Hatte ganz vergessen, dass ich noch Kritiken zu den Kubrick-Filmen schreiben wollte...
Die Kritik zu Dr. Seltsam hat am heutigen Tage sogar einige Aktualität: Der 6. August ist der Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima...
Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben (Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb)
Der Film kann getrost als Meisterwerk bezeichnet werden und wird im Vergleich zu Kubricks anderen Filmen weit unterschätzt. Das Prädikat "Meisterwerk" verdient der Film sich durch das perfekte Schaffen von drei Genies: Stanley Kubrick himself (Regie, Co-Author, Co-Produzent), Ken Adam (Production Design) und Peter Sellers (spielt zich Rollen im Film).
Der Film ist eine beißende Satire, die durchtränkt mit schwarzem Humor in der Zeit der Kuba-Krise geradezu skandalös gewesen sein muss. Selbst dem heutigen Betrachter bleibt in einigen Momenten angesichts der bitterschwarzen Gags das Lachen im Halse stecken. Seitens der Regie ist der Film perfekt und hält selbst heutige Standards. Abgesehen davon, dass der Film Schwarz/Weiß ist könnte er genauso gut von heute stammen. Die wunderbaren sexuellen Anspielung mittels der Technik (u.a. Luftbetankung gleich zu Beginn) entlarven den Kalten Krieg schon in den ersten Minuten als "Schwanzlängenvergleich der Supermächte"...
Drehbuchtechnisch ist der Film ebenfalls über alles erhaben. Die zwischenstaatlichen Problematiken des Kalten Krieges werden zwar satirisch aber dennoch treffend aufgegriffen. Dies fängt bei der Paranoia von General Ripper angesichts der Sowjets an und fängt bei den Politikern auf, deren Gehabe treffend überspitzt als Kindergarten-Gehabe demaskiert wird. Hier bekommt jeder sein Fett weg. Zusammen mit Billy Wilders "Eins, Zwei, Drei" ist der Film wohl DIE Kalter-Kriegs-Satire schlechthin. Gleichzeitig taugt der Film auch gut dazu, jemanden der vom Kalten Krieg nichts versteht, auf lustige Weise den Konflikt zu erklären. Dabei muss auch beachtet werden, dass Dr Seltsam auf seine Weise geradezu prophezeihend war bzgl einigen Vorgängen im Kalten Krieg: Die Sowjets bauten mit der Tsar-Bombe eine Nuklearwaffe die gleichzeitig die stärkste je gebaute und gezündete ihrer Art war. Gleichzeitig war diese Bombe nur eine verkleinerte Version einer projektierten Superwaffe, deren weitere Realisierung allerdings gestoppt wurde: Bei einem Test wäre die zu erwartende Verseuchung unhaltbar gewesen. Gleichzeitig gab es im Kalten Krieg noch viele Zwischenfälle bei denen durch einen Fehler um Haaresbreite der 3. Weltkrieg gestartet worden wäre...
Ken Adam arbeitete an dem Film während bei Bond gerade FRWL realisiert wurde (daher keine Beteiligung Adams am zweiten Bondfilm). Doch Adams Ausflug zu Kubrick war die richtige Entscheidung: Das War Room-Set dürfte wohl noch bekannter sein als Fort Knox in GF und dürfte die wohl einflussreichste Filmkulisse der Geschichte sein: Zich Referenzen in anderen Filmen/Serien (Simpsons, Watchmen, Alarmstufe Rot) und selbst in der Politik folgten: Präsident Reagan sagte kurz nach seiner Wahl, dass er nach Amtsantritt zu aller erst den War-Room besichtigen möchte! Ein Triumph des Kinos über die Realität. Dabei ist die Kulisse zurecht ikonenhaft: Symbolisiert sie doch in architektonischer Weise die Ferne und das Abgeschottete des militärisch/politischen Apparats. Dass der Tisch des Raums dabei einen überdimensionalen Poker-Tisch gleicht demaskiert den Kalten Krieg als nichts anderes als ein politisches Pokerspiel mit Bomben und Menschenleben als Einsatz.
Als Adam das Cockpit der B-52 Bomber bauen wollte verweigerte die US Air Force die Mitarbeit: nicht nur wegen des brisanten Stoffes, sondern auch weil vieles bzgl der Bomber der Geheimhaltung unterlag. Als Adam dann (wohl eher unscharfe) Fotos aus Luftfahrtzeitschriften als Vorlage verwendete und sie als Vorlage für das Set nutzte, war das Ergebnis auf der Leinwand so überzeugend, dass die CIA sich sicher war, dass man gestohlene Originalbaupläne benutzte.
Dieser Hang zum Perfektionismus durchzieht den ganzen Film und zeigt sich besonders auf Seite der Hauptdarsteller George C. Scott (bekannt aus "Patton") und Peter Sellers. Letzterer blüht unter Regie Kubricks zur Höchstform auf und liefert möglicherweise die beste Performance seiner (leider viel zu kurzen) Karriere ab.
Alles in allem gehört Dr. Seltsam wohl zu den besten Filme der 60er als auch zu den am meisten Unterschätzten von Kubrick. Ein Meisterwerk!
10 von 10 Punkte