X-Men: Der letzte Widerstand
Jede Geschichte findet irgendwann ein Ende. Nach dem der Homo Superior mit "X-Men" und "X-Men United" das Comicfilmgenre revolutionierte, musste er sich 2006 seiner schwierigsten Aufgabe stellen: Dem großen Finale einer bis dahin vielversprechenden Trilogie. Die Vorbereitungen dafür dürften für alle relativ chaotisch verlaufen sein. Bryan Singer, Regisseur der vorherigen Filme, widmete sich lieber anderen Projekten und nahm seinen Cyclops-Star James Marsden gleich mit, weshalb dessen Auftritt hier auf wenige Minuten reduziert wurde. An seiner Stelle übernahm Brett Ratner und inszenierte den Abschluss des X-Men-Dreiers als kurzen und reduzierten Blockbuster mit massig Action und viel Bombast. Und genau das ist auch eines der Hauptprobleme dieses Filmes und der traurige Grund, warum "Der letzte Widerstand" nicht wirklich mit seinen Vorgängern harmonieren will. Denn zeichnete sich die Mutantenbande vorher durch wohlüberlegte gesellschaftskritische Geschichten mit ideologischen Thematiken aus, werden diese hier nur angedeutet und gehen zwischen all den Kloppereien und Kämpfen völlig unter.
Anstatt auf eine durchdachte und intelligente Handlung zu setzen, hetzt Ratner wie bei einem Marathon durch seine 105 Minuten und lässt dabei nahezu alle wichtigen Momente der Handlung verpuffen. Auf der einen Seite fehlt einem dabei die Tiefe, wenn die wenigen vorhandenen interessanten Aspekte nur kurz angeschnitten werden, auf der anderen erscheinen einem sogar die Todesszenen früherer relevanter Charaktere als absolut belanglos. Die erste Stunde ist dabei nicht mehr als eine langatmige Ansammlung von unspannenden und konturlosen Szenen, die durch gespielte Dramatik aufgefangen zu versucht werden und in denen man mit der Verknüpfung gleich mehrerer unzusammenhängender Handlungsstränge so etwas wie Abwechslung vorzutäuschen hofft. Später wird es dann etwas besser und im wieder einmal sehr langen Showdown versteht es die Regie dann auch, ihre Protagoniste ein wenig in Szene zu setzen und zumindest visuell schwere Geschütze aufzufahren. Diese letzte halbe Stunde macht durchaus eine Menge Spaß, wenngleich sie natürlich auch nur von ihrer Bildgewalt lebt und kaum durch einen ohnehin gar nicht vorhandenen Background.
Hätte ein reiner Actionfilm mit den X-Men-Charakteren durch die tiefgehende Charakterisierung in den Vorgängern seinen Reiz haben und funktionieren können, wird selbst dieser theoretisch vorhandene Vorteil hier mit großer Freude an die Wand gefahren. So kommt man nicht darum herum, bei vielen Figuren von einem Verrat an ihrer eigentlichen Persönlichkeit zu sprechen. Wolverine, wie immer durch den Vollzeit-Charismatiker Hugh Jackman verkörpert, trifft es dabei noch am Wenigsten, seine Kollegen erwischt es dafür umso erdrückender. Nachdem bereits der kurze Auftritt von Cyclops eine Enttäuschung sein dürfte, verkommt Patrick Stewarts Professor X zu einem reinen Statisten, dessen mehr als nur krasse Entscheidung in der Vergangenheit statt für moralische Diskussionen zu sorgen am Ende ein eher fragwürdiges Licht auf den Charakter wirft. Anna Paquin als Rogue darf sich durch eine überflüssige Dreiecks-Beziehung quälen, nur, damit der Film den ganzen Konflikt ihrer Figur in wenigen Sätzen entgegen aller vorher aufgebauten Prinzipien beantwortet. Grausam ist es insbesondere in Hinblick auf Rebecca Romijin als Mystique und dem ständigen Antagonisten Magneto. Erstere wird innerhalb von drei Szenen nicht nur schrecklich entmystifiziert, sondern auch unrühmlich verabschiedet und aus dem verbitterten Erik Lensherr wird plötzlich ein grausamer Feldherr. Ist doch gerade das faszinierende Element an seinem Charakter gewesen, dass er eben nicht bloß böse und hassenswert ist, sondern einfach eine andere, stellenweise auch deutlich radikalere Vorstellung davon hat, wie man das "Mutantenproblem" lösen müsse als Xavier, funktioniert man ihn hier zum gefühllosen General um, der seine Soldaten auch ruhig einmal im Sinne des Sieges auf dem Schlachtfeld opfert. Ian McKellens ansonsten so großartige Präsenz kann dementsprechend hier kaum aufblühen und er reiht sich ein in die lange Liste des verschenkten Potenzials. Famke Janssen und Halle Berry mischen beide zwar wieder mit, haben allerdings auch keine allzu nennenswerten Höhepunkte.
Wenigstens die meisten Kampfszenen überzeugen und sind, wenn sie auch aus filmischer Sicht längst nicht so elegant und umwerfend wie bei Singer inszeniert wurden, in technischer Hinsicht einwandfrei und ein paar nette Spielereien erlaubt man sich zumindest. Das launige Spiel mit den unterschiedlichsten Mutationen bietet ein paar gut dosierte Lacher und mit den Neubesetzungen Kelsey Grammer, Vinnie Jones und der bezaubernden Ellen Page hat man immerhin ein paar deutlich motivierte Gesichter an Bord, die ein wenig frischen Wind mit einbringen. Was allerdings der gefühlt 10 Sekunden lange Auftritt von Ben Foster als Angel sollte, weiß wohl auch nur die Marketingabteilung.
Fazit: Einen Film mit gleich zwei Rückblenden zu starten, erscheint nicht nur auf dem Papier dramaturgisch unklug. Leider kann der finale Teil der "X-Men-Trilogie" inhaltlich überhaupt nicht überzeugen und setzt seine Vorgänger ad absurdum fort, sodass bei dem Wiedersehen mit altbekannten Charakteren statt der gewollten Euphorie nur irritiertes Gähnen aufkommt. Trotzdem ist bei Weitem nicht alles schlecht, denn durch das hohe Tempo und die schnell geschnittenen audiovisuellen Actionszenen sowie dem lauten Soundtrack von John Powell lebt "Der letzte Widerstand" von seiner Kurzweiligkeit und den Überraschungen der Erstsichtung. Doch kommt man bei all der seichten Unterhaltung nie von dem Gedanken los, dass die X-Men einst für mehr standen, als einen vergnüglichen Samstagnachmittag. Wo es früher vor Ideologien, nachvollziehbaren Motivationen, komplexen politischen Konstellationen und interessanten Charakteren nur so wimmelte, verkommt all das zu einem Festival der Oberflächlichkeiten, dass sich immer nur so viel Tiefgang erlaubt, wie man der Zielgruppe ab 10 Jahren eben zumuten möchte. Brett Ratner opfert die Seele des Franchises zu Gunsten von epischen Schlachten und ausufernden Kämpfen. Was hätte Bryan Singer aus dieser Ausgangssituation wohl rausgeholt?
5/10
Re: Der X-Men Thread
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Let the sheep out, kid.
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