Hallo zusammen, ich konnte Spectre hier in China jetzt zweimal sehen und will gerne ein paar Punkte zur Diskussion beitragen, auch wenn die erste Sichtung für viele von euch schon einen Monat her ist. Um den Film wirklich richtig einordnen zu können, muss wohl noch der ein oder andere Kino-Besuch folgen und vielleicht kann ich ja sogar so noch etwas zu einem erhöhten Box-Office in China beitragen
Spectre ist zweifelsohne ein toller Bond-Film aber nach der ersten Sichtung hatte ich zum ersten Mal bei Bond NICHT das Gefühl, völlig überwältigt zu sein. Ich glaube nicht, dass es an den Leaks lag, denn auch bei Skyfall und Quantum wusste ich genau, was ich zu erwarten hatte, da ich jeden Informationsfetzen und spoilerhaltige Kritiken aufgesogen hatte. Nein, meiner Meinung nach macht das schwache Finale sehr viel kaputt. Schon Skyfall hatte ein ähnliches Problem, dass nach der tollen ersten Stunde ab der Verhaftung Silvas die Luft raus war, aber dort konnte man immerhin zum Finale wieder etwas anziehen. Hier hingegen macht man eigentlich bis zu der Folterszene alles richtig. Eine spektakuläre Eröffnungsszene (die Plansequenz ist wohl mit eine der coolsten Szenen der Serie), eine Titelsequenz bestehend aus Bildern aus der Vergangenheit, dem Spectre-Oktopus und einem hervorragendem Song von Sam Smith, humorvolle Szenen in London, tollen Charaktereinführungen (Denbigh, Hinx, Oberhauser, Swann) und Actionszenen, bei denen zu sehen ist, dass sich Sam Mendes deutlich wohler fühlt als bei Skyfall. Das ganze wieder wunderbar gefilmt, mit wundervoll in Szene gesetzten Schauplätzen und einer Musik, die dieses Mal besser passt als davor (trotzdem hoffe ich auf eine Rückkehr Arnolds). Aber wie schon bei Skyfall macht man sich einiges kaputt, sobald die genauen Pläne des Villains enthüllt werden. Die Macht die Oberhauser bei dem Spectre-Treffen im Schatten ausstrahlt (vgl Dialog mit Severine über Silva - how much do you know about fear?) - und hinterher sitzt man da und denkt: Und das war alles? Sehr schade, da man nun mit Waltz zum zweiten Mal in Folge einen Schauspieler besetzt hat, den ich sehr schätze und mir als Bond-Villain gewünscht hatte. Was stört mich am Finale/Plan des Bösen? Die Bond-Blofeld-Connection war nicht so schlimm wie befürchtet aber für die Handlung komplett überflüssig. Die Folterszene sollte nur die sadistische Art Blofelds zeigen? Da fand ich die Folter an Madeleine mit den Bildern schlimmer. Narbe und Katze, ok, ganz nett. Aber dann das Finale in London? Wenig Spannung, langweilige Location, nicht wirklich einfallsreich (Netz, Boot etc.). Und überhaupt: Was hat Spectre mit 9-Eyes vor. Überwachung ist ja ein super aktuelles Thema, aber mir wurde die Bedrohung nicht deutlich. Was wollen sie damit machen? Die Organisation wird beim Meeting, mit den verschiedenen Geschäftsfeldern und den Terrorattentaten toll eingeführt aber irgendwie fehlt mir das große Ganze…
So, genug genörgelt. Spectre hat seine starken Momente und das liegt auch erster Linie an den tollen Schauspielern. Wirklich jeder einzelne liefert eine hervorragende Leistung ab - Fiennes, Harris und Wishaw mögen uns bitte noch für viele Filme erhalten bleiben – und gerade auch die Neuen fügen sich sehr gut ein. Daniel Craig ist inzwischen endgültig mein Lieblingsdarsteller. Er trägt die Rolle von der ersten bis zur letzten Sekunde mit einer Mischung aus unglaublicher Coolness und ich hoffe, dass er dem Franchise auch nach seinem Abschied (nach hoffentlich Bond25) als Co-Produzent erhalten bleibt. Mir haben insbesonders Scott und Seydoux sehr gut gefallen. Die Actionszenen sind deutlich besser als in Skyfall, wo außer der Pre-Title nichts wirklich großes, neues dabei war. Was man dem Film von der ersten bis zur letzten Sekunde anmerkt: Der Film wurde von Fans gemacht und beinhaltet nette Anspielungen an die alten Filme und spielt auch sehr gerne mit den Klischees.
Jetzt hat man natürlich viele Möglichkeiten für Bond25 – wegen mir gerne mit Seydoux, Waltz und Bautista, Daraus könnten sich spannende Konstellationen ergeben (OHMSS, Bond und Blofeld müssen kooperieren, Doppelgänger wurde verhaftet, Blofeld dirigiert Spectre aus dem Gefängnis weiter) etc). Dafür dann aber etwas weniger James & Friends..nicht, weil mir Tanner, Q, M und Moneypenny bzw. ihre Darsteller nicht gefallen würden, sondern einfach, weil man dadurch interessanten Nebencharakteren die Chance nimmt, besser zur Geltung zu kommen (hier Denbigh, Sciarra, Blofeld). Einige der besten Bösewichte haben doch gerade auch durch die Szenen ein Profil bekommen, in denen Bond NICHT zu sehen war.
Auch wenn sich einiges etwas negativ liest: Der Film war toll, aber er hätte halt mit einem ausgegorenen dritten Teil noch viel besser sein können. Schade, dass das schwache Ende (für mich) einiges kaputt macht. Top 10 ist er auf jeden Fall, innerhalb der Craig-Filme würde ich ihn im Moment vor Skyfall, aber hinter Casino und Quantum einordnen, die einfach für sich gesehen runder wirkten.
Tendenz: 8/10 Punkten (hätte mir die letzte halbe Stunde besser gefallen, wäre die 10 gefallen)
Ach ja, noch ein kurzer Crowd Report. Das Kino war jeweils halbvoll (Premiere und zweite Woche), 99% Chinesen, es gab zwei Lacher: Hinx erster Auftritt und Bonds Landung mit dem Fallschirm. Ansonsten keinerlei Reaktionen, stattdessen wurde ständig auf Klo gegangen oder Wechat-Nachrichten verschickt. Muss wohl am Film gelegen haben, denn heute war ich in The Martian (kurzfristige Entscheidung – eigentlich stand Spectre die dritte an aber im Kino um die Ecke kommt schon gar nicht mehr) und das Publikum war ständig am Lachen.
"The name's Bond. James Bond."