Das stimmt, dass der DFB zu allen Zeiten seine Probleme mit unbequemeren Spielern hatte. Allerdings sehe ich den Fall Schuster in sofern etwas anders, dass der DFB bzw. Derwall wohl eher Schusters ihn managende Ehegattin Gaby als das eigentliche Problem ansahen. Zur damaligen Zeit, gerade in der eisernen Männerdomäne Fussball war eine so selbstbewusst auftretende und ihren Willen durchsetzende Frau nicht nur eine einmalige Kuriosität, sondern für viele eben auch eine Provokation. Man kann davon ausgehen, dass sich der in Jahren noch sehr junge Schuster Anfang der 80er im Kreis seiner Nationalmannschaftskollegen, der sich damals zu einem nicht geringen Prozentsatz aus „gestandenen Mannsbildern“ und Vorzeigemachos zusammensetzte, da einigen Spott anhören musste – vermutlich auch ein Grund, warum es ihn nie besonders stark zurück zur Nationalelf zog. Das würde dann auch ein Stückweit sein provokantes Verhalten erklären, als er unentschuldigt einer Grillfeier im Kreis der Nationalmannschaft fernblieb, worauf hin ihn Derwall frühmorgens im Anschluss an eben jene Feier aus dem Bett klingelte und ihm mittteilte, dass man zukünftig ohne ihn planen würde (nachdem es bereits zuvor mehrere mal zwischen ihnen gekracht hatte, nicht zuletzt aufgrund der Rückkehr Breitners und der damit verbundenen neuen Kompetenzzuordnung im Mittelfeld). Hier könnte man nun sicherlich Parallelen zu Vogts Verhalten im Falle Effenberg ziehen, allerdings unterscheidet sich die Beziehung Derwall-Schuster in soweit, dass Derwall trotz des genannten Eklats immer wieder dazu bereit war auf Schuster zuzugehen – so bemühte er sich sowohl im Vorfeld der WM 82 als auch im Vorfeld der EM 84 um eine Rückkehr des „blonden Engels“. Im ersten Fall war es eine Verletzung Schusters, im zweiten Fall dessen Unwille auf eine Rückkehr die diesem Vorhaben jedoch einen Strich durch die Rechnung machten. Derwall war sicherlich auch ein prinzipientreuer Mann, aber im Gegensatz zu einigen seiner Amtskollegen kein Prinzipienreiter. Dies zeigte sich auch sehr schön in seinem Verhältnis zu Paul Breitner, mit dem er nach jahrelanger „Fehde“ zu Beginn der 80er Jahre die Zwistigkeiten „wie Männer“ bereinigte und so letztlich zu einem sehr guten Verhältnis zurückfand – sehr gut und fast schon liebevoll in Breitners brillantem 82er WM-Buch nachzulesen. Sicherlich war Derwalls „über den Schatten springen“ nicht zuletzt auch dadurch motiviert, dass er durch einen Konsenes mit Spielern wie Breitner oder Schuster auch die Chancen seiner Mannschaft deutlich verbessert sah – nur das spricht ja eigentlich nur um so mehr für ihn. Ein solches Verhalten habe ich in Vogts Amtszeit komplett vermisst, die „Begnadigung“ von Effe in den letzten Tagen seiner sich in Auflösung befindlichen Amtszeit (die Geschehnisse nach der WM 98 und rund um die ominöse Maltareise hatten seinerzeit schon fast etwas von den letzten Tagen im Führerbunker) war dann letztlich auch nix anderes mehr als der Griff nach dem allerletzten Strohhalm. Und ganz ähnliche Verhaltensmuster kann man leider auch beim aktuellen Bundestrainer erkennen.Maibaum hat geschrieben: Ja, Schuster war auch noch ein überragender Spieler der sich in der Nationalmannschaft schwer tat, und sich dann selber rauskatapultiert hat. Auch hier weil der DFB immer Probleme hatte mit schwierigen Spielern umzugehen. Da ist Vogts sicher nicht der einzige gewesen, da gibt es Beispiele aus allen Dekaden. Auch auch Netzer und Breitner haben 1975 aus Überdruß ihre Karriere viel zu früh beendet. Und Breitners spätere Rückkehr war dann genauso sehr ein Segen wie ein Problem.
In Analogie zu der von mir bereits angesprochenen ungerechten historischen Bewertung der deutschen Mannschaften der 80er Jahre finde ich auch, dass Jupp Derwall in der Betrachtung viel zu schlecht wegkommt. Was ihn für mich immer schon sehr sympathisch gemacht hat, ist sein „menschlicher Ansatz“, also dass er seine Nationalspieler als mündige Menschen anssah und ihnen entsprechnde Freiheiten zugestand. Nun haben sicherlich manche diese Freiheiten "etwas" über Gebühr ausgenutzt und gerade im Zusammenhang mit der Mini-WM 81 und der WM 82 kursieren ja die dollsten Geschichten. Aber gerade dieser „Kegelbrüder“-Charakter hebt sich wie ich finde wohltuend ab von der „Sportschul-Doktrin“ eines Schön oder Vogts, wo die Spieler möglichst von jeder weltlichen Versuchung am Hinterteil der Welt abgeschottet wurden wie kleine Kinder (was nachweislich ja ebenfalls zu diversen „Ausbrüchen“ führte – siehe beispielsweise Uli Hoeness und Sepp Maiers nächtliche Fahrt nach Hamburg mitten während der WM 74). Die Geschichtsschreibung macht Derwalls vermeintliches Scheitern ja auch unzweifelhaft an seiner angeblich missglückten „Politik der langen Leine“ fest. Nüchtern betrachtet ist dies aber wohl eher ein zu pass kommendes Argument für eine missliebige Ära und erinnert in gewisser Weise an die dämliche Nationalhymen-Diskussion im Rahmen des Scheiterns bei der letzten EM. Anders ausgedrückt: hat man mal einen Sündenbock ausgemacht, dann war aber auch alles schlecht. Für mich hatte der spanische „Kegelausflug“ anno 82 jedenfalls erheblich mehr Charme als die jugendliche Landschulheimromantik Löwscher Prägung (wer hatte nun eigentlich zuletzt die Nutella?).
Das von dir angebrachte Argument, dass der deutschen Mannschaft bei den jüngsten Turnieren einfach noch die Erfahrung gefehlt hat bekommt man von Löw selbst ja auch nach jedem regelmäßig erfolgenden Nackenschlag gebetsmühlenartig wiedergekäut. Sei dieses Argument nun zutreffend oder auch nicht – es ist vor allen Dingen für die Verantwortlichen eine sehr bequeme Argumentation, da man dadurch natürlich ohne Probleme die bisherige Linie unverändert fortführen kann, da Erfahrung bekanntlich ja „von alleine“ kommt. Auffallend ist in diesem Zusammenhang, dass das regelmäßige Zusammenbrechen der deutschen Nationalelf unter Druck – sei es von außen oder durch den Gegener – offenbar unabhängig von der personellen Zusammensetzung der Mannschaft erfolgt. Und genau dies deutet dann eigentlich eher auf ein Problem im Trainerstab hin. Schaut man sich Löws Vita als Spieler an, so fällt auf dass er trotz überdurchschnittlicher Begabung und technischer Fähigkeiten nie den Sprung zum Bundesliga-Spieler schaffte und nicht über die Stufe als guter Zweitliga-Spieler hinauskam. Schon zu seiner aktiven Zeit hörte man daher (wohl nicht zu unrecht) häufig, dass ihm für das „Haifischbecken Bundesliga“ wohl hauptsächlich die nötige Härte und der Biss fehlen würde. Schaut man sich nun mal seine Amtszeit als Bundestrainer an, so findet man verblüffende Parallelen. Auch hier lässt er einen technisch und spielerisch erstaunlichen Fussball spielen, für den seine Mannschaft weltweit Lob erntet. Gleichzeitig versagen seine Teams aber auch in schöner (oder eher unschöner) Regelmäßigkeit bei den „Big Points“ oder einfach auch nur, wenn mal etwas Gegenwind kommt. Geht man davon aus, dass er seinen Spielern seine Philosphie und seine Einstellungen vorlebt und „einimpft“, so kann man eigentlich im Hinblick auf künftige Erfolge nur zu einem Schluss kommen. Dieser Punkt geht meiner Meinung Hand ind Hand mit der ungünstigen Zusammensetzung der Mannschaft hinsichtlich der Spielermentalität. Die derzeitige Situation und Zusammensetzung der deutschen Nationalelf erinnert mich jedenfalls fatal an die ebenfalls als goldene Generationen bezeichneten Teams von Portugal und Kroatien in den 90er Jahren, bei denen es ebenfalls immer hiess: beim nächsten Turnier sind diese technisch und fussballerisch hochbegnadeten Spieler soweit - bis sie irgendwann dann eben zu alt waren um noch was zu reissen. Hier war das Argument fehlender Erfahrung bzw. junger Jahre letztlich nicht das eigentliche Problem, sondern viel mehr fehlte diesen Teams was man früher gemeinhin als „deutsche Tugenden“ bezeichnete (also ausgerechnet jene Tugenden, die heute in Deutschland scheinbar verpönt sind). Auch hier wieder eine beängstigende Parallele zur aktuellen deutschen Elf. Ein Team, dass allein über „Schöngeist“ und spielerische Mittel den Titel erringen will ist meiner Meinung nach zum Scheitern verurteilt. Gerade Spanien hat in den letzten Jahren häufig gezeigt, dass man trotz aller Qualität wenn man Titel erringen will auch in der Lage sein muss „hässlich“ zu gewinnen (wobei man hier spöttisch durchaus bemerken könnte, dass das langweilige spanische „Tacka-Tucka“-Ballgeschiebe ja bereits per Definition hässlichen Fussball darstellt – tatsächlich ergeben sich hier verblüffende Parallelen zur berüchtigten zweiten Halbzeit im Österreich-Spiel von Gijon 1982, wenn man so will hat Spanien das damalige Schadensbegrenzungs-Ballgeschiebe der Deutschen und Österreicher perfektioniert.).Maibaum hat geschrieben:Die aktuelle Mannschaft sehe ich nicht so negativ. Die sind 2006 und 2010 auch an ihrer Unerfahrenheit gescheitert. Aber die haben jetzt permanent dazugelernt, sich weiterentwickelt, und da ist alles möglich.
Aber es stimmt daß sie jetzt umgekehrt als früher sehr schön spielen können, aber nicht mehr so gnadenlos effektiv sind wie früher. Aber dann haben sie es auch aktuell mit sehr stark besetzten Turnieren zu tu gehabt, und dabei immer die spanische Übermannschaft. und die wird auch 2014 schwer zu schlagen sein. Und Brasilien wird mit dem Heimvorteil im Rücken auch nur sehr schwer zu überwinden sein. Und Messitinien nicht vergessen. Und dann hat ja noch nie eine europäische Mannschaft auf den amerikanischen Kontinenten gewonnen.
Argentinien ist für mich übrigens nicht wirklich ein Titelfavorit, wie sie als Fussballnation auch für mich nicht zur Weltspitze zählen. Die beiden WM-Titel sind Ausnahmeerscheinungen, die Regel bei Weltmeisterschaften sind eher Ausscheiden spätestens im Viertelfinale oder gar in der Vorrunde. Der Titel 78 im eigenen Land hat mittlerweile ja durch die zahlreichen Enthüllungen eh mehr als nur einen faden Beigeschmack, der 86er Titel wie in noch stärkerem Maße der zweite Platz 90 waren reine Ein-Mann-Shows Maradonas. Und Messi ist kein Maradona, da er im Gegensatz zum Goldjungen ein Teamspieler ist, der maßgeblich von der Qualität seiner Mitspieler profitiert. Dummerweise hat Argentinien aber nicht die Qualität an Spielern wie Barcelona und im Gegensatz zu Maradona blieb Messi bislang den Beweis schuldig, dass er quasi im Alleingang eine mittelmäßig befähigte Mannschaft zu höchsten Weihen führen kann (Neapel, Argentinien 86, 90, ja sogar noch WM-Vorrunde 94). Daher sehe ich auch für nächstes Jahr schwarz für Argentiniens Ambitionen – trotz des vermeintlichen südamerikanischen Heimvorteils.