Welches sind die drei besten Scorsese-Filme?

Who's that knocking at my door? (Keine Stimmen)
Boxcar Bertha (Keine Stimmen)
Mean Streets (Keine Stimmen)
Alice doesn't live here anymore (Keine Stimmen)
Taxi Driver
Insgesamt abgegebene Stimmen: 4 (19%)
New York, New York (Keine Stimmen)
Raging Bull (Keine Stimmen)
The King of Comedy (Keine Stimmen)
After Hours (Keine Stimmen)
The Color of Money
Insgesamt abgegebene Stimmen: 1 (5%)
The Last Temptation of Christ
Insgesamt abgegebene Stimmen: 1 (5%)
Life Lessons
Insgesamt abgegebene Stimmen: 1 (5%)
Goodfellas
Insgesamt abgegebene Stimmen: 3 (14%)
Cape Fear (Keine Stimmen)
Age of Innocence (Keine Stimmen)
Casino
Insgesamt abgegebene Stimmen: 4 (19%)
Kundun (Keine Stimmen)
Bringing out the Dead (Keine Stimmen)
Gangs of New York (Keine Stimmen)
Aviator (Keine Stimmen)
The Departed
Insgesamt abgegebene Stimmen: 4 (19%)
Shutter Island
Insgesamt abgegebene Stimmen: 1 (5%)
Hugo Cabret (Keine Stimmen)
The Wolf of Wall Street
Insgesamt abgegebene Stimmen: 2 (10%)
Silence (Keine Stimmen)
The Irishman (Keine Stimmen)
Insgesamt abgegebene Stimmen: 21

Re: Die Filme des Martin Scorsese

436
GoldenProjectile hat geschrieben: 24. November 2019 12:42 Ach Herrje... :D

Jetzt wollte ich schon sagen: Schön, dass es anscheinend geklappt hat mit dem Kinobesuch - aber so schön wars ja in dem Fall wohl nicht :mrgreen:
Nein, das war wirklich alles andere als schön. Dabei hatte ich mich so gefreut gehabt und auch die unübliche Kinozeit von 12.30 Uhr mittags gerne in Kauf genommen. Der Film lief aber irgendwie für mich schon von Anfang an unrund, obwohl die erste Stunde noch recht ok war, auch weil hier gefühlt 3x soviel an Handlung und Figurenentwicklung (oder sagen wir besser Figureneinführung, was ja aber immerhin auch eine Art der Entwicklung ist) aufgefahren wird wie in den folgenden 2 ½ Stunden. Nach ca. 75 Minuten hab ich das erste Mal auf die Uhr geschaut und wusste, dass mir ein schmerzlicher Gang bis zum Ende bevorsteht. Inhaltlich empfand ich das als so rudimentär, dass mir der Film teilweise völlig bewegungslos vorkam. Wenn du dich noch erinnerst war einer meiner Kritikpunkte bei meiner letzten Departed-Sichtung, dass viel Aufwand (Screentime) für wenig inhaltlichen Gehalt betrieben wird. Beim Iren ist das dann ganz extrem und wenn man am Darsteller-Schaulaufen keinen Spass hat kann einem die Zeit sehr, sehr lange werden. Interessant finde ich, dass du meine Kritikpunkte ja anscheinend auch registriert hast…
GoldenProjectile hat geschrieben: 21. November 2019 01:38 ohne zu stark in der Zeit hin- und her zu springen oder von der erstaunlich gradlinig geschilderten Kernhandlung abzulenken. Befreit vom Ballast von zu viel und zu kompliziertem Kontext
(…)
Auch figürlich ufert das Spektakel nie aus, bleibt in Bezug auf die Menge an Akteuren so überschaubar, wie es ihm möglich ist und konzentriert sich ganz auf seine Protagonisten.
…aber eben zu einem ganz anderen, positiven Schluss kommst. Mir war das in Bezug auf Handlung und Figuren einfach viel zu wenig. In Bezug auf die Darsteller fand ich übrigens Pesci auch am besten, De Niro und Pacino dagegen teilweise richtig schwach. Pacino spielt seinen Hoffa fast schon als Karrikatur mit extrem eindimensionalem Spiel. Zugegeben, der exaltiert brüllende Pacino der Post-Scarface-Ära kann durchaus Spass machen, aber hier empfand ich es als einzige mit Profanitäten gezierte darstellerische Freakshow. Teilweise erinnerte mich sein Auftritt an seine Over-the-Top-Parodie in Dick Tracy – nur leider viel, viel weniger unterhaltsam. Der olle Bob war etwas besser, war mir aber auch viel zu oft im Verkniffen-Schauen-Automodus. Das in Kombination mit der Tatsache, dass er seine Darstellung sehr häufig an Scorseses Abdriften in komödiantische Gefielde angepasst hat. In diesen auflockernden bzw. die Gewalt kontrastierenden Szenen sah ich – gerade auch qualitativ – starke Parallelen zu Bobs Komödien-Rollen. Und ein guter Komödiant ist De Niro einfach nicht. Die Schlüsselszene (der Anruf bei Hoffas Frau) war mit zudem zu aufdringlich gespielt, da habe ich die Nuancen vermisst. Stottern allein reicht mir da nicht, da liegen Welten zu seinen Darstellungen in den 70ern. Daher kann ich auch deine Einschätzung nicht teilen…
GoldenProjectile hat geschrieben: 21. November 2019 01:38 Und da können Pacino - De Niro 2019 in meinen Augen Pacino - Depp 1997 locker das Wasser reichen. In den kleineren Aspekten, die sich mir emotional jetzt erst langsam zu entfalten beginnen, entwickeln die beiden Grossväter des New-Hollywood-Kinos eine ebenso herzliche wie problematisch-komplexe Beziehung, die vor allem von Bob in zwei entscheidenden Szenen darstellerisch enorm stark reflektiert wird.
Zum einen, weil mir die Beziehung zwischen Sheeran und Hoffa viel zu oberflächlich bleibt im Gegensatz zur exakt und subtil herausgearbeiteten Beziehung zwischen Depp und Al in der angepissten Wand und zum anderen aufgrund der bereits angesprochenen Defizite auf Darstellerseite beim Iren. Vor allem Pacino ist in Donnie Brasco nochmal richtig stark und seine Darstellung nuanciert und eben nicht nur im Schrei- und Fluchmodus.
GoldenProjectile hat geschrieben: 24. November 2019 12:42 Ich bin mittlerweile der Überzeugung, dass Scorsese der mit riesigem Abstand kontroverseste Regisseur des Forums ist. In diesem Thread schockiert mich gar nichts mehr :)
Gut möglich, ich mag ja den Aviator z.B. sehr gern. Und bei meiner Verehrung für Life Lessons bin ich glaube ich auch ziemlich allein auf weiter Flur.

Casino Hille hat geschrieben: 24. November 2019 13:06 Das Maß, in dem die Figuren über sich reden, miteinander reden und sich gegenseitig immer wieder (dem Zuschauer) erklären, sprengt jede Verhältnismäßigkeit. Dialogintensives Erzählen ist nicht per se verkehrt, aber Scorseses Film sieht aus, als hätte er einen absolutistischen Anspruch gehabt, in seinen Rundumschlag wirklich jeden möglichen denkbaren Aspekt der Geschichte zu packen. Und das ist zu viel, es ist ziel- und kernlos und ja, an vielen Stellen auch definitiv langweilig.
Ja, das ist ein weiteres Problem, das ich mit dem Iren habe. Nämlich dass einfach zuviel selbstverständliches in den Dialogen thematisiert wird. Die letzten ¾ des Films kamen mir teilweise wie ein Rohschnitt vor, als ob man einfach mal alles an gedrehtem Material reingehauen hat – und dann vergessen hat, das redundante Zeug wieder rauszunehmen.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Die Filme des Martin Scorsese

437
AnatolGogol hat geschrieben: 25. November 2019 09:00 Dabei hatte ich mich so gefreut gehabt und auch die unübliche Kinozeit von 12.30 Uhr mittags gerne in Kauf genommen.
Mittagsvorstellung ist wirklich nicht schön. Das hatte ich bisher nur einmal, dass ein Film nur um diese Zeit lief, und der war dann auch schrecklich.
AnatolGogol hat geschrieben: 25. November 2019 09:00 Der olle Bob war etwas besser, war mir aber auch viel zu oft im Verkniffen-Schauen-Automodus. Das in Kombination mit der Tatsache, dass er seine Darstellung sehr häufig an Scorseses Abdriften in komödiantische Gefielde angepasst hat. In diesen auflockernden bzw. die Gewalt kontrastierenden Szenen sah ich – gerade auch qualitativ – starke Parallelen zu Bobs Komödien-Rollen. Und ein guter Komödiant ist De Niro einfach nicht. Die Schlüsselszene (der Anruf bei Hoffas Frau) war mit zudem zu aufdringlich gespielt, da habe ich die Nuancen vermisst. Stottern allein reicht mir da nicht, da liegen Welten zu seinen Darstellungen in den 70ern.
Ich meinte die Stotterszene und die Szene mit Pesci beim Frühstück (die dann aber eher Nuancen zeigt). Das war kein 70er-Jahre-Niveau, aber hat locker für mindestens eine schlechte Komödie entschädigt. Und auch sonst fand ich Bob zumindest solide und durchgehend angenehm.
AnatolGogol hat geschrieben: 25. November 2019 09:00 Zum einen, weil mir die Beziehung zwischen Sheeran und Hoffa viel zu oberflächlich bleibt im Gegensatz zur exakt und subtil herausgearbeiteten Beziehung zwischen Depp und Al in der angepissten Wand und zum anderen aufgrund der bereits angesprochenen Defizite auf Darstellerseite beim Iren. Vor allem Pacino ist in Donnie Brasco nochmal richtig stark und seine Darstellung nuanciert und eben nicht nur im Schrei- und Fluchmodus.
Bei mir ist es zumindest so, dass die Beziehung der beiden nicht spurlos an mir vorübergezogen ist, bzw. Hoffas Ende einen tragisch-bösen Nachgeschmack hinterlassen hatte. Und das obwohl ich zuvor einen nicht unerheblichen Teil der Laufzeit gebraucht hatte, um mich an Pacino zu gewöhnen bzw. zu entscheiden, ob ich seine Darstellung jetzt schlecht finde oder nicht. Aber irgendwie hatte er mich spätestens mit der "With a gun you charge, with a knife you run"-Szene. Ich kenne übrigens einige von Pacinos essentiellen Filmen bzw. Rollen gar nicht und war zu ihm als Darsteller immer schon etwas auf Distanz, nicht zuletzt weil mich seine extrem veränderte Stimme und auch sein Aussehen (auch da hat er sich irgendwann verändert und wirkte plötzlich viel tränensackiger mit einer leichten Ähnlichkeit zu Sylvester Stallone) immer etwas irritiert hat als jemand, der ihn primär aus seinen ersten beiden Corleone-Auftritten kennt.
AnatolGogol hat geschrieben: 25. November 2019 09:00 Gut möglich, ich mag ja den Aviator z.B. sehr gern. Und bei meiner Verehrung für Life Lessons bin ich glaube ich auch ziemlich allein auf weiter
Ich meinte eher die negativen Meinungen, die hier längst salonfähig sind. :D Dass man dann ausgerechnet ein paar belanglose Filmchen zwischendurch gut findet relativiert das nicht. :wink: Life Lessons habe ich auch in guter Erinnerung, aber bei dem kann es natürlich auch schnell passieren, dass die Einschätzung durch den Umstand vernebelt wird, dass mit Life Without Zoe eine der grässlichsten Gurken aller Zeiten folgt.
AnatolGogol hat geschrieben: 25. November 2019 09:00 Wenn du dich noch erinnerst war einer meiner Kritikpunkte bei meiner letzten Departed-Sichtung, dass viel Aufwand (Screentime) für wenig inhaltlichen Gehalt betrieben wird.
In der Tat, aber bei Departed fällt es mir nun wirklich schwer mich an Stellen zu erinnern, bei denen nichts Inhaltliches passiert. Da kann ich diesen Einwand beim Iren noch wesentlich mehr nachvollziehen.
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Re: Die Filme des Martin Scorsese

439
GoldenProjectile hat geschrieben: 25. November 2019 09:49 Bei mir ist es zumindest so, dass die Beziehung der beiden nicht spurlos an mir vorübergezogen ist, bzw. Hoffas Ende einen tragisch-bösen Nachgeschmack hinterlassen hatte.
Der Knackpunkt ist ja in der Beziehung der beiden Hauptfiguren in Donnie Brasco und Irishman der gleiche: der eine versucht den anderen zu retten, da er mehr weiss – aber letztlich doch nur begrenzten EInfluß auf das Schicksal des anderen hat. Die Wirkung dieses Dilemmas ist für mich in Donnie Brasco aber erheblich stärker, da die Beziehung der beiden Protagonisten zuvor viel tiefergehend beleuchtet wurde. Bei der Sheeran-Hoffa-Beziehung blieb bei mir kaum mehr hängen, als dass die beiden halt recht lange zusammengearbeitet haben. Vom Zwischenmenschlichen blieb aber wenig hängen, eigentlich nur die Szene im Hotelzimmer, als Hoffa die Tür einen Spalt offen lässt (was in der allerletzten Szene dann schön aufgegriffe wird). Und das, obwohl Scoresese soviel Screentime verwendet Pacino und De Niro zusammen agieren zu lassen.
GoldenProjectile hat geschrieben: 25. November 2019 09:49 Ich kenne übrigens einige von Pacinos essentiellen Filmen bzw. Rollen gar nicht und war zu ihm als Darsteller immer schon etwas auf Distanz, nicht zuletzt weil mich seine extrem veränderte Stimme und auch sein Aussehen (auch da hat er sich irgendwann verändert und wirkte plötzlich viel tränensackiger mit einer leichten Ähnlichkeit zu Sylvester Stallone) immer etwas irritiert hat als jemand, der ihn primär aus seinen ersten beiden Corleone-Auftritten kennt.
Wie ich es schon mal geschrieben habe ist auch für mich Pacino in seiner Post-Scarface-Zeit viel zu oft im Tony-Montana-Modus steckengeblieben. Das hängt sicherlich auch mit seiner langen Pause danach zusammen (klammert mal den direkt nach Scarface entstandenen Revolution aus, in welchem er noch recht nuanciert spielt). Irishman ist für mich da ein Paradebeispiel, auch weil er neben den mittlerweile für ihn klischeehaften exaltierten Szenen praktisch keine nuancierten mehr im Angebot hat (wie z.B. in Heat). Und gerade seine sehr kontrollierten Auftritte in den ersten beiden Paten stehen für mich stellvertretend für sein nuanciertes Spiel (welches man auch in seiner späteren Karrierphase durchaus noch finden kann, wie z.B. in Sea Of Love, Carlito’s Way, City Hall, The Insider oder dem bereits erwähnten Donnie Brasco). Gerade The Insider erinnert diesbezüglich sehr stark an seine Auftritte in den 70ern.
GoldenProjectile hat geschrieben: 25. November 2019 09:49 Ich meinte eher die negativen Meinungen, die hier längst salonfähig sind. :D Dass man dann ausgerechnet ein paar belanglose Filmchen zwischendurch gut findet relativiert das nicht. :wink:
Das hängt aber sicher auch damit zusammen, dass der olle Marty immer noch sehr präsent ist und einen hohen Output hat. Bezüglich seiner Klassiker herrscht hier doch weitgehend konsens, kann mich nicht erinnern an kontroverse Diskussionen über Taxi Driver oder Raging Bull. Anders sieht der Fall natürlich bei seinem Spätwerk aus und da habe ich persönlich eher den Eindruck, dass JEDER neue Scorsese vorab schon als Meisterwerk gewürdigt wird. Weniger hier im Forum, als mehr generell medial und von der Filmindustrie. The Irishman ist da keine Ausnahme. Ich persönlich finde, dass kein Spät-Scorsese dem gerecht wird und die „Meisterwerk-Präambel“ verschwindet ja dann eigentlich auch immer sehr schnell wieder wenn es um da jeweilige zuvor so bezeichnete Werk geht. Generell gilt wie eigentlich immer auch bei Scorsese: wer viel macht, macht zwangsläufig auch mal was nicht so gut (oder schlecht).


GoldenProjectile hat geschrieben: 25. November 2019 09:49 Life Lessons habe ich auch in guter Erinnerung, aber bei dem kann es natürlich auch schnell passieren, dass die Einschätzung durch den Umstand vernebelt wird, dass mit Life Without Zoe eine der grässlichsten Gurken aller Zeiten folgt.
Das ist nun wiederum überhaupt keine kontroverse Ansicht.
GoldenProjectile hat geschrieben: 25. November 2019 09:49 In der Tat, aber bei Departed fällt es mir nun wirklich schwer mich an Stellen zu erinnern, bei denen nichts Inhaltliches passiert. Da kann ich diesen Einwand beim Iren noch wesentlich mehr nachvollziehen.
Hille hat es ja schon auf den Punkt gebracht: Departed ist die 150-minütige Bearbeitung eines 90-Minuten-Stoffes. Und das ist bei Martys Überlängenfilmen meinem Empfinden nach fast immer der Fall.
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Re: Die Filme des Martin Scorsese

440
AnatolGogol hat geschrieben: 25. November 2019 10:38 Der Knackpunkt ist ja in der Beziehung der beiden Hauptfiguren in Donnie Brasco und Irishman der gleiche: der eine versucht den anderen zu retten, da er mehr weiss – aber letztlich doch nur begrenzten EInfluß auf das Schicksal des anderen hat. Die Wirkung dieses Dilemmas ist für mich in Donnie Brasco aber erheblich stärker, da die Beziehung der beiden Protagonisten zuvor viel tiefergehend beleuchtet wurde. Bei der Sheeran-Hoffa-Beziehung blieb bei mir kaum mehr hängen, als dass die beiden halt recht lange zusammengearbeitet haben. Vom Zwischenmenschlichen blieb aber wenig hängen, eigentlich nur die Szene im Hotelzimmer, als Hoffa die Tür einen Spalt offen lässt (was in der allerletzten Szene dann schön aufgegriffe wird). Und das, obwohl Scoresese soviel Screentime verwendet Pacino und De Niro zusammen agieren zu lassen.
Ah doch, ich finde Sheerans Dilemma hier eigentlich sehr gut herausgearbeitet. Sein Problem, zwischen den Stühlen zu sitzen bzw. zwischen Hoffa und Buffalino/der Mafia, und da schleichend aber unmissverständlich mitzukriegen, wie sich die Lage ändert und Hoffa zunehmend fallen gelassen wird bzw. in Gefahr gerät, während Hoffa selber ihm sein volles Vertrauen entgegenbringt, wie er Hoffas unerschütterlichem Optimismus und seiner Siegesgewissheit "ausgesetzt" ist, selber aber weiss dass dieser damit mehr und mehr auf dem Holzweg ist, aber nichts sagen und Hoffa nicht retten darf, das ist alles gut gemacht und hat in meinem Falle dem Ende der Beziehung dann dieses Gewicht verliehen. Das ist besonders stark in den Szenen auf Sheerans Ehrenfeier, die Gespräche zwischen Pesci/De Niro und Pesci/Pacino und De Niro/Pacino, wo die Ausweglosigkeit der Situation langsam greifbar wird aber man es doch noch nicht so recht fassen kann oder will. Da hat der Ire nach der sehr furiosen und durchgehend unterhaltsamen ersten Stunde und dem teilweise etwas zu lang geratenen Mittelteil wieder volle Fahrt aufgenommen (um die Diskussion zu relativieren - ich würde den Iren idealerweise auch etwas straffen, auf vielleicht gut drei Stunden).
AnatolGogol hat geschrieben: 25. November 2019 10:38 Das hängt aber sicher auch damit zusammen, dass der olle Marty immer noch sehr präsent ist und einen hohen Output hat. Bezüglich seiner Klassiker herrscht hier doch weitgehend konsens, kann mich nicht erinnern an kontroverse Diskussionen über Taxi Driver oder Raging Bull. Anders sieht der Fall natürlich bei seinem Spätwerk aus und da habe ich persönlich eher den Eindruck, dass JEDER neue Scorsese vorab schon als Meisterwerk gewürdigt wird. Weniger hier im Forum, als mehr generell medial und von der Filmindustrie. The Irishman ist da keine Ausnahme. Ich persönlich finde, dass kein Spät-Scorsese dem gerecht wird und die „Meisterwerk-Präambel“ verschwindet ja dann eigentlich auch immer sehr schnell wieder wenn es um da jeweilige zuvor so bezeichnete Werk geht. Generell gilt wie eigentlich immer auch bei Scorsese: wer viel macht, macht zwangsläufig auch mal was nicht so gut (oder schlecht).
Aber ist das wirklich ein reines Scorsese-Problem? Gefühlt wirft die Presse immer häufiger und "leichtsinniger" mit dem Meisterwerks-Begriff um sich als zum Beispiel wir hier im Forum. Wer viel macht, macht tatsächlich auch mal etwas nicht so gut. Meine Einschätzung: Aviator ist eher sperrig und stilistisch teils merkwürdig aufgezogen, Shutter Island lässt sehr stark nach und ist in erheblichen Teilen auch wirklich bestenfalls mittelmässig, Wolf of Wall Street ist irgendwie ganz witzig aber auch verkrampft auf grotesk und lustig getrimmt, Gangs of New York hat tolle, wuchtige Szenen und einen starken DDL, könnte aber auch etwas straffer ausfallen, Departed und Silence machen mich dann auch mal fast wunschlos glücklich (die meisten davon sind aber länger her).
AnatolGogol hat geschrieben: 25. November 2019 10:38 Hille hat es ja schon auf den Punkt gebracht: Departed ist die 150-minütige Bearbeitung eines 90-Minuten-Stoffes. Und das ist bei Martys Überlängenfilmen meinem Empfinden nach fast immer der Fall.
Ich habe den Hongkong-Film gar nicht gesehen. Kürzen könnte man theoretisch wohl jeden Stoff, durch Dramaturgie und Inszenierung kann eine ausführliche Bearbeitung des Stoffes ja aber trotzdem sinnvoll für einen sein. Für mich ist das bei Departed so: Klar könnte man den auch kürzer erzählen, ich finde es aber dramaturgisch weitgehend stimmig und sehe kaum Leerlauf.
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Re: Die Filme des Martin Scorsese

441
Wie steht es denn um die Gewaltdarstellung? Also gemessen an der doch eher brutaleren Scorsese-Handschrift? Möchte mit meiner Liebsten rein, ggf. auch mit meiner Mutter und beide vertragen Gewalt On Screen nur bedingt, hatten aber kein Problem mit The Departed oder Taxi Driver z.B. ... Bitte keine Spoiler, nur eure Einschätzung, vielen Dank :)

Re: Die Filme des Martin Scorsese

442
craigistheman hat geschrieben: 25. November 2019 11:52 Wie steht es denn um die Gewaltdarstellung?
Ich denke wer mit der Gewalt in Taxi Driver und Departed kein Problem hat, dem fällt auch der Ire nicht schwer. Der Film ist nicht gewaltfrei, aber im Vergleich zu den beiden noch etwas harmloser, und erst recht harmloser als Casino, der, wenn ich so spontan überlege, wohl mit die drastischsten Gewaltszenen bei Scorsese hat.
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Re: Die Filme des Martin Scorsese

443
GoldenProjectile hat geschrieben: 25. November 2019 11:31 Das ist besonders stark in den Szenen auf Sheerans Ehrenfeier, die Gespräche zwischen Pesci/De Niro und Pesci/Pacino und De Niro/Pacino, wo die Ausweglosigkeit der Situation langsam greifbar wird aber man es doch noch nicht so recht fassen kann oder will.
Das war ausgerechnet eine der Szenen, die mir am negativsten aufgefallen sind, weil der Film da inhaltlich wie figürlich keine neue Information gibt (wir wissen bereits vorher, dass die Mafia von Hoffa abgerückt ist UND dass Hoffa viel zu selbstfokusiert ist und sich zu sicher fühlt). Einzig, warum er sich vermeintlich so sicher fühlt wird nochmal explizit erläutert, aber wer die vorangegangenen 90 Minuten auch nur etwas aufgepasst hat dem dürfte klar sein, dass Hoffa die Mafia belasten könnte. Das meinte ich mit „der Film bewegt sich kaum“ – da haben wir eine Szene von mindestens 10 Minuten mit viel Dialog und effektiv ist man nachher nicht schlauer wie vorher.
GoldenProjectile hat geschrieben: 25. November 2019 11:31 Aber ist das wirklich ein reines Scorsese-Problem? Gefühlt wirft die Presse immer häufiger und "leichtsinniger" mit dem Meisterwerks-Begriff um sich als zum Beispiel wir hier im Forum.
Sicher nicht ausschliesslich, aber allzu viele „anerkannte“ Meisterregisseure gibt es ja nicht. Bei Nolan ist auch eigentlich jeder neue Film gleich ein Meisterwerk, aber bei Marty ist die gefühlte Dimension nochmal eine andere, da er schon so lange dabei ist und seine großen Film schon so lange den Status Meisterwerk tragen.
GoldenProjectile hat geschrieben: 25. November 2019 11:31 Departed und Silence machen mich dann auch mal fast wunschlos glücklich
Das sind Filme (zusammen mit Wolf), die für mich alle am selben Problem kranken: zu wenig Substanz, zu viel Screentime. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber das schon mal als Einstimmung auf…
GoldenProjectile hat geschrieben: 25. November 2019 11:31 Ich habe den Hongkong-Film gar nicht gesehen. Kürzen könnte man theoretisch wohl jeden Stoff, durch Dramaturgie und Inszenierung kann eine ausführliche Bearbeitung des Stoffes ja aber trotzdem sinnvoll für einen sein. Für mich ist das bei Departed so: Klar könnte man den auch kürzer erzählen, ich finde es aber dramaturgisch weitgehend stimmig und sehe kaum Leerlauf.
Es geht mir hier nicht um die Vorlage, sondern um das was Marty effektiv inhaltlich bietet. Wenn ein Film Überlänge (> 2,5 Stunden) hat, dann muss er sich die auch „verdienen“ bzw. durch entsprechenden Inhalt rechtfertigen. Wenn ich aber öfter (oder permanent) den Eindruck habe, ein Film dreht inhaltlich Kreise um sich selbst und kommt einfach nicht vom Fleck, dann fehlt mir da die Rechtfertigung. Für Leute, die viel Spass an Martys Inszenierung und den „typischen“ Dialogen in seinen Filmen haben, ist das aber vermutlich kein großes Problem.
craigistheman hat geschrieben: 25. November 2019 11:52 Wie steht es denn um die Gewaltdarstellung? Also gemessen an der doch eher brutaleren Scorsese-Handschrift? Möchte mit meiner Liebsten rein, ggf. auch mit meiner Mutter und beide vertragen Gewalt On Screen nur bedingt, hatten aber kein Problem mit The Departed oder Taxi Driver z.B. ... Bitte keine Spoiler, nur eure Einschätzung, vielen Dank :)
Die einzelnen Gewaltszenen sind nicht wahnsinnig schimm, ich fand die Gewalt dennoch sehr bedrückend, da sie oft regelrecht aus dem Nichts kommt und dadurch fast schon willkürlich und trivial wirkt (was von mir aber durchaus positiv gemeint ist).
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Re: Die Filme des Martin Scorsese

444
AnatolGogol hat geschrieben: 25. November 2019 12:16 Die einzelnen Gewaltszenen sind nicht wahnsinnig schimm, ich fand die Gewalt dennoch sehr bedrückend, da sie oft regelrecht aus dem Nichts kommt und dadurch fast schon willkürlich und trivial wirkt (was von mir aber durchaus positiv gemeint ist).
Interessante Ansicht, ich finde die einzige mir bekannte Gewaltszene bei Scorsese, die richtig wehtut ist die Schraubstock-Szene aus Casino und eventuell noch die Maisfeld-Szene mit Pesci und seinem Filmbruder, ebenfalls aus Casino. Ansonsten sind Szenen wie der Amoklauf in Taxi Driver, die Boxszenen in Raging Bull oder die Ermordung von Billy Batts in Goodfellas in ihrer Härte eher wuchtig und eindrucksvoll als wirklich schmerzhaft. Den Iren fand ich im Vergleich mit seinen Brüdern Goodfellas und Casino relativ zahm, viel Gewalt gibt es ja nicht.
Spoiler
  • Hüftsteifer De Niro tritt den Ladenbesitzer zusammen
  • Die Ermordung von Crazy Joe (wahrscheinlich der Gewalt-"Höhepunkt" des Films)
  • Die Ermordung von dem Horst, der die Wäscherei in die Luft jagen wollte
  • Die Ermordung von Jimmy Hoffa (für mich eher emotional schmerzhaft)
Aber es stimmt schon, dass die meisten dieser Szenen ziemlich aus dem Nichts kommen.
Ich aktualisiere hier mal die Umfrage, weiterhin mit drei Auswahlmöglichkeiten. Die alten Ergebnisse:
Spoiler
Who's that knocking at my door?
0
Keine Stimmen

Boxcar Bertha
0
Keine Stimmen

Mean Streets
1
2%

Alice doesn't live here anymore
0
Keine Stimmen

Taxi Driver
7
16%

New York, New York
0
Keine Stimmen

Raging Bull
3
7%

The King of Comedy
1
2%

After Hours
0
Keine Stimmen

The Color of Money
0
Keine Stimmen

The last temptation of Christ
0
Keine Stimmen

Goodfellas
9
20%

Cape Fear
3
7%

Age of Innocence
0
Keine Stimmen

Casino
6
13%

Kundun
0
Keine Stimmen

Bringing out the Dead
0
Keine Stimmen

Gangs of New York
1
2%

Aviator
0
Keine Stimmen

The Departed
5
11%

Shutter Island
3
7%

Hugo Cabret
1
2%

The Wolf of Wall Street
5
11%
Abgestimmt für Taxi Driver, Goodfellas und Casino.
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Re: Die Filme des Martin Scorsese

446
AnatolGogol hat geschrieben: 25. November 2019 13:15 nimm doch bei der gelegenheit auch gleich noch das New York Stories-Segment mit rein (damit ich dafür abstimmen kann :) )
Dein Wunsch sei mir Befehl, du musst ihn aber auch nutzen (bei der Villain-WM habe ich dich noch nicht abstimmen sehen, auch wenn ich da den Extrawunsch mit deinem Namensvetter berücksichtigt habe).

EDIT: Nein, sorry, das ist die eine Abstimmungsmöglichkeit zu viel. :(
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Re: Die Filme des Martin Scorsese

448
Ich gehe heute Abend in die Wiener Gartenbaukino-Vorstellung. Bin sehr gespannt, da ich ein unglaublicher Scorsese-Fan bin.
Vor allen Dingen sein Frühwerk bis King of Comedy interessiert mich. Witzigerweise kann ich - obwohl mir das Genre sehr liegt - nichts mit Goodfellas anfangen. Klar, eine Handwerkliche Glanzleistung, doch packt mich dessen jüngerer Bruder Casino mehr.

Re: Die Filme des Martin Scorsese

449
So, war gestern drin und bin leider sehr enttäuscht. Handwerklich ist das auf den meisten Ebenen ein wunderbar gemachter Film, das Verjüngerungs-/verälterungsverfahren hat mich positiv überrascht, normalerweise betrachte ich solche Effekte eher mit einer guten Portion Skepsis. Auch die Kameraarbeit ist meiner Ansicht nach solide, ohne Maßstäbe zu setzen, was sie aber auch nicht muss, selbst bei Scorsese.
Spielerisch empfinde ich den Film als durchwachsen, Pesci hinterlässt einen bleibenden Eindruck, de Niro hätte zwei Wäscheklammern gebraucht, dann würden seine Mundwinkel nicht so nach unten hängen. Enttäuscht hat mich Pacino, der, wie hier schon mehrfach diskutiert, wieder einmal seine Ausraster-Nummer abziehen darf.
Meines Erachtens nach hätte es auch ein Zweistünder sein dürfen, der Film hat unglaubliche Längen, der Plot verfährt sich ständig in irgendwelche Details, die mich zumindest an keiner Stelle interessiert haben.
Es ist schade, denn alle Zutaten waren da. Meiner Empfindung nach kommt in den 3,5 Stunden sehr wenig zusammen, der Film möchte einfach keine Fahrt aufnehmen und plätschert von einer Anekdote zur nächsten. Ich habe mich noch nie bei der Sichtung eines Scorseses gelangweilt, während der Vorstellung schaute ich dann regelmäßig auf die Uhr.
Mag sein, dass Marty seinen Film permanent mit Absicht entschleunigt, um gegen heutige Sehgewohnheiten zu verstoßen, nur sollte das Ergebnis dann auch zu verführen wissen. Für all diejenigen, die sich für diesen Teil der US Geschichte interessieren ist The Irishman mit Sicherheit ein guter Fang.
Was mich etwas ankotzt, ist, dass sich Scorsese zwar über das serielle, sich immer wiederholende Blockbuster-Kino (m.M.n. zurecht) aufregt, das Remake-Syndrom Hollywoods kritisiert, er in seinem Iren jedoch genau das gleiche abzieht. Nach dem zwanzigsten Selbstzitat habe ich dann zu gemacht.
Ein Rohrkrepierer.

Re: Die Filme des Martin Scorsese

450
Passend zum Netflix-Start des Irishman: Alle Scorsese Filme in einem großen Hilleschen Ranking!

25. Shutter Island
- Diese inhaltliche und künstlerische Nullnummer spottet eigentlich jeder Beschreibung. Mit Taschenspielertricks aus jeder Geisterbahn des Hamburger Doms spinnt sich Altmeister Scorsese einen billigen Grusler mit erzwungen überkomplizierter Metaauflösung zurecht, der oberflächlich auf der Mysterywelle mitschwimmt, die im TV durch Serien wie Lost oder Fringe ausgelöst wurde. Wer dem 2000er Scorsese gerne Geschwätzigkeit vorwirft, darf sich hier auf ein spektakuläres Laberende verlassen, in dem ein grotesk auftretender Ben Kingsley den ganzen Film rückblickend erklärt und passenderweise auch gleich deutet. Die schwache Metapher auf die Paranoia-Ära der 1950er in den USA darf nicht zu ernst genommen werden, auf keinen Fall aber für voll.

24. Kundun
- Die berüchtigte Farbe beim Trocknen in Langform. Wo andere Filme hin und wieder Längen haben und sich ziehen, ist Kundun eine einzige Länge. Von allen Scorsese-Filmen, die sich Spiritualität nähern, bleibt er hier am distanziertesten. Ausgerechnet bei einem so menschlichen Thema wie dem Glauben vergisst die Regie vollkommen, Menschen als solche zu zeigen. Der Protagonist wird ganz auf seinen moralischen Idealismus reduziert, bleibt wie alle Figuren die reflektierte Version einer Idee, statt zu einer Person zu werden. Da helfen auch prächtige Landschaftsaufnahmen von Roger Deakins nicht, wenn sich in ihren nur Leere abspielt. Irgendwo zwischen Glorifizierung des Dalai Lama und Glückskeksphilosophie ist Kundun so leider ein inhaltlicher Tiefflieger.

23. Kap der Angst
- Hier gibt es nicht viel zu sagen: Das unterdurchschnittliche Remake eines überdurchschnittlichen Films. J. Lee Thompson drehte 1962 einen hervorragenden psychologischen Thriller, der es problemlos mit den großen Hitchcöckern aufnehmen kann. Doch von der perfide unter die Haut kriechenden Performance eines Robert Mitchum ist nicht viel übrig, wenn Robert De Niro als Klischee-Psycho mit allerlei Tätowierungen, schrägem Sprech und manischem Grimassenschneiden über die Leinwand kaspert. Subtile Spannung weicht in der Neuauflage dem inszenatorischen Holzhammer - und das schmerz besonders immer dann, wenn der Originalscore von Bernard Herrmann an das faszinierende Original erinnert. Ein Remake ohne jede Daseinsberechtigung.

22. The Wolf of Wall Street
- Scorseses Wall Street Fabel will vor allem eins sein: Cool. Und so sind die drei Stunden vollgepackt mit schnellen Wortgefechten, irrsinnig temporeichen Montagen, Brüchen der vierten Wand und unzähligen Party- und Eskalationsszenen. Dabei hält sich der Wolf gerne an der Oberfläche auf, an der es sehr viel leichter ist, sich über die stereotypen Figuren in ihren Klischee-Welten kaputt zu lachen, statt die echten Schattenseiten der Hochfinanz offenzulegen. Aus der realen Geschichte des Jordan Belfort hätte mit etwas Raffinesse eine differenzierte Kapitalismuskritik werden können - und die Ansätze sind auch im fertigen Film noch erkennbar, doch dürfen sie nie Luft zum Atmen kriegen. Erstickt werden sie von Overacting sowie sehr viel schlechtem Slapstick und Klamauk.

21. Silence
- Obgleich auf dem wunderschön komplexen Roman von Endō Shūsaku basierend, gelingt es dem angepeilten Glaubensepos selten, seine Themen um Glauben und Zweifel zu vertiefen. Die Jesus-Geschichte schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Filmplot, doch die beabsichtigten Parallelen sind zu forciert, um einen Aha-Moment auszulösen. Als filmischer Essay zum Thema Stillleben, um nicht zu sagen als spirituelle Erfahrung kann dieser sehr persönliche Film ansprechend wirken, erst recht weil sich der Handlungsfluss erzählerischen Konventionen strikt verweigert. Doch auf drei Stunden gedehnt ist Silence zu mäandernd, zu nichtssagend und gemessen am dürftigen Plot zu zäh. Als einmalige Seherfahrung interessant, aber nichts für eine zweite Runde.

20. Die Zeit nach Mitternacht
- In ihren besten Momenten erinnert die Groteske an Geschichten von Franz Kafka oder Filme von Terry Gilliam. In ihren schlechtesten erinnert sie an Situationen, in denen Freunde von ihren schrägen Träumen erzählen - was für Außenstehende in der Regel sterbenslangweilig ist. Man mag dem Großmeister zu Gute halten, sich mit diesem Filmprojekt erstaunlich weit aus seiner Komfortzone gewagt zu haben. Und das simple Ende erinnert durchaus mit Wehmut an Charlie Chaplin und natürlich Jacques Tati. Doch es hilft alles nichts: Die Zeit nach Mitternacht findet keine stringente dramaturgische Verknüpfung der wahnhaften Odyssee und hinterlässt so hinsichtlich seines Gehalts und seines Unterhaltungswerts im besten Fall nur ein großes Fragezeichen.

19. The Irishman
- Als epische Konklusion seiner lebenslangen Faszination für die Mafia gerät Scorsese die Geschichte um Jimmy Hoffa zum nicht endenwollenden Parcour: Jede mögliche Perspektive des Mafiakinos will hier vertreten sein und jeder denkbare Handlungsstrang bekommt so viel Raum wie finanzierbar war. So wird eine im Kern hervorragende Geschichte unter dem schieren Ballast an Material erdrückt und mit einer Reihe von Wiederholungen in Scorseses Lebenswerk aufgefüllt, die mittlerweile zu totgenudelten Klischees gereift sind. Robert De Niro und Al Pacino derweil in ihre Stammrollen zurückzuordern, ist so einfallslos wie ihre Darbietung: Routiniert, erfahren und ohne Fallhöhe. Alle drei haben diesen Film schon unzählige Male gemacht - meistens besser.

18. Die Faust der Rebellen
- Roher, von Roger Corman produzierter Reißer mit ungewöhnlich schöner Bildgestaltung. Der großen amerikanischen Depression nähert sich Boxcar Bertha (Originaltitel) als eigenwilliger Mix aus provokantem Exploitationskino und mutiger Indie-Inszenierung. Die Schauspieler, vorne weg David Carradine und Barbara Hershley, zeigen mehr nackte Haut als mimisches Spiel, fügen sich aber ein in die etwas holprig geschriebene Systemkritik, die sich vor allem auch gegenüber dem Kapitalismus empört. Der kleine Drive-In-Gangsterfilm zeigt bereits hervorragend, welch großer Regisseur Scorsese einmal werden sollte. So gleicht Boxcar Bertha einem ungeschliffenen Diamanten, der vor allem aufgrund seiner Nachfolger noch heute von Interesse ist.

17. Departed - Unter Feinden
- Übersetzt in die irische Subkultur Bostons erzählt Scorsese in Departed eine amerikanisierte Version des meisterhaften chinesischen Thrillers Infernal Affairs. Den großen Vergleich kann er nur verlieren, doch bestürzt an Departed vor allem der kurzsichtige Hang zur Vereinfachung. Anstatt dem Publikum zuzutrauen, den Tücken des wendungsreichen Katz-und-Maus-Spiels folgen zu können, ist das Drehbuch von William Monahan voll von platter Psychologisierung, die aus der hintergründigen Geschichte nur vordergründige Spannung herauskitzelt. Da blitzt in wenigen Momenten das Gewicht durch, dass der Plot zweifellos hat, doch in erzwungener Überlänge findet der visuell triste, grimmige Film kein überzeugendes, eigenes Sujet.

16. Wie ein wilder Stier
- Das bezogen auf seine Schauwerte unspektakuläre Biopic steht und fällt mit der Schauspielkunst Robert De Niros. Wie der diesen Jake LaMotta auf die große Leinwand transportiert, wurde zurecht vielerorts mit Lob überschüttet. Davon ab gefällt das Charakterdrama als kompromissloses Porträt, gibt sich aber auch enorm sperrig und wirkt in den Boxszenen gerade zu dilettantisch naiv. Die Gewichtung zwischen den Drama- und Sportfilm-Anteilen ist nicht immer ideal balanciert und so verläuft die Spannung in ein beinah antiklimaktisches Finale, das eher als Fazit funktioniert. Die detailreichen Schwarz-Weiß-Aufnahmen und die großartige De Niro Performance stechen aber heraus, und sind Highlights in Scorseses langer Filmografie.

15. Bringing Out the Dead - Nächte der Erinnerung
- Unangenehm wäre hier noch stark untertrieben. Die späte Fortsetzung im Geiste zu Taxi Driver gestaltet sich beinahe unerträglich, und führt ihre destruktiven Plot-Einheiten zu einem erbarmungslosen Ende. Ein entfesselter Nicolas Cage chargiert bis zum geht nicht mehr, passt damit aber wunderbar in einen auf erschreckende Art einvernehmenden Film. Die rauschartige, rastlose Inszenierung spielt virtuos alle möglichen Mittel aus: Zeitraffer-Passagen, wiederholende Musik-Montagen à la MTV, grelle Farbstiche und allerlei weiterer (manchmal zu vieler) Elemente wird sich bedient, um diesen Höllentrip zu kreieren, der für seine Laufzeit erstaunlich gut funktioniert, aber leider nicht wirklich nachwirkt. Dafür hätte der Plot etwas origineller sein müssen.

14. Wer klopft denn da an meine Tür?
- Das Erstlingswerk des Visionärs ist schon allein deshalb interessant, weil es eine der besten Sexszenen der Filmgeschichte beinhaltet - eine Sequenz, die im Medium Film trotz der Existenz von Apocalypse Now die beste Verwendung des The End Songs von The Doors bereithält. Ansonsten sieht man der klopfenden Tür ihren komplizierten Entstehungsprozess durchaus an, daraus resultiert aber eine ungestüme, rotzige Attitüde, die dem unkonventionellen Film gut zu Gesicht steht. Harvey Keitel stellt als katholisch erzogenen, filmverrückten Sonderling gleichzeitig autobiographisch den Großmeister selbst, aber auch einen Archetypus vieler seiner späteren Filmhelden dar. Ein sehenswerter Startschuss also, übereifrig, unfokussiert und ursympathisch.

13. Hexenkessel
- Eine deprimierende Milieustudie, die gewissermaßen retrospektiv als Blaupause für Scorseses Mafiaepen gedeutet werden kann. Als fesselnder Thriller um Möchtegern-Mafiosi überzeugt der dicht atmosphärische Film durch eine immer stärker werdende Sogkraft, der besonders ausgehend vom großartigen Harvey Keitel nicht entkommen werden kann. Der eigentliche Plot spielt gar keine so große Rolle - die Stärke von Hexenkessel ist es, einen authentischen und unverfälschten Blick in ein gefährliches Gewerbe zu geben. Ein Film von zwingender Dringlichkeit, der nach einem etwas unbeholfenen Start immer mehr in die Spur findet und irgendwann nicht mehr anders kann, als zu fesseln. Der Weichensteller für Taxi Driver und Good Fellas.

12. Zeit der Unschuld
- So reduziert trat Schauspiel-Schwergewicht Daniel Day-Lewis nie wieder auf. Was seine Leistung in keinsterweise schmälert: Das Beziehungsdrama ist Schauspiel-Kino vom allerfeinsten, doch Gott sei Dank findet Michael Ballhaus fantastische Bilder auch genügend fantastische Bilder von bestechender Einfachheit. Die nuancierte, feinsinnige Darstellung menschlicher Zwischentöne lässt Zeit der Unschuld zu einem Musterbeispiel für gelungenes psychologisches Kino werden. Beinahe, denn so unschuldig und sinnlich sich Zeit der Unschuld auch präsentieren mag, wohnt ihm doch eine gewisse Berechenbarkeit inne, die den Beigeschmack am Ende mitbestimmt. Trotzdem ein schöner, ruhiger Film für verträumte Romantiker.

11. New York, New York
- Ein "Film-noir-Musical" mit Robert De Niro und Liza Minelli in den Hauptrollen als bissige Genre-Hommage an Gene Kelly? Nicht unbedingt die Art Film, die man vom Martin nach Taxi Driver erwartet hätte, aber dank der spritzigen Umsetzung eine willkommene Überraschung. An die schon damals veraltete Broadway-Ästhetik angelehnt ist die ungewöhnliche Genre-Melange sowohl aufwendige, opulente Verbeugung vorm Showbusiness als auch eine leise Sezierung dortiger Strukturen. Und mit spielerischer Leichtigkeit verwebt Scorsese noch zusätzlich eine intelligent geschriebene Ehekrise in das laute Treiben. Das mag teilweise zu viel des Guten sein, aber bei so viel Verve, Nonchalance und Charme ist das gewiss keine Schwäche, sondern Teil des Spaßes.

10. Alice lebt hier nicht mehr
- Was für eine Besetzung! Ein Road-Movie mit Harvey Keitel, Ellen Burstlyn, Jodie Foster und Kris Kristofferson, da würden andere Regisseure nur mit der Kamera drauf halten und die Akteure machen lassen. Zum Glück behält Scorsese die Zügel fest in der Hand und kriegt das ambitionierte Figuren-Drama so unter einen wunderbaren narrativen Hut. Der fast schon mythische Film kombiniert rigoros beste Zeiten des Screwball-Kinos mit tragikomischem Melodram, und ist gewissermaßen ein feministisches Werk über weibliche Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Seine große Stärke gewinnt Alice lebt hier nicht mehr (Welch herrlicher Filmtitel!) aber aus der ungezügelt dargestellten Lebensrealität. Ein kraftvoller Film, der nachdenklich stimmt.

09. Hugo Cabret
- Das verborgene kleine Juwel in Scorseses Filmographie, das oberflächlich so gar nicht in sein Lebenswerk passen will, weil es hier um einen doch recht abstrakten Inhalt geht: Die Liebe zum Film und gewissermaßen auch die verbindende Kraft des Kinos. Mehr als jeder andere Scorsese ist Hugo Cabret ganz eindeutig eine große Verbeugung vor den Anfängen des Mediums und der Pionierkraft hinter der Magie des Bewegtbilds. Anders als oft suggeriert ist dieses Werk garantiert kein Kinderfilm, sondern ein poetisches Geschenk eines Filmvernarrten an andere Filmvernarrte - ob als Bestätigung für einen selbst oder als elegantes Hilfsmittel, um Freunde und Bekannte zu konvertieren. So schön und verträumt kann und darf Kino auch mal sein.

08. Aviator
- Für Aviator konnte sich längst nicht jeder erwärmen und vermutlich braucht das ausschweifende Figurenporträt mehrere Sichtungen, um seine Vorzüge ganz ausspielen zu können. Die liegen nicht in der Wiedergabe historischer Ereignisse, sondern im perfektionistischem Eintauchen in die Vergangenheit. Kaum ein Film verfügt über so detailliertes, liebenswert ausgestaltetes Dekor. Dazu geben sich Leonardo DiCaprio und eine göttliche Cate Blanchett die Ehre und lassen an ihrer Seite halb Hollywood in die Rollen alter Hollywood-Stars schlüpfen. Für Nostalgiker und vor allem Ausstattungsfanatiker ist Aviator eine Fundgrube an bemerkenswerten Ideen - ach ja, klug geschrieben und wahnsinnig elegant gefilmt wie erzählt ist er übrigens auch.

07. Casino
- Wie oft bei Scorsese ist die Liebe Hammer und Amboss für die Figuren. Auch Casino ist zwar ein aufwendig konstruiertes, wendungsreiches Mafia-Epos, kreist dabei aber um eine selbstzerstörerische Affäre, die den Plot immer weiter korrumpiert. Joe Pesci und Robert De Niro beißen sich an der umwerfenden Sharon Stone regelrecht die Zähne aus. Was in Good Fellas begann, baut der Regisseur hier derweil fraglos aus: Die völlige filmische Entmystifizierung der Mafia, wie sie filmgeschichtlich durch Howard Hawks, Francis Ford Coppola oder Sergio Leone vorgeprägt wurde. So entsteht eine bemerkenswerte Fallhöhe, wobei sich der Film einem rein empathischen Zugang verweigert und so seine volle Wirkung erst ganz am Schluss entfaltet.

06. Die letzte Versuchung Christi
- Willem Dafoe als Jesus Christus dürfte auf dem Papier als eine der absurdesten Besetzungen der Filmgeschichte anmuten. Doch der Jesus dieser Version ist nicht die Heilsgestalt aus der Bibel, sondern eine dreidimensionale Person mit Ecken und Kanten. Auf erstaunlich brisante Art wird das Märtyrium des christlichen Messias hier so menschlich betont wie selbst im Johannesevangelium nicht. Vor dem Tod am Kreuz träumt der Heilland von einem glücklichen Leben an der Seite Maria Magdalenas. Ob Gläubiger, Skeptiker, Atheist oder Agnostiker, Die letzte Versuchung Christi funktioniert, weil sie ganz unverfroren den Menschen in den Mittelpunkt rückt. Ein mutiger Film - und ohne Frage damit ein Meisterwerk des postmodernen Bibeldramas. Amen!

05. Die Farbe des Geldes
- Paul Newman durfte sich hierfür endlich seinen verdienten Oscar abholen. Für die Rolle des Fast Eddie Felson war er fünfundzwanzig Jahre zuvor schon einmal nominiert. Die Farbe des Geldes ist ein spätes Sequel zum Genreklassiker Haie der Großstadt und baut den damaligen Protagonisten als Mentorenrolle für den Jungspund Tom Cruise auf. Wie in allen großen Sportfilmen geht es zentral nicht wirklich um den Wettbewerb und sein jeweiliges Sujet, sondern um die sensible Entwicklung der Figurendynamik. Dank brillanter Kamera- und Schnitttechnik liegt der Fokus ganz auf dem psychologischen Kräftemessen der faszinierend gespielten Protagonisten, und der auflockernden herrlichen Situationskomik. Vermutlich die beste späte Fortsetzung überhaupt.

04. The King of Comedy
- Damals beim Publikum gescheitert, gilt die bitterböse Showbusiness-Parabel längst als Klassiker. Kompromisse gibt es hier keine: Der harte, sarkastische (aber unwitzige) Stoff steuert unentwegt auf sein unvermeidliches Ende zu und illustriert zwei Männer am jeweiligen Rand ihrer Mikrokosmen, die durch ihre tief sitzende, pathologische Einsamkeit verbunden werden. Robert De Niro gibt eine seiner besten Rollen und ist immer perfekt abonniert auf Big Apple Psychosen, doch auch Jerry Lewis spielt in ernster Rolle überragend. In der hochgradig aktuellen Analyse gängiger Medienstrukturen verbirgt sich fraglos eine komplexe Schlagkraft, die in der Schlussszene ein bitteres Fazit ziehen lässt: Im TV sind Illusion und Realität nicht zu unterscheiden.

03. Gangs of New York
- Das Filmwerk von Martin Scorsese ist in weiten Teilen auch das filmische Erbe New Yorks. So scheint es wie eine wichtige Konklusion seines Lebenswerks, dass der Altmeister die Ursprünge des Big Apples erforscht - und dabei in den ersten zwanzig Minuten bereits ein Höllenfeuer aufs Publikum loslässt, aus dem es sich auch die folgenden zweieinhalb Stunden nicht befreien darf. Der Gründungsmythos der USA wird hier gleichermaßen beschworen wie demaskiert und findet in der brillanten Figur Bill The Butcher (Daniel Day-Lewis) ein hässliches Gesicht. Das archaische Drama packt den American Dream an den Hörnern, schüttelt kräftig und findet unter seinem Glanz nur Dreck, Verzweiflung, Tod - und die heilende Kraft des Vergessens. Ein Meisterwerk!

02. Good Fellas - Drei Jahrzehnte in der Mafia
- Zwischen den zwei besten Scorsese Filmen lässt sich kaum wählen, je nach Tagesform würden die beiden den Platz tauschen. Good Fellas ist die Antithese zu Coppolas Paten, und neben diesem der wohl ultimative Mafiafilm. Die inszenatorische Genialität dieses Meisterwerks lässt sich nur schwer erfassen, denn die Inszenierung verschwindet ganz subtil hinter der fantastisch voran getriebenen Geschichte, die von einer Faszination handelt. Der Faszination für das organisierte Verbrechen, für archaische Männlichkeit, für unbedingten Respekt und Einfluss. Good Fellas ist ein Film über Männer, die zufällig Mafiosi sind, die aber eigentlich dem Sandkasten vor der Haustür nie entkommen sind. Seine verführerische Kraft ist der Beleg für jede seiner Thesen. Grandios!

01. Taxi Driver
- Hätte Scorsese nur diesen einen Film gemacht, so hätte er seine Spuren in der Filmgeschichte trotzdem hinterlassen. Taxi Driver ist einer der großen Filme des US-Kinos, eine dichte und klaustrophobische Charakterstudie, die in rauschhaften Bildern unbemerkt in die Weltsicht eines Soziopathen vordringt und dessen triebhaft angestautes Aggressionspotenzial in verstörenden Gewalteruptionen entlädt. Mit frappierenden Verweisen auf Western, Thriller und Arthouse-Kino angereichert wurde dieses Werk nicht zuletzt dank des atemberaubenden Spiels des Robert De Niro zum Klassiker - der sich leicht als Psychogramm einer todessüchtigen Nation begreifen lässt, aber auch als selten genau beobachtete Studie über Einsamkeit wirkt. Ohne Frage: ein Film für die Ewigkeit!
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