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von AnatolGogol
Agent
Die Bedeutung von DN wird innerhalb der Bondliteratur hauptsächlich auf die Tatsache reduziert, dass der Film eben der Ausgangspunkt der Serie war. Für mich ist DN aber hauptsächlich deshalb bemerkenswert, da er bereits nahezu alle Elemente enthält, die für den beispiellosen und mittlerweile fast 50 Jahre anhaltenden Erfolg gesorgt haben.
DN ist im Kern betrachtet eine Kombination aus zwei verschiedenen Genres: zum einen ist DN der harte, spannungsreiche und straffe Agentenreisser. Gleichzeitig geht der Film aber weit darüber hinaus als fantasiereicher und exotischer Abenteuerfilm. Die erste Filmhälfte inklusive Bonds Ermittlungen auf Jamaica repräsentieren dabei ganz klar den Agentenreisser während nahezu alle Szenen beginnend ab Crab Key dann den Abenteurfilm widerspiegeln. Natürlich ist die Trennung nie so ganz klar und beide Elemente greifen immer mal wieder ineinander, aber dennoch fällt der Abenteuer und Fantasy-Faktor (Doktor Nos Laboratorium und die ganze Toppling- und Weltraum-Thematik) ab Crab Key besonders auf. Mit diesem Mix wurde gleichzeitig auch die Erfolgsformel für alle folgenden Filme festgelegt, da es letztlich immer diese beiden Elemente sein sollten, die in unterschiedlichen Mischverhältnissen die Basis der Filme bilden sollten.
Wie bereits erwähnt ist DN ein sehr straffer Film. Kaum eine Szene hält die Handlung auf oder erzählt Dinge, die für die Handlungs- oder die Charakterentwicklung eigentlich überflüssig sind. Durch diese Straffheit wirkt der Film auch heute noch ungemein zügig und rasant. Verstärkt wird diese Wirkung auch noch durch die von Peter Hunt sehr effektvoll geschnittenen Actionszenen, sehr schön zu sehen zB in der Schlägerei mit dem falschen Chauffeur. Eine weitere ganz große Stärke des Films ist das absolut stilprägende Setdesign von Ken Adam. Was Adam in DN mit einem geradezu lächerlich kleinen Budget gezaubert hat ist auch heute noch sensationell und durch seine Arbeit bekamen viele Szenen erst ihre umwerfende Wirkung (zB Dent auf Crab Key oder das komplette Innere von Dr Nos Anwesen).
Handlungstechnisch bietet DN praktisch auch schon all das, was in den nächsten Jahrzehnten gemeinhin als „typisch Bond“ bezeichnet werden sollte. Wir haben geheimnisvolle Todesfälle, die den Ausgangspunkt für Bonds Ermittlungen bilden. Wir haben ein fantasievolles „Leitmotiv“ bzw Bedrohungsszenario in Form des Topplings von Weltraumraketen. Und es wird mit Spectre auch bereits die wichtigste Drahtzieherorganisation eingeführt. Es gab in der Bondgeschichte sicherlich deutlich bessere Storys als die von DN, dennoch ist auch hier die Geschichte und ihre Charaktere so gut und stimmig aufgebaut, dass man sich als Zuschauer nie wirklich die Frage stellt nach Sachen wie Realitätsbezug oder Plausibilität (Beeinflussung von Weltraumraketen durch Radioaktivität?).
Besonders hervorheben sollte man die Tatsache, das es DN gelingt alle Schlüsselfiguren der folgenden Jahrzehnte in verhältnismäßig kurzen Szenen zu charakterisieren. Beginnend natürlich mit der ikonenhaften Einführung von Bond am Spieltisch mit dem Höhepunkt von Connerys legendärerer Vorstellungsformel. Oder Miss Moneypenny, deren schmachtende Unnahbarkeit und ihr permanentes Kokettieren mit dem für sie scheinbar unerreichbaren Bond bereits im ersten Film durch zwei kurze Szenen für immer geprägt wurden. Wir erleben M, den autoritären, kompetenten aber gleichzeitig auch verständnisvollen Chef. Gerade die Inszenierung von M innerhalb seines Büros mit seiner Pfeife, dem roten Telefon, der Doppeltür oder der typischen Büroeinrichtung trägt unheimlich viel zum Wiedererkennungswert der Figur wie auch der Filme an sich in den Folgefilmen bei. Einzig die Figur des Q bleibt in DN (wie auch noch im Nachfolger FRWL) verhältnismäßig blass und sollte erst durch Hamiltons Interpretation in GF zu dem werden, was wir jahrzehntelang an ihr geliebt haben.
Die Hauptrolle dem damals quasi unbekannten Sean Connery anzuvertrauen war ein großes Wagnis der Produzenten (wenn gleich man dagegenhalten könnte, dass für richtig große Stars wie den immer wieder kolportierten Cary Grant ja im Budget von DN eh nicht genügend Geld zur Verfügung stand), die aber bereits hier das gleiche glückliche Händchen bewiesen, dass sie in den folgenden Jahrzehnten noch etliche weitere male haben sollten. Connery prägt die Rolle bereits in seinem Erstling dermaßen durch seine Ausstrahlung und sein Charisma, wie es gerade für einen relativen Neuling schon außergewöhnlich wenn nicht sogar einmalig ist. Seine natürliche, harte und maskuline Ausstrahlung kombiniert mit dem Charme und der Eleganz, die Young der Rolle und Connery verordnet hatte prägte die Figur in einer Weise, die ihn für viele auch heute zu „dem Bond“ schlechthin machen. Das einzige Manko, dass seine Darstellung gegenüber den in meinen Augen noch etwas besseren Leistungen in FRWL und GF hat ist die Tatsache, dass Connerys Bond in DN noch nicht den Witz späterer Filme hat. Das kann man natürlich aber auch genauso gut als Vorteil ansehen, da Bond gerade dadurch wesentlich härter und zynischer rüberkommt (so gesehen kann man eigentlich auch nur zu dem Schluß kommen, dass die Besetzung von Kindler auf Connery innerhalb der deutschen Synchro letztlich doch die bessere Variante gegenüber GGH war, da dadurch das humorlosere und zynische Auftreten Connerys auch in der deutschen Version sehr gut transportiert wurde).
Als fast genauso großer Glücksgriff kann die Besetzung von Ursula Andress als Honey Rider angesehen werden. Sie verkörpert im wahrsten Sinne des Wortes das wilde Naturkind Honey und versprüht eine Erotik, wie es keiner ihrer Nachfolgerinnen auch nur ansatzweise gelang (umso bemerkenswerter dass dies in einem Film des Jahres 1962 geschah!). Die Chemie zwischen Andress und Connery ist famos, das Knistern in der ersten Szene am Strand mit dem launig vor sich hin singenden Connery ist nahezu spürbar! Dass die Figur der Honey eigentlich kaum mehr als eine oberflächliche Männerphantasie ist tut der Wirkung und der Bedeutung von Andress für den Film keinerlei Abbruch, im Gegenteil reduziert gerade diese Klischeehaftigkeit die Figur auf ihre eigentlichen Stärken ohne irgendwelchen pseudoanspruchsvollen Schnickschnack. Auch Joseph Wiseman kann in der Rolle des titelgebenden Doktor No überzeugen. Dies ist alles andere als selbstverständlich, da seine Figur ja über ¾ des Films als gesichtslose Gefahr perfekt aufgebaut wurde und diese innerhalb der Fantasie des Zuschauers aufgebaute „Überfigur“ leicht durch die Enthüllung des wahren Dr No hätte zerstört werden können (Pleasences Blofeld in YOLT ist hierfür sicherlich das Paradebeispiel). Aber Wiseman gelingt es praktisch durch eine einzige Szene, nämlich der Dinnerszene, seiner Figur gleichermaßen Charisma und Gefährlichkeit zu verleihen ohne die zuvor aufgebaute gesichtlose Figur zu beschädigen. Auch das chinesische Makeup und die Metallhände tragen zur Stilisierung des Dr No als fast schon übermenschliches Wesen bei. Auch die Nebenfiguren sind durch die Bank großartig besetzt (Kitzmiller als Quarral, Lord als Leiter, vor allem der grandiose Dawson als Dent!) und tragen dadurch viel zur Gesamtqualität des Films bei.
DN ist einfach ein absolut runder und stimmiger Film! Er ist nicht nur der Ausgangspunkt der Serie sondern vielmehr bereits der für die Zukunft der Filme absolut prägende Film. Manches in DN ist sicherlich noch schlichter und nicht ganz so überbordend wie in den späteren Filmen (wodurch DN möglicherweise auf manche Zuschauer etwas unspektakulärer und reizloser erscheint), dafür hat aber gerade DN viele Stärken, die erst richtig durch die Reduzierung auf das Wesentliche herauskommen. Nie war Bond härter und zynischer als in DN (auch nicht in den häufig in diesem Zusammenhang genannten LTK oder CR), nie wieder hatte er eine so rohe und animalische Wirkung. Nie war die Beziehung zwischen Bond und Bondgirl dermaßen prickelnd und erotisch. Und nie wurde ein Gegenspieler derart beängstigend und übergroß eingeführt (am ehesten gelang das noch mit dem wiederum gesichtslosen Blofeld in FRWL und TB). Reduced to the max sozusagen. Die grandiose Besetzung, die für Bondverhältnisse superstraffe Inszenierung sowie das stilprägende Setdesign machen den Erstling für mich zu einem großartigen Film, dem es im Vergleich zu den in meinen Augen allerbesten Serienbeiträgen lediglich etwas an der Größe des Spektakels mangelt. Für mich daher 9 Punkte.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"