Re: Deutsche Schauspieler und das deutsche Kino allgemein

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Samedi hat geschrieben: 5. August 2020 17:05
DonRedhorse hat geschrieben: 5. August 2020 16:46 Ich weiß gar nicht, was man mir zahlen müsste, um das im Kino anzuschauen. Lieber würde ich mich naggisch auf einem Ameisenhaufen wälzen.
Meinst du jetzt den Jesus-Film von Mel Gibson?
Nein, ich meine einen Film mit Otto. Das ist gar nicht mein Humor.
#Marburg2024

Früher war mehr Atombombe

Re: Deutsche Schauspieler und das deutsche Kino allgemein

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iHaveCNit: Kokon (2020)
21.08.2020

Wenn es ein filmischer Bereich in den letzten Jahren immer wieder schafft mich zu begeistern ist es der Bereich von Filmen, die sich mit „Coming-Of-Age“ beschäftigen. Und da schaffen es in der immer moderner werdenden Welt, in der es immer größere Akzeptanz für gleichgeschlechtliche Liebe gibt auch immer mehr Filme den Weg in die Kinos. Gerade in diesem Zug haben mich bereits Filme wie z.B. „Moonlight“ von Barry Jenkins und „Call Me By Your Name“ von Luca Guadagnino begeistert. Auf aktuellen Streifzügen in der aktuellen Zeit bin ich auf den deutschen Film „Kokon“ gestoßen, der eine charmante deutsche und weibliche Schwester von „Moonlight“ und „Call Me By Your Name“ geworden ist.

Es ist der wärmste Sommer seit sehr langer Zeit in Berlin am „Kotti“. Die schüchterne Nora genießt die Zeit, die sie mit ihrer Schwester Jule, deren Freundin Aylin und deren multikulturellen Freundeskreis verbringen kann. Doch innerlich spürt sie, dass sie anders tickt. Als sie aufgrund eines Unfalls beim „Fingerkloppe“ nicht mehr an einer Klassenfahrt teilnehmen kann, wird sie in der Klasse ihrer Schwester untergebracht. Als sie unerwartet vor der ganzen Klasse im Sportunterricht ihre erste Periode bekommt, bekommt sie Hilfe von der älteren Romy aus der Parallelklasse. Sie ist von der Hilfsbereitschaft Romys und ihrem selbstverständlichen Umgang mit dieser Situation so begeistert, dass sie sich in Romy verliebt und eine Veränderung durchmacht – genau wie die Raupen, die sie in ihrem Zimmer beherbergt.

Es gibt ein wichtiges Kompliment, das ich einem Film machen kann. Und das ist, dass ich dem Treiben auf der Leinwand ewig hätte zusehen können, aber der Film ist mit seinen etwas über 90 Minuten sehr kompakt und kurzweilig. Dazu passt ein sehr natürlicher, aber auch sehr herzerwärmender Monolog von der großartig von Lena Urzendowsky gespielten Nora, in dem es um die Schönheit, Vergänglichkeit und Banalität von Momenten geht. Die große Stärke von „Kokon“ ist die Natürlichkeit und die Intimität, wenn es um die zwischenmenschlichen Momente geht, auch wenn diese nur angedeutet und unausgesprochen bleiben. Gepaart mit dieser sehr warm auch inszenatorisch eingefangenen Atmosphäre des Sommers 2018 geht auch der Film emotional mit einer entsprechenden Wärme einher. Wenn es eine Schauspielerin in den letzten Jahren immer stärker schafft, auch abseits großer Kassenmagneten sich durch sehr variable und großartige Rollenauswahlen einen Namen zu machen ist es Jella Haase, deren Romy hier mal komplett ruhig, abgeklärt und entspannt wirkt und damit einen perfekten Rückzugsort für Lena Urzendowskys Nora liefert. Auch die von Lena Klenke gespielte größere Schwester Jule ist auch eine weitere großartige Rolle im Ensemble des Films. Mit wesentlich mehr Fokus auf die gesamten zwischenmenschlichen Momente hätte mir der Film noch ein wenig mehr gefallen, denn mit ein wenig zusätzlichen auch nur leicht oberflächlich angerissenen Kommentaren wirkt der Film von Leonie Krippendorf ein wenig überladen – und selbstredend konnte ich mir bereits vorstellen, in welche Richtung der Film auch gegen Ende hin gehen wird.

„Kokon“ - My First Look – 8/10 Punkte.
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Re: Deutsche Schauspieler und das deutsche Kino allgemein

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iHaveCNit: Exil (2020)
23.08.2020


Kommen wir zu einem schwierigen Thema – gefühlte Diskriminierung und Ausgrenzung im Alltag. Der aus dem Kosovo stammende Regisseur und Drehbuchautor Visar Morina lässt in seinem Psychodrama Misel Maticevic genau das durchmachen. Der Film selbst versucht sehr ambivalent mit dem Thema umzugehen, bleibt dabei aber etwas unentschlossen und nicht ganz zufriedenstellend.

Xhafer stammt aus dem Kosovo, lebt aber ein ruhiges und entspanntes Leben mit seiner Frau und den Kindern, während er in der Forschung eines Pharmaunternehmens arbeitet. Als jedoch eines Tages an seinem Haustor eine tote Ratte hängt und sich diverse kleine Vorfälle im Büro häufen, ist er sich sicher, dass das mit seiner Herkunft zusammenhängt. Sind die Vorfälle tatsächlich auf Fremdenhass zurückzuführen oder bildet sich Xhafer das alles nur ein und sind diese Vorfälle auch auf seinen eher unzulänglichen Charakter zurückzuführen ?

Regisseur Morina folgt während dem zweistündigen Film seinem Hauptcharakter Xhafer auf Schritt und Tritt und lässt uns selbst an seinen Erfahrungen teilhaben. Die Farb- und Lichtgebung der Kamera ist sehr warm, vielleicht sogar sehr heiß und schwitzig. Getragen wird der Film vor allem von einem großartigen Misel Maticevic als Xhafer und demgegenüber auch einer großartigen Sandra Hüller als seine Frau Nora. Eine weitere wichtige und gut gespielte Rolle ist der von Rainer Bock gespielte Kollege Urs. Morina versucht sich dem Thema und auch dem Charakter von Xhafer sehr ambivalent zu nähern, jedoch hatte ich Probleme mich sowohl mit dem Hauptcharakter zu sympathisieren, zu solidarisieren als auch zu identifizieren. Das hängt damit zusammen, dass sich Xhafer konsequent in paranoiden Wahnvorstellungen und seiner eigenen Opferrolle suhlt und sich absolut nicht für abweichende Meinungen und Intentionen interessiert. Auch charakterlich ist er nicht sonderlich ein Sympathieträger. Natürlich sind tote Ratten und ein brennender Kinderwagen sehr prägnante Mittel um das Thema effektiv voranzutreiben und zu untermauern aber gerade manche sehr subtilen Mittel wie der Kommunikationshelfer „Nachfragen“ gerade wenn es um die Aussprechlichkeit von Namen geht, einem eigentlich eher wohlgemeinten Opener für einen Small-Talk mit der Frage nach der Herkunft oder um versehentlich untergegangene Informationen und E-Mail geht – nicht alles hängt meiner Meinung nach mit den schon sehr radikalen und bösen Begriffen „Fremdenhass“ und „Rassismus“ zusammen. Da macht es sich der Charakter von Xhafer schon sehr einfach, während der Film versucht hier sehr ambivalent, uneindeutig und unentschlossen zu bleiben. Interessant wäre es gewesen, wenn der Film hier in der gesamten Auseinandersetzung eben konkrete Fallbeispiele auch mit Intentionen der „Gegenseite“ unterfüttert worden wäre, damit die Vorwürfe Xhafers nicht nur im Raum stehen bleiben, sondern damit entweder bestätigt oder entkräftigt werden. So bleibt der Film mit seinem interessanten, brisanten und wichtigen Thema für mich ein wenig hinter seinen Möglichkeiten zurück.

„Exil“ - My First Look – 7/10 Punkte.
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Re: Deutsche Schauspieler und das deutsche Kino allgemein

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iHaveCNit: Die Rüden (2020)
03.09.2020


Zeit für einen sehr minimalistischen deutschen Film, der mit einer sehr interessanten Idee kommt. Die Regisseurin Connie Walther hat hierfür mit der Hundetrainerin Nadin Matthews zusammengearbeitet und einen Film geschaffen, der mehr Versuchsanordnung und psychologische Auseinandersetzung ist.

Ein trister Betonbau im Nirgendwo. Eine Hundetrainerin namens Lu, vier Strafgefangene namens Alihan, Viktor, Adam und Lukas. Drei unvermittelbare Hunde namens Diego, Georgie und Face. Eine Woche. Unter Aufsicht sollen die Häftlinge die Hunde resozialisieren und lernen damit auch ein wenig mehr über sich selbst, während die unkonventionellen Methoden von Lu kritisch beäugt werden.

„Die Rüden“ ist ein extrem minimalistischer Experimentalfilm geworden, der in seinem Aufbau sehr gut durchstrukturiert ist und nur das Notwendige über seine Hauptprotagonisten preisgibt. Extrem authentisch ist es hier natürlich, dass für die Straftäter reelle Gewalttäter gecastet worden sind, ebenso werden die Hunde auch von unvermittelbaren, gewaltbereiten Hunden gespielt. Die Trainerin wird von der Hundetrainerin Nadin Matthews gespielt, die darüber hinaus auch noch mit Hundetherapien Kommunikationstrainings durchführt. Der Film selbst spiegelt eine Versuchsanordnung wieder, die sich Schritt für Schritt aufbaut, mit dem Ziel auch die Gewalttäter mit der eigenen Gewaltbereitschaft auseinanderzusetzen, Vorurteile abzubauen, die eigene Selbstwahrnehmung auch mithilfe von Fremdwahrnehmungen zu überdenken. Diese psychologische Auseinandersetzung mit dem Thema wird an manchen Stellen auch als eine Auseinandersetzung mit „toxischer“ Männlichkeit beschrieben, wobei sich mir eine konkrete Auseinandersetzung mit genau diesem Thema in diesem Film eher weniger erschließt. Das offene, plötzliche Ende finde ich durchaus diskussionswürdig, weil sich der Film somit nicht nach einer runden Sache angefühlt hat und es bei einer extrem guten, minimalistischen Versuchsanordnung und einem Psychogramm geblieben ist.

„Die Rüden“ - My First Look – 8/10 Punkte.
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Re: Deutsche Schauspieler und das deutsche Kino allgemein

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iHaveCNit: Hello Again (2020)
18.09.2020


Wenn es an einer Sache nicht mangelt gerade zu Zeiten des coronabedingten begrenzten Filmangebots sind es vor allem in Deutschland deutsche Filmproduktionen, die auch in diesem Jahr bei mir großen Anklang finden. Normalerweise bin ich ja weniger der Fan von RomComs, aber wenn diese durchaus mit interessanten Ideen kommen, bin auch ich dafür zu haben und da kam mir der deutsche Film „Hello Again“ von Maggie Peren gerade recht, der dem ganzen eine Zeitschleifenthematik gibt, die bei mir immer gerne großen Anklang findet. Aber anders als in „Edge Of Tomorrow“ geht es hier nicht um eine Alienapokalypse, sondern um eine Hochzeit, die große Liebe und das eigene Glück.

Zazie führt ein chaotisches WG-Leben mit Anton und Patrick. Durch Zufall findet sie bei der Öffnung des Briefkastens eine Einladung zu einer Hochzeit ihres Freundes seit Kindertagen, Philipp und dessen Verlobter Franziska, die Zazie ebenfalls seit Kindestagen kennt und die ihrer Meinung nach überhaupt nicht zusammenpassen. Gemeinsam mit ihrem Mitbewohner Anton geht sie zur Hochzeit und versucht das Ganze irgendwie zu verhindern. Bis sie feststellen muss, diesen Tag immer und immer wieder durchleben zu müssen und sich zu fragen, um welches Glück es hier geht.

„Hello Again“ hat mir überaus gut gefallen und in einem einigermaßen zu diesen Zeiten gefülltem Kinosaal und einem Publikum, das richtig Bock auf den Film hatte, hat das dem Film noch besser wirken lassen. Mit seinen 92 Minuten bleibt dem Film wenig Zeit, die Zeitschleifenthematik groß zu erklären und das braucht er auch nicht. Als Zuschauer weiß man schon nach kurzer Zeit, was los ist und das es richtig viel Spaß macht. Das Problem bei Zeitschleifen ist ja, dass man es sich ganz einfach machen kann und immer wieder ein bestimmtes Setting durchspielt, aber das sorgt schnell für eine gewisse Langweiligkeit und Redundanz. „Hello Again“ macht diesen Fehler nicht und variiert den Ablauf des Tages bzw. den Fokus der gezeigten Handlung immer und immer wieder, was den Film sehr abwechslungsreich, dynamisch und auch überraschend macht. Klar kann der Film in seiner Kürze bei dem Thema bei den einzelnen Charakteren nicht wirklich in die Tiefe gehen, aber da schafft es der Film trotzdem allen wichtigen Charakteren eine sehr ambivalente Figurenzeichnung mit Ecken und Kanten. Gepaart mit einem großartigen Ensemble, in dem vor allem Alicia von Rittberg in der Titelrolle der Zazie als auch Edin Hasanovic in der Rolle des Mitbewohners Anton mir richtig gut gefallen haben. Schade, dass der Film dann so schnell und rasant dem Ende zugeht, denn ich hätte durchaus auch länger dem witzigen, amüsanten und charmanten Treiben zusehen können.

„Hello Again“ - My First Look – 8/10 Punkte.
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Re: Deutsche Schauspieler und das deutsche Kino allgemein

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iHaveCNit: Cortex (2020)
22.10.2020

Nachdem mich bereits im deutschen Film in diesem Jahr vor allem „Freies Land“ von Christian Alvart und „Berlin Alexanderplatz“ von Burhan Qurbani begeistert und auch eine große Anzahl weiterer Filme schöne Kinobesuche beschert haben, war es nun Zeit mich „Cortex“ zu widmen, dem Regiedebüt von einem der wohl größten Schauspieler, den unser Land aktuell zu bieten hat – Moritz Bleibtreu. Seine Vision hat er nun in einem der besten deutschen Filme des Jahres in die Kinos gebracht, indem er nicht nur die Regie, sondern auch Drehbuch, Produktion und eine Hauptrolle übernommen hat.

Hagen lebt in einer durchschnittlichen Ehe und arbeitet als Sicherheitsmann in einem Supermarkt. Gesundheitlich ist er angeschlagen – er leidet an einer Schlafstörung, die ihn in sehr vitale Träume versetzt, die für ihn sehr kraftraubend sind. Als er in seinen Träumen in den Körper eines Kleinkriminellen eintaucht, der scheinbar nicht nur Dreck am Stecken hat, sondern auch in einer Verbindung zu Hagens Frau steht, driften für ihn Traum und Realität immer weiter auseinander.

„Cortex“ ist ein stark inszenierter Psychothriller und sogar Film Noir, indem Bleibtreu als Regisseur und Thomas Kiennast an der Kamera und auch als unterstützender Regisseur sehr stilsicher extrem düstere und hochwertige Bilder geschaffen haben. Der Film und seine Thematiken des Körpertauschs und dem Eintauchen in Traumwelten haben zumindest bei mir Erinnerungen an Maximilian Erleweins „Stereo“ geweckt, indem Bleibtreu auch involviert war. Aber auch Eindrücke von Christopher Nolan, David Fincher, Denis Villeneuve und Nicolas Winding Refn sind für mich spürbar. Manche Stimmen nennen hier sogar David Lynch, aber da ich mich mit dessen Filmografie noch nicht auseinandergesetzt habe, kann ich dazu an dieser Stelle nichts dazu sagen. Aber die Umsetzung des ganzen Plots und des Themas ist großartig gelungen und die gewählten Kameraeinstellungen sowie das Ensemble des Films haben mir sehr gut gefallen. Der Film ist durchaus auch eine fordernde Angelegenheit, so dass ich hier sicherlich noch eine 2. Sichtung des Films in Angriff nehme. Zum Einen für die Verknüpfung, zum Anderen, weil er mir so gut gefallen hat. Aber ich versuche mich hier an dieser Stelle einfach mal zurückzunehmen.

„Cortex“ - My First Look – 9/10 Punkte.
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Re: Deutsche Schauspieler und das deutsche Kino allgemein

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Ich habe mir zwei Filme von Christian Petzold angeschaut, Barbara und Phoenix.

Barbara ist die Geschichte einer ostdeutschen Ärztin die hin- und hergerissen ist zwischen dem Wohl ihrer Patienten und einer mögliche Flucht in den Westen. Der Film fing etwas schwerfällig an und wurde dann immer besser. Die eher schlichten Bilder werden vor allem durch den Schnitt gekonnt akzentuiert, was subtil aber effektvoll ist, genau wie das leise charaktergetriebene Drama als Ganzes.

Sein nächster Film Phoenix dagegen spielt in einer anderen Liga. Die Geschichte einer Auschwitz-Überlebenden am Ende des zweiten Weltkriegs, die allmählich zu einem Thriller mit Hitchcock-artigen Motiven wie doppelter und missverstandener Identität wird, ohne das charaktergetriebene Drama-Element zu verlieren, ist unglaublich reichhaltig und komplex. Und er ist wunderbar gefilmt, fast jede Einstellung ist sorgfältig komponiert und sieht toll aus. Der Film hat eines dieser Enden, die man selten findet und die das Beste vom Guten unterscheidet, wo die letzte Einstellung den Kreis schliesst und perfekt sitzt, so dass ich in den ersten Zügen des Abspanns erst einmal sprachlos bin.

Nina Hoss und Ronald Zehrfeld spielen die Hauptrollen in beiden Filmen, und beide sind zwei Mal exzellent.

Barbara war ein guter Film um die 7 Punkte. Phoenix sind mindestens 9. Ich könnte ihn gleich nochmal schauen.
We'll always have Marburg

Let the sheep out, kid.