Welches sind eure zwei Lieblingsfilme von Sam Peckinpah?

The Deadly Companions (Keine Stimmen)
Ride the High Country (Keine Stimmen)
Major Dundee (Keine Stimmen)
The Wild Bunch
Insgesamt abgegebene Stimmen: 3 (38%)
The Ballad of Cable Hogue (Keine Stimmen)
Straw Dogs (Keine Stimmen)
Junior Bonner (Keine Stimmen)
The Getaway (Ein Mann Explodiert) (Keine Stimmen)
Pat Garrett & Billy the Kid
Insgesamt abgegebene Stimmen: 2 (25%)
Bring me the Head of Alfredo Garcia
Insgesamt abgegebene Stimmen: 2 (25%)
The Killer Elite (Keine Stimmen)
Cross of Iron
Insgesamt abgegebene Stimmen: 1 (13%)
Convoy (Keine Stimmen)
The Osterman Weekend (Keine Stimmen)
Insgesamt abgegebene Stimmen: 8

Re: Passion & Poetry - Die Filme von Sam Peckinpah

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Maibaum hat geschrieben: 22. November 2022 21:34 OK, und hat jetzt einer was von dem superdupergeheimtip The Westerner geschaut?
noch nicht, aber ich habe es immer noch fest vor. Wenn nur das leidige Zeit-Problem nicht wäre (ich weiss, sind nur jeweils 25 Minuten, aber man will sich ja auch bewusst darauf einlassen und es nicht nur irgendwo schnell reinquetschen...)
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Passion & Poetry - Die Filme von Sam Peckinpah

156
Maibaum hat geschrieben: 22. November 2022 21:34 OK, und hat jetzt einer was von dem superdupergeheimtip The Westerner geschaut?
Kann jetzt Vollzug melden nachdem ich die von dir empfohlenen "Jeff" und "Hand on the Gun" geschaut habe. Beide Episoden sind sehr gut, Peckinpah hat da schon das Maximum aus den Begrenzungen des Format (sowohl zeitlich als auch produktionstechnisch) rausgeholt. Sind jeweils starke Geschichten, die Sam trotz der kurzen Laufzeit intensiv und erstaunlich ausführlich behandelt. Keith spielt exzellent, er verleiht seiner Figur eine gewisse Müdigkeit die im Kontext der beiden Folgen hervorragend passt, tritt gleichzeitig aber auch sehr tatkräftig, was zu einer spannenden Dynamik innerhalb seines Charakters führt. Schön auch, dass die beiden Folgen recht unterschiedlich ausgefallen sind (Kammerspiel bei "Jeff", während "Hand on the Gun" eher klassischer "Open Range"-Western ist - soweit das eben im Rahmen des TV-Format möglich ist).
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Passion & Poetry - Die Filme von Sam Peckinpah

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Unabhängig von dem wie man RtHC heutzutage so bewertet, ist es filmhistorisch ein Meilenstein des Westerns, und für diesen ebenso prägend für den amerikanischen Spätwestern wie es Leones Für eine Handvoll Dollar für den Italo-Western war.
Ab Ende der 60er verwendeten immer mehr Filme die Themen und Metaphern des Films, und in den 70ern waren selbst einige ambitionsfreie Dutzendwestern davon beeinflusst. Letztendlich ist auch Eastwoods Unforgiven ein später Nachfolger.

RtHC hat sogar damals den Hauptpreis des Brüsseler Filmfestivals gewonnen, bei einer Konkurrenz zu der übrigens auch Achteinhalb gehörte, und bei einer BFI Umfrage nach den besten Western wurde er 1988 immerhin Zehnter. Lange Zeit war er neben TWB Peckinpahs geschätztester Film, aber im Gegensatz zu diesem nicht so umstritten.
Aber heute ist er etwas untergegangen gegenüber Peckinpahs späteren Filmen, während Fords fast gleichzeitiger Spätwestern The Man Who Shot Liberty Valance heute viel berühmter ist. Wenig nachvollziehbar für mich, da Liberty Valance sich oft nach schlechtem Theater anfühlt, und auch ordentlich sentimentalisiert.

SAMARATHON - RUNDE 1

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Achtung! Die Review enthält Spoiler und konkrete Hinweise auf die Handlungs- und Figurenentwicklung. Wer den Film also nicht kennt bzw. nicht vorab zu viele Informationen bekommen möchte, der sollte ab jetzt nicht weiterlesen!


Ride The High Country (1962) – Sam Peckinpah

Nichts ist mehr wie es einmal war. In seinem zweiten Kinofilm lässt Sam Peckinpah den Zuschauer direkt teilhaben am Übergang des „alten Westens“ in die Moderne und sägt gleichzeitig ordentlich an typischen Genre-Tugenden wie Freundschaft, Verlässlichkeit und Ehre. Enstprechend wirkt vieles an Ride The High Country bewusst aus der Zeit gefallen, exemplarisch wird dies bereits in der Einstiegsszene deutlich, wenn ein alter Cowboy in eine Stadt reitet, dabei beinahe von einem Automobil (und einem Kamel!) über den Haufen gefahren wird und sich den Unmut des lokalen Polizisten (nicht Sheriffs!) einhandelt.

Der alte Cowboy heisst Steve Judd, gespielt von Joel McCrea, einem Veteranen aus zahlreichen Western, ist ein ehemaliger Gesetzeshüter, der sich in der lokalen Bank um einen Job als „hired Gun“ bewerben möchte, welcher den Transport von Gold aus den Bergen in die Stadt überwachen und sicherstellen soll. Das Bewerbungsgespräch, welches er mit einer Vater-Sohn-Doublette aus grauen, unscheinbaren Männlein führen muss, macht erneut sehr deutlich, dass die grosse Zeit von Judd (und damit auch des alten Westens) vorbei ist. Statt Respekt für seine vormaligen Leistungen erntet er von den grauen Männlein höchstens ungläubige Skepsis und abfällige Blicke ob seines heruntergekommenen Äusseren. Gleichzeitig zeigt diese schöne Szene aber auch eindrucksvoll, dass mit dem alten Mann nachwievor zu rechnen ist, wenn er sich in einem wahren Handstreich von Initiative den Job zu sichern weiss, indem er die grauen Männlein einfach vor vollendete Tatsachen stellt.

Die endgültige Weichenstellung des Film erfolgt mit der Einführung des zweiten Hauptcharakters Gil Westrum, eines weiteren ehemaligen Gesetzeshüters und alten Freundes von Judd, gespielt von Randolph Scott, die Peckinpah elegant um die Bewerbungsszene legt. Im Gegensatz zu Judd wird Westrum von Anfang an als moralisch fragwürdig etabliert, wenn er beispielsweise Jahrmarktsbesucher mit einem getürkten Zielschiessen übers Ohr haut. Die beiden alten Freunde tun sich zusammen für die Überführung des Goldes, wobei die Ziele der beiden unterschiedlich sind. Während es Judd darum geht auch weiterhin eine erfüllende Aufgabe zu haben und gleichzeitig damit moralisch „das Richtige zu tun“, lässt Westrum keinen Zweifel daran, dass er den Job in erster Linie als Gelegenheit begreift selbst des Goldes habhaft zu werden und sich damit finanziell für die Zukunft unabhängig zu machen – auch auf Kosten der eigenen Vergangenheit und Integrität. Peckinpah etabliert diesen Konflikt geschickt, indem er den Zuschauer im Gegensatz zur Judd-Figur teilhaben lässt an Westrums Vorhaben und sich so auf figürlicher Ebene klassischer Supsense-Techniken bedient.

Verstärkt wird der Konflikt durch die Einführung einer weiteren zentralen Figur, des von Ron Starr gespielten moralisch fragwürdigen jungen Draufgängers Heck Longtree, des Partners von Westrum, der sich nur allzu leicht von dessen Vorhaben anstecken lässt, das Gold zu stehlen und Judd zu hintergehen. Was folgt ist der Ritt zum Goldminen-Camp in den Bergen, in welchem Westrum immer wieder versucht in Gesprächen mit Judd auszuloten, ob er seinen alten Freund nicht vielleicht doch auf seine Seite ziehen kann. Dadurch entwickelt sich eine spannende Dynamik zwischen den beiden Hauptfiguren, die sich aufgrund ihrer langen Freundschaft und gemeinsamen Vergangenheit blind verstehen, deren moralische Wertvorstellungen aber scheinbar unterschiedlicher nicht sein könnten. Gleichzeitig spielt Peckinpah geschickt damit, ob Westrum es sich vielleicht am Ende nicht doch anders überlegen wird – was gerade durch den freundschaftlich-vertrauten Umgang der beiden alten Recken (kongenial veredelt durch die fantastische Chemie zwischen den Western-Urgesteine McCrea und Scott) verstärkt wird.

Auf dem Weg zum Camp macht das Trio halt auf der Farm eines frommen Einsiedlers (eindringlich gespielt von R.G. Armstrong als fanatisch- gottesfürchtigen Frömmler, einer Rolle, die er bei Peckinpah nicht das letzte Mal spielen sollte), wo wir die vierte und letzte zentrale Figur des Films kennenlernen in Person der Tochter des Einsiedlers, der von Mariette Hartley gespielten Elsa. Zwischen dem von ihrem Vater drangsalierten und von der Welt ferngehaltenen Mädchen und Heck entwickelt sich schnell eine Beziehung, wobei Peckinpahs Inszenierung ernsthafte Zweifel an der Aufrichtigkeit von Hecks Gefühlen säht, während Elsa offensichtlich in erster Linie einen Weg aus dem Gefängnis ihres Vaters sucht. Elsa reisst von daheim aus und schliesst sich den drei Männern an auf dem Weg zum Camp, mit der Absicht dort ihren Quasi-Verlobten Billy Hammond zu heiraten als ultimativer Flucht vor ihrem Vater. Während des Rittes streut Peckinpah weitere Zweifel an Hecks moralischer Eignung, welche in einer versuchten Vergewaltigung von Elsa kulminiert und von den beiden alten Westmännern eindeutig unterbunden wird. Damit zieht Peckinpah die Konflikt-Schraube effektiv weiter an, indem er Heck scheinbar eindeutig als „Schurken“ definiert, während an Westrums „Schurken-Status“ (der hier eindeutig moralisch richtig handelt) weiterhin, trotz seiner Bekundungen das Gold stehlen zu wollen, zumindest starke Zweifel angebracht werden.

Das Mitteldrittel des Films zeigt dann die Ankunft des Quartetts im Goldminen-Camp in den Bergen. Elsa wird in die Obhut ihres Verlobten Billy Hammond gegeben, welcher mit seinen vier Brüdern regelrecht im Dreck lebt. Und entsprechend ihrer verkommenen Unterkunft werden die fünf Brüder auch als moralisch verkommen eingeführt. Hier nutzt Peckinpah einen spannenden lokalen wie moralischen Kontrast, indem er im Anschluss an die Szene auf der abgeschotteten und gottesfürchtigen Farm das Goldminen-Camp als regelrechten Sündenpfuhl zeigt. Spannend auch, dass Elsas vom Zuschauer zuvor als so herrisch (und durchaus auch brutal) empfundene frömmelnde Vater durch das rücksichtslose und brutale Auftreten der Hammond-Brüder (auch Elsa gegenüber) nun in gewisser Weise rehabilitiert wird. Jedenfalls wird schnell deutlich, dass er durchaus einen Punkt hatte, wenn er seine Tochter vor Männern wie Billy Hammond schützen wollte.

Der filmische Mittelteil findet seinen Höhepunkt in der Hochzeits-Sequenz, welche bezeichnenderweise in einem Hurenhaus stattfindet, geleitet von einem offenkundig trunksüchtigen Friedensrichter. Die Szene eskaliert, als sich Elsa erneut einer versuchten Vergewaltigung durch die gesamte Hammond-Sippschaft erwehren muss und nur durch das Eingreifen von Steve und Heck gerettet wird. Und wiederum dreht Peckinpah hier ordentlich an den figürlichen Konstellationen, denn der zuvor so moralisch fragwürdig dargestellte Heck gewinnt spätestens ab dem Mitteldrittel immer mehr Kontur und beginnt sich zu wandeln – auch durch seine offenbar doch ernsthaften Gefühle gegenüber Elsa. Die weitere Entwicklung im Mittelteil dient neben der dramaturgischen Zuspitzung Peckinpah dann auch in erster Linie, um seine Figuren weiter zu definieren. So lässt sich Judd – ganz Gesetzstreu – auf eine Camp-Verhandlung über das weitere Schicksal von Elsa ein, während bezeichnenderweise Westrum die Sache in die eigenen Hände nimmt und mittels Einschüchterung des Friedensrichters für das gewünschte Resultat sorgt. Und gerade diese Szene ist bemerkenswert, weil sie das Ende des Films bereits vorwegnimmt. Ja, Westrum handelt eigentlich unmoralisch und streng genommen unterstreicht sein Handeln ja auch den bereits angekündigten Verrat an seiner Freundschaft mit Judd durch den geplanten Gold-Diebstahl. Gleichzeitig ist es aber auch er, der „das Richtige“ tut, indem er Elsa aus den Klauen der Hammonds befreit – wenn auch mit moralisch fragwürdigen Mitteln.

Das letzte Filmdrittel beginnt dann mit dem so lange vorbereiteten Verrat. In einer der Schüsselszenen des Films versucht Westrum erneut in einem Gespräch mit Judd diesen auf seine „moralische Seite“ zu ziehen, was jedoch krachend scheitert wenn Judd ihm klar macht, dass für ihn das wichtigste sei, sein Leben rechtschaffen zu Ende zu bringen („all I want is to enter my house justified“ - der Leitsatz von Peckinpahs Vater, mit dem in einem Satz der gesamte Konflikt des Filmes zusammengefasst wird). So kommt es wie es kommen musste: Westrum initiiert einen nächtlichen Überfall und zwangsverpflichtet den aufgrund seiner moralischen Zweifel und seines charakterlichen Wandels eigentlich nicht mehr wirklich an dem Gold interessierten Heck kraft seiner Autorität. Der Überfall geht aber schief, da Judd den Braten längst gerochen hat. Der Verrat von Westrum trifft Judd hart und lässt ihm – getreu seines Wertesystems – keine andere Wahl, als die beiden den Behörden übergeben zu wollen. Damit präsentiert Peckinpah ein weiteres seiner Schlüsselthemen, welches sich durch seine gesamte Karriere ziehen sollte, nämlich den Verrat und Vertrauensbruch innerhalb einer jahrelangen Beziehung. Vordergründig ist es die Verlockung des Goldes, welches Westrum zum Verrat veranlasst. Aber genau so wird der Vertrauensbruch auch durch die veränderten Zeiten definiert bzw. wie sich die zentralen Figuren damit arrangieren. Während Judd weiterhin versucht sein altes Wertesystem allen Änderungen zum Trotz aufrecht zu halten, ist Westrum dazu nicht bereit und passt sich den Veränderung durch moralischen Verfall an. Was mit Betrügereien und kleinen Lügen beginnt, endet mit Verrat. Gleichzeitig spitzt Peckinpah damit auch noch ein weiteres elementares Motiv des Films zu: den Umgang mit dem Älterwerden und wenn man so will die Akzeptanz, dass man nicht mehr die Person von Früher ist. Damit einhergehende drohende Einsamkeit und Überflüssigkeit spielt am Ende genau so in die Charakterentwicklung von Judd und Westrum ein, wie vordergründige die Erledigung ihres Jobs. Der Film lässt dabei keinen Zweifel: die beiden Hauptfiguren haben sich ausseinander gelebt und sich jeweils anders positioniert, wie sie den Rest ihres Lebens bestreiten wollen („all I want is to enter my house justified“ - oder eben auch nicht).

Jedoch – so leicht macht es Peckinah seinen Figuren und seinem Publikum dann eben doch nicht. Die beiden Hauptcharaktere mögen einen unterschiedlichen Weg eingeschlagen haben, aber er lässt Westrum am Ende doch noch einen Ausweg. Als die Gruppe zweimal von den Hammond-Brüdern überfallen wird, ist dies Westrums Chance (wie auch die von Heck) sich zu rehabilitieren und auf den moralisch rechten Pfad zurückzukehren. Beim ersten Überfall schenkt ihm der schwer gekränkte Judd noch kein Vertrauen (im Gegensatz zu Heck, dessen moralischer Wandel längst weitgehend abgeschlossen ist), beim finalen Hinterhalt auf der Farm von Elsas Vater (welcher andere Schauplatz des Films wäre geeigneter für den finalen, gerade auch moralischen Klimax!?) ist es dann aber die freie Entscheidung des mittlerweile freien Westrums die schwer in die Bredouille geratenen Judd, Heck und Elsa rauszuhauen. Und Peckinpah treibt diese Rückbesinnung auf moralische Werte und Freundschaft dann in einem epischen Duell auf die Spitze, in welchem sich Judd und Westrum – zum letzten male vereint – den verbliebenen Hammond-Brüdern stellen. Der zwar vergleichsweise kurz gehaltene, aber spektakulär inszenierte Shoot-Out endet mit der moralischen Rehabilitierung von Westrum, dem wiederhergestellten Vertrauen der beiden Freunde und mit dem Ende des tödlich verwundeten Judd. Wehmütig, aber auch zufrieden wendet er sich in der letzten Einstellung des Films ein letztes Mal den Bergen und damit auch seiner Vergangenheit und seinem Leben zu – er ist bereit, sein Leben rechtschaffen zu verlassen.

Ride the High Country hat seinen Status als wegweisender Genremeilenstein zu recht, da er viele Motive und Elemente einführt, die innerhalb des Westerns in der Folgezeit immer wieder aufgegriffen werden sollten. Das Ende des alten Westens, der Umgang mit Altern und Tod, moralische Grundsatzentscheidungen, Verrat und Vertrauensbruch – Peckinpah liefert eine äusserst reichhaltigen Vermengung großer Themen, die seinen nominell eher kleinen Film (mit einem Budget auf DN-Niveau) auf eine ganz andere Ebene heben. Die exzellent gezeichneten Figuren, werden kongenial durch hervorragend besetzte und agierende Darsteller mit Leben gefüllt. Vor allem die beiden Hauptdarsteller Scott und McCrea ragen dabei heraus und liefern am Ende ihrer langen Karrieren eine Gala-Vorstellung. Zu kritisieren gibt es nur wenig, am ehesten noch, dass das Mitteldrittel verglichen mit den beiden anderen Teilen etwas an Fahrt verliert, was auch der Tatsache geschuldet sein dürfte, dass hier der Fokus deutlich weniger auf den beiden Hauptfiguren liegt. Das wird aber spätestens durch den ausgezeichneten letzten Akt und das unvergessliche Finale schnell vergessen gemacht.

Wertung: 8,5 / 10
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Re: SAMARATHON - RUNDE 1

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Ride the High Country (Sam Peckinpah, 1962)

"All I want is to enter my house justified"

Was kann ich hier noch über Ride the High Country schreiben, was heute nicht schon längst geschrieben wurde? Eigentlich nicht viel. Peckinpah widmet sich dem Western, einem Genre, in dem er sich schon mit seiner TV-Serie The Westerner und seinem Spielfilmdebüt Deadly Companions geübt hatte und dem er sich mit grossem Erfolg auch später noch einige Male nähern sollte. Vielmehr aber nimmt er sich darin aber Themen und Motive vor, die für seine Karriere bestimmend sein würden und die er noch einige Male weiter ausbauen und verfeinern sollte: Der legendäre Haudegen und Abenteurer ist alt geworden und in seinem simplen Kern der gleiche geblieben, während sich die Welt um ihn herum immer mehr zu verändern beginnt. "I expected a younger man", wird Steve Judd schon früh klargemacht, und sogleich kramt er seine Lesebrille hervor.

Wenn Judd und Gil Westrum wie in ihren alten Zeiten auf ihr Abenteuer aufbrechen wird aber noch ein weiteres Motiv eingeführt, in dem tatsächlich Unforgiven als Nachfolger erkennbar ist: Ein Jungspund gesellt sich zur Runde dazu, hier in Person von Heck Longtree (ein Glück, dass laut Wikipedia der Drehbuch-Credit umstritten ist - so muss sich niemand definitiv für diesen Namen verantworten). Während bei Eastwood dreissig Jahre später aber der Generationenkonflikt zwischen den alten "Auslaufmodellen" und dem aufstrebenden Draufgänger eine zentrale Rolle einnimmt, ist dies bei Ride the High Country etwas anders. Unterschiedliche Reaktionen, Positionen und Allianzen zwischen den Charakteren - und Ride the High Country ist wie hier schon eindrucksvoll dargelegt wurde durchaus ein charaktergetriebener Film - ändern und ergeben sich aus den verschiedenen Ereignissen in der Geschichte heraus. Dabei ist der Generationenunterschied zwischen Longtree und den alten, erfahrenen Kampfgefährten Judd/Westrum durchaus ein Faktor, aber eben nur einer von vielen, dem mit der geheimen Allianz zwischen Longtree und Westrum gegenüber dem ehrlichen und aufrichtigen Judd (auch hier gilt wieder: Alles schon sehr eindrucksvoll dargelegt) auch sogleich ein ganz anderer gegenübersteht. Ein grosser Vorteil des Films ist auch, wie einfach der eigentliche Handlungsverlauf gestrickt ist: Das Abholen, Transportieren und potentielle Stehlen des Goldes sowie Elsas Flucht von zu Hause und ihre Heirat in den Hammond-Clan sind völlig ausreichend, um das Charakterspiel in Gang zu bringen und die Figuren in ebenso spannende wie schlüssige Konflikte sowie Reaktionen und Entscheidungssituationen zu bringen.

Am Ende lässt Bloody Sam dann kurz, aber in ausreichender Form seine Meisterschaft als Actionregisseur aufflackern, die sich in folgenden Filmen ebenso noch weiter entwickeln sollte, und auch hier zeigt sich bereits, wie Peckinpah seine blut- und bleihaltigen Finalkonfrontationen jeweils klug zur Auflösung und zum Abschluss charakterlicher und inhaltlicher Motive zu nutzen weiss: Westrum entscheidet sich dafür, Judd beizustehen, aber es ist mindestens genauso wichtig dass Judd sich dafür entscheidet, dies zuzulassen. Und so treffen Alt und Neu aufeinander. Einerseits dürfen die alten Recken trotz veränderter Weltlage noch einmal zeigen, wozu sie imstande sind und was sie ausmacht: Schiesskunst und Gewalt gegenüber ihren Feinden, aber auch Vertrauen und Freundschaft untereinander und ein letzter Hauch von Pionier- und Abenteuergeist sowie eine unerschütterliche Verkörperung all dieser Eigenschaften bis in den Tod. Andererseits wird damit aber auch der Weg freigemacht für etwas Neues und darf die veränderte Welt gewähren, hier in Form von Longtree und Elsa, die am Ende von allen Charakteren und Elementen der Geschichte befreit, dadurch aber auch geeint sind und am Scheideweg eines Neuanfangs stehen. Auch diese motivischen Zusammenhänge, dieses Aufeinandertreffen von Alt und Neu in und nach der Katharsis, ist ein deutlicher Fingerzeig im Kontext von Peckinpahs Karriere, ganz besonders in Richtung seines übernächsten Westerns (und Filmes im Allgemeinen).

Was Ride the High Country mit am meisten von späteren Peckinpah-Filmen abhebt, ist der wesentlich kleinere und mitunter vergleichsweise archaische "Look and Feel" des Films, der auch noch stärker im klassischen Western der 1950er verankert scheint als es nur wenige Jahre (und Filme) später der Fall war. Der zweite Punkt ist das Wissen um eben diese späteren Filme, in denen dieselben oder sehr ähnliche Themen und Motive noch komplexer, noch ambitionierter und noch besser ausgespielt und verarbeitet wurden. In dieser Hinsicht könnte man Ride the High Country zum Beispiel mit Hitchcocks Saboteur oder Argentos Vogel mit den Kristallfedern vergleichen. Genau wie bei diesen ist das aber auch nur ein bedingter Vorwurf an den früheren Film, der seine Sache ja trotzdem gut, und in Peckinpahs Fall dann doch inhaltlich und in der Ausführung auch eigenständiger macht.

Wertung: 8 / 10
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Re: Passion & Poetry - Die Filme von Sam Peckinpah

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Da liegen wir sehr eng beieinander mit unserer Einschätzung von RTHC. Gemessen an dem großen Ruf, den der Film hat, fühlen sich die 8-8,5 Punkte fast ein bisschen wenig an. Aber ähnlich wie dir fehlt mir da dann halt doch noch ein bisschen was zum "absoluten Glück". Figürlich und in Bezug auf die großen Themen ist der Film nahe an der Perfektion für mich, Dramaturgie und Inszenierung agieren häufig auf sehr hohem Niveau, teilweise schleifen sie aber auch ein bisschen meinem Empfinden nach. Wie ich es schon geschrieben habe macht sich das für mich vor allem im Mitteldrittel bemerkbar. So sinnvoll alle Szenen (und auch ihre Ausführlichkeit) in der Theorie auch sind (gerade im Hinblick auf die Zuspitzung der Figurenentwicklung), in der Praxis bremst dieser Teil wie ich finde den Fluss des Films leider doch etwas aus. Und wie ebenfalls bereits geschrieben hängt das für mich auch damit zusammen, dass die beiden Hauptfiguren erst gegen Ende des Schlussdrittels wieder in den Fokus treten. Das mag mal wieder Jammern auf hohem Niveau sein, aber es ist für mich eben durchaus ein wahrnehmbarer Kritikpunkt.

Bezüglich des "wesentlich kleineren und mitunter vergleichsweise archaischen "Look and Feel" des Films" bin ich ganz bei dir. Das mag sicherlich auch eine Budgetfrage gewesen sein, aber ich denke nicht nur. Der Film hebt sich diesbezüglich nicht wesentlich von der zeitgenössischen Konkurrenz ab - ganz im Gegensatz zu seinen inhaltlichen Schwerpunkten. Fraglos weiss Peckinpahs Inszenierung ihre Akzente zu setzen (und sich damit auch vom "Standard" abzusetzen, nicht zuletzt im glorreichen Finale), aber in Summe wirkt RTHC visuell und vom Feeling her deutlich "konventioneller" oder sagen wir lieber näher am Industriestandard als die meisten Peckinpahs ab The Wild Bunch.
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Re: Passion & Poetry - Die Filme von Sam Peckinpah

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AnatolGogol hat geschrieben: 5. Dezember 2022 09:19 Gemessen an dem großen Ruf, den der Film hat, fühlen sich die 8-8,5 Punkte fast ein bisschen wenig an.
Eigentlich wollte ich fragen, ob RtHC wirklich einen so exquisiten Ruf geniesst (im Sinne einer Quasi-Sonderstellung) und dies gleich mal ein bisschen selber recherchieren, indem ich nachprüfe, wie denn so einige von Google ermittelte Peckinpah-Rankings aussehen und wo RtHC dabei abschneidet. Dabei bin ich aber gleich auf etwas viel Besseres gestossen, nämlich das absurdeste Peckinpah-Ranking, das man sich vorstellen kann.

https://filmlifestyle.com/best-sam-peckinpah-movies/

Da steht nämlich nur ausgemachter Unsinn über Peckinpahs Filme, wirklich komisches Zeug. Einige wahllose Highlights:

- Offenbar handelt The Wild Bunch von Texas Rangers, die ihre Familien beschützen wollen, und hat unter anderem Martin Landau auf der Besetzungsliste!
- Die Geschichte um eine Rancherfamilie in Wyoming habe ich in Ride the High Country anscheinend verpasst
- Ich wollte schon immer mal sehen, wie Robert Forster um die Wasserreserven in Arizona kämpft - Dafür gibt es zum Glück ja Alfredo Garcia
- Und natürlich Robert Mitchums unvergesslicher Auftritt als Mann, der von den Toten zurückgeholt wird in Junior Bonner
- Wer kann schon John Wayne in Major Dundee vergessen? Da spielt er immerhin Major Terrence Mann!
- Convoy ist nach wie vor einer meiner liebsten Vietnamfilme

Das muss doch offensichtlich ein Scherz sein. Seltsam ist nur dass bis auf den absurden Inhalt des Artikels nichts auf einen solchen hindeutet und andere Artikel auf dieser Seite beim Durchklicken faktisch weitgehend korrekt erscheinen.
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Re: Passion & Poetry - Die Filme von Sam Peckinpah

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hahaha, grandios! Besonders schön auch Formulierungsperlen wie diese hier:
"This is a great Western, but it’s not very good. It doesn’t have the epic scope or the historical importance of High Noon. It’s just a Western."
Ja, das ergibt Sinn. :lol:

GoldenProjectile hat geschrieben: 5. Dezember 2022 22:23 - Die Geschichte um eine Rancherfamilie in Wyoming habe ich in Ride the High Country anscheinend verpasst
Ja, das ist natürlich Quatsch. Die Rancherfamilie lebt nicht in Wyoming, sondern in Sacramento/Kalifornien (direkt neben dem missourianischen Texaner Josey Wales).
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Re: Passion & Poetry - Die Filme von Sam Peckinpah

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AnatolGogol hat geschrieben: 6. Dezember 2022 07:37 hahaha, grandios! Besonders schön auch Formulierungsperlen wie diese hier:
"This is a great Western, but it’s not very good. It doesn’t have the epic scope or the historical importance of High Noon. It’s just a Western."
Ja, das ergibt Sinn. :lol:
"Sam Peckinpah’s The Ballad of Cable Hogue is a Western that doesn’t quite fit the mold. It’s an anti-Western, in fact, and it was Peckinpah’s first feature film since his 1962 masterpiece, The Wild Bunch. It also marked a return to the Western genre for Peckinpah after he’d turned away from it for many years." :lol:

Mein persönliches Highlight sind aber die Rollennamen, die ich leider all die Jahre falsch im Kopf hatte: Robert Ryan als Ben Wade und Ernest Borgnine als Silas Selleck! :mrgreen:

Zu The Westerner: Eigentlich wollte ich auch noch möglichst viele Folgen schauen, aber Dank haufenweise Stress hat es für keine gereicht. Wenn möglich werde ich zwischen den Filmen noch ein paar Episoden reinpacken.

Hille macht übrigens nicht mit weil man ihn, ich zitiere, "mit Peckinpah jagen kann". :roll:
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