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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Die Maske des Zorro
Sie sind das wohl größte massenkulturelle Phänomen, dass aus dem kulturellen Schmelztiegel der Vereinigten Staaten von Amerika hervorgegangen ist: die Superhelden! 1938 erschien das erste Comicheft um einen außerirdischen Moses, der von einem US-Farmerpaar aufgezogen und zum Erretter der Menschheit wird. Keine Frage: Die Mythologie von „Superman“ hat die moderne Vorstellung von Heldenbildern elementar geprägt. Die oftmals maskierten Hüter des Gesetzes, vorzugsweise mit Umhang und Alter Ego, haben die Popkultur im Sturm erobert. Viel erkennen im Erfolg der Comicfiguren in Film, Fernsehen und Videospielen eine Weiterentwicklung der antiken Heroen, wie zum Beispiel Odysseus, Achilles oder Herakles. Doch soweit muss man gar nicht zurückgehen, um eine Heldenfigur zu finden, die mit Maske im Gesicht und schwarzem Umhang den Kampf gegen das Böse aufnimmt – und sie stammt sogar aus den USA. 1919 veröffentlichte der Autor Johnston McCulley einen Groschenroman, mit dem unscheinbaren Titel „The Curse of Capistrano“. Seine Heldenfigur kennt dafür heue noch die ganze Welt: Zorro.
Zorro, das ist eigentlich der spanische Edelmann Don Diego de la Vega, der zur Zeit der spanischen Kolonialherrschaft in Mexiko mit Maske, Mantel und Degen die Landbesetzer bekämpft. Verbindungen zu Volkshelden à la Robin Hood oder realen mexikanischen Volksheiligen wie Jesús Malverde sind offensichtlich. Wer jedoch eine der modernsten filmischen Iterationen gesehen hat, nämlich „Die Maske des Zorro“ von 1998, dem mag noch eine andere Verbindung kommen. Schauen wir uns den Charakter an: Ein reicher, unscheinbarer Landbesitzer, der in seinem Herrenschloss ein unauffälliges Leben in Wohlstand führt, und sich für den Schutz des kleinen Mannes in schwarze Gewänder hüllt, um als Heldenmythos das Böse zu bekämpfen? Keine Frage: Regisseur Martin Campbell orientierte sich bei seiner filmischen Wiedergeburt des Mythos an alten Abenteuerfilmen mit Douglas Fairbanks oder Errol Flynn, doch ist es nicht nur der Zeit geschuldet, dass den modernen Zuschauer vieles an die Comicfigur „Batman“ und seine filmischen Auftritte erinnern lässt.
So lässt sich Campbell keine Zeit, um schon in den ersten zehn Minuten seines Actionfilms klassische „Zorro“-Atmosphäre aufkommen zu lassen. Besser noch: Der augenzwinkernd inszenierte Auftritt des degenfechtenden Kämpfers, der einige arme Bauern vor der Hinrichtung bewahrt und den niederträchtigen Don Rafael Montero konfrontiert, ist ein „Zorro“-Film im Miniatur-Format, der trotz seiner wenigen Dialogzeilen mühelos an „Das Zeichen des Zorro“ erinnert, jene erste Verfilmung des Stoffes von 1920. Doch schon im Anschluss an dieses nostalgische Intro wartet die Neuinterpretation mit ihrem größten Twist auf: Don Diego wird enttarnt, sein Mythos gelüftet, sein Vermächtnis ihm entrissen. Er sieht sich in einem Gefängnis wieder, erst nach 20 Jahren glückt ihm die Flucht. Hier führt ihn das Drehbuch von John Eskow sowie dem Autorenduo Ted Elliot & Terry Russo mit dem Ganoven Alejandro Murrieta zusammen – und aus dem Heldenmärchen wird ein Mentorendrama: Alejandro geht bei Don Diego in die Lehre.
Für die restliche Handlung müssen keine Worte verloren werden: Es versteht sich von selbst, dass letztlich das Gute über das Böse gewinnt. Und es ist genauso offensichtlich, dass in der Geschichte auch eine junge Schönheit auftauchen muss, die es für den jungen Alejandro zu erobern gilt. „Die Maske des Zorro“ ist nicht darin bestrebt, die Mythologie von Abenteuergeschichte neu zu erfinden. Ihr Anliegen ist die reizvolle Variation. Und ohne große Interpretationen zu benötigen, lässt sich erkennen, dass Martin Campbell sich bei seiner Regie mindestens so sehr von Comic-Strips wie der eigentlichen literarischen und filmischen Vorlage des Charakters bedient hat. Große Actionszenen mit meist explosivem Ausgang sind in ihrer selbstironischen Natur den Supermännern der Comicgeschichte näher als den Mantel-und-Degen-Filmen der Goldenen Ära Hollywoods. Schon drei Jahre vor seinem „Zorro“-Film versuchte er sich an der Neuerfindung eines anderen filmischen Mythos: Er war verantwortlich für „James Bond 007 – GoldenEye“, in dem er dem britischen Doppel-Null-Agenten aus seiner bis dato größten Krise half.
Auch bei „Die Maske des Zorro“ gelingt ihm das, ohne die Wurzeln des Ausgangsmaterials zu verkennen. Die phänomenalen Degenszenen wurden sogar von Robert Anderson choreographiert, jenem legendären Fechtkünstler, der viele Jahrzehnte zuvor Errol Flynn, den vielleicht größten Stars des Abenteuerkinos trainierte – und in den Kampfszenen der „Star Wars“-Filme übrigens selbst im Kostüm eines gewissen Darth Vader steckte. Und in rasanten Verfolgungsjagden beweist das Stunt-Personal, dass man auf Pferden fast alles machen kann. Unzweifelhafter Höhepunkt: Im Stehen auf zwei galoppierenden Pferden abspringen, über einen in der Luft hängenden Baumstamm hechten und wieder auf beiden Pferden im Stand landen. Dabei verzichtet der Film, der im Hintergrund von Kino-Großvisier Steven Spielberg produziert wurde, auf Effektorgien und Tricks aus dem Computer. Visuell ist die Zeitreise dennoch opulent geraten: Was in den alten glorreichen Zeiten des Hollywood-Kinos in Filmen um Ritter, Piraten, Volkshelden und Cowboys allzu oft durch theatralische Studiokulissen geprägt war, ersetzt „Die Maske des Zorro“ durch Authentizität. Gedreht wurde die meiste Zeit vor Ort in Mexiko, die wenigen künstlichen Momente des Films funktionieren ausschließlich als Hommage an die so gern verklärte „gute alte Zeit“.
Authentizität gilt auch im Hinblick auf die Besetzung. Zum ersten Mal steckt tatsächlich ein spanischstämmiger Darsteller unter der Maske des Superhelden: Antonio Banderas ist eine Idealbesetzung für die Leinwand-Legende. Ihm gelingt die schwierige Aufgabe, die glorreichen Actionszenen durch sein subtiles Spiel emotional zu erden – gleichzeitig wahrt er aber auch eine kühne Selbstironie, ohne die ein so klassischer Abenteuerfilm 1998 wohl kaum funktionieren könnte. Ihm ist es zu verdanken, dass das Schwingen von Balustrade zu Balustrade nie in Pathos untergeht. Zudem teilt er eine tolle Chemie mit seinen Co-Stars: Anthony Hopkins gibt dem gealterten Don Diego eine prächtige würdevolle Darstellung, die zwar einerseits seine Stärken als versierter Charakterdarsteller nicht immer ausspielt, aber dem Film einen unweigerlichen Glanz mitgibt. Der größte Besetzungscoup ist aber die Britin Catherine Zeta-Jones in der weiblichen Hauptrolle. Nicht nur gibt sie den Männern in ihrem Leben gehörig Paroli, sie ist sichtlich voller Spaß bei der Sache. Grandios: Ihr einziger Fechtkampf gegen Banderas, der als erotische Verführung konzipiert ist – und bei dem es nicht darum geht, den Gegner zu verwunden, sondern mit der Klinge sanft zu entkleiden.
Superhelden haben oft im Kern zwei Wesenszüge: Sie sind sowohl jugendliche Draufgänger als auch väterliche Vorbilder. Die „Zorro“-Figur auf zwei Personalien aufzusplittern, von der je eine die dramaturgische Funktion des Heldenbildes erfüllt, ist ohne Frage der intelligenteste Aspekt der Geschichte. Der langsame Aufbau mag dem Film letztlich eine Überlänge von insgesamt 137 Minuten verpassen, doch beweist Campbell hiermit, die Vorbilder verstanden zu haben. Nur wer sich Zeit nimmt, seine Charaktere in Stellung zu bringen und auch Erzählzeit aufbringt, um die Schurken, hier Don Rafael Montero alias Stuart Wilson und Captain Harrison Love aka Matt Letscher, aufzubauen, verdient sich das Crescendo am Ende. Die finalen großen Actionszenen wollen nicht mehr und nicht weniger als die Lust nach Abenteuern wecken, selbst der Soundtrack von James Horner verzichtet auf große Töne, bleibt auf humorvoller Distanz. Der Vorwurf der Konventionalität greift hier zu kurz. „Die Maske des Zorro“ ist ein Lustspiel, ein Kostümfest voller Spaß, Erotik und Spannung – und missachtet dennoch die Intelligenz der Zuschauer nicht.
Martin Campbell widerlegt mit diesem Film eine alte Binsenweisheit: „Leichte“ Filme sind nicht gleichzeitig auch „leicht zu machen“. Es gehört einiges an Energie, Geschick und Raffinesse dazu, den südlichen Bruder von Robin Hood ohne weiteres zum Degen-schwingenden Batman der Spätneunziger zu machen und dabei gleichzeitig den Zauber alter Abenteuerfilme heraufzubeschwören. Eine Mischung aus Ironie, Action und Romantik ist das Rezept jedes Hollywood-Blockbusters, aber das Geheimnis liegt wie so oft in der Dosierung. Hier wurde alles richtig gemacht. Kameramann Phil Meheux erschafft Bilder, die spektakulär sind, aber spielerisch aussehen. Die Schauspieler tragen ihre Kostüme mit Würde, haben jedoch keine Angst, sich auch mal lächerlich zu machen. Und der Zuschauer darf hier mitfeiern und mit großen Augen staunen und muss sich hinterher trotzdem nicht dafür schämen, einfach nur unterhalten worden zu sein. Im Zuge der Superheldenwelle der 2000er mag „Die Maske des Zorro“ etwas in Vergessenheit geraten sein. Die Formel für den Erfolg dieser Filme findet sich jedoch schon hier in Formvollendung.
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Let the sheep out, kid.