Re: Die Filme von Paul Verhoeven

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AnatolGogol hat geschrieben: 5. Dezember 2019 14:12
Casino Hille hat geschrieben: 5. Dezember 2019 13:57 Ja, die Schurken chargieren was das Zeug hält, im wirklich unangenehmen Bereich(...) Aber man kann das problemlos anders sehen Anatol, und ich denke, wenn man mit dem Film als Ganzes zufriedener ist, dann passen die Schauspieler auch besser ins Konzept.
Das ist denke ich der Punkt und gerade bezüglich der Darstellungen würde ich da dann auch kein handwerkliches Problem sehen sondern eher ein generelles Problem mit der Ausrichtung bzw. ob man diese (wie auch den Stil der Darstellungen) für angebracht hält. Ich finde gerade dieses übertriebene Macho-Gehabe ganz köstlich. Es passt auch wie ich finde wunderbar zu den diversen comedy-Einschüben wie z.B. dem "kauf ich für nen Dollar"-Typ oder wenn ED-209 bei seiner ersten Präsentation mal schnell den jungen, dynamischen OCP-Manager wegballert (eine Szene, die ja eigentlich überhaupt nicht lustig sein dürfte, die Verhoeven aber so over-the-top zelebriert, dass man einfach grinsen muss). Aber davon ab chargieren ja bei weitem nicht alle Schurken, eigentlich ja nur die Fußsoldaten. Sobald es in der Hierarchie weiter hoch geht, werden auch die Darstellungen wesentlich ernsthafter und dunkler. Cox ist da finde ich ein sehr gutes Beispiel.
Robocop ist eine Granate und den liebe ich nach wie vor. Klar spielen da einige nicht auf Lee Strasberg-Niveau, aber das interessiert mich hier null. Das ist ein Film in die Magengrube, der ungemein Spaß macht. Derb, dreckig, böse, ein waschechter Paul, der sich sehr wenig um hollywoodsche Konventionen und Standarts schert und damit durchkommt. Matürlich kann man das auch anders sehen, aber dieser pulpige, grelle Anstrich ist genau die Stärke des Films. Auf jeden Fall nach wie vor satte 9/10.
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Re: Die Filme von Paul Verhoeven

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Ich wollte hier übrigens auch nicht nerven oder den Film fertig machen und finde es selber fast ein bisschen unangenehm, dass ich kaum wirklich Positives dazu sagen kann. Nur noch mal als Anmerkung, weil mich der drastische "Schmerzhaft"-Begriff doch ein wenig überrascht hat. Ich kann das schon im weitesten Sinne nachvollziehen, wenn euch der Film begeistert, umgekehrt halte ich ja auch Scott Pilgrim für einen der schönsten und reichhaltigsten Filme überhaupt und kann mir gut vorstellen, dass ihr den als kindische ADHS-Groteske für die Comicgeneration titulieren könntet. Live and let live (und das in einem Bondforum...)

Mir hat er als dystopischer Rachethriller mit satirischem Einschlag nur einen mässigen Eindruck gemacht aufgrund vieler Schwachen - oder nennen wir es etwas diplomatischer aufgrund fehlenden Zugangs. Da ist es erstaunlich, dass Black Book richtig stark war, und dabei ebenso erstaunlich, dass Elle wiederum weniger zünden konnte trotz des ähnlichen Backgrounds (subtiler Europa-Paul statt lauter SciFi-Paul).
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Re: Die Filme von Paul Verhoeven

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Du, das ist alles gar kein Problem. Filme mag man, oder eben nicht. Gründe lassen sich immer finden. Ich finde Robocop toll, hab den aber auch damals im Kino als Teenager gesehen. Weiß noch genau, wie wir damals völlig baff waren unseren Deutschlehrer in der Vorstellung zu sehen, den wir niemals mit solchen Filmen in Verbindung gebracht hätten (obwohl wir ihn cool fanden). Haben dann danach noch über den satirischen Gehalt des Films gefachsimpelt, was einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Damals war das Verhältnis zu den Lehrern noch etwas sagen wir mal "ehrfüchtiger" als heute. :) Aber abgesehen davon habe ich den Film auch Jahre später immer sehr gemocht, wie übrigens fast alle Werke Pauls (außer Showgirls und Hollow Man). Und das ist bis heute so.
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Die totale Erinnerung – Total Recall

Hollywood, das ist die Traumfabrik. Hier wird Fiktion mit kühlem Geiste hergestellt, mit kompetenten Händen produziert, mit Präzision erschaffen. Hollywood verkauft Filme, und Filme verkaufen Träume. Der Schlauberger sagt dazu „Eskapismus“ und was er eigentlich meint, ist die Flucht aus der realen Welt, aus der Wirklichkeit. Es ist kein Zufall, dass die häufigsten Berufswünsche im Leben vieler kleiner Jungen meist zwischen Cowboy und Astronaut tendieren, sind doch Western und Science-Fiction-Filme zwei der ältesten Genres des Kinos. Junge Erwachsene nutzen das Kino und seine Magie, um sich in andere Rollen hineinzuträumen. Zuerst erleben sie zwei Stunden eine spannende, abwechslungsreiche Geschichte auf der Leinwand – und daheim im Bett denken sie sich selbst in solche Geschichten hinein. Um genau das, um eine Prise Eskapismus, um eine Flucht aus der Langeweile und Gleichströmigkeit des Alltags, ist auch der Protagonist Douglas Quaid im Film „Die totale Erinnerung – Total Recall“ bemüht. Doch statt ins Kino zu gehen, wählt er den drastischeren Weg: Implantierte Erinnerungen.

Im Jahr 2084 kann der Bauarbeiter an nichts anderes denken, als einmal den kolonialisierten Mars zu besuchen. Er träumt sogar davon, mit einer attraktiven Brünetten auf der Marsoberfläche zu spazieren. Zum Glück kann ihm geholfen werden: Die Firma REKALL Inc. kann mit eingepflanzten künstlichen Erinnerungen „Urlaubspakete“ direkt ins Hirn einsetzen. Und schon die Szene, in der Arnold Schwarzenegger in der Rolle dieses Douglas Quaid sich von einem Fachmann von REKALL Inc. das Prozedere erklären lässt, gibt einen Vorgeschmack auf die brillante Satire, die der niederländische Regisseur Paul Verhoeven mit diesem Film im Sinn hat: Eine Dekonstruktion des 80er-Jahre-Actionkinos mit all seinen Klischees und Stereotypen. Da beginnt das Schmunzeln schon, als der REKALL-Mitarbeiter mit der einlullenden Art eines PKW-Verkäufers dem ahnungslosen Quaid erklärt, dass er für seine Mars-Erinnerung mehrere exotische Berufe wählen kann: Playboy, Spitzensportler, Industriemagnat oder Geheimagent. Natürlich wählt Arnie den Geheimagenten – immerhin ist dies die einzige fremde Rolle für ihn. Als Bodybuilding-Weltmeister war er in der Realität bereits Spitzensportler, Frauenheld und verdiente seine erste Million tatsächlich mit Immobilien.

Selbstverständlich geht bei Quaids Traumreise etwas schief. Sein Gedächtnis wurde schon einmal überschrieben. Und von diesem Moment an bricht sein ganzes Leben zusammen. Seine schöne, ihn verwöhnende Ehefrau attackiert ihn mit dem Küchenmesser, sein Arbeitskollege will ihn öffentlich exekutieren und in einer Videobotschaft spricht sein vergangenes Ich plötzlich zu ihm. Was folgt ist oberflächlich einer der vielen Filme, die Arnold Schwarzenegger schon vor dem Jahr 1990 drehte: Die Einmannarmee, die sich durch eine Vielzahl kreativer und brutaler Actionszenen arbeitet und häufiger das automatische Maschinengewehr nachlädt, als sich in Worten zu artikulieren. Doch „Total Recall“ geht einen Schritt weiter: Hinter dem reißerischen Spektakel steht eine hintersinnige Reflexion über das Gefüge aus Wirklichkeit (also dem, was wir Realität nennen) und Illusion (also dem, was eine Täuschung, umgangssprachlich „unecht“ ist). Kein Wunder: Das komplexe Projekt basiert auf einer Kurzgeschichte, Titel: „Erinnerungen en gros“, des legendären Science-Fiction-Autors Philip K. Dick. Das Script der „Alien“-Autoren Ronald Shushett und Dan O’Bannon geisterte seit den späten 70ern durch die Traumfabrik, ursprünglich waren Schauspieler wie Dustin Hoffman und Richard Dreyfuss für die Hauptrolle vorgesehen. Als Schwarzenegger mit dem Projekt in Berührung kam und Verhoeven hinzu bat, wurde aus der düsteren Allegorie auf psychische Krankheiten ein ultrabrutales Blockbuster-Spektakel. Aber der tonale Wechsel war Kalkül, ist er doch genau das, wovon der Film erzählt: Vom Traum des Menschen, größer zu sein als er ist, aber auch von den kapitalistischen Herrschern, die jene Träume kommerzialisieren.

Passenderweise ist der Widersacher dieses Films ein kolonialistischer Machthaber, der den roten Planeten ausbeutet und selbst die Atemluft für die verschiedenen Mars-Distrikte kontrolliert. Und Quaid erfährt bald, dass er einst vor seiner Amnesie, vor dem falschen Traum, in das ihn der kapitalistische Schurke zwängte, ein Mitglied jener Rebellen war, die auf dem Mars mit Waffengewalt für die Freiheit der Bevölkerung gegen die raffgierige Ausbeutung der dortigen Ressourcen kämpft. Auf welche Seite sich Paul Verhoeven als Künstler und Erzähler stellt, ist unübersehbar. Doch wie er diese Geschichte erzählt, ist sein narratives Tennis, nämlich als ein Fest der Doppelbödigkeit. So wie Quaid nie sicher sein kann, ob seine Erlebnisse tatsächlich stattfinden oder nur der implantierte Traum von REKALL sind, so zieht auch Verhoeven dem Zuschauer regelmäßig den Boden unter den Füßen weg. Eine famose Szene verdeutlicht das Vexierspiel aus Erwartungshaltung und Erfüllung in simpelsten Bildern: Bei seiner Flucht rennt Quaid in eine Sicherheitsschleuse und ist nur noch durch eine Röntgenscheibe sichtbar, sodass nur sein Skelett und seine Waffe zu sehen sind. Als er von links und rechts umzingelt ist, springt er frontal durch die Scheibe, so als würde er aus dem Fernseher heraus in die reale Welt des Konsumenten springen. Er zerbricht metaphorisch und buchstäblich die vierte Wand.

Der Geniestreich des Paul Verhoeven ist die Herangehensweise an sein Material: „Total Recall“ ist kein düsterer, schwermütiger Film für Philosophen, sondern erfüllt in jeder Hinsicht das Verlangen des Publikums an einen Arnold-Schwarzenegger-Actioner. Mit dicken Kanonen, viel zu engen Outfits und einem dümmlichen Oneliner nach dem anderen befriedigt „Total Recall“ die Gelüste nach knalliger, naiver Unterhaltung. Verhoeven holte extra seinen Scriptdoctor Gary Goldman zum Projekt, um Schwarzeneggers Sprüche an seine Erfolge mit „Terminator“ oder „Conan, der Barbar“ erinnern zu lassen. Der selbst tritt so auf, wie man es von ihm kennt. Arnie spielt hier nicht anders als sonst, besser gesagt: Er schauspielert nicht im klassischen Sinne, sondern lässt sein Leinwand-Charisma für ihn wirken. Wenn er mit seiner Scheinfrau Lori, die von der damals noch unbekannten Sharon Stone mit düsterer sexueller Energie gespielt wird, kämpft oder dem von Michael Ironside verkörpten Richter, ein Handlanger Coohagens, dann ist Verhoevens Film das erwartete phantastische Schwarzenegger-Spektakel und in etwa so subtil wie eine Dampfwalze. Und in den Actionszenen zeigt der skandalumwitterte Filmemacher seinen Hang zur Explizität: Die Schusswechsel sind in ihrer ungeschönten Härte äußerst schonungslos, die Gewaltdarstellung in vielerlei Hinsicht fatalistisch.

Doch all das ist, wie könnte es anders sein, nur ein kapitalistischer Trick eines Profis aus der Traumfabrik Hollywoods, der mit diesen plumpen Mitteln einen Traum verkaufen will. Verhoeven selbst übernimmt die Position eines REKALL-Mitarbeiters, der seinem Publikum ermöglichen will, über Wirklichkeit und Illusion der Geschichte zu rätseln. Eine Auflösung bietet er nicht: Beide Realitäten haben bis zur letzten Sekunde Gültigkeit. Hierin entpuppt sich „Total Recall“ als im bestmöglichen Sinne postmoderner Film, dessen Eleganz und Tiefgründigkeit gerne übersehen wird. So sehr, dass Verhoevens Meisterwerk bei der Videotheken-Generation als „Ballerfilm“ in das kollektive Gedächtnis einging, dessen tiefere Absichten im Dunkeln blieben. Bis heute hält „Total Recall“ seinem Publikum den Spiegel vor – und wie so oft, wenn man in einen Spiegel blickt, weiß man nicht ganz genau, was man darin erkennt. Während Quaid in der finalen Szene zweifelt, ob das Erlebte echt oder ein Traum gewesen ist, entsteht im Hinterkopf des Rezipierenden die Frage, ob er gerade wirklich nur einen weiteren Actionkracher der Marke "Hirn aus" gesehen hat oder ob er beim Abfeiern des konventionellen, selbstironischen Krawalls Verhoeven auf den Leim gegangen ist.

Erst der Abspann verweist traditionell auf die Illusoren, die den eskapistischen Trip möglich gemacht haben. So auch hier: Der Soundtrack stammt vom Maestro Jerry Goldsmith und ist eine seiner besten Arbeiten, deren hypnotische Qualität spielend existenzielle Gefühle und Arnie-Action-Aggressionen vermitteln kann. Eric Brevig und Rob Bottin gilt währenddessen die Bewunderung für die verblüffend genialen Spezialeffekte und wunderbaren Studiokulissen, mit denen die Mars-Kolonie und ihre teils mutierten Bewohner zum Leben erweckt wurden. Und der deutsche Kameramann Jost Vacano sorgt für die ausgetüftelten Bildgestaltungen, die durch die Bank eine „wirkliche“ Immersion vermitteln. Magie gibt es eben wirklich und existiert nicht nur in Träumen. Nein, sie findet im Kino statt, sie ist ein Produkt der Traumfabrik. Im Falle von "Die totale Erinnerung – Total Recall" ein exzellentes Produkt. Nicht umsonst wurden die Motive des Films immer wieder aufgegriffen. Quaid bekam als Actionheld zu Beginn der 1990er noch eine rote Pille als Ausstieg aus seinem Ego-Trip durch die intergalaktische Spionage angeboten, am Ende des Jahrzehnts war es schließlich Neo, der Superheld aus „Matrix“, der zwischen einer blauen und einer roten Pille wählen durfte: Die eine, bei der Neo in seiner Realität verbleibt, und die andere, mit der er aus seiner Illusion erwacht. Wer beide Sci-Fi-Meilensteine einst im Kino sah, konnte sie hier 1999 bei "Matrix" wirklich erleben: Die totale Erinnerung.
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Re: Der Strudel des Kaninchenbaus

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Hille, du siehst mich begeistert! Tolle Kritik, die jeden Aspekt von Verhoevens SciFi-Klassiker perfekt wiederspiegelt. Erst Elle und jetzt Recall - du wirst ja noch zu nem richtigen Fan von Uns Paule! :D Hab den Film unlängst auch mal wieder im Player gehabt und soviel Spass mit ihm gehabt wie schon lange nicht mehr. Das durchdachte Konzept der launigen Achterbahnfahrt mit tiefgreifendem Unterbau funktioniert einfach grossartig und der überlebensgroße (und ebenso agierende) Arnie passt in die grellbunte, von Vehoeven auf die Spitze des Denkbaren getriebene Zukunftswelt perfekt rein. Ja, Schwarzenegger agiert derart souverän und selbstverständlich, dass ich mir mittlerweile sicher bin, dass Total Recall ihn auf dem absoluten Karrierehöhepunkt zeigt.
Casino Hille hat geschrieben: 21. Januar 2021 22:38 Hierin entpuppt sich „Total Recall“ als im bestmöglichen Sinne postmoderner Film, dessen Eleganz und Tiefgründigkeit gerne übersehen wird. So sehr, dass Verhoevens Meisterwerk bei der Videotheken-Generation als „Ballerfilm“ in das kollektive Gedächtnis einging, dessen tiefere Absichten im Dunkeln blieben.
Es ist schon bemerkenswert, wie gut fast alle von Verhoevens Filme auf zwei Ebenen funktionieren. Verhoeven integriert den Tiefsinn in seinen Werken derart subtil, dass sie auch wunderbar als exploitive Unterhaltungsfilme funktionieren. Gleichzeitig bieten sie aber auch dem gemeinhin weniger an Action-/Thriller-/Erotikfilmen interessierten Zuschauer genügend Material zum Nachdenken, was den Zugang zum vordergründigen Genre deutlich einfacher macht. Eine ähnliche Verquickung von Anspruch und Unterhaltung findet man zB auch aktuell bei Nolan, allerdings schreiben sich dessen Filme meinem Empfinden nach ihren eigenen Anspruch erheblich deutlicher auf die eigenen Fahnen. Vermutlich wird Verhoeben deshalb auch deutlich seltener als künstlerisch ambitionierter Filmemacher gesehen und gerne auf seine skandalträchtigen Schockwerte reduziert.
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Re: Die Filme von Paul Verhoeven

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Hille, was soll denn das weglassen der Wertung? Ich bin verwirrt. :lol: Ist das jetzt eine 8 oder eine 10 oder was?

Und als versöhnliche Worte: Ich fand Total Recall letztes mal ziemlich unterhaltsam, vielleicht so im Bereich 7 Punkte. Am Ende ging ihm etwas die Luft aus und war es für mich auch auf eine trashige Art zu überdreht, aber zuvor war er ziemlich schwungvoll und spassig, auch actiontechnisch und vom ganzen "Flow" her schmissiger und moderner als RoboCop, ganz besonders in der Arnie-Flucht durch die Station und mit dem quasselnden Robo-Taxi, dieser ganze Teil direkt nach der Rekall-Behandlung. Und was du zu Arnie sagst, wie er im Prinzip gar nicht schauspielert sondern mehr als er selber funktioniert ist für mich die Essenz seiner darstellerischen Arbeit - er ist in diesem Sinne kein Schauspieler, sondern Arnie in Filmen, aber das ist ja gerade der Witz und der Reiz an seiner Persona.
AnatolGogol hat geschrieben: 22. Januar 2021 09:56 Eine ähnliche Verquickung von Anspruch und Unterhaltung findet man zB auch aktuell bei Nolan, allerdings schreiben sich dessen Filme meinem Empfinden nach ihren eigenen Anspruch erheblich deutlicher auf die eigenen Fahnen. Vermutlich wird Verhoeben deshalb auch deutlich seltener als künstlerisch ambitionierter Filmemacher gesehen und gerne auf seine skandalträchtigen Schockwerte reduziert.
Und das halte ich für einen guten Anhaltspunkt, denn für den einen ist Nolan eben zu keiner Sekunde zu aufdringlich in seiner Art, für andere lauert bei Verhoeven ganz viel hinter dem ersten Blick, bei anderen (mir z.B.) wiederum ist es ein Edgar Wright der ganz viel zu bieten hat, usw. Wichtig ist ja dass es Filmemacher gibt von denen man begeistert ist, auf eine Art bei der man sich manchmal denkt dass diese Leute in der allgemeinen Auffassung zu sehr auf intellektuelle Zaunpfahlwinke, skandalträchtige Schockwerte, humoristische Parodie oder was auch immer reduziert werden. Wäre ja langweilig, wenn wir alle nur Fans der üblichen Verdächtigen wären.
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Re: Die Filme von Paul Verhoeven

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Super Kritik, zu einem super Film. Habe ihn jedes Jahr mindestens ein mal im Player, einer meiner All-Time Favorites und ich kann mich sogar noch an den Kinobesuch erinnern (was recht selten vorkommt).

Ist zwar schon etwas älter, aber zu der Ode (vor allem auf Arnold) stehe ich nach wie vor (ich poste mal nur den Beginn, sonst ist die Seite voll :):

"Dreams are my reality ..."

„I had no relationship to Science Fiction before I came to the US. I thought most of the movies are completely stupid."
Eine solche Aussage wäre bei den allermeisten Regisseuren nicht einmal eine Randnotiz wert, vom Holländer Paul Verhoeven hätte man sie allerdings so ziemlich als Letztem erwartet. Schließlich verdanken wir ihm mit dem Quartett Robocop, Total Recall, Starship Troopers und Hollow Man ein SciFi-Oevre das meilenweit aus dem Hollywoodschen Genre-Einheitsbrei heraussticht und bis heute teilweise kultisch verehrt wird.

Tatsächlich hat Verhoeven vor seiner US-Karriere vornehmlich realitätsbezogene Filme gedreht und ist eher zufällig in das Robocop-Projekt gestolpert. Er sah den Film mehr als Experiment bzw. Herausforderung, ob er auch in einem ihm eigentlich völlig fremden Genre reüssieren konnte. Ursprünglich fand er das Skript sogar ausgesprochen lächerlich und musste erst von seiner Frau überredet werden, die die subversiven Möglichkeiten des Stoffes sofort erkannt hatte.
Das ob seiner explosiven Mischung aus Gesellschaftskritik, zynischer Dystopie und drastischer Gewalt heftigst diskutierte Werk wurde schließlich ein Überraschungshit und hat wohl auch Arnold Schwarzenegger dermaßen beeindruckt, dass er den unkonventionellen Holländer unbedingt auf dem Regiestuhl seines nächsten Action-Projekts Total Recall sehen wollte ...

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Re: Der Strudel des Kaninchenbaus

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AnatolGogol hat geschrieben: 22. Januar 2021 09:56 Schwarzenegger agiert derart souverän und selbstverständlich, dass ich mir mittlerweile sicher bin, dass Total Recall ihn auf dem absoluten Karrierehöhepunkt zeigt.
Ich denke auch, dass er in diesem Film, ganz ohne plötzlich exzellentes Charakter-Schauspiel abzuliefern, so ziemlich am stärksten in seiner Karriere ist. Gerade die Momente nach seiner Rekall-Behandlung, als die Risse im Marmor seines Lebens sichtbar werden, kriegt er sehr ordentlich gewuppt. Die Verzweiflung ist ihm anzumerken und er wirkt in der Szene mit Sharon Stone auf ehrliche Art und Weise aus der Bahn geworfen. Später hält er sich dann mehr in seiner Komfort-Zone auf und darf coole Oneliner präsentieren – darunter wohl den coolsten seiner ganzen Karriere: "Consider that a divorce." Gröl. :mrgreen:
AnatolGogol hat geschrieben: 22. Januar 2021 09:56 Erst Elle und jetzt Recall - du wirst ja noch zu nem richtigen Fan von Uns Paule!
Die ein oder andere Überraschung habe ich noch in petto. Aber alles zu seiner Zeit. :wink: "Total Recall" jedenfalls hat mir ausgesprochen gut gefallen, gerade weil er so viel zu bieten hat, ohne den von dir erwähnten "Anspruchsgedanken" sich super offensichtlich auf die Fahnen zu schreiben. Es zeichnet Verhoeven als Filmemacher vollkommen aus, mit einer kühnen Selbstverständlichkeit intelligentes Storytelling innerhalb eines vermeintlich anspruchslosen Actionfilms einzuweben. Dein Vergleich mit Nolan (aber auch anderen Regisseuren wie Villeneuve oder den Coen Brothers – oder dem von mir ins Spiel gebrachten "Matrix") ist durchaus zutreffend, da hier nicht nur die Filme selbst deutlich stärker mit den eigenen Ambitionen hausieren, sondern auch das Publikum mit einem anderen "Mindset" diese Filme betrachtet. Wer in einen Nolan-Film geht, der hat bereits eine bestimmte Erwartungshaltung – die eine ganz andere ist, als wenn man einen Actionfilm mit Arnold Schwarzenegger anschaut. Davor sind wir alle nicht gefeit und hier kommt Verhoevens satirisches Potenzial in "Total Recall" ins Spiel. Das beginnt schon damit, dass jede Interpretation der zwei möglichen Realitäten des Films daran scheitern muss, wie innerhalb des Films die Konventionen des Actionkinos reflektiert werden. Es gibt zahlreiche Elemente des Films, die man für den "Beweis" einer Traumrealität (also der Option, bei der Quaid seine Mars-Odyssee im Stuhl bei REKALL Inc. sitzend träumt) heranziehen kann (offensichtliche Logikfehler, das physikalisch außer Rand und Band geratene Finale etc.) – letztlich sind aber all dies Elemente, die genauso auch in so gut wie jedem anderen Schwarzenegger-Actionfilm auftreten, und nicht nur da. Es sind Stereotypen, Klischees und Konventionen des Genres, in welchem der Film sich bewegt – und so stößt man bei seinen Interpretationsversuchen immer zwangsläufig darauf, dass all die etwas übertriebenen, skurrilen und vielleicht unlogischen Elemente genauso gut von den Traumschaffern von REKALL stammen könnten wie auch vom Traumfabrik-Regisseur Paul Verhoeven. Genau deshalb funktioniert es so hervorragend, diese Reflexion, die dem Film vorschwebt, als lauten krawalligen Actionfilm umzusetzen. Als düsteres Drama à la "Blade Runner" würde das nicht in der Form funktionieren.
GoldenProjectile hat geschrieben: 22. Januar 2021 17:52 Hille, was soll denn das weglassen der Wertung? Ich bin verwirrt. :lol: Ist das jetzt eine 8 oder eine 10 oder was?
Ich habe zuletzt auch bei Texten zu "Heaven's Gate – Das Tor zum Himmel" oder "Die Maske des Zorro" die Punkte weggelassen und werde das denke ich weiterhin tun. Es hilft mir mehr, mich textlich mit dem Film auseinander zu setzen, als ihm letztlich eine ohnehin willkürliche Zahl zu verpassen. Und außerdem zwingt sich dich dazu, meinen Text tatsächlich lesen zu müssen, wenn du wissen willst, wie ich zum jeweiligen Film stehe. :wink:

Danke derweil an alle Lobenden! Bei so einem schönen, interessanten Film bemüht man die Tastatur gern.
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Re: Die Filme von Paul Verhoeven

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Ich bleib dabei, Total Recall ist eher Total Disappointment gemessen an seinen Möglichkeiten. Selbst der Unterhaltungswert geht zum etwas öden Finale hin verloren. Und visuell sowie tricktechnisch ist er schlecht gealtert. Immerhin weitaus besser als Robocop ...

Ist Arnie gut hier? So halbwegs ...

Der letzte F*ck in Hollywood

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Basic Instinct

Wenige Filmkritiker werden so verehrt wie Roger Ebert. Der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Journalist schrieb mehr als 300 Rezensionen im Jahr, hatte über 30 Jahre mit seinem Kollegen Gene Siskel eine eigene Fernsehsendung, bekam einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame. Als er 2013 verstarb, äußerte sich der damalige US-Präsident Barack Obama mit den Worten: „Das Kino wird ohne ihn nicht das Gleiche sein.“ Legendär ist Ebert aber auch für die Filme, die er nicht mochte: Er schimpfte auf den heute als Meisterwerk anerkannten „Fight Club“, hatte wenig übrig für den Action-Klassiker „Stirb langsam“ und mochte „Uhrwerk Orange“ kaum, eines der Meisterwerke des einflussreichen Regisseurs Stanley Kubrick. 1992 ging Ebert mit einem Film hart ins Gericht, der bereits Monate vor seiner Veröffentlichung zum Skandalfilm wurde: „Basic Instinct“, jenem sexuell aufgeladenen Neo-Noir-Thriller von Paul Verhoeven, Hollywoods Enfant terrible.

Homosexuelle Aktivisten hetzten bereits während der Dreharbeiten gegen das Drehbuch von Joe Eszterhas, als sie erfuhren, eine bisexuelle Frau werde hier als Mörderin dargestellt. Um dem Film zu schaden, ließen sie in Zeitungen das Ende verraten. Auf den Titelseiten prangte: „Catherine Tramell hat es getan.“ In seiner Filmkritik erklärte Ebert, warum das eigentlich kein Problem sei. Zwar enthüllt erst die allerletzte Kameraeinstellung, was durch die Aktivisten bereits bekannt war, doch bereits vorher hatte der Kriminalfall des Films eine alternative Lösung angeboten. Ebert schrieb: „Wenn die letzte Aufnahme die gegenteilige Antwort gegeben hätte, wäre sie immer noch mit allem, was im Film passiert ist, konsistent gewesen. Jedes einzelne Beweisfitzelchen im gesamten Film unterstützt zwei verschiedene Schlussfolgerungen.“ Gefallen tat das dem Filmliebhaber gar nicht: „Als Ergebnis verließ ich den Film mit dem Gefühl, manipuliert worden zu sein - denn egal, wie sehr ich versuchte der Handlung zu folgen und die Dinge herauszufinden, der ganze Film spielte nur mit mir.“

Damit erfasste er Paul Verhoeven besser als die meisten seiner Zunft: Verhoeven, der holländische Exportschlager im US-Kino, war in erster Linie kein Geschichtenerzähler, sondern ein Trickster, ein Meister der Subversion. Wirklich nach Hollywood passte er nie. Seine Filme verweigerten ein moralisches Regelwerk, waren ungewöhnlich explizit. Mit seinen ersten US-Erfolgen „Robocop“ und „Die totale Erinnerung – Total Recall“ hatte er sich einen Namen als Provokateur gemacht, auch mit seinem Folgewerk „Basic Instinct“ blieb er diesem Bild treu: Bereits im Vorfeld skandierte er, er wolle das erigierte Glied von Hauptdarsteller Michael Douglas in voller Pracht auf der Leinwand zeigen. Dazu kam es zwar nicht, doch schon die Eröffnungsszene hält sich in der grafischen Darstellung kaum zurück.

Einem Mann werden bei der Kopulation die Hände mit einem Seidenschal ans Bett gefesselt. Seine blonde Partnerin reitet wild auf seinem Schoß. Plötzlich nimmt sie einen Eispickel, sticht auf ihn ein, durchtrennt die Halsschlagader, durchsticht seine Nase. Verhoeven führt Sex und Gewalt kongenial zusammen, wie es in der Prüderie des Hollywood-Kinos der frühen 90er, geprägt durch die Aids-Pandemie, nur er konnte: Als tödliche Ejakulation, bei der die Blutspritzer das ganze Bettlaken und den nackten Körper der Mörderin rot einfärben. Formal wirkt „Basic Instinct“ ab der ersten Szene anrüchig, verwegen, unmoralisch. Der Plot von Eszterhas ist klassischer Film-Noir: Ein Mordfall führt den Ermittler Nick Curran zur Geliebten des Toten, der vermögenden Autorin Catherine Tramell. Die hat vor einiger Zeit einen Roman verfasst, in der jemand auf genau dieselbe Weise ermordet wird, wie es nun ihrem Freund passiert ist. Will da wer Tramell den Mord anhängen oder hat Tramell das Buch geschrieben, um sich für den geplanten Mord ein Alibi zu verschaffen? Während Curran ermittelt, fühlt er sich mehr und mehr von Tramell angezogen …

Der Film Noir atmete in seiner Blütezeit von 1941 bis 1958 stets die Amoral, die Abgründigkeit, so auch hier in seiner Renaissance. Michael Douglas spielt Curran eindringlich als einen intelligenten, aber auch seinen Trieben erliegenden, labil geschwächten Polizisten, der beim Stelldichein mit der Polizeipsychologin Dr. Beth Garner mit dem Analverkehr auch dann nicht aufhört, als sie sich verbal dagegen wehrt. Die Hauptattraktion des Films ist jedoch die umwerfende Sharon Stone als bisexuelle Vielleicht-Mörderin Tramell. Nach dem überwältigenden Erfolg des Films wurde sie für kurze Zeit zum heißesten weiblichen Star im Filmgeschäft. Einer ganzen Generation brannte sich die Szene ein, in der sie bei einem Polizeiverhör die Beine übereinanderschlägt, es so kurz den Anschein macht, man könne ihre Vagina sehen.

Man mag diesen pornographischen Voyeurismus als billig empfinden, doch hier liegt die Kunst von „Basic Instinct“: Virtuos verknüpft Verhoeven in 128 Minuten anspruchsvolles Auteur-Kino mit den schmuddeligen Groschenromanen, die einst den Film Noir prägten. Die größte Inspiration lieferte aber Alfred Hitchcock: Jahre später schwärmte Verhoeven noch davon, „Basic Instinct“ in San Francisco, der Stadt von „Vertigo“ gedreht zu haben, Hitchcocks Meilenstein, der regelmäßig in Ranglisten als der beste Film aller Zeiten genannt wird. Selbst Sharon Stone kann optisch als Besetzung einer „kühlen Hitchcock-Blondine“ betrachtet werden.

Die überaus delikate Kameraarbeit von Jan de Bont sorgt für eine psychologisch ungreifbare Atmosphäre. Sensationell gerät beispielsweise eine kurze Szene, in der Douglas und Stone nachts bei Regen im Auto sitzen und sich in ihren Gesichtern der Regenfall spiegelt. Die eruptive Gewalt der Mordszenen wiederum ist dem italienischen „Giallo“-Kino der 1970er entliehen, einem Genre, das aufgrund seiner misogynen und gewaltverherrlichenden Tendenz gerne der moralistischen Kritik zum Opfer fällt, eine Situation, die Verhoeven nur zu gut kennt. Jerry Goldsmith wurde von Verhoeven für die Filmmusik erwählt. Sie ist ohne Zweifel phänomenal, und selbst eine Hommage: 1974 komponierte Goldsmith bereits die Musik für „Chinatown“ von Roman Polański, dem vermutlich einflussreichsten Neo-Noir der Geschichte. Eine Reminiszenz ist auch das Mordwerkzeug, der Eispickel, der schon 1949 im Detektivroman „Die kleine Schwester“ von Raymond Chandler auf dieselbe Weise Verwendung fand. Ein Roman, der übrigens gnadenlos als Satire auf die Traumwelten von Hollywood zu verstehen ist.

Genauso funktioniert „Basic Instinct“ als spannende Vivisektion des Hollywood-Films, als Affirmation an eine vergangene Kino-Epoche, die Verhoeven um nicht mehr als seine eigene Freizügigkeit erweitert. Sei das im visuellen Sinne zu verstehen oder in der Sprache: Curran, der schließlich mit Tramell ins Bett steigt, bezeichnet ihr Tête-à-Tête später als den „F*ck des Jahrhunderts“. Sein entsetzter Kollege Gus wirft ihm dafür vor: „Sie hat dir mit ihrer Magna-Cum-Laude-Pussy das Gehirn frittiert.“ Und Tramell stellt beim Verhör im Angesicht der schweißgebadeten Polizisten klar, dass sie mit dem Ermordeten keine Beziehung pflegte: „Ich war nicht mit ihm zusammen. Ich habe mit ihm gef*ckt.“

Was ist nun aber dran an der Kritik von Roger Ebert? Verhoeven und Eszterhas erzählen die verdorbene Geschichte von „Basic Instinct“ in eindeutiger Uneindeutigkeit. Dieses Paradoxon sieht wie folgt aus: Regelmäßig stößt der aufmerksame Zuschauer auf Momente der Filmhandlung, die zu überspitzt, zu unwahrscheinlich verlaufen, als dass sie sich am Maßstab der Realität messen lassen. Das ist dramaturgische Absicht. Tramell selbst kündigt im Film an, einen Roman basierend auf ihrer Beziehung zu Curran schreiben zu wollen. Als Curran ihr ankündigt, der Roman werde nicht mit seinem Tod, sondern mit einem gefassten Mörder enden, antwortet Tramell kühl: „Das will keiner lesen. Irgendjemand muss sterben. Weil es immer so ist.“

„Basic Instinct“ ist also ein cineastischer Kunstraum, eine Plattform für Verhoevens Fabulierkunst. Der Plot ist in zwei Richtungen auslegbar, das Ende präsentiert zwei mögliche Täterinnen. Indizien werden so platziert, dass beide Möglichkeiten denkbar wären, doch in jeder Version bleibt ein Restzweifel. In dieser Unterwanderung der konventionellen Krimi-Auflösung liegt ein feministischer Kern verborgen, den die Aktivisten damals nicht erkannten: In „Basic Instinct“ werden die Männer von Frauen bis zuletzt zum Narren gehalten, verführt, ausgenutzt. Das Feminine ist die Bedrohung, fordert männliche Machtpositionen heraus, ist diesen niedersten Instinkten aber auch weit überlegen. Die Bisexualität von Tramell ist da nur der finale Schritt, der gleichgeschlechtliche Liebesakt wird zur letzten Bastion der weiblichen Sexualität, zu welcher der lüsterne Mann nie Zutritt erhalten wird.

Und doch ist es legitim von Ebert, eine Auflösung zu fordern, wo keine sein will, sich betrogen zu fühlen, enttäuscht zu sein. Ihn interessieren die tieferen Implikationen des meisterhaften, erotischen Spiels auf der Rasierklinge nicht, er nimmt sich die Freiheit, nur von sich auszugehen, bei der professionellen Filmkritik ganz persönlich zu werden. Deshalb wurde er so geschätzt: Weil er unverblümt, elegant, aber ohne Rücksicht auf Erwartungen nur sich selbst gerecht werden wollte, selbst wenn er dabei provozierte. Weil er einer war wie Paul Verhoeven.
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Re: Die Filme von Paul Verhoeven

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Schön gesagt, gut analysiert. Hab gerade wenig Zeit, aber freu mich schon auf die gefühlt 20. Sichtung des Films, diesmal auf 4K. Bin natürlich als Verhoeven-Fan nicht objektiv, aber Basic Instinct ist in vielerlei Hinsicht ein genialer Film. Gerade weil er nicht wie jeder andere Film ist bzw. wie ein Film, den man in diesem Genre erwarten würde. Die Meisterschaft erkennt man schon an den zahlreichen Epigonen in seinem Kielwasser, die dümpelnd im Trüben fischen. Ein lustvoll mehrbödiges Stück Kino von einem der besten Entertainer der Branche, dem man vieles vorwerfen kann, aber niemals, dass er einen kalt lässt oder langweilt.
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Re: Der letzte F*ck in Hollywood

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Sehr schöne Filmkritik, Herr Kollege! Wobei ich sagen muss, dass ich den Kritikpunkt von Ebert schon etwas merkwüdig finde. Klar, es steht jedem frei eine bestimmte Erwartungshaltung an einen Film zu haben und dann enttäuscht darüber zu sein, wenn diese nicht erfüllt wird. Von einem professionellen Standpunkt aus (und Ebert war nun mal in erster Linie Profi und erst dann "normalsterblicher" Filmschauer) würde ich aber schon erwarten, dass bei einer kritischen Rezeption die Absicht des Filmemachers berücksichtigt wird. Wenn also unser Holland-Paul sich doch offensichtlich kraft seiner Inszenierung dagegen wehrt die (durch-)gängige Mainstream-Auflösung zu präsentieren und noch dazu, wenn sich dies wie ein roter Faden durch das Oeuvre seines Filmeschaffens zieht, dann würde ich von einem professinellen Filmkritiker schon erwarten, dass er diesen Gesichtspunkt in seiner Beurteilung berücksichtigt ungeachtet davon, ob das nun seine Erwartung erfüllt oder nicht.

Casino Hille hat geschrieben: 11. Juli 2021 15:30 Homosexuelle Aktivisten hetzten bereits während der Dreharbeiten gegen das Drehbuch von Joe Eszterhas, als sie erfuhren, eine bisexuelle Frau werde hier als Mörderin dargestellt. Um dem Film zu schaden, ließen sie in Zeitungen das Ende verraten. Auf den Titelseiten prangte: „Catherine Tramell hat es getan.“
Diese Proteste nahmen seinerzeit schon einiges von dem vorweg, was heutzutage fast schon die normale "Diskussionskultur" geworden ist. Also Proteste mehr aus dem Vertreten eines übergeordneten Prinzips wegen als aufgrund des eigentlichen Anstosses. Damals wurde dies zwar öffentlich bzw. medial zur Kenntnis genommen, zu mehr als erschwerten Drehbedingungen führte das Ganze aber nicht (und so wurde der Film ja dann auch an der Kinokasse ein Riesenerfolg). Es steht zu vermuten, dass solche (nicht fundierten, da lediglich auf bruchstückhaften Informationen beruhenden) Anschuldigungen und Proteste heute nicht so einfach verpuffen würden. Ob das nun ein gesellschaftlicher Fortschritt ist, sei dahingestellt.

Persönlich schätze ich Basic Instinct sehr, da er eine wunderbare Verbindung aus klassischem Noir, hitcockscher Frisco-Verklärung, Giallo und modernem Psychothriller ist. Der Film funktioniert wie eine bestens geölte Maschine, in der jedes Rädchen perfekt in das andere greift. Starke Besetzung, wendungsreiche und undurchsichtige Story mit vielschichtigen und ebenfalls weitgehend undurchschaubaren Figuren, immer zielgerichtete Inszenierung mit den Verhoeven-typischen Extremata in Sachen Sex&Violence, stilvoll-elegante Kameraarbeit von Jan De Bont und last not least ein weiteres musikalisches Wunderwerk von Maestro Jerry Goldsmith, der in der allerletzten Filmminute vermutlich einen seiner kongenialsten Soundtrackmomente überhaupt dahinschmettert und in Kombination mit Eszterhas brillant konzipierter Schlussszene und Verhoevens packender Inszenierung ebendieser den Zuschauer mit einem mächtigen finalen Paukenschlag entlässt (und damit auf seine ganz eigene Art den gleichen Effekt des Ende vom großen Vertigo erreicht).

Und dennoch ist Basic Instinct in meiner Verhoeven-Rangliste nicht ganz oben zu finden, vermutlich weil er einfach ein bisschen zu perfekt und glatt ist. Das merke ich vor allem im direkten Vergleich zum Quasi-Premake De vierde Man, welches die gleichen Kernzutaten wie Basic Instinct rauer und ungeschliffener verarbeitet und nicht zuletzt dadurch eine wie ich finde noch größere Wirkung erzielt. Aber auch im Vergleich zur Verhoevens Hollywood-Speerspitze Robocop, Total Recall und Starship Troopers ist Basic Instinct einfach ein Stückweit glatter und kommerzieller - wobei das natürlich alles relativ zu verstehen ist.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"