Welches ist der beste Leone-Film?

1960: Der Koloß von Rhodos (Il colosso di Rodi) (Keine Stimmen)
1964: Für eine Handvoll Dollar (Per un pugno di dollari)
Insgesamt abgegebene Stimmen: 1 (6%)
1965: Für ein paar Dollar mehr (Per qualche dollaro in piu) (Keine Stimmen)
1966: Zwei glorreiche Halunken (Il buono, il brutto, il cattivo)
Insgesamt abgegebene Stimmen: 7 (39%)
1968: Spiel mir das Lied vom Tod (C’era una volta il West)
Insgesamt abgegebene Stimmen: 5 (28%)
1971: Todesmelodie (Giù la testa) (Keine Stimmen)
1973: Mein Name ist Nobody (Il mio nome è Nessuno)*
Insgesamt abgegebene Stimmen: 1 (6%)
1984: Es war einmal in Amerika (Once Upon a Time in America)
Insgesamt abgegebene Stimmen: 4 (22%)
Insgesamt abgegebene Stimmen: 18

Re: Der Sergio Leone Thread

64
Maibaum hat geschrieben:Ran war aber nicht Kurosawas Letzter. Nicht mal Vorletzter.
Gut dass du es nochmal gesagt hast, sonst hätte ich bestimmt wieder vergessen. :wink: :lol:
Maibaum hat geschrieben:Charly Wilson's War ist cool.
Nö, typischer Hollywooddurchschnitt.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Dollar-Trilogie: Die Erste!

72
Für eine Handvoll Dollar

Ob es die extremen Nahaufnahmen von Gesichtern, der schnelle Wechsel zwischen der Hand, dem Gesicht und dem Colt oder die immer wieder irritierenden Supertotalen sind: Der Italowestern und seine Mechanismen sind im popkulturellem Gedächtnis zentral verankert. Drei Namen sind dabei sogar bis heute untrennbar mit dem Italowestern verbunden. Denn als 1964 ein kleines, für wenig Geld in Spanien produziertes Western-Abenteuer das Licht der Welt erblickte, schockierten seine hemmungslosen Gewaltdarstellungen und fehlenden moralischen Werte nicht wenige, doch es rechnete dabei gleichzeitig auch ohne wenn und aber mit dem amerikanischstem aller Heldentypen ab: Dem edlen Cowboy, der wacker im Sattel sitzend für Recht und Ordnung eintritt. Ein aufrechter, konservativer Hüter des Gesetzes, der schneller "moralisierend" sagen kann, als irgendwer anders schießen. Drei Namen, die 1964 für eine grundlegende Änderung dieses Motivs sorgten: Sergio Leone, Clint Eastwood und Ennio Morricone.

Beinahe alles, was an Leones Meilenstein revolutionär war, lässt sich am Protagonisten ableiten: Eastwoods Pistolero, der von allen nur "Joe" genannt wird, ist kein Held, kein Sympathieträger. Er ist ein Gesetzloser, intelligent, skrupellos, verschlagen und brand gefährlich. Wenn er sich dazu entschliesst, die verfeindeten Banden der Rojos und Baxters gegeneinander auszuspielen, geschieht dies nicht aus Nächstenliebe zu den gepeinigten Dorfbewohnern (die ohnehin nur minimalen Handlungseinfluss haben), Altruismus ist in "Für eine Handvoll Dollar" ein Fremdwort ohne Inhalt. Joe ist einzig und allein am persönlichem Vorteil interessiert. Er schmiedet Intrigen und mordet ohne zuckende Wimpern, danach will er den Ort verlassen, wie er gekommen ist - den Zigarillo im Mund, den Poncho umgehängt und die Augen zusammen gekniffen, aber um eine Handvoll Dollar reicher. Clint Eastwood verkörpert all das: die unbändige Coolness und Männlichkeit, die Striktheit, das Entschlossene, aber auch den Verlust jeder Empathie und Gewissensstrukturen. Nur einmal spricht Joe von "Unrecht" und handelt ohne Eigennutzen. Eine Tat, auf die die unmittelbare Enttarnung seiner Geheimaktivitäten folgt. Doch Leone inszeniert dies nie als heroische Märtyrer-Qual auf dem Weg zur christlichen Absolution im Himmelsreich, sondern als das, was es ist: Eine Bestrafung für ein Handeln nach gesellschaftlichen Konventionen. Dieser bittere lebensverneinende Zynismus zeichnet Eastwoods Spiel zusätzlich aus: er ist ein einsamer Wolf und dazu bestimmt, ein einsamer Wolf zu bleiben.

Die Regie genießt derweil das symbolische Motivspiel und ergötzt sich einer Ästhetik, die nie die großen Geschütze auffahren muss, um ihre Wirkung vollends zu entfalten. Durch die zwei rivalisierenden Banden, zwischen denen der Eastwood-Charakter sich mittig platziert, bot sich ein Spiel mit Gegensätzen und Kontrasten gerade zu an: Kaum erwähnenswert daher, dass der brennende Wüstensand und die hell flackernde Sonne am wolkenlosen Himmel das niedere und folglich "düstere" Treiben der Akteure nur konterkarieren. Leones Stil kann jedoch weitaus mehr, etwa wenn auf grandiose Art und Weise mit Ton und Stille gespielt wird, sodass ein Schuss in der Nacht auch nicht anders klingt als eine große Explosion bei Tag. Zu bewundern ist außerdem Leones mehr als gekonntes Farbspiel im Bildaufbau: Nicht selten wirkt die Dunkelheit im Vordergrund heller als das flackernde Lagerfeuerlicht am Bildrand, und selbst die naheliegend einfache Symbolik des in der Mitte stehenden Saloons als Joes Bleibe und die gegenüberliegende Position des Rojo und Baxter Sitzes bekommen bei Leone ein Gesicht, eine Farbe, einen eigenen Anstrich. Die gelungenen Schauspielleistungen der Rojo-Brüder (fabelhaft: Gian Maria Volonté, ebenfalls ansprechend: Sieghardt Rupp), das gekonnte Weglassen von Informationen (wie dem Nicht-Zeigen der Entführung des Baxter-Sohnes) oder die interessante dominante Frauenrolle im Sitz der Baxter runden einen hervorragenden Gesamteindruck entsprechend ab.

Als letzter steht Ennio Morricone auf der Liste, der diesen Klassiker ganz besonders veredelte und in vieler Hinsicht an den Charakter des Sargtischlers Piripero erinnert, welcher Joe bei seinen Gräueltaten beklatscht und umjubelt. Morricones Score ist in Teilen als anarchische Zerdröselung sämtlicher Standards für klassische Filmmusik zu bezeichnen, in Wahrheit aber noch weit mehr als nur das. Schon zum gnadenlos stilisierten Opening offenbart Morricones Musik, dass sie nicht dazu gedacht ist, den Inhalt zu unterstreichen oder verstärkend die Atmosphäre zu bereichern, sondern oft zur eigentlichen Substanz des Geschehens werden will. Das eingängige Leitthema, dass mit einigen wirren Klängen und einem nicht nachgiebigem Pfeifen aufwartet, ist melodisch nicht etwa eine Komposition mit dem Wunsch nach Konformität, sondern der Fixpunkt von Regie und Bildaufbau und spielt sich bewusst immer wieder in den Vordergrund, wächst über die simple Bedeutung des "Filmsoundtracks" hinaus. Stilprägend, aufgesetzt, aber stets sinnig gestaltet Morricone so eine ganz eigene Handlung, die mal als Parallele zu Leones Film läuft oder diese wie eine Tangente nur kurz schneidet. Als besonderer inszenatorischer Genuss sei damit die Szene genannt, in der die Baxter den Gang zum Abendessen bei den Rojos antreten - wie hier Filmhandlung, Musikhandlung und die Inszenierung beider Elemente einen gemeinsamen Orgasmus an Stil anstreben, ist bemerkenswert schlicht wie tiefgründig.

Fazit: Was "Für eine Handvoll Dollar" Mitte der 60er losgetreten hat, lässt sich heute kaum noch nachvollziehen. Eine Vielzahl an Kultfilmen (und Unmengen an schnell produzierten Plagiaten) wurden direkt von Leones einzigartigem Stil inspiriert, bis heute sind wesentliche Gestaltungsmerkmale noch präsent. Gleichzeitig steigerte sich auch die Gewaltdarstellung in den Folgejahren: Während hier noch etwa drei Dutzend Männer bei Schießereien ohne Einschusslöcher ihre Todespirouetten drehen, sollten Blut und Massentode immer drastischer und eindringlicher Einzug in den Italowestern erhalten. Zurecht war der Einfluss Leones, Eastwoods und Morricones auf diese Welle enorm, zeichnet sich "Für eine Handvoll Dollar" schließlich auch noch heute als ein bemerkenswert hochklassig inszenierter Film aus, dessen Spannung sehr direkt greifbar wird und der mit weiteren Sichtungen sogar noch an Effizienz und Wirkung zunimmt - wenngleich das ganz große Moment, dass den Meilenstein zum Meisterwerk machen würde, ausbleibt.

9/10
https://filmduelle.de/

Let the sheep out, kid.

Re: Dollar-Trilogie: Die Erste!

73
Casino Hille hat geschrieben:Für eine Handvoll Dollar

Ob es die extremen Nahaufnahmen von Gesichtern, der schnelle Wechsel zwischen der Hand, dem Gesicht und dem Colt oder die immer wieder irritierenden Supertotalen sind: Der Italowestern und seine Mechanismen sind im popkulturellem Gedächtnis zentral verankert. Drei Namen sind dabei sogar bis heute untrennbar mit dem Italowestern verbunden. Denn als 1964 ein kleines, für wenig Geld in Spanien produziertes Western-Abenteuer das Licht der Welt erblickte, schockierten seine hemmungslosen Gewaltdarstellungen und fehlenden moralischen Werte nicht wenige, doch es rechnete dabei gleichzeitig auch ohne wenn und aber mit dem amerikanischstem aller Heldentypen ab: Dem edlen Cowboy, der wacker im Sattel sitzend für Recht und Ordnung eintritt. Ein aufrechter, konservativer Hüter des Gesetzes, der schneller "moralisierend" sagen kann, als irgendwer anders schießen.
Sicher gibt es US Western die so sind, aber der Spaß am US Western war doch schon immer daß es auch genügend andere Filme gab. Und schon in den 50ern begannen sich die Western mit fragwürdigen Helden zu häufen. Natürlich hat Leone da noch ordentlich was drauf gesetzt, aber eigentlich hat er nur Motive verstärkt die auch vorher schon da waren. Trotzdem wirkte Für eine Handvoll Dollar damals sehr neuartig in seiner zynischen Ausrichtung, auch wenn Leone sich da noch nicht alles traute.

Re: Dollar-Trilogie: Die Erste!

74
Casino Hille hat geschrieben:
Beinahe alles, was an Leones Meilenstein revolutionär war, lässt sich am Protagonisten ableiten: Eastwoods Pistolero, der von allen nur "Joe" genannt wird, ist kein Held, kein Sympathieträger. Er ist ein Gesetzloser, intelligent, skrupellos, verschlagen und brand gefährlich. Wenn er sich dazu entschliesst, die verfeindeten Banden der Rojos und Baxters gegeneinander auszuspielen, geschieht dies nicht aus Nächstenliebe zu den gepeinigten Dorfbewohnern (die ohnehin nur minimalen Handlungseinfluss haben), Altruismus ist in "Für eine Handvoll Dollar" ein Fremdwort ohne Inhalt. Joe ist einzig und allein am persönlichem Vorteil interessiert.
Da würde ich auch widersprechen. Eastwood ist ein richtiger Held, und eindeutig ein Sympathieträger mit dem sich der Zuschauer nur zu gerne identifiziert.
Aber er war eine neue Art von Held, einer der grausamer war als es die Zensur im US Western zuließ, und einer der auch egoistischer war als es an sich der mythologisch orientierte Cowboy sein durfte. Schon weil der Film und sein Protagonist aber auf einem bereits 3 Jahre zuvor gedrehten Film basieren, war das aber trotz allem nichts so total neues.

Re: Dollar-Trilogie: Die Erste!

75
Maibaum hat geschrieben:eigentlich hat er nur Motive verstärkt die auch vorher schon da waren
So ist es natürlich, ich habe das bewusst relativ kurz gefasst. Auch wenn ich schon finde, dass in dieser Stärke und Häufung Leone da relativ innovativ gewesen ist. Selbstredend findest du alles, was gemacht wird, irgendwo in groben Zügen auch schon bei früheren Sachen, aber es geht ja dann auch um die Gestalt, die die Zusammensetzung dieser Elemente annimmt.
Maibaum hat geschrieben: auch wenn Leone sich da noch nicht alles traute
Darf ich daraus Kritik deinerseits an Leones Film ableiten oder ist das eine nüchterne Tatsachen-Betrachtung? Wie würdest du Dollar 1 denn im Detail sehen und gerne auch im Hinblick auf Leones späteres Werk?
Maibaum hat geschrieben: Eastwood ist ein richtiger Held, und eindeutig ein Sympathieträger mit dem sich der Zuschauer nur zu gerne identifiziert.
Nein, da widerspreche ich vehement. "Joe" ist ein Antiheld und hat gar nichts heroisches an sich, beziehungsweise darf nur einmal ein tatsächlich heldenhaftes Verhalten an den Tag legen, dass dann aber sofort bestraft wird - und zwar wirklich bestraft und auch genauso wirkt. Joe ist kein von Idealen oder sonstiges gezeichneter Charakter, sondern ein Profit-gieriger Mensch, der aber im Gegensatz zu beispielsweise Ramòn sich einen Rest Menschlichkeit bewahren konnte. Das er damit zum Helden stilisiert wird, ist purer Zynismus und eine arg pessimistische Betrachtung. Auch seine Rettung von Silvanito am Ende ist in Wahrheit kaum durch edle Motivlagen gezeichnet, sondern ein persönliches Abrechnen mit Ramòn und dessen Bande.
https://filmduelle.de/

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