Welcher ist euer Lieblingsfilm von Michael Cimino?

Die Letzten beißen die Hunde
Insgesamt abgegebene Stimmen: 1 (17%)
Die durch die Hölle gehen
Insgesamt abgegebene Stimmen: 2 (33%)
Heaven's Gate – Das Tor zum Himmel
Insgesamt abgegebene Stimmen: 1 (17%)
Im Jahr des Drachen
Insgesamt abgegebene Stimmen: 2 (33%)
Der Sizilianer (Keine Stimmen)
24 Stunden in seiner Gewalt (Keine Stimmen)
The Sunchaser (Keine Stimmen)
Insgesamt abgegebene Stimmen: 6

Re: Der Michael Cimino Thread

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Cimino? Da war doch was, oder?

1978 The Deer Hunter (Die durch die Hölle gehen) - 9/10
1980 Heaven´s Gate - 6/10
1985 Year of the Dragon (Im Jahr des Drachen) - 8,5/10
1990 The Desperate Hours (24 Stunden in seiner Gewalt) - 4/10
"Nelly, I'm about to get neck-ed back here. So: No peekin'! ... I said: No peekin'!"
(Joe Bang)

Re: Der Michael Cimino Thread

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Year of the Dragon (1985)

Year of the Dragon ist was man eine filmische Spätgeburt nennen könnte, denn Michael Ciminos vierter Film würde stilistisch und thematisch eigentlich viel besser in die 1970er passen und kommt einem oft wie ein Nachzügler der New-Hollywood-Ära vor in seiner Melange aus knallhartem Gangster- und Milieufilm und vielschichtiger Charakterstudie. Die grösste Stärke Ciminos (und seines Co-Autoren Oliver Stone, damals als Regisseur noch weitgehend unbeschrieben aber als Drehbuchschreiber bereits längst etabliert), ist es diese beiden Ebenen als nur eine zu entwickeln und einen Film zu präsentieren, der detailliert durchdacht und wie aus einem Guss wirkt. Die Figurenzeichnung, die unter der schlichten Prämisse eines Polizisten, der im korrupten Chinatown aufräumen möchte und sich mit den Triaden anlegt schlummert ist beachtlich. Im ersten Moment gibt es keinen Grund, den Protagonisten Stanley White zu mögen, er ist ein Sturkopf, schert sich nicht um seinen Ruf und seine Freundschaften, vernachlässigt seine Ehe, hat rassistische Tendenzen und ist frustriert weil er bei seinem Kriegseinsatz die Vietcong im Dickicht nicht finden konnte. Cimino entlarvt in dieser unsympathischen Figur aber mehr und mehr menschliche und verletzte Züge bis hin zu erschütternden Szenen, die geradezu aus dem Nichts kommen und dennoch die logische Konsequenz zur sich immer stärker anziehenden Gewalt- und Emotionsschraube der Handlung darstellen. Mickey Rourke triumphiert und brilliert von A bis Z, wie er diese dreidimensionale und komplexe Rolle in all ihren Facetten ausfüllt fühlt sich an als wäre der Schauspielgott höchstpersönlich vom Olymp herabgestiegen. Rourkes Darstellung und Ciminos Handlungs- und Figurenzeichnung sind gemeinsam so gut dass alle anderen zunächst einmal überschattet werden, was aber unfair wäre weil John Lone als junger Triaden-Karrierist Joey Tai und Caroline Kava als entfremdete Ehefrau auch mindestens sehr gut sind. Visuell ist Cimino ebenfalls auf höchstem Niveau unterwegs und verpackt sein spannend entwickeltes Crime-Drama in edelsten Edelbildern. Wie er die kriminelle Parallelgesellschaft als Spagat zwischen rücksichtslosem Verbrechen und kultiviertem, traditionsreichem Lebensstil darstellt erinnert öfters an den Godfather, wobei Little Italy hier Chinatown ist, Pizzerien opulente Asia-Restaurants und das ländliche Sizilien die Berge Thailands. Zusammenfassend lässt sich festhalten dass Cimino mit Year of the Dragon ein grosser Film gelungen ist, der womöglich ein bisschen zu spät kam. Prunkvoll und atmosphärisch dicht inszeniert, dramaturgisch straff und präzise, figürlich fein ausgearbeitet und darstellerisch vor allem dank Mickey Rourke auf ganz hohem Niveau ist der Film eine Perle, die es zu entdecken gilt.
Wertung: 9 / 10
We'll always have Marburg

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Re: Der Michael Cimino Thread

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Wow, das liest sich ja geradezu hymnisch! :) Vor allem der Absatz über Rourke und den Olymp kann man eigentlich nicht treffender formulieren. Year of the Dragon zeigt gleichermaßen exemplarisch wie überdeutlich, wer in den 80er Jahren der beste Darsteller weit und breit war. Unglaublich wie viele herausragende Leistungen Rourke in dem Jahrzehnt hingelegt hat und vor allem mit welcher Bandbreite. Eigentlich traurig, was danach aus seiner Karriere geworden ist (obwohl er die alte Klasse immer wieder aufgeblitzen liess).

Jetzt drängt sich mir eigentlich nur eine Frage auf: welcher Cimino hat dir am Ende des Tages besser gefallen: Deer Hunter oder Year of the Dragon?
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Der Michael Cimino Thread

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AnatolGogol hat geschrieben: 13. Juli 2018 11:28 Jetzt drängt sich mir eigentlich nur eine Frage auf: welcher Cimino hat dir am Ende des Tages besser gefallen: Deer Hunter oder Year of the Dragon?
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Das Drachenjahr ist im direkten Vergleich dann doch vielmehr ein normaler Genrefilm mit einer normalen Crime-Geschichte. Das mag meinen Lobesarien über die Vielschichtigkeit des Films widersprechen, aber der springende Punkt ist hier eben der Direktvergleich. Und darin ist Deer Hunter halt noch aussergewöhnlicher und filmisch noch vielschichtiger. Wie Cimino an das Thema Verrohung und Entfremdung im Krieg herangeht, wie er den Vorher-Nachher-Kontrast durch die Schilderung der Heimat und der zurückgebliebenen Freunde erlebbar macht, wie er die Hirschjagd als Symbol für die Unschuld und parallel dazu das russische Roulette als Parabel auf den Krieg einsetzt und wie er sich Zeit nimmt um mit einfachen Mitteln Tiefe zu schaffen ist schon einzigartig. Ausserdem finde ich die Figuren und Darsteller im 78er-Jahrgang nicht unbedingt unterlegen, der Unterschied ist nur dass Rourke aus dem (ebenfalls sehr guten) Ensemble noch einmal deutlich herausragt, während sich beim Hunter die Top-Leistung auf mehrere Charaktere verteilt und weniger auffällt. Eigentlich schade, dass ich dazu nie was richtiges geschrieben habe, aber zu diesem Zweck müsste/möchte ich ihn auch noch mal sehen.
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Re: Der Michael Cimino Thread

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Sehe ich in allen von dir genannten Punkten haargenau so. Vermutlich stehen beide Filme bei mir lediglich noch etwas höher in der persönlichen Wertschätzung. Year of the Dragon ist für mich ein grossartiger, ja herausragender Film - aber Deer Hunter ist ein Jahrhundertwerk. Freut mich sehr, dass dir Cimino bislang soviel Freude bereitet hat. Wenn du mal Gelegenheit dazu hast solltest du unbedingt noch Heaven's Gate eine Chance geben, der wohl mit am schönsten fotografierte Film aller Zeiten.

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Re: O Death, Won't You Spare Me Other Till Another Year?

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Heaven's Gate – Das Tor zum Himmel

Es gibt Filme, die von ihrer eigenen Geschichte überschattet werden. Auf kaum ein Werk der Filmgeschichte trifft dies so zu wie auf den Spätwestern "Heaven's Gate", der 1980 in die Kinos kam und alle Vorzeichen für einen Hit aufwies. Mit Kris Kristofferson, John Hurt und Christopher Walken schmückten drei große, beliebte Namen die Hauptrollen, und dann saß auch noch ein gewisser Michael Cimino auf dem Regiestuhl. Cimino hatte erst zwei Jahre zuvor mit "Die durch die Hölle gehen" einen der wohl besten Kriegsfilme aller Zeiten gedreht, auch bei den Oscars gab es insgesamt fünf Goldjungen für sein Werk – darunter die Auszeichnung als Bester Film. Mit "Heaven's Gate" sollte er also gleich sein nächstes Meisterwerk nachschieben, ein Epos um die Besiedlungsmythen Amerikas, als europäische Einwanderer und einheimische Rinderbarone erbitterte Kämpfe führten. Doch es kam anders…

Cimino überzog das Budget so arg, dass der Film am Ende doppelt so teuer für das Produktionsstudio United Artists wurde und den Verantwortlichen manches graues Haar gekostet haben mag. Nicht nur das: Mit dem kommerziellen Scheitern von "Heaven's Gate" verpasste der ambitionierte Regisseur der auslaufenden Ära des New Hollywood endgültig den Sargnagel und wurde selbst im Filmgeschäft zur Persona non grata. Die Plattitüde, ob der Film all das letztlich wertgewesen ist, soll an anderer Stelle erörtert werden, doch ist zumindest auffallend, wie passend sich "Heaven's Gate" als Endpunkt des New Hollywood historisch eignet, ist dieser dreieinhalb Stunden lange mythische Western schließlich nicht mehr oder weniger als ein in monumentaler Länge aufgezogener Schwanengesang, der in die tiefsten Hinterkammern der US-amerikanischen Identität vordringt und ein geschickt verdrängtes Trauma nach außen kehrt.

Da Michael Cimino sein Mammutwerk als Epos und nicht nur als Western verstanden wissen will, bettet er seine komplexe Geschichte in den historischen Kontext des Johnson-County Krieges. Damals, 1892 um genau zu sein, kam es in Wyoming zur blutigen Auseinandersetzung, als Rinderzüchter einen martialischen Krieg mit Kleinbauern begonnen, und eine Todesliste mit über 70 Namen herausgaben, auf der unter anderem auch Gesetzeshüter sich wieder fanden. Was andere Filmemacher als klassischen Stoff für eine große, reizvolle Abenteuergeschichte mit Suspense und Pathos genutzt hätten, wird unter Cimino zum Monumentalfilm, dessen Konflikte sich schwelend im Hintergrund ankündigen. "Heaven's Gate" macht es dem Zuschauer nicht leicht, gestaltet sich sperrig, fängt absolut Genre-untypisch an. Der Beginn des Films, ein beinahe halbstündiger Prolog, zeigt zwei Harvard-Absolventen im Jahr 1870 bei den Abschlussfeierlichkeiten, ausgelassen tanzend, den Frauen nachschauend.

Cimino eröffnet seinen Film so, weil er auch in den folgenden drei Stunden oft eher darauf bedacht ist, im Moment zu verweilen, als ein Narrativ zu fördern. Wenn es in den Westen geht, erinnert die Einführung des Antagonisten, von Christopher Walken auf dem Höhepunkt seiner beachtenswerten Karriere gespielt, an den ersten Auftritt klassischer Schurken des Genres, doch schon hier deutet sich Ciminos fatalistischer Nihilismus an: Durch ein Einschussloch betrachtet der Revolverheld sein so eben tödlich verwundetes Opfer, welches im Schlamm vor ihm sein Leben aushaucht, die Eingeweihde aus dem Körper quillend, von der schreienden Witwe durch das Himmelstor begleitet.

In der Welt, in der "Heaven's Gate" spielt, sind Freude, Glück oder gar Frieden nicht mehr oder weniger als Augenblicke, die stets von dem Damoklesschwert des Hasses und der Xenophobie überschattet werden. Wann immer in den 219 Minuten eine Figur lächelt oder gar lacht, bleibt die traurige Gewissheit, dass das Schicksal es mit niemandem in diesem Film gut meinen wird. Der direkte Übergang vom Harvard-Intro zum Western-Epos macht dies deutlich als jede vergleichbare Momentaufnahme: Eben noch sah man den jungen, ungestümen James Averill als idealistischen Studenten, mit breiter Brust und Hoffnung in den Taschen, nun sitzt er zwanzig Jahre später desilluisoniert in einem düsteren Zugabteil, ist der innerlich zerstörte Sheriff des Ortes Johnson County geworden. Seinen Idealismus hat ihn die vorzivilisatorische Grausamkeit der Welt ausgetrieben, in Johnson County ist kein Platz für Werte, hier stürzt niemand heldenhaft für den anderen in die Bresche.

Mit dieser unbarmherzigen Sezierung eines vermeintlich vergangenen Amerikas gelingt dem komplexen Drehbuch eine der vernichtendsten und gerade daher auch interessantesten Analysen und Entmythologisierungen der Vereinigten Staaten. Helden gibt es in diesem Land nicht, weil sie in einer so verdorbenen Gesellschaft nicht gedeihen können. An diesem Punkt ähnelt "Heaven's Gate" einer konsequenten Fortsetzung der Ideen und Themen aus Ciminos "Die durch die Hölle gehen". Beide Filme können leicht als Tragödien oder Trauerspiele missverstanden werden, doch bei beiden würde man ihnen damit Unrecht tun, sind ihre Charaktere doch von Vornherein Gefangene in einer derart verkommenen Welt, dass Cimino gar keine Tragödie mehr zu erzählen braucht. Stattdessen lässt er Kameramann Vilmos Zsigmond einfach dabei zusehen, wie sich seine Figuren, allesamt Außenseiter, begegnen und entscheiden müssen, auf welcher Seite sie beim Fressen oder Gefressenwerden stehen möchten.

Fremdenhass ist ein zentrales Thema des Films und wird seitens der Regie als integrales Gründerelement der "unbegrenzten Möglichkeiten" gedeutet, den die USA sich heute auf ihre Flagge schreiben. Alle Figuren hadern auf ihre Weise mit dem Gedanken der Bestimmung, und sie alle sind ohne es zu wissen von Beginn der Handlung an miteinander verbunden und spielen ihren entscheidenden Part im Aufbruch und Umsturz, den es hier zu entdecken gilt. Bis es zum großen Aha-Moment kommt, vergeht eine Menge Zeit, und da Cimino Moment auf Moment folgen wird, ist die Handlungsentwicklung schleppend, gerne auch mal anstrengend. "Heaven's Gate" ist die Sorte Film, die sich erarbeitet werden muss, deren Höhepunkt man sich erst verdient, wenn man sich auf das Spiel eingelassen hat und bereitwillig vom langen Atem des Films verschluckt wird. Einfach macht es einem der Großmeister nicht: Elliptisch sind seine Szenen angeordnet, Handlungselemente wirken willkürlich zusammengesetzt, und die fraglose Weitsichtigkeit des Films vermag an einigen Stellen einzuschüchtern. Michael Cimino ist kein David Lean, und trotz des blutgetränkten Finales auch kein Sam Peckinpah. Er ist kein Geschichtenerzähler, er ist ein Dokumentarist.

Anstelle zu berichten, ist Cimino selbst mit dabei, wenn die Gäule durch ihr Aufstapfen jedes Gefecht in eine Welt aus Staub hüllen. Der Regisseur wird selbst zum Charakter seines Films, ist mit der Kamera mitten im Geschehen, will jeden Aspekt des Gesehenen für zukünftige Generationen festhalten. Später legte ihm die zeitgenössische Kritik dies negativ aus, er habe sich mit "Heaven's Gate" überhoben. Falsch ist das nicht, allerdings auch nicht des Pudels Kern. "Heaven's Gate" ist ein pessimistischer Blick auf ein Stück Zeitgeschichte, ein subjektiv eingefärbtes Stück Erinnerungskultur, dass sich zu jedem Zeitpunkt zu seiner Subjektivität bekennt und sich um dramaturgische Muster und den Willen des Publikums nicht zu scheren braucht. Künstlerisch hat der Film sein kommerzielles Scheitern unlängst wettgemacht, wird mittlerweile für seinen Detailreichtum geschätzt, und für seine Bemühungen gelobt.

Ist "Heaven's Gate" also ein verkanntes Meisterwerk, dessen unrühmlicher fester Platz der Filmgeschichte es zu überdenken gilt? Michael Cimino ist ein großer Missverstandener, dem sein liebevoller, aufmerksamer Blick an den Kinokassen zum Verhängnis wurde. Virtuos zeigt er seinen ungeschönten Blick auf das Gründungsfundament einer Weltmacht: Eine Nation, die nicht aus Träumen und Hoffnungen, sondern aus dem Dreck geboren und mit Blut erkämpft wurde. Dank ihm wissen wir: Wer durch die Hölle geht, landet am Tor zum Himmel.
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Re: FILMTIPPS: Western

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Casino Hille hat geschrieben: 6. August 2020 11:47 Heaven's Gate – Das Tor zum Himmel
Vielen Dank für diese tolle Auseinandersetzung mit dem Film, Hille! Ich sehe vieles, wenn nicht gar das Meiste praktisch identisch. Dennoch greife ich mal ein paar Details auf, um darüber vielleicht in eine kleine Diskussion zu kommen.
Casino Hille hat geschrieben: 6. August 2020 11:47 Wenn es in den Westen geht, erinnert die Einführung des Antagonisten, von Christopher Walken auf dem Höhepunkt seiner beachtenswerten Karriere gespielt, an den ersten Auftritt klassischer Schurken des Genres,
Siehst du Walkens Figur tatsächlich als Antagonist? Sicher, seine von dir beschriebene Einführung lässt anfänglich kaum eine andere Interpretation zu. Allerdings lässt Cimino im weiteren Verlauf doch eigentlich keinen Zweifel daran, dass Walkens Ned Champion trotz seiner Verbindung zu den Viehbaronen immer bestrebt ist richtig zu handeln.
Spoiler
Spätestens in seinem finalen Schicksal (und der hier fast schon Märtyrerhaften Inszenierung) entbindet ihn der Film dann doch eigentlich eindeutig vom Schurken-Verdacht.
Wenn ich einen bzw. den Antagonisten in HG benennen müsste, dann wäre das sicherlich Waterstons Rinderbaron. Aber obwohl der Film die Waterston-Figur in einem durchgängig negativen Licht zeigt, so ist HG meiner Ansicht nach dann doch viel zu vielschichtig, als dass dies die alleinige Wahrheit wäre. Denn auch wenn der Film - wie du so schön schriebst - durchaus subjektiv die historischen Geschehnisse nachzeichnet, so ist er dennoch nicht einseitig. Cimino lässt auch keinen Zweifel daran, dass die eingewanderten Kleinfarmer auch ihren Teil an der Eskalation mitzutragen haben. HG ist kein verklärender Film, er zeigt die dunklen und negativen Seiten der armen Siedler genauso deutlich wie die der reichen Rinderbarone und macht deutlich, dass sie ihr Schicksal zumindest teilweise auch mitzverantworten haben. Was wie ich finde eine der Stärken des Films ist: er zeigt uns Menschen in all ihrer Ambivalenz, in ihrer Stärke und Schwäche und pauschalisiert nicht zu Gunsten einer intendierten einfachen Wahrheit.
Casino Hille hat geschrieben: 6. August 2020 11:47 Mit Kris Kristofferson, John Hurt und Christopher Walken schmückten drei große, beliebte Namen die Hauptrollen
Bezüglich der Einschätzung der Namen bin ich etwas verhaltener als du. Sicherlich, Kristofferson war Ende der 70er Jahre in beliebter Künstler, dem man nicht zuletzt durch den jüngsten Erfolg mit Peckinpahs Convoy durchaus zutrauen konnte ein größeres Publikum anzusprechen. Walken und Hurt sind herausragende Mimen, aber keiner von ihnen hat sich Zeit seiner Karriere als besonders zugkräftig hervorgetan. Sie adeln den Filmm (bzw. eigentlich jeden Film) mit ihren Darstellungen, sind aber denke ich auch ein Mosaiksteinchen im kommerziellen Misserfolg des Films (wie überigens auch Kristofferson, den das breite Publikum wohl am Ende dann doch lieber in amüsant-leichten Rollen wie Semi-Tough an der Seite von Burt Reynolds oder dem bereits angesprochenen Convoy sehen wollte). Wir sind hier zwar immer noch im New Hollywood, wo große Namen nicht unabdingbar für einen kommerziellen Erfolg waren, aber eben am Ende dieser filmischen Epoche und ich wage mal die Behauptung, dass der thematisch und stilistisch ähnlich sperrige Apocalypse Now an der Kinokasse auch deshalb so gut reüssierte, weil er Marlon Brando an Bord hatte und viele Zuschauer vom Gemunkel um „den fetten, kahlen, brillanten Brando“ motiviert wurden ihn genau so sehen zu wollen. Bei der Besetzung von HG hingegen – so gut und passend sie auch ist - findet sich kein einziger Name, der einen solchen (oder zumindest einen ähnlichen Effekt) hätte erzielen können. Sicher, das Scheitern von HG ist erheblich komplexer als es nur auf seine Besetzung zurückzuführen, aber mit einem Namen wie Pacino, Nicholson oder DeNiro (ungeachtet ihrer Kompatibilität zu den in Frage kommenden Rollen) hätte der Film vermutlich eine erheblich bessere Chance gehabt an der Kinokasse (und wäre – so meine Mutmaßung – wohl auch nicht dermaßen von der amerikanischen Kritiker-Elite geschlachtet worden, da die genannten Namen deutlich heiligere Kühe waren als ein Kristofferson oder Walken).

Casino Hille hat geschrieben: 6. August 2020 11:47 Später legte ihm die negative zeitgenössische Kritik dies negativ aus, er habe sich mit "Heaven's Gate" überhoben. Falsch ist das nicht, allerdings auch nicht des Pudels Kern.
Wenn du schreibst, es sei nicht falsch, dass er sich an dem Film überhoben hat, woran denkst du da konkret?

Casino Hille hat geschrieben: 6. August 2020 11:47 Cimino überzog das Budget so arg, dass der Film am Ende doppelt so teuer für das Produktionsstudio United Artists wurde und den Verantwortlichen manches graues Haar gekostet haben mag.
Streng genommen hat er das Budget sogar fast sechsmal übertroffen. Wobei man auch sagen muss, dass das originäre Budget von 7,5 Mio Dollar eine Fantasiezahl war, bei der sich auch die Studioseite von Anfang an im Klaren darüber war, dass dies so nicht kommen wird. Das Interessante an der (ohnehin superspannenden) Entstehungsgeschichte von HG ist, dass sie die bereits angespochene inhaltliche/figürliche Ambivalenz praktisch 1:1 wiederspiegelt. Auch hier gibt es keine klar von einander getrentten „Guten“ und „Bösen“, jede Seite trägt maßgeblich Verantwortung und Schuld daran, dass die Situation derart eskalieren konnte. Jede Aktion (oder oft auch das Ausbleiben einer Aktion) bedingte eine Reaktion und so weiter. Wie du schon so treffend geschrieben hast: „Das Schicksal meint es mit niemandem gut in diesem Film“ – das gilt auch fast für jeden, der an dem Film in verantwortlicher Postion beteiligt war.
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Re: FILMTIPPS: Western

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AnatolGogol hat geschrieben: 6. August 2020 13:38 Vielen Dank für diese tolle Auseinandersetzung mit dem Film, Hille!
Hat ja auch nur... 5 Jahre gedauert? 6 Jahre? Wer weiß das schon? :D
AnatolGogol hat geschrieben: 6. August 2020 13:38 Siehst du Walkens Figur tatsächlich als Antagonist?
Deine Ausführungen sind sicherlich insofern richtig, als dass sich Walkens Charakter nicht als Bösewicht oder Schurkenfigur sehen lässt, auch wenn er mit voller Absicht seitens Cimino als solcher eingeführt wird. Insbesondere der spätere Umgang mit Ned Champion macht – wie du auch schreibst – deutlich, dass Cimino an einer klassischen Gut-/Böse-Zeichnung kaum interessiert ist. Ich sehe den Begriff Antagonist aber nicht unbedingt synonym mit dem Begriff "Schurke" oder "Bösewicht". Ein Antagonist ist für mich erstmal einfach die narrativ entgegen gesetzte Kraft zum Protagonisten (der auch kein Held, nicht mal eine positive Figur sein muss, sondern lediglich der Handlungsträger). Und eine genau solche Figur ist Ned Champion für mich dann doch fraglos, auch wenn er charakterlich im Lauf der Handlung ordentlich Profil gewinnt. Deine Einschätzung, dass "Heaven's Gate" kein einseitiger Film ist, teile ich unbedingt und das gilt sicherlich speziell für die Grautöne, in denen sich alle Figuren aufhalten.
AnatolGogol hat geschrieben: 6. August 2020 13:38 Kristofferson war Ende der 70er Jahre in beliebter Künstler, dem man nicht zuletzt durch den jüngsten Erfolg mit Peckinpahs Convoy durchaus zutrauen konnte ein größeres Publikum anzusprechen. Walken und Hurt sind herausragende Mimen, aber keiner von ihnen hat sich Zeit seiner Karriere als besonders zugkräftig hervorgetan. Sie adeln den Filmm (bzw. eigentlich jeden Film) mit ihren Darstellungen, sind aber denke ich auch ein Mosaiksteinchen im kommerziellen Misserfolg des Films (wie überigens auch Kristofferson, den das breite Publikum wohl am Ende dann doch lieber in amüsant-leichten Rollen wie Semi-Tough an der Seite von Burt Reynolds oder dem bereits angesprochenen Convoy sehen wollte).
Interessante Einschätzung. Vielleicht fehlt es mir etwas an Hintergrundwissen, um da eine entsprechende Gegenantwort zu starten, aber ich würde schon behaupten, dass "Heaven's Gate" kommerziell keine so schlechten Vorzeichen hatte – von den desaströsen Budget-Überziehungen mal abgesehen. Kristofferson war in der Tat ein Star zum damaligen Zeitpunkt, der beim Publikum zünden konnte und zumindest damals anno 1980 konnte man nicht unbedingt absehen, dass er in dieser Rolle für das Massenpublikum nicht denselben Reiz ausüben konnte, Christopher Walken war durch den Oscar-Gewinn nach "Die durch die Hölle gehen" auf einem Karriere-Höhepunkt – und Michael Cimino hätte als Name damals auch noch deutlich mehr ziehen können als gedacht. Deine Einschätzung ist im Nachhinein sicherlich die historische Teil-Erklärung des kommerziellen Misserfolgs, aber nicht alle diese Vorzeichen waren 1980 so absehbar (negativ).
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