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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Für eine Handvoll Dollar
Ob es die extremen Nahaufnahmen von Gesichtern, der schnelle Wechsel zwischen der Hand, dem Gesicht und dem Colt oder die immer wieder irritierenden Supertotalen sind: Der Italowestern und seine Mechanismen sind im popkulturellem Gedächtnis zentral verankert. Drei Namen sind dabei sogar bis heute untrennbar mit dem Italowestern verbunden. Denn als 1964 ein kleines, für wenig Geld in Spanien produziertes Western-Abenteuer das Licht der Welt erblickte, schockierten seine hemmungslosen Gewaltdarstellungen und fehlenden moralischen Werte nicht wenige, doch es rechnete dabei gleichzeitig auch ohne wenn und aber mit dem amerikanischstem aller Heldentypen ab: Dem edlen Cowboy, der wacker im Sattel sitzend für Recht und Ordnung eintritt. Ein aufrechter, konservativer Hüter des Gesetzes, der schneller "moralisierend" sagen kann, als irgendwer anders schießen. Drei Namen, die 1964 für eine grundlegende Änderung dieses Motivs sorgten: Sergio Leone, Clint Eastwood und Ennio Morricone.
Beinahe alles, was an Leones Meilenstein revolutionär war, lässt sich am Protagonisten ableiten: Eastwoods Pistolero, der von allen nur "Joe" genannt wird, ist kein Held, kein Sympathieträger. Er ist ein Gesetzloser, intelligent, skrupellos, verschlagen und brand gefährlich. Wenn er sich dazu entschliesst, die verfeindeten Banden der Rojos und Baxters gegeneinander auszuspielen, geschieht dies nicht aus Nächstenliebe zu den gepeinigten Dorfbewohnern (die ohnehin nur minimalen Handlungseinfluss haben), Altruismus ist in "Für eine Handvoll Dollar" ein Fremdwort ohne Inhalt. Joe ist einzig und allein am persönlichem Vorteil interessiert. Er schmiedet Intrigen und mordet ohne zuckende Wimpern, danach will er den Ort verlassen, wie er gekommen ist - den Zigarillo im Mund, den Poncho umgehängt und die Augen zusammen gekniffen, aber um eine Handvoll Dollar reicher. Clint Eastwood verkörpert all das: die unbändige Coolness und Männlichkeit, die Striktheit, das Entschlossene, aber auch den Verlust jeder Empathie und Gewissensstrukturen. Nur einmal spricht Joe von "Unrecht" und handelt ohne Eigennutzen. Eine Tat, auf die die unmittelbare Enttarnung seiner Geheimaktivitäten folgt. Doch Leone inszeniert dies nie als heroische Märtyrer-Qual auf dem Weg zur christlichen Absolution im Himmelsreich, sondern als das, was es ist: Eine Bestrafung für ein Handeln nach gesellschaftlichen Konventionen. Dieser bittere lebensverneinende Zynismus zeichnet Eastwoods Spiel zusätzlich aus: er ist ein einsamer Wolf und dazu bestimmt, ein einsamer Wolf zu bleiben.
Die Regie genießt derweil das symbolische Motivspiel und ergötzt sich einer Ästhetik, die nie die großen Geschütze auffahren muss, um ihre Wirkung vollends zu entfalten. Durch die zwei rivalisierenden Banden, zwischen denen der Eastwood-Charakter sich mittig platziert, bot sich ein Spiel mit Gegensätzen und Kontrasten gerade zu an: Kaum erwähnenswert daher, dass der brennende Wüstensand und die hell flackernde Sonne am wolkenlosen Himmel das niedere und folglich "düstere" Treiben der Akteure nur konterkarieren. Leones Stil kann jedoch weitaus mehr, etwa wenn auf grandiose Art und Weise mit Ton und Stille gespielt wird, sodass ein Schuss in der Nacht auch nicht anders klingt als eine große Explosion bei Tag. Zu bewundern ist außerdem Leones mehr als gekonntes Farbspiel im Bildaufbau: Nicht selten wirkt die Dunkelheit im Vordergrund heller als das flackernde Lagerfeuerlicht am Bildrand, und selbst die naheliegend einfache Symbolik des in der Mitte stehenden Saloons als Joes Bleibe und die gegenüberliegende Position des Rojo und Baxter Sitzes bekommen bei Leone ein Gesicht, eine Farbe, einen eigenen Anstrich. Die gelungenen Schauspielleistungen der Rojo-Brüder (fabelhaft: Gian Maria Volonté, ebenfalls ansprechend: Sieghardt Rupp), das gekonnte Weglassen von Informationen (wie dem Nicht-Zeigen der Entführung des Baxter-Sohnes) oder die interessante dominante Frauenrolle im Sitz der Baxter runden einen hervorragenden Gesamteindruck entsprechend ab.
Als letzter steht Ennio Morricone auf der Liste, der diesen Klassiker ganz besonders veredelte und in vieler Hinsicht an den Charakter des Sargtischlers Piripero erinnert, welcher Joe bei seinen Gräueltaten beklatscht und umjubelt. Morricones Score ist in Teilen als anarchische Zerdröselung sämtlicher Standards für klassische Filmmusik zu bezeichnen, in Wahrheit aber noch weit mehr als nur das. Schon zum gnadenlos stilisierten Opening offenbart Morricones Musik, dass sie nicht dazu gedacht ist, den Inhalt zu unterstreichen oder verstärkend die Atmosphäre zu bereichern, sondern oft zur eigentlichen Substanz des Geschehens werden will. Das eingängige Leitthema, dass mit einigen wirren Klängen und einem nicht nachgiebigem Pfeifen aufwartet, ist melodisch nicht etwa eine Komposition mit dem Wunsch nach Konformität, sondern der Fixpunkt von Regie und Bildaufbau und spielt sich bewusst immer wieder in den Vordergrund, wächst über die simple Bedeutung des "Filmsoundtracks" hinaus. Stilprägend, aufgesetzt, aber stets sinnig gestaltet Morricone so eine ganz eigene Handlung, die mal als Parallele zu Leones Film läuft oder diese wie eine Tangente nur kurz schneidet. Als besonderer inszenatorischer Genuss sei damit die Szene genannt, in der die Baxter den Gang zum Abendessen bei den Rojos antreten - wie hier Filmhandlung, Musikhandlung und die Inszenierung beider Elemente einen gemeinsamen Orgasmus an Stil anstreben, ist bemerkenswert schlicht wie tiefgründig.
Fazit: Was "Für eine Handvoll Dollar" Mitte der 60er losgetreten hat, lässt sich heute kaum noch nachvollziehen. Eine Vielzahl an Kultfilmen (und Unmengen an schnell produzierten Plagiaten) wurden direkt von Leones einzigartigem Stil inspiriert, bis heute sind wesentliche Gestaltungsmerkmale noch präsent. Gleichzeitig steigerte sich auch die Gewaltdarstellung in den Folgejahren: Während hier noch etwa drei Dutzend Männer bei Schießereien ohne Einschusslöcher ihre Todespirouetten drehen, sollten Blut und Massentode immer drastischer und eindringlicher Einzug in den Italowestern erhalten. Zurecht war der Einfluss Leones, Eastwoods und Morricones auf diese Welle enorm, zeichnet sich "Für eine Handvoll Dollar" schließlich auch noch heute als ein bemerkenswert hochklassig inszenierter Film aus, dessen Spannung sehr direkt greifbar wird und der mit weiteren Sichtungen sogar noch an Effizienz und Wirkung zunimmt - wenngleich das ganz große Moment, dass den Meilenstein zum Meisterwerk machen würde, ausbleibt.
9/10
https://filmduelle.de/
Let the sheep out, kid.