AnatolGogol hat geschrieben: 14. Februar 2022 14:16
Der alte Dario wird wird doch am Ende nicht doch noch mal zum großen Wurf ausholen?
Dark Glasses (2022) - Dario Argento
Nach den zumindest in Teilen auch positiven Kritiken auf des Altmeisters neusten Thriller durfte man als Argento-Fan durchaus mit Spannung "Dark Glasses" entgegensehen. Und tatsächlich legt der Film dann auch los wie die Feuerwehr und Argento brennt in den ersten 20 Minuten förmlich ein inszenatorisches Feuerwerk ab. Hier werden Erinnerungen wach an "Non ho sonno / Sleepless", zumal hier wie dort eine Prostituierte in fiebriger Flucht vor einem Serienkiller gezeigt wird. Leider enden die Parallelen zu Non ho sonno hier nicht, denn wie auch in des Meisters später Giallo-Reminiszenz aus dem Jahr 2001 erreicht auch Dark Glasses im weiteren Verlauf nie wieder das anfängliche Spitzenniveau. Schlimmer noch: in Argentos jüngstem Werk bricht das Niveau nach dem anfänglichen Spektakel förmlich in sich zusammen. Das liegt hauptsächlich an der eklatanten dramaturgischen Unterversorgung des Films.
Argentos Werken wird ja gerne vorgehalten, dass ihr Inhalt kaum mehr sei als eine Legitimation für grandios fotografierte und inszenierte Gewaltexzesse. Das mag in gewisser Weise stimmen, allerdings ignoriert diese Sichtweise die Tatsache, dass ungeachtet aller Logiklöcher und Handlungssprünge Argento dennoch in seinen besten Werken durchaus auch als Geschichtenerzähler aufzutrumpfen wusste. Und genau hier scheitert er in seinem neusten Film auf geradezu grandiose Weise. Dark Glasses erzählt die Geschichte einer Prostituierten, die ins Ziel eines Serienmörders gerät. Sie überlebt einen Anschlag auf ihr Leben, büsst dabei aber ihr Augenlicht ein. Nun muss sie sich blind den fortwährenden Attacken des Mörders erwehren, unterstützt lediglich von einem kleinen Jungen, dessen Eltern bei dem Anschlag auf sie ebenfalls ums Leben kamen.
Klingt eigentlich nach einer ganz interessanten Ausgangslage? Nun, das Dumme daran ist, dass ich jetzt schon den kompletten Film erzählt habe. Denn tatsächlich erstreckt sich mehr als die Hälfte von Dark Glasses auf eine Flucht des ungleichen Duos vor dem Killer irgendwo in der dunklen italienischen Pampa. Szene reiht sich an Szene, in denen die Prostituierte und ihr junger Begleiter durchs dunkle Unterholz oder durch einen sumpfigen Fluss waten, ohne dass wirklich etwas passiert. Dann verlieren sie sich in der Dunkelheit, finden sich wieder, treffen mal auf den Killer, entkommen ihm wieder, nur um ihm wieder in die Hände zu fallen. Kurz: es passiert zwar ein bisschen was, aber eigentlich bewegt sich der Film dramaturgisch kaum noch vom Fleck. Was als vielversprechender Thriller beginnt nimmt in der zweiten Hälfte eher Züge von einem klassischen Slasher-Film an, allerdings mit deutlich niedrigerer Frequenz der Angriffe des Killers und auch generell eher enttäuschender Inszenierung eben dieser.
Nun könnte man vielleicht auf die Idee kommen, dass - gerade auch angesichts des eher verhaltenen Gewaltniveaus, jedenfalls gemessen an des Meisters früheren diesbezüglichen Exzessen - Argento hier mehr an der charakterlichen Entwicklung seiner Hauptfigur interessiert ist und einen Einblick in die Hilflosigkeit eines frisch mit einer Behinderung konfrontierten Menschen geben möchte. Das scheitert aber an einigen Punkten: zum einen bietet Hauptdarstellerin Ilena Pastorelli eine ziemlich unterwältigende schauspielerische Leistung, zum anderen ist die von ihr verkörperte Figur der Diana eher nervig als dass sie als Identifikationsfigur taugt. Und last not least zeigen sich weder Film noch Regisseur jemals wirklich am Innenleben der Protagonistin interessiert, letztlich dient ihr Dilemma dann eben doch nur als Aufhänger für die Attacken des irren Killers.
Nein, der große Wurf gelang Argento mit seinem Alterswerk "Dark Glasses" leider wirklich nicht. Ist es ein vielleicht sogar sein schlechtester Film? Nun, das ist zumindest diskutabel. Es widerstrebt mir allerdings ein wenig, den Film derart ha*rsch abzuurteilen, da er dann doch auch diverse gute Aspekte besitzt. Neben dem bereits genannten grossartigen Auftakt wissen auch Kameraarbeit und Musik durchaus zu gefallen, wie auch generell der Film einen sehr zeitlosen, fast schon klassischen Look aufweist und die Effektqualität erstaunlich hochwertig ist. Das kann leider aber trotzdem kaum darüber hinwegtäuschen, dass Argento hier trotz der geringen Netto-Laufzeit von gerade mal 80 Minuten einen inhaltlich extrem defizitären Film inszeniert hat. Und selbst verglichen mit den ebenfalls nicht gerade überwältigen Argento-Filmen der letzten 15 Jahre enttäuscht mich Dark Glasses unterm Strich.
Wertung: 4 / 10