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von Niklas
Agent
TENET (Christopher Nolan, 2020)
Wenn ich mich mal wieder melde, wann wenn nicht jetzt? Denn Endlich: Hier ist er. Cineasten, Presse, Medien, Kinoketten und Kinobetreiber, alle haben sie auf diesen einen Film gewartet. Sie sagten nur ein Wort und es sollte die richtigen Türen öffnen und hoffentlich nicht die falschen. Tenet war lange ersehnt, der neue Nolan, und so begehrten die „Nolangläubigen“ schon vor dem ersten Trailer diesen Film. Im Zuge der Covid-19-Pandemie wurde dieser Film zum Hoffnungsträger einer ganzen Kulturbranche. An diesem einen Film hingen nun die Erwartungen der Cineasten, seit weit lange vor der Pandemie und letztlich nun eine ganze Industrie, ein Stück menschlicher Kultur: das Kino. Tenet ist nun der Prüfstein, für eine Filmindustrie, welche letztlich Gewinne einfahren will, ja gerade heute sogar einfahren muss. Die Medien stilisierten diesen einen Thriller als nichts weiter, als den möglichen Retter des Kinos und um es vorweg zu nehmen: Ja! Aber es wäre viel zu platt Tenet nur so anzusehen.
In meiner Kritik folgen immer mal wieder kurze Anspielungen auf den Film, ich will eben nicht spoilern, aber wer den Film gesehen hat sollte einiges mehr verstehen können hoffe ich.
Ich werde einmal ganz grob erst einmal anreißen worum es in Tenet geht, auch ohne großartig zu spoilern. Tenet ist ein Spionage-Agenten-Sci-fi-Thriller. Mehr sage ich nicht, alles Weitere wäre schon ein Spoiler, alles an diesem Film ist pures Erlebnis, es ist Filmkunst wie wir sie auf der heutigen Leinwand viel zu selten sehen, auch wenn das sehr reiche und gute Filmjahr 2019 darüber hinweg täuscht. Der Film ist handwerklich mehr als gekonnt gemacht, Nolan weiß wie man einen Film dreht, die Action sieht hervorragend aus, der Sound von Schüssen, Schlägen und co hat mich im Kinosessel mehr als ergriffen. Jede Bewegung sitzt, die Kamera weiß zu filmen, Hoytema weiß wie Perspektive, Bildaufbau und Dynamik funktionieren, seine Kamera hat aber eine eher weniger aufdringliche Ästhetik als zB die eines Deakins, die Kamera schafft Raum für die Bilder und die Handlung, für das Gefilmte, nimmt sich selbst zurück, aber bleibt doch gekonnt und versteht seine Wirkung. Schauspielerisch sehen wir hier ähnliches Talent, der Dynamik zwischen Washington und Pattinson hätte man allerdings an einigen Stellen mehr Raum geben können. Vor allem Pattinson fällt hier auf und zeigt, was er uns die letzten Jahre zB mit Filmen wie „Der Leuchtturm“ (2019) schon gezeigt hat. Ich denke ich gehe nicht zu weit, wenn ich sage, dass mit Pattinson auf Dauer sogar eine ernsthafte Konkurrenz für Dicaprio aufkommt. Wir dürfen uns jedenfalls allemal auf „The Batman“ (voraussichtlich 2021) freuen. Der Score von Göransson ist großartig, er befüllt den Kinosaal, fesselt genau wann er fesseln muss, unterstützt den Rhythmus des Films und steigert das Kinoerlebnis. Zimmer konzentriert sich in der Zeit auf sein Traumprojekt „Dune“ (voraussichtlich Dezember 2020), Göransson zeigt das es auch ohne ihn geht, auch wenn der Score stilistisch ein wenig vom Meister abschaut.
Wollen wir Tenet in seiner Substanz verstehen, so müssen wir zu meiner Anfangs genannten Beschreibung zurückkommen: „Spionage-Agenten-Sci-fi-Thriller“. Was hier zunächst nach einem Kessel Buntem klingt ist genau das. Nolan will kein zweites „Memento“, keinen zweiten „Inception“. Nolan ist studierter Literaturwissenschaftler, mit jedem Film versucht er seinen Beitrag zum modernen Kino zu leisten und zeigt immer wieder auf, dass neben den immer gleichen Marvel- und Franchiseproduktionen Kino viel mehr kann: Mit Memento bricht er die Regeln linearer Handlung, mit Inception bricht er die Idee einer einzigen großen Welt in einem Film, mit der Dark-Knight-Trilogie zeigt er wie politisch und philosophisch, nachdenklich Comicverfilmungen sein können und ebnet Filmen wie „Joker“ (2019) den Weg, auch wenn dieser nicht daran heran reicht. Mit Dunkirk zeigt er, dass ein Krieg viele Facetten und Blickwinkel hat. Nolan zeigt uns die Komplexität unserer Welt und gibt uns direkt Antwort und Schlüssel zur Encodierung dieser: Kino. Dieses ist für ihn kein Mausoleum wie es uns Tarantino zuletzt mit „Once Upon a Time in Hollywood zeigte“ (2019) zeigte. Für Nolan ist Kino mehr, kein Rückzugsort in dem wir es uns bequem machen, für Nolan ist Kino ein aktives Erlebnis, dass uns die Welt erfahrbar macht und näher bringt. Zeit, Ort, Psychoanalyse, Politik, Philosophie, Geschichte, Physik, all das sehen wir bei Nolan und fangen an uns selbst Gedanken zu machen zu dem Gesehenen, weil wir durch das Kino und das gekonnte Handwerk in Träume hinabsteigen, die uns diesen Zugang legen. Nolans Träume die er uns auf die Leinwand zaubert sind vielleicht realer als wir denken. Und Nolan redet nicht einfach, er wagt, er macht, er zeigt wie alte Muster, über Tenet in einem James Bond Forum zu schreiben ist schon irgendwie interessant, und modern gedachtes, virtuoses und gekonntes Kino funktionieren können. Das ist Tenet. Tenet zeigt uns die Vergangenheit des Kinos anhand des Grundplots, in der Gegenwart sitzen wir im Kino und wir sehen wie Kino zukünftig weiter funktionieren kann. Kino kann neue Dinge wagen, kann machen, vor allem Leute wie Nolan die sich freigespielt haben, haben Möglichkeiten unabhängig von Franchises große, teure, aufwendige Projekte zu verwirklichen. Das Alte und Neue kommt hier und heute zusammen und Nolan zeigt was das Alte kann, Tenet macht CGI zum Fremdwort, es ist eben ein Nolan.
Nolan zeigt uns, dass altes und neues Kino sich aber nicht ausschließen, erst Recht nicht ein kluges Drehbuch und Unterhaltung. Tenet ist dabei kein Freizeitpark, Tenet ist pure Virtuosität, handwerkliche Perfektion, Tenet hat eine klare Botschaft, will das wir unser Denken von Ursache und Wirkung hinterfragen, unser Handeln, unser Tun, wird philosophisch, sogar konkret politisch und zeigt am Ende, dass manche Dinge nicht bedenkenlos rückgängig gemacht werden können.
Tenet zeigt, dass das Kino lebt, es brennt, es ist ein Appell für neues Kino, für gewagte Stoffe. Tenet wusste nie, welche Rolle man ihm einmal abverlangen würde, seine Zukunft hat ihn eingeholt und er hat abgeliefert. Tenet ist ein Kinofilm, ein Film der für viele anstrengender sein könnte, als das was man da sonst so in den Sälen sieht, aber Nolan wagt und geht voran, was sonst nur wenige wagen, mal das Studio A24 und derartige Produktionen ausgenommen.
Um es klar zu sagen: Tenet hat mir gezeigt, dass das Kino noch lange nicht tot ist. Wir brauchen das Kino, das Erlebnis und die Erkenntnis gibt es so nur dort. Tenet war lange vor der Pandemie schon ein Appell fürs Kino, es ist ein Wachrüttler für eine Industrie, die sich in immer gleichen Ideen und Franchises verdreht. Nolan weiß, dass das Kino zu kostbar ist, um es einfach aufzugeben und schafft einen Film, der die Begeisterung des Films neu einfangen soll, wie die Spionagefilme die ihn als Kind so begeisterten sagte er. Er zeigt uns dieses alte Kino, gute Action, gutes Handwerk, toller Sound und Soundtrack. Die Anzüge im Film stehen sinnbildlich für diesen Film, sie sollen nicht von der Stange kommen sagt Micheal Caine in einer großartigen Szene, wie Tenet sollen sie maßangefertigt sein, perfekt, mit Leidenschaft und Können, mit Liebe für die Kunst gemacht. Aber wie der Protagonist, soll das Kino sich hinaus wagen und für das kämpfen was es so sehr liebt.
Tenet ist ein Film über die Welt, den Film, wie sie zueinander stehen, wie sie funktionieren, von der Komplexität, von der Erkenntnis das wir nie alles verstehen werden, aber wir können es versuchen, aber das geht nur im Film, wenn wir uns hinaus wagen, Neues wagen und Altes nicht vergessen, wenn wir Vergangenheit und Zukunft gekonnt vereinen, dann kann all das überleben, unsere Welt, der Film, der Mensch, aber nur wenn wir es wagen. Nolan verhandelt auf der Leinwand alles. Ob das zu viel ist oder gerade richtig, dass muss jetzt jeder selbst entscheiden. Nolan bietet zumindest ein Werk das Diskussionsstoff bietet. Er rast mit Tenet mit etwas Gewaltigem in etwas und zeigt, dass man die Dinge erst einmal aufbrechen und erschüttern muss. Das Geld/Gold wird vorher abgeworfen. Nolan wird grundsätzlich und entlässt uns mit einem Schlussbild, welches treffender nicht sein könnte. Da möchte ich wirklich nichts spoilern, wobei viele Szenen hochsymbolisch sind, so auch die Szene ganz zu Beginn im Konzerthaus. Tenet ist ein Erlebnis für sich, regt zum Nachdenken an. Über einzelne Schwächen in Plot und Charakteren kann man streiten, das ist auch in gewisser Weise subjektiv, wie man sich auf den Film einlässt.
Aber am Ende wird klar: Tenet ist nicht perfekt, aber er macht vieles sehr richtig. Nolan weiß, schon die Filme des New Hollywood lagen irgendwo zwischen dem Alten und dem neu Gewagten. Nolan hat abgeliefert, und es liegt an uns, was wir daraus machen und welche falschen oder richtigen Türen in Zukunft von der Industrie geöffnet werden. Nolan zeigt uns schon einmal wie es gehen kann, die Zukunft holt uns ein. Die Frage ist nur, wann Hollywood das auch klar wird oder ob man weiterhin die nächste, immer gleiche Marvelproduktion in die Säle bringt und das Kino wie wir es kannten langsam erstickt. Nolan zeigt, Kino war immer mehr als das, Kino kann mehr, wenn man es nur will. Eines wird mir klar: Mit Tenet ist der Kampf um das Kino, vor allem um das gute und kluge Blockbusterkino, noch nicht zu Ende. Während uns von Marvel Filmen nach dem sehen immer weniger in Erinnerung bleibt, es kommt ja eh bald dann wieder der nächste, bleibt Tenet im Kopf, er bestimmt die Zukunft mit, er bestimmt den Grundsatz des Kinos, gestern, heute und morgen.
Über die Kritik hinaus noch eine kleine Anmerkung von mir in diesem Zusammenhang: „Keine Zeit zu sterben" (voraussichtlich November 2020) wird anscheinend Craigs letzter Bond Film. Ich denke dann wird auch ein neuer Regisseur gesucht werden. Wir wissen, dass Broccoli und Nolan Kontakt hatten in der Vergangenheit, Nolan aber am liebsten sein eigenes Ding aus Bond machen würde in Form einer Neuausrichtung. Mit Blick darauf und Nolans praktizierte Liebe zum Spy-Genre, könnte Tenet eine Art Bewerbung für Bond sein. Das ist sehr spekulativ, aber zumindest mal einen Gedanken wert wie ich finde.