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von danielcc
00-Agent
Es würde mich freuen, wenn es der ein oder andere schafft, meine doch etwas längere Kritik zu lesen.
Ein paar Worte vorab:
Mein ersten Kinobond war GoldenEye und nie wieder habe ich seitdem ein so begeistertes Kinopublikum gesehen. Damals wollten alle ihren Bond – ihren Helden – zurück und sie bekamen ihn. Diese Mischung aus Coolness, Charme, Sex und Heldentum fasziniert die Zuschauer seit nun 50 Jahren.
Nie zuvor habe ich mich im Vorfeld so gut und detailiert über einen Bondfilm informiert wie dieses Mal bei Skyfall. Im Grunde kannte ich die Struktur des Films, die meisten Szenen, viele Gags, alle Überraschungen schon im Vorfeld. Dennoch ist es etwas ganz anderes, den Film dann tatsächlich zu sehen.
Die Erwartungshaltung war irrsinnig groß auch wenn ich während der Dreharbeiten nicht immer vollends optimistisch in Bezug auf das Endprodukt war.
Dann die überschwenglichen Kritiken, die Lobhudeleien über Mendes Regie aber auch viele etwas verwirrte Fan-Berichte nach dem Kinobesuch. Was würde mich erwarten?
„Sky(fall) is the limit“
„...We are not now that strength which in old days
Moved earth and heaven, that which we are, we are;
One equal temper of heroic hearts,
Made weak by time and fate, but strong in will
To strive, to seek, to find, and not to yield”
Es ist für mich einer der Schlüsselszenen im Jubiläums Bondfilm. Auf der einen Seite muss die großartige Judi Dench ihren „Mann“ vor einem öffentlichen Untersuchungsausschuss stehen, nachdem nicht nur ihre Fähigkeit als Geheimdienst Chefin angezweifelt wird, sondern auch die Bedeutung und Relevanz der Institution an sich. Während sie die obigen Zeilen aus Tennysons Gedicht über Heroismus zitiert, zeigt Mendes in einer wundervoll gelungenen Parallelmontage unseren Helden. Er ist gestorben, er war gebrochen, alle haben an ihm gezweifelt – und doch ist er zur Stelle, wenn die Not am größten ist.
Skyfall ist ein Film über Helden, die im richtigen Moment zur Stelle sind. Er zeigt den Unterschied zwischen Leuten die „an der Front“ kämpfen, und denen die an Schreibtischen die Entscheidungen treffen. Er zeigt das Altmodische und das Moderne, Jugend und Alter. Das Beachtliche dabei ist, dass das vorzügliche Skript von Purvis, Wade und Logan keine Vorverurteilungen macht und keine Schubladen kennt. So braucht der altmodische Haudegen Bond dann doch die Fähigkeiten des zunächst von ihm verspotteten jugentlichen Qs und gleichsam sehe dieser Jüngling ziemlich alt aus, wenn Bond nicht für ihn den Karren aus dem Dreck ziehen würde, nachdem seine Hacker-Kenntnisse zum Eigentor werden. Der zunächst unsympatische Schreibtischtäter Mallory, erweist sich als tapfer in Wort und Tat. Selbst der vermeidliche Bösewicht hat seine guten Gründe für sein Handeln. Es gibt kein Schwarz und Weiß mehr – und so ist Skyfall der wohl nuancierteste aller Bondfilme. Jeder Charakter ist liebevoll gestaltet und entwickelt. Da hilft es gewaltig den ohne jeden Zweifel besten Cast der 50 Jährigen Historie zu haben.
Daniel Craig spielt auf einem Level, wie vor ihm kein anderer. Er ist Bond und als solcher ein abgerundeter Charakter, keine Type, kein Kleiderständer, kein bloßer Sprücheklopfer. Alles was er macht ist glaubwürdig, er ist unglaublich greifbar als Mensch, und dennoch ist er hier mehr der coole Bond als in seinen ersten beiden Auftritten. Der Witz ist zurück, der Stil ist zurück, der Charme und der Sex sind zurück. Unzählige witzige Sprüche, die nur sehr selten übertrieben oder unangemessen wirken. Wunderbar die Wortgefechte zwischen ihm und Q, ihm und Silva. Doch noch faszinierender ist wie er die verwundbare Seite von Bond spielt. Von den Toten auferstanden ist er körperlich und geistig nicht der Alte. Tapfer kämpft er sich zurück und versucht dabei eine Fassade aufrecht zu halten. Bloß keine Schwäche vor Anwesenden anmerken lassen, nur um dann im nächsten Moment zusammenzubrechen. Er trinkt, er nimmt Painkiller, er zweifelt an seiner Rolle in der Welt. Das sind charakterliche Tiefen, die kein anderer Bonddarsteller vor ihm hätte spielen können und das das alles den Charakter Bonds nicht entmystifiziert oder gar lächerlich macht, das ist ein großer Verdient der Drehbuchautoren, des Regisseurs und allen voran Craigs. Fleming selbst dürfte seine Freude an dieser Interpretation haben, denn es ist genau der Bond, den er geschrieben hat. Bond braucht die Herausforderung, den Thrill, die besonderen Aufgaben, nur dann wächst er über sich hinaus und Schmerz, Angst, Fehlbarkeit ist vergessen.
Aber Bond ist immer nur so groß wie seine Feinde und mit Javier Bardem steht ihm gegenüber der beste Bondbösewicht seit Fröbes Goldfinger. Großartig geschrieben, faszinierend von Bardem zum Leben erweckt. Silva ist Bonds böses Spiegelbild. In ihm zeigt der Film sein zweites Motiv, nämlich die Frage, wie man mit seinem Schicksal umgeht. Ihm und Bond ist Ähnliches wiederfahren. Von M verraten bzw. im Stich gelassen, tief gefallen, körperliche Narben davon getragen. Doch entscheidend ist wie beide mit ihrem Schicksal umgehen. Für Bond ist Rache keine Option. Er wird gebraucht und seine Loyalität ist wichtiger als seine persönliche Enttäuschung, zumal er weiß, dass M ihren Job getan hat, so wie er seinen tut. „We’re under attack and you know we need you!“
Bardem überrascht anfangs mit einer leicht übertrieben homoerotischen Darstellung, wird aber dann immer bedrohlicher ohne zu überdrehen. Eigentlich eine viel glaubwürdigere Darstellung als der oft zum Vergleich herangezogene Heath Ledger als Joker. Im Showdown ist Bardem dann überragend und stellt genau die Herausforderung dar, die Bonds Einsatz rechtfertigt.
Mehr als in den beiden Vorgängern spielen hübsche Bondgirls wieder eine Rolle. Die permanenten Flirts mit Harris‘ Eve sind ein echter Genuss und zudem oft wunderbar von Mendes in Szene gesetzt, wie etwa im Kasino oder zuvor bei der Rasur. Harris spielt die Rolle mit einer Souveräntät, dass man meint, sie hätte schon immer an Bonds Seite sein müssen. Sie ist eine großartige Wahl für die Rolle von Bonds Dauer-Flirt Miss Moneypenny und das in der PTS geschilderte Ereignis verleiht der „Beziehung“ nun etwas ganz besonderes.
Doch die Überraschung des Films ist für mich die Newcomerin Bérénice Marlohe. Mit ihr hat die Serie nicht nur endlich wieder eine spektakuläre, glamoröse Schönheit. Nein sie überzeugt viel mehr mit einer brillanten Darstellung. Eine selbstbewusste Fassade, hinter der immer wieder Furcht und Horror zum Vorschein kommt. Dazu flirtet sie mit Bond, wie wir es sehr lange nicht meht gesehen haben.
Gewohnt souverän ist auch Ralph Fiennes in einer jedoch beachtlich nuancierten Rolle. Leicht hätte man diese Rolle vor allem zu Beginn als zu glatt oder arrogant spielen können. Doch Fiennes lässt schon von Anfang an etwas mit in sein Spiel einfließen, was uns Mallory sympathisch erscheinen lässt. Sein tapferer Einsatz im Gerichtssaal und der folgende kurze gemeinsame Kampfeinsatz mit Bond ist für mich eine der schönsten Szenen des Films.
Die Riege der Darsteller ist beachtlich und umso schöner, als dass der Film ihnen wirklich Zeit gibt, so kommt ermals Rory Kinnear wirklich zur Geltung. Eine großartiger Zugang zur „Bondfamilie“ ist Ben Whishaw als Q. Er spielt eben keinen platten Computer-Nerd sondern einen Charakter mit Ecken und Kanten und einem Sinn für feingeistige Kommentare. Schön auch, dass die Autoren ihre Charaktere mit vielen Details abrunden, so erfährt man nebenbei, dass Q Angst vorm Fliegen hat. Die Szene des ersten Aufeinandertreffens mit Bond ist ohne Zweifel eine der besten Szenen der Serie.
Überhaupt ist das Drehbuch Extraklasse. Es fehlt vielleicht das letzte Quäntchen Klasse, um zumindest an die Topszenen von Casino Royale heranzukommen aber dafür bietet Skyfall eine mustergültige Struktur, eine nachvollziehbare Story, voll entwickelte und facettenreiche Charaktere und wie ich finde, den besten Spannungsbogen aller Bondfilme. Gebannt sitzt man 140 Minuten im Kino, saugt förmlich jede Szene und wundert sich am Ende, wo die Zeit geblieben ist.
Ich hatte im Vorfeld eine große Befürchtung, nämlich die, dass die Agentenliste ein schwacher MacGuffin ist und zudem die Festplatte, um die es ja zu Beginn geht, ein doch recht dünner Aufhänger ist, da die Daten ja ohnehin vielfach kopiert werden können und so diese Gefahr nicht zu bannen ist. Auch hatte ich befürchtet, dass das Ende einem Scheitern von Bonds Aufgaben gleichkommen müsse, da sowohl M stirbt als auch die Veröffentlichung der Agenten nicht verhindert werden könnte. Doch der Film ist im Grunde viel raffiniertet. Bond gewinnt letztlich, da er dafür sorgt, dass M nicht zum Opfer von Silva wird. Sie überlebt ihn und so bekommt er seine Rache nicht und die Veröffentlichung der Agenten war für ihn ja ohnehin nur ein Mittel zum Zweck. Das ist raffiniert und spannend strukturiert.
Absicht oder nicht aber es ist witzig, dass das Finale im Grunde eine klare Kopie von Flemings „The Spy Who Loved Me“ Roman ist. Umso bemerkenswerter, wenn man die Bedeutung des Titels auf die Personen im Showdown anwendet...
Nun, ein Film kann aus vielen guten Komponenten bestehen, den Darstellern und dem Drehbuch, doch es ist Aufgabe des Regisseurs, dass das Gesamte mehr ist als die Summe der Einzelteile. Sam Mendes hat hier wahrlich Großes geleistet. Er zeigt wie schon Martin Campbell aber mit noch mehr Können und Rafinesse, was ein Liebhaber der Serie inszenieren kann, wenn er sein Können und seine Begeisterung in den Dienst der Sache stellt und sich kein selbstverliebtes, künstlerische Denkmal setzen will. Mendes inszenierte den spannendsten Film der Serie. Eine Spannung die sich nicht allein aus der Story herleitet, sondern die in der faszinierenden Inszenierung liegt. Mendes ist der Anti-Forster, er zelebriert die Bilder, er lässt Momente wirken, er hat Gefühl für Tempo und Pausen, er komponiert Bilder und Bewegungen so, dass sie jederzeit nachvollziehbar und erst dadurch so richtig faszinierend sind. Da ist keine Szene einfallslos, alles scheint durchdarcht und faszinierend. Etwa wenn Bond und Eva sich im Kasino per Funk unterhalten aber sich ihre Wege mehrmals kreuzen. Selbst kleinste Details wirken überlegt wie das Gemälde in der National Gallery bis hin zum Bild im neuen M Büro. Einzelne Szene sind wahrlich atemberaubend eben weil Mendes dieses Gefühl für Momente hat. So der Moment nachdem Bond in der PTS getroffen wird, M sich von der Kamera abwendet, keine Musik spielt, nur der Regen wird lauter und blendet über in den dahin treibenden Bond unter Wasser.
Mendes Regie wird dabei unterstützt von der besten Kamerarbeit aller Bondfilme. Roger Deakins versteht sein Handwerk wahrlich meisterhaft. Da behält man stehts den Überblick und ist grade deswegen mitten in der Action. Nie zuvor hatte ich das Gefühl, so dicht dran zu sein. So macht man das und nicht mit Zappelkamera und Stakkatoschnitt. Deakins zaubert Bilder auf die Leinwand von malerischer Schöneit, etwa die Aufnahmen der von Nebel verhanngene schottischen Berge. Eine weiteres wundervolles Beispiel für die überlegte und überlegene Inszenierung ist der Zweikampf vor den Neon-Werbungen Shanghais, bei dem nur Siluetten auszumachen sind. Meisterlich auch die Bildkomposition in der Szene mit Silva im Glaskäfig, der bemerkenswerte erste Auftritt von Silva „aus der Tiefe des Raums“. Hier zeigt sich auch wie Production Design und Inszenierung eine fabelhafte Symbiose eingehen ähnlich wie beim stimmungsvollen Macau Kasino oder Silvas zerfallenem Insel-Refugium. Darüber hinaus stimmen auch die Spezialeffekte, die hier erheblich mehr Anteil haben, als man oberflächlich zu erkennen vermag. Silvas Insel, der Hotelpool in Shanghai, Bonds Ankunft im Macau Kasino oder das Finale auf Skyfall Manor – Skyfall enthällt eine Menge gelungener CGI Aufnahmen. Auch die Szene mit den Kommodo Drachen, die Explosion des MI6 Headquarters oder Silvas Demaskierung halte ich für sehr gelungen.
Schön finde ich auch, dass die Kämpfe in Skyfall viel realistischer sind. Da hat man das Gefühl, dass wirklich ebenbürtige Gegner kämpfen und keine Superhelden. Beide Aufeinandertreffen von Bond und Patrice sind atemberaubend und glaubwürdig zugleich.
Skyfall ist wahrlich ein Augenschmaus, ein Fest für die Sinne. Während ich bei QOS froh war, wenn die unsäglichen Actionszenen vorbei waren, kann ich bei Skyfall selbst von Dialogszenen nicht genug bekommen. Die Geschichte ist klar, nichts ist unnötig verkompliziet, auch sind die Positionen der handelnden Figuren viel klarer als im Vorgänger. Alles sicher ein Verdienst der langen Pre-Production Zeit.
Noch etwas persönliches.
Entgegen vieler Fan-Rezensionen hatte ich bei Skyfall nie ein befremdliches Gefühl. Ja sicher, einiges ist anders und vor allem die Kombination aus Mendes Regie und Newmans schönes, andersartigem Score lässt den Film viel frischer wirken. Dennoch habe ich mich sehr wohl gefühlt und habe von Anfang bis Ende einen echten Bondfilm empfunden. Ja, Skyfall ist wieder ein Film, bei dem man als Fan der Reihe begeistert aufschreien möchte. Mendes bedient die Erwartungen mehr als CR oder QOS, ohne routiniert zu wirken, ohne in Klischees zu verfallen. Anspielungen an die eigene Historie sind vorhanden aber nie so platt wie in DAD. Es gab mehrere Momente im Film, wo ich am liebsten laut und stolz geschrieben hätte vor Glück. Alles kumuliert in der wundervoll nostaligischen Szene bei M und in diessen Vorzimmer. Skyfall macht wahrlich Spaß und voller Stolz kann man sich Fan freuen: Bond is back!
Bleibt die Frage, was nun noch die Grenze für Bondfilme ist. Mit CR und SF ist das Franchise in eine ganz neue Dimension vorgestoßen. Während es früher einfach war, mit ein paar Dollar mehr Budget noch spektakuläre Action zu inszenieren, ist die Messlatte heute viel höher. Im Hinblick auf Charakterentwicklung, Drehbuch und Inszenierung wird Skyfall kaum zu toppen sein. Hoffen wir, dass das gleiche Team genau damit beauftragt wird!
Ich werde zum jetzigen Zeitpunkt den Film nicht bewerten und vor allem nicht mit Kategorien wie "bester Bond aller Zeiten" hantieren. Dafür ist es zu früh. Aber eines kann ich jetzt schon sagen: Skyfall ist ein Film, den ich mit Genuss meinem Vater zeigen kann, und den ich ebenso stolz in 20 Jahren meinen eigenen Kindern zeigen kann - eine Klasse die dem direkten Vorgänger vollkommen abging.
"It's been a long time - and finally, here we are"