Re: Unter den Einäugigen ist der Blinde König

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Samedi hat geschrieben: 5. Dezember 2018 14:21 Einen etwas faden Beigeschmack bekommt der Film durch die leicht homophobe Darstellung einiger Figuren. Aber das war damals eben der Zeitgeist.
Ich finde das Wort homophob in diesem Zusammenhang aber nicht gerechtfertigt. Argento verwendet hier die tiefsten Klischees, aber das Entscheidende ist doch, dass diese nicht negativ gegen die Figuren und damit generell gegen Homosexualität arbeiten. Argento macht dies in vielen seiner Filme, etwa den bis-zum-Anschlag-tuckigen Kunsthändler (bei welchem Werner Peters ebenfalls kein darstellerisches Klischee auslässt) im direkten Vorgänger Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe. Im dritten Teil seiner Tier-Trilogie, Vier Fliegen auf grauem Samt, benutzt Argento wiederum das Klischee eines Homosexuellen in der Figur des Privatdetektivs. Hier wird dann aber besonders deutlich, dass Argentos Klischeeparade keinesfalls negativ gemeint ist, so ist gerade der Detektiv einer der sympathischsten und cleversten Figuren des ganzen Films (wenn auch zu seinen Ungunsten dann doch nicht clever genug...). Daher denke ich sollte man auch wenn solche Darstellungen nicht mehr den heutigen Konventionen entsprechen immer auch bedenken, in welche Richtung sie arbeiten.
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Re: Der Dario Argento Thread

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Homophobie vermag ich da auch nur in bestenfalls homöopathischen Dosen zu erkennen, genau wie der oft gehörte Vorwurf der Misogynie in Argentos Filmen kaum zutreffen mag. Im Gegenteil ist das Thema sexueller Gewalt (auf geistiger wie körperlicher Ebene) in Argentos Filmografie immer wieder vorzufinden gewesen, bei denen er hin und wieder auch klassische Geschlechtergrenzen aufsprengt und neu anordnet. Der heutigen Political Correctness entspricht das sicher nicht, aber eine negative Konnotation ist da nur schwer erkennbar.
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Re: Unter den Einäugigen ist der Blinde König

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AnatolGogol hat geschrieben: 5. Dezember 2018 14:32 Argento macht dies in vielen seiner Filme, etwa den bis-zum-Anschlag-tuckigen Kunsthändler (bei welchem Werner Peters ebenfalls kein darstellerisches Klischee auslässt) im direkten Vorgänger Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe.
Das fand ich aber persönlich besser gelöst, wie ich auch den Vorgänger insgesamt besser finde.

Die Katze punktet meiner Meinung nach vor allem durch das Duo Malden / De Carolis.
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Re: Unter den Einäugigen ist der Blinde König

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Samedi hat geschrieben: 5. Dezember 2018 14:52 Das fand ich aber persönlich besser gelöst, wie ich auch den Vorgänger insgesamt besser finde.

Die Katze punktet meiner Meinung nach vor allem durch das Duo Malden / De Carolis.
In den Handschuhen ist es halt eine ander Figurenkonstellation, der Petersche Kunsthändler ist "nur" einer dieser typischen farbenfrohen und skurrilen Argento-Charaktere wie der stotternde Servus oder der katzenverspeisende Kunstmaler. In der Katze ist vor allem die Frank-Figur ja richtig in die Handlung eingebettet und muss zwangsläufig auch als Tatverdächtiger in Szene gesetzt werden. Allein dadurch wird der homosexuelle Background schon "ernsthafter" behandelt als in den Handschuhen, wo es lediglich ein weiterer Farbtupfer war. Prinzipiell unterscheidet sich Argentos Herangehensweise aber bei beiden Filmen wie ich finde nicht. Ich mag die Handschuhe übrigens auch deutlich lieber, da er der deutlich rundere, besser inszenierte Film ist. Die Hauptdarsteller sind für mich dafür in der Katze besser, vor allem Malden aber auch der souverän-coole Franciscus. Bei den Handschuhen ist Musante ein kleiner Schwachpunkt, dafür hat der Film aber die besseren Nebenfiguren (und Salerno reisst auch einiges raus).
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Re: Der Dario Argento Thread

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AnatolGogol hat geschrieben: 14. Februar 2022 14:16 Der alte Dario wird wird doch am Ende nicht doch noch mal zum großen Wurf ausholen? :o
Dark Glasses (2022) - Dario Argento

Nach den zumindest in Teilen auch positiven Kritiken auf des Altmeisters neusten Thriller durfte man als Argento-Fan durchaus mit Spannung "Dark Glasses" entgegensehen. Und tatsächlich legt der Film dann auch los wie die Feuerwehr und Argento brennt in den ersten 20 Minuten förmlich ein inszenatorisches Feuerwerk ab. Hier werden Erinnerungen wach an "Non ho sonno / Sleepless", zumal hier wie dort eine Prostituierte in fiebriger Flucht vor einem Serienkiller gezeigt wird. Leider enden die Parallelen zu Non ho sonno hier nicht, denn wie auch in des Meisters später Giallo-Reminiszenz aus dem Jahr 2001 erreicht auch Dark Glasses im weiteren Verlauf nie wieder das anfängliche Spitzenniveau. Schlimmer noch: in Argentos jüngstem Werk bricht das Niveau nach dem anfänglichen Spektakel förmlich in sich zusammen. Das liegt hauptsächlich an der eklatanten dramaturgischen Unterversorgung des Films.

Argentos Werken wird ja gerne vorgehalten, dass ihr Inhalt kaum mehr sei als eine Legitimation für grandios fotografierte und inszenierte Gewaltexzesse. Das mag in gewisser Weise stimmen, allerdings ignoriert diese Sichtweise die Tatsache, dass ungeachtet aller Logiklöcher und Handlungssprünge Argento dennoch in seinen besten Werken durchaus auch als Geschichtenerzähler aufzutrumpfen wusste. Und genau hier scheitert er in seinem neusten Film auf geradezu grandiose Weise. Dark Glasses erzählt die Geschichte einer Prostituierten, die ins Ziel eines Serienmörders gerät. Sie überlebt einen Anschlag auf ihr Leben, büsst dabei aber ihr Augenlicht ein. Nun muss sie sich blind den fortwährenden Attacken des Mörders erwehren, unterstützt lediglich von einem kleinen Jungen, dessen Eltern bei dem Anschlag auf sie ebenfalls ums Leben kamen.

Klingt eigentlich nach einer ganz interessanten Ausgangslage? Nun, das Dumme daran ist, dass ich jetzt schon den kompletten Film erzählt habe. Denn tatsächlich erstreckt sich mehr als die Hälfte von Dark Glasses auf eine Flucht des ungleichen Duos vor dem Killer irgendwo in der dunklen italienischen Pampa. Szene reiht sich an Szene, in denen die Prostituierte und ihr junger Begleiter durchs dunkle Unterholz oder durch einen sumpfigen Fluss waten, ohne dass wirklich etwas passiert. Dann verlieren sie sich in der Dunkelheit, finden sich wieder, treffen mal auf den Killer, entkommen ihm wieder, nur um ihm wieder in die Hände zu fallen. Kurz: es passiert zwar ein bisschen was, aber eigentlich bewegt sich der Film dramaturgisch kaum noch vom Fleck. Was als vielversprechender Thriller beginnt nimmt in der zweiten Hälfte eher Züge von einem klassischen Slasher-Film an, allerdings mit deutlich niedrigerer Frequenz der Angriffe des Killers und auch generell eher enttäuschender Inszenierung eben dieser.

Nun könnte man vielleicht auf die Idee kommen, dass - gerade auch angesichts des eher verhaltenen Gewaltniveaus, jedenfalls gemessen an des Meisters früheren diesbezüglichen Exzessen - Argento hier mehr an der charakterlichen Entwicklung seiner Hauptfigur interessiert ist und einen Einblick in die Hilflosigkeit eines frisch mit einer Behinderung konfrontierten Menschen geben möchte. Das scheitert aber an einigen Punkten: zum einen bietet Hauptdarstellerin Ilena Pastorelli eine ziemlich unterwältigende schauspielerische Leistung, zum anderen ist die von ihr verkörperte Figur der Diana eher nervig als dass sie als Identifikationsfigur taugt. Und last not least zeigen sich weder Film noch Regisseur jemals wirklich am Innenleben der Protagonistin interessiert, letztlich dient ihr Dilemma dann eben doch nur als Aufhänger für die Attacken des irren Killers.

Nein, der große Wurf gelang Argento mit seinem Alterswerk "Dark Glasses" leider wirklich nicht. Ist es ein vielleicht sogar sein schlechtester Film? Nun, das ist zumindest diskutabel. Es widerstrebt mir allerdings ein wenig, den Film derart ha*rsch abzuurteilen, da er dann doch auch diverse gute Aspekte besitzt. Neben dem bereits genannten grossartigen Auftakt wissen auch Kameraarbeit und Musik durchaus zu gefallen, wie auch generell der Film einen sehr zeitlosen, fast schon klassischen Look aufweist und die Effektqualität erstaunlich hochwertig ist. Das kann leider aber trotzdem kaum darüber hinwegtäuschen, dass Argento hier trotz der geringen Netto-Laufzeit von gerade mal 80 Minuten einen inhaltlich extrem defizitären Film inszeniert hat. Und selbst verglichen mit den ebenfalls nicht gerade überwältigen Argento-Filmen der letzten 15 Jahre enttäuscht mich Dark Glasses unterm Strich.

Wertung: 4 / 10
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Re: Der Dario Argento Thread

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ich habe zufällig gestern mal wieder auf ServusTV "Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe" gesehen. Das Werk erscheint für mich als etwas noch roher, unausgegorener Erstversuch zum "Tenebrae" Genre, daher trotzdem schon ein gutes und ansprechendes Werk.
Wenn es einen Horrorfilmmeister gibt, der mich sogar noch mehr irritiert als Sam Raimi, dann ist es Argento. Ich frage mich immer wieder, wie jemand, der mit "Tenebrae" einen der besten Horrorfilme aller Zeiten drehte, daneben akzeptable Arbeiten wie "Sleepless", "Suspiria" oder "Aura" produzierte, dann so einen heillosen Stuss wie "Opera" oder "Das Phantom der Oper" auf uns losließ?
PS: Hi Anatol! Wenn "Dark Glases" sogar noch schlechter als "Opera" und "Phantom der Oper" ist, dann soll Argento wirklich in Pension gehen!
Seine Zeit kam, immer wenn er Pillen nahm

Re: Der Dario Argento Thread

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Special - Disharmonie
iHaveCNit: Dark Glasses – Blinde Angst (2022) – Dario Argento – Wild Bunch
Deutscher Kinostart / Spezielle Wiederaufführung: 05.07.2023
gesehen am 05.07.2023 in OmU in der Disharmonie
Arthouse-Kinos Frankfurt – Kleine Harmonie – Reihe 4, Platz 7 – 21:00 Uhr

Im Rahmen einer großen, über den gesamten Monat Juli stattfindenen Hommage an Dario Argento des deutschen Filmmusuems Frankfurt hat auch die Harmonie der Arthouse-Kinos Frankfurt im Rahmen der Disharmonie den letzten Film des Regisseurs „Dark Glasses – Blinde Angst“ aufgeführt, der sich als atmosphärisch spannend umgesetzter Giallo entpuppt, der nur ein wenig an einer etwas banalen Geschichte und nicht immer sympathischen Charakteren leidet. Das war auch eine gute Gelegenheit mir den Film noch anzusehen, da ich ihn letztes Jahr aufgrund terminlicher Gründe nicht sehen konnte.
„Dark Glasses – Blinde Angst“ - My First Look – 8/10 Punkte.
"Weiter rechts, weiter rechts ! ..... "

Re: Der Dario Argento Thread

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Ich hatte den ganzen Tag die unerklärliche Lust verspürt, Profondo Rosso in den Player zu schmeissen, und habe dem Drang selbstverständlich in den Abendstunden nachgegeben, und es war mal wieder eine Gaudi. Die atmosphärischen Horrorszenen spielen gekonnt und variantenreich mit den Ängsten, werden aber immer wieder durch launige Detektivarbeit und humoristische Screwball-Elemente aufgelockert, und als nächstes kommen wieder morbide und groteske Slasher-Szenen. Und trotzdem beisst sich da nichts, weil Argentos stets kunstvolle und stilsichere, oftmals exzellent geschnittene Inszenierung alles zusammenhält. Und der Hauptdarsteller ist die Krönung des Ganzen, weil ich beim Zuschauen permanent das Gefühl habe, ein italienisch parlierender Paul McCartney (ca. 1980er) würde hier ermitteln, und das macht alles gleich noch viel cooler. 9/10
We'll always have Marburg

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Re: Der Dario Argento Thread

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Hihi, stimmt, Hemmings sieht wirklich ein bisschen aus wie Paulchen. Wie der Zufall so will habe ich PF letzte Woche auch wieder mal geschaut und ich kann in deine Lobpreisung nur voll einstimmen. Bin sogar noch etwas euphorischer, da ich den Film mittlerweile für absolut perfekt halte und da keinen Spielraum mehr für Punktabzüge erkennen kann. Die Bildgestaltung alleine ist schon eine Wucht, beispielsweise wenn die Kamera beim anfänglichen Parapsychologie-Vortrag durch den Vorhang in den Saal gleitet, als ob man eine Theatervorstellung erleben würde (was man ja eigentlich auch tut). Oder die perfekt eingefangene nächtliche Plaza mit dem Brunnen und dem als Ornament (und gleichzeitig als Handlungsort) drapierten Cafe. Ich liebe auch diese kleinen merkwürdigen Spässchen, die sich Argento immer wieder unerwarteterweise erlaubt, etwa den Fussballfan auf dem Rad mit der Fahne oder die grimassierenden Schausteller (?) - scheinbar vollkommen losgelöst von Handlung und Stimmung des Films, aber auf absonderliche Art und Weise grossartig (und da Absonderlichkeit ja auch eines der Metathemen des Films ist dann am Ende doch nicht komplett losgelöst). Grossartig auch, wie das Schlüsselthema Geschlechterrollen immer und immer wieder direkt oder indirekt aufgegriffen wird und es sich letztlich auch im Motiv des Täters offenbart
Spoiler
(eine Frau wird irre, weil sie ihre Karriere aufgeben musste zugunsten einer klassischen "geschlechtergerechten" Hausfrauen-Tätigkeit)
. Oder halt in einem Wort: makellos. :)
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