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von GoldenProjectile
'Q Branch' - MODERATOR
Casino Royale (2006, Martin Campbell)
"Arm yourself because no-one else here will save you. The odds will betray you, and I will replace you"
- Chris Cornell
Vielleicht war es die Abgrenzung von dem eine Spur zu weit gegangenen Plastikbond DAD, vielleicht auch nur der Wunsch der jungen Produzentengeneration, sich anders zu verwirklichen als Vater Albert, oder vielleicht kam zur richtigen Zeit und am richtigen Ort einfach alles zusammen. Auf jeden Fall stellt CR noch etwas mehr als einige seiner vielen Vorgänger einen modernisierenden Bruch innerhalb der langlebigen Bond-Chronik dar, in der Art wie der Film einige festgefahrene Strukturen auflöst zugunsten einer neuen Zuschauergeneration, der Wahl eines markanten und auf den ersten Blick sehr untypischen 007-Darstellers und dem Entschluss, inspiriert von Ian Flemings erstem Roman die lose Chronologie zurückzudrehen und ein inhaltlich und kontextuell alleinstehendes Bond-Abenteuer zu präsentieren.
So ist Daniel Craigs erste Mission in einigen Dingen gleich etwas anders strukturiert als viele frühere Filme. Nach OHMSS wird Flemings zweiter (bzw. chronologisch erster) Handlungsstrang um eine enttäuschende Liebe der Doppelnull aufgegriffen und die klassische Spionagemission in einer stärker von den figürlichen Konflikten geprägten Perspektive verpackt. Im Subtext wird Bonds gewohnt widerspenstige und eigenwillige Seite deutlicher betont um klarzustellen, dass die Doppelnull im Reboot-Sinne hier in ihren Anfängen agiert. Nicht zuletzt geht auch die Tempoverteilung des Films einige neue Wege: Nach einer actiongeladenen und zwischen exotischen Locations umherhüpfenden ersten Stunde wird die Handlung im Mittelteil relativ lange und für Bond relativ ungewohnt in eine Art Kammerspiel verlegt, nach dem vergleichsweise antiklimaktischen Ableben des Bösewichts folgt ein Schlussakt, der in ähnlicher Form wiederum höchstens in OHMSS zu sehen war, dieses Mal aber deutlich länger und handlungslastiger ausfällt. Das alles ist so gut es geht nach dem Grundgerüst und den zentralen Motiven von Flemings Roman aufgebaut, ist durch den krassen Wechsel in der geschichtlichen Epoche, der Ausformung zentraler Charaktere und einiger Handlungsstränge aber vielmehr eine Interpretation als eine tatsächliche Verfilmung des Romans.
Diese strukturellen Variationen sind auch gleichzeitig die grösste Stärke und Schwäche des Films. Eine Stärke, weil sie den Film ohne ein ganz so starres Missionsschema frisch und eigenständig wirken lassen, was zusätzlich durch Campbells Regie betont wird. CR wirkt in vielen Dingen sehr modern bzw. zeitlos und vor allem abwechslungsreich. Farbenfrohen und exotischen Bildern stellt Campbell auffallend harte und in ihrer Art düstere Momente gegenüber, wie die grausam kalt wirkende Kulisse der Folterszenen oder die visuellen Verfremdungen bei Bonds Vergiftung oder seinem späterem Delirium. Genau wie schon in GE beweist er ein gutes Auge für starke Einzelbilder und rasanten Actionschnitt und bricht den Blockbuster-Look immer wieder mit gelungenen Einstellungen und Perspektiven auf. Campbells Bebilderung wird nicht nur in Farben und Optik sondern auch in Bildkomposition und Schnitt auch in Zukunft wesentlich frischer und zeitloser wirken, als etwa die dramatisch barocke Inszenierung von Mendes.
Eine Schwäche ist es, weil es sich durch die späte Einführung der zentralen Vesper-Rolle und den ebenfalls späten Tempowechsel beim Pokern ein bisschen so anfühlt, als würde der Film nach einer Stunde noch einmal von vorne beginnen. CR zerfällt so ein wenig in zwei Hälften, die kausal zwar zusammengehören, gefühlt aber auseinanderstehen. Und tatsächlich ist die Beziehung zwischen Bond und Le Chiffre hier das verschenkte Potential, denn die Chiffre erfährt nie, dass Bond ihm durch die doppelte Sabotage seiner Anschlagspläne in Miami die Suppe von Anfang versalzen hat, und was noch schwerer wiegt, der Film scheint es selber zu vergessen, und die erste Hälfte verliert nachträglich etwas an Relevanz. Und damit nicht genug, durch die Ermordung von Obanno und den Deal mit Leiter lösen sich Le Chiffres Probleme und Bonds Mission quasi mittendrin in Luft auf, zumindest auf dem Papier. Auch das fällt dem Film nicht wirklich auf, der das Bedrohungselement für Le Chiffre, und damit indirekt für Bond, zugegebenermassen elegant da nicht wirklich auffallend auf den ominösen, aber nach der Erzählung der ersten Hälfte eigentlich komplett unbeteiligten White verschiebt. Nichts davon rückt wirklich störend in den Vordergrund, weil die Ausführung der Geschichte effizient und gelungen ist, aber es lässt CR bei genauerer dramaturgischer Betrachtung mittendrin gefühlt in einen anderen Film abdriften und ist nicht so logisch geschlossen und verblüffend stimmig wie es oft angepriesen wird und wie ich es zum Beispiel in LTK immer gesehen habe.
Daniel Craig fällt natürlich zumindest äusserlich stark aus dem typischen Bondschema heraus und war von Anfang an, aber durchaus auch über den Filmstart hinweg eine umstrittene Wahl. Unwürdige Fehlbesetzung, Rambo-Bond, der beste 007 aller Zeiten oder schauspielerischer Messias? Eigentlich ist er nichts davon, sondern halt ein eigenständiger Bonddarsteller, der in den Film ziemlich gut reinpasst und ihn zu tragen vermag. Dabei agiert Craig im Gesamtkontext des Films gar nicht mal so kalt und zerstörerisch, wie es ihm oft attestiert wird und wie es der Film auch in den Dialogen mit Judi Denchs M behauptet (die bei Craig mehr noch als bei Brosnan zwischen kalter Abneigung und Freizeitpsychologie pendelt). Vielmehr gibt er passend zur angepeilten Geschichte einen etwas modernisierten Bond, der aber vor allem durch kleine Gesten wie Blicke oder ein Schmunzeln, meist am Ende einer Szene, selbige gelungen kommentiert und damit dezent die Sympathien auf sich lenkt. Schauspielerisch fand ich Craig verglichen mit seinen Vorgängern nie so herausstechend, wie er oft gemacht wird, aber in CR liefert er durchaus seine beste darstellerische Leistung als Bond ab, in der Art wie er Actionheld, Womanizer und treffend gesetzte humorvolle Züge unter einen Hut bringt. Wenn die Rolle manchmal etwas inkonsistent wirkt, dann wie angetönt eher durch einige Reboot-Dialogzeilen über Schutzpanzer und stumpfe Instrumente, die eine Spur zu theatralisch daherkommen und mehr Abweichungen von Bond als Charakter behaupten, als der Film sowohl nötig hat als auch tatsächlich anbietet. Aber auch das kann Craig souverän vergessen lassen und leistet sich insgesamt einfach weniger Anlaufschwierigkeiten als sein direkter Vorgänger Brosnan.
Auf der Damenseite darf sich Eva Green mit Namen wie Rigg, Seymour, Lowell und Scorupco als eines der schauspielerisch überzeugendsten Bondgirls einreihen. Vesper Lynds toughes und selbstbewusstes Auftreten verkörpert sie ebenso mühelos wie die verletzlichen Seiten und dem aufgeklärten Fan bietet es sich an, kleine Gesten in Bezug auf ihre abschliessende Enthüllung zu suchen. Die Chemie zwischen Craig und Green stimmt ebenfalls, auch wenn ausgerechnet ihr sehr gelobtes erstes Aufeinandertreffen textlich etwas zu smart und gewieft daherkommt. In einem weniger untypischen Bondfilm wäre es womöglich trotzdem nicht ganz überzeugend gewesen, weshalb sich Bond schliesslich in Vesper verliebt und den Dienst quittieren möchte, obwohl die gewaltsamen gemeinsamen Erfahrungen mit Obanno und Le Chiffre da viel zur plötzlichen Verbundenheit beitragen. Aber da CR hier weitgehend für sich selber stehen will, kommt auch das sehr gut rüber. Was die Todesszene angeht so finde ich zwar OHMSS in aller Schlichtheit den emotional härteren und damit auch besseren Schlag, weil selbige bei Vesper durch die vorangehende Actionszene und die ausgefalleneren Todesumstände im Fahrstuhl etwas zu viele ablenkende Schnörkel hat, der letzte Moment zwischen den beiden, in gespenstischer Stimmung unter Wasser, ist aber dennoch sehr gelungen.
Das Figurenkarussell ist in CR dermassen umfangreich dass an dieser Stelle schon das Ende des Darstellerkapitels angepeilt werden muss, natürlich aber nicht, ohne vorher noch ein paar Worte zu Le Chiffre zu verlieren. Als Bondschurke ist er insofern interessant, dass er nach der ersten Hälfte kein antagonistisches Ziel mehr verfolgt im Sinne einer Bedrohung, sondern nur seine eigene Haut retten will. Mads Mikkelsen spielt ihn dabei wunderbar sinister und getrieben, auch wenn die Figur am meisten durch ihre Präsenz beeindruckt und er beinahe an Wirkung verliert, wenn er spricht. Mikkelsens darstellerischer Höhepunkt ist natürlich die Folterszene, in der seine manische Intensität noch einmal eine ganze Stufe nach oben klettert. Zuletzt überzeugt auch Giancarlo Giannini als ebenso charismatischer wie undurchsichtiger Mathis, hat aber eine insofern etwas undankbare Rolle dass er als roter Hering herhalten muss der erst im Folgefilm einigermassen aufgelöst wird und sich in CR damit ein wenig im Nirgendwo verliert.
Gemessen an der eigenen Laufzeit und verglichen mit den vorangehenden drei Brosnan-Abenteuern ist die Actiondichte des Films deutlich kleiner, aber auch CR kommt nicht ohne dreieinhalb grosse Actionszenen aus. Die sind allesamt gelungen, aber ähnlich wie zum Beispiel in TWINE kommen die meisten trotz dynamischer Gestaltung und gutem Handwerk nicht über das recht hohe Bond-Normalniveau hinaus. Der in letzter Sekunde verhinderte Terroranschlag am Flughafen wird rhythmisch stark eingeleitet und aufgelöst und bietet ein paar tolle Fahrsequenzen, der Zweikampf gegen Obanno bleibt in erster Linie durch seine Härte in Erinnerung. Abzüglich des Teils um Vesper und ihren unausweichlichen Tod ist die Schlacht in Venedig als finaler Showdown eigentlich relativ belanglos, trotz der originellen Idee um das in den Kanal stürzende Gebäude und das – wieder einmal – gute und von Campbell dynamisch arrangierte Actionhandwerk. Damit bleibt noch der African Rundown als absolutes Actionhighlight, welches im Gesamtkontext des Films trotz leichter Verspätung ungefähr die Rolle der üblichen PTS einnimmt. Die Stunts, die Parkour-Elemente und die prägnanten Settings rund um eine Baustelle in Madagaskar tragen viel dazu bei, doch sind es der energische Schnitt, die Variationen in Tempo und Höhepunkten und das Spiel mit Perspektiven und Einstellungsgrössen, die der Szene den letzten Schliff geben.
Obwohl die physische Komponente fehlt bildet das Pokertournier natürlich als Quasi-Ersatzactionszene den Hauptkonflikt im kammerspielartigen Mittelteil. Die einzige Szene bei Bond, die in ihrer Ausführlichkeit und Art einigermassen vergleichbar ist, dürfte das Golfspiel in GF sein, aber das Pokertournier geht hier noch einen Schritt weiter, da es sich in der Handlungszeit mit mehreren ereignisreichen Pausen über etwa zwei Abende erstrecken dürfte und deshalb wirklich diesen leichten Kammerspielcharakter im Sinne eines an Ort und Stelle verankerten Handlungsabschnitts vermittelt, wie es, auch ohne Spiel, OHMSS mit Bonds Undercover-Aufenthalt auf dem Piz getan hat. Capmbell gelingt, es das Pokern durchaus spannend zu verpacken, selbst wenn man die Tricks des Spiels nur rudimentär kennt. Einerseits, da er auf die Blickwechsel und das mimische Psychoduell zwischen Bond und Le Chiffre setzt, aber auch weil er sich auf sehr wenige ausgewählte Schlüsselrunden des Spiels konzentriert und rundherum Stimmungsbilder von weniger relevanten Spielabschnitten setzt, um die wichtigen Hände als Höhepunkte wirken zu lassen. Überhaupt ist der Teil in Montenegro durch sein Casino- und Hotelsetting und die Ruhe und Ausführlichkeit der Dramaturgie sehr stimmungsvoll und spielt seine sehr abwechslungsreichen Handlungsgeschehnisse, die um das Pokerspiel herum arrangiert sind, elegant aus.
Ob es wirklich notwendig war, für Bond Nummer 21 eine auf null gesetzte, eigene Kontinuitätsblase zu öffnen lässt sich vor allem in Bezug auf die fortsetzenden Craig-Filme und deren Zusammenhänge sicherlich diskutieren, für CR selber wirkt es aber durchaus sinnvoll und erfrischend, den Film sein eigenes Ding ohne Ballast durchziehen zu lassen, auch wenn einige der Reboot-Aspekte, in diesem Fall ein paar eher leere Dialoge über Bond als Anfänger inmitten seiner Origins-Geschichte, etwas aufgesetzt sind. Als eigenes Bond-Abenteuer funktioniert CR aber ausgesprochen gut und kurzweilig, was vor allem an Campbells gelungener Inszenierung und den starken Darstellern liegt, vor allem Craig und Green, die ihre Geschichte um Liebe und Verrat in diesem Film überzeugend verkaufen können. Mit einer abwechslungsreichen Handlung, die Action, Drama, Spannung, Konflikte, etwas Humor und bondtypisches Abenteuerflair umfasst kann CR gut auftrumpfen, auch wenn die komplizierte Hintergrundgeschichte nicht immer mit dem Gezeigten Hand in Hand gehen will und in der Filmmitte merkwürdig vergessen geht. CR war nie mein absolut liebster Bondfilm, er ist es nicht und er wird es wohl auch nie sein, aber er zieht als eigenständiger und ambitionierter Serienbeitrag sein Ding durch, und das meist auf hohem Niveau. Und dieses hohe Niveau ist es, was zählt, denn ob andere, spezifisch natürlich folgende Bondfilme nicht entweder konsequenter auf diesen Weg hätten aufspringen sollen oder umgekehrt, CR einen Einzelfall bleiben lassen, das ist eine ganz andere Baustelle.
Wertung: 8 / 10
We'll always have Marburg
Let the sheep out, kid.