnächst gleich noch einmal anzusehen, was durchaus passieren könnte.
Für mich auch so ein faszinierender Über-Film.

Da kannst du dir auch gleich noch eine Dröhnung mit Tree of Life holen, der da ähnlich überwältigend ist. Die neueren Malick Filme funktionieren dann aber nicht mehr so gut, denke ich jedenfalls bislang.

Re: Der Kriegsfilm - Teil 1

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vodkamartini hat geschrieben:Seit dem Kino damals nicht mehr gesehen, müsste ich erst mal wieder sichten. :wink:
Mensch, da wirst du dir selber aber gar nicht gerecht. :)
Maibaum hat geschrieben:Da kannst du dir auch gleich noch eine Dröhnung mit Tree of Life holen, der da ähnlich überwältigend ist. Die neueren Malick Filme funktionieren dann aber nicht mehr so gut, denke ich jedenfalls bislang.
Tree of Life will ich genau wie Days of Heaven noch sehen, Knight of Cups kenne ich aus dem Kino und fand ihn okay. Die komplette Auflösung sämtlicher konventioneller Erzähltechniken empfand ich als wenig packend (anders als bei Inland Empire, der genau richtig war) und Bales permanentes monologisieren aus dem Off ging mir irgendwann auf den Geist. Dafür konnte ich mich prächtig von den völlig losgelösten Bildern berieseln lassen.

Thin Red Line hat auch viele Off-Monologe, aber von wechselnden Charakteren und nur dort, wo sie auch hingehören. Ausserdem gelingt es Malick wunderbar, die "normale" Kriegsgeschichte mit seiner spirituellen visuellen Auseinandersetzung mit der Natur zu kombinieren, und beides ergänzt und bereichert sich gegenseitig.
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