Re: Der TV Serien Thread

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Casino Hille hat geschrieben: 6. Januar 2023 12:16
Patrice hat geschrieben: 6. Januar 2023 12:04 Mit Greyhound, Finch und Palmer sind erstklassige Filme am Start.
Gut, das ist jetzt alles ja eher B-Ware, die im Kino untergegangen wäre und auch auf anderen Streamingdiensten niemanden so richtig vom Hocker hauen würde…
Ja, im Kino wären alle untergegangen, aber zu Hause funktionieren die sehr gut (wobei Greyhound der erste Film war, der aufgrund der Pandemie vom Kinostart abgerückt ist und von einem Streaminganbieter gekauft wurde).
Dennoch waren alle 3 erwähnten Filme sehr gut und haben uns alle entsprechend gut unterhalten.
"Are you looking for shells?"
"No, I'm just looking."

Re: Der TV Serien Thread

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Patchinko (AppleTV)

Die japanische Besatzung und Kolonialisierung Koreas ab 1905 bildet das Setting dieser vom Feuilleton geliebten Serie, die in keinem Ranking 2022 fehlt. Die Geschichte beginnt im Jahr 1915 und verfolgt das Schicksal der in ärmlichsten Verhältnissen in einem einfachen Fischerdorf aufwachsenden Sunja. Unterdrückung und Willkür der Besatzer bestimmen den Alltag der Koreaner. Hier beginnt es, und in Tokio im Jahr 1989 endet es. Die jetzt uralte Sunja ist in den 30er Jahren – wie ca. 2 Millionen andere Koreaner – nach Japan ausgewandert, auch hier eine unterdrückte und entrechtete Minderheit. Ihr Enkelsohn Solomon, smarter und erfolgreicher Manager bei einer US-amerikanischen Bank, kehrt nach Tokio zurück, um eine alte Dame, ebenfalls koreanischer Abstammung und mit viel Wut auf Japan und lebenslange Demütigungen im Bauch, zum Verkauf ihres Filetgrundstückes zu bewegen, von dem sich im turbokapitalistischen Japan der späten 80er viele Beteiligte viel Geld versprechen.

„Patchinko“ ist reich an Haupt- und Nebenfiguren, erzählt in acht langen Folgen unchronologisch und wild hin- und herspringend viele Geschichten, viele bleiben aber auch unerzählt (die 2. Staffel wartet offenbar schon), erteilt die eine oder andere Geschichtslektion, wirkt in seinen besten Momenten episch, in anderen allerdings auch arg zähflüssig. Dass mich die Serie mitgerissen hätte, kann ich nicht behaupten, einmal mehr ist da vielleicht auch die Erwartungshaltung ein Problem. Eine Serie, die eigentlich jeder in seinen Top 5 hat, kann ja nur gut sein. Ist sie auf ihre Weise auch, und dennoch fehlt mir einiges für den ganz großen Wurf. Möglicherweise liegt das auch daran, dass der asiatische Film und ich einfach nicht zusammenkommen – auch wenn es sich hier eigentlich um eine US-Produktion handelt. Bei allem respektvollen Interesse an Asien und seiner Kultur komme ich an seine filmischen Werke nicht heran, an Gurken wie „Squid Game“ sowieso nicht, aber auch die Werke eines Wong Kar-Wai oder Filme wie „Hana Bi“ versperren sich mir auf wundersame Weise (wenngleich ich beispielsweise die Zeichentrickfilme eines Miyazaki liebe). Die Figuren bleiben mir oft fremd und distanziert, was bei einer insgesamt achtstündigen Serie einfach ein Problem ist, und solange Ästhetik vor einem entschlossenen Vorantreiben der Handlung steht, bin ich weitgehend raus. Asiatische Filme derart zu verallgemeinern verbietet sich natürlich genauso wie die steile These, dass man überragende darstellerische Fähigkeiten eher auf dem europäischen und amerikanischen Filmmarkt findet, aber das ist auch nicht das Problem von „Patchinko“, dessen Hauptrolle immerhin mit der Oscar-Preisträgerin Yoon Yeo-jeong besetzt ist. Für teilweise ausgedehnt inszenierte tränenreiche und sentimentale Szenen bin ich schlicht zu ungeduldig, und irgendwie hatte ich gehofft, dass die Serie am Ende mehr darstellt als nur die Summe ihrer Einzelteile, im besten Fall einen sich schließenden „Circle of Life“. Das wird teilweise angedeutet, etwa in der Folge, in der Sunja endlich nach Korea zurückkehrt, oder beim eindrucksvoll gestalteten AIDS-Tod von Solomons Halbschwester. Dazwischen finden sich aber so quälend langsame Passagen, dass ich mir Staffel 2 möglicherweise sparen werde.
"Wenn man sämtliche Schöpfungen des weißen Mannes von diesem Planeten entfernte, besäßen seine Ankläger weder Zeit noch Mittel, ja nicht einmal Begriffe, um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen."

Re: Der TV Serien Thread

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ollistone hat geschrieben: 16. Januar 2023 12:57 Patchinko (AppleTV)

Die japanische Besatzung und Kolonialisierung Koreas ab 1905 bildet das Setting dieser vom Feuilleton geliebten Serie, die in keinem Ranking 2022 fehlt.
(...)
„Patchinko“ ist reich an Haupt- und Nebenfiguren, erzählt in acht langen Folgen unchronologisch und wild hin- und herspringend viele Geschichten, viele bleiben aber auch unerzählt (die 2. Staffel wartet offenbar schon), erteilt die eine oder andere Geschichtslektion, wirkt in seinen besten Momenten episch, in anderen allerdings auch arg zähflüssig. Dass mich die Serie mitgerissen hätte, kann ich nicht behaupten, einmal mehr ist da vielleicht auch die Erwartungshaltung ein Problem.
Mir ging es genauso, während meine Podcast-Kollegen und auch viele unserer Hörer und Fans alle von "Pachinko" geschwärmt und die Serie in höchsten Ehren gehalten haben, hat mich das nicht sonderlich abgeholt, von meiner Top 10 war sie weit entfernt. Da sind viele gute Momente drin, aber auch viele, in denen die Emotionen eher behauptet werden, in denen die "kulturellen Lektionen" mich von den Figuren entfernen und allzu offensichtlich auf das "Erzählen" und weniger auf die "zu erzählende Geschichte" verweisen. Bei Staffel 2 schaue ich gerne nochmal rein, zumal mir auch die Buchvorlage gefällt, aber die Lobpreisungen teile ich nicht.
https://filmduelle.de/

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Re: Der TV Serien Thread

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Vigil - Tod auf hoher See (arte Mediathek)

"Vigil" ist eine sechsteiliger BBC-Serie, die in einem ganz ungewöhnlichen Umfeld spielt, nämlich einem britischen Atom-U-Boot. Nach dem Tod eines Besatzungsmitglieds muss die Kommissarin Silva an Bord ermitteln. Gleichzeitig wird ein Fischkutter von einem (diesem?) U-Boot versehentlich in die Tiefe gerissen, die komplette Besatzung ertrinkt. "Vigil" ist ganz klar eine Fernsehserie, die nicht so groß produziert ist, wie man das heute gewohnt ist, die aber trotzdem extrem gut funktioniert und teilweise ihre Spannung und Dramaturgie geradezu lehrbuchhaft entwickelt. Da macht es auch nichts, dass der eine oder andere Erzählstrang ins Nichts führt.


The White Lotus (Apple TV)

Das ist endlich mal wieder eine Serie (HBO), die mich durchweg begeistert. Die erste Staffel (2021) spielt in einem Luxusresort auf Hawaii, die zweite (2022 - noch nicht gesehen) auf Sizilien. Protagonisten dieser Gesellschaftssatire sind das Hotelpersonal und einige neurotische Gäste, die erste Staffel fokussiert sich auf ein frisch verheiratetes Paar, das schon nach wenigen Ehetagen die ersten Sträuße miteinander auszufechten hat, die alleinreisende Tanya mit krankhafter Mutterfixierung, gespielt von der einfach sensationellen und preisgekrönten Jennifer Coolidge, und eine Familie mit drei Pubertieren im Gepäck. "White Lotus" ist so bissig, böse, frech und witzig wie ich es lange nicht mehr gesehen habe. Außerdem extrem edel gefilmt, wunderschöne Bilder, keine Ahnung, wie sie das hinbekommen haben, sieht stellenweise fast nach IMAX-Kameras aus.
"Wenn man sämtliche Schöpfungen des weißen Mannes von diesem Planeten entfernte, besäßen seine Ankläger weder Zeit noch Mittel, ja nicht einmal Begriffe, um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen."

Re: Der TV Serien Thread

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ollistone hat geschrieben: 24. Januar 2023 13:42 Vigil - Tod auf hoher See (arte Mediathek)

"Vigil" ist eine sechsteiliger BBC-Serie, die in einem ganz ungewöhnlichen Umfeld spielt, nämlich einem britischen Atom-U-Boot. Nach dem Tod eines Besatzungsmitglieds muss die Kommissarin Silva an Bord ermitteln. Gleichzeitig wird ein Fischkutter von einem (diesem?) U-Boot versehentlich in die Tiefe gerissen, die komplette Besatzung ertrinkt. "Vigil" ist ganz klar eine Fernsehserie, die nicht so groß produziert ist, wie man das heute gewohnt ist, die aber trotzdem extrem gut funktioniert und teilweise ihre Spannung und Dramaturgie geradezu lehrbuchhaft entwickelt. Da macht es auch nichts, dass der eine oder andere Erzählstrang ins Nichts führt.
Vigil fand ich großartig.
Zuletzt geändert von DonRedhorse am 24. Januar 2023 15:47, insgesamt 1-mal geändert.
#Marburg2024

Früher war mehr Atombombe

Re: Der TV Serien Thread

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DonRedhorse hat geschrieben: 24. Januar 2023 15:02 Der Fischkutter wird von einem amerikanischen U-Boot in die Tiefe gerissen.
Ja, ich weiß das, aber das geneigte Publikum vielleicht noch nicht. Ich wollte nicht spoilern.
"Wenn man sämtliche Schöpfungen des weißen Mannes von diesem Planeten entfernte, besäßen seine Ankläger weder Zeit noch Mittel, ja nicht einmal Begriffe, um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen."

Re: Der TV Serien Thread

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"Vigil" ist wunderbar, diese ersten fünf Minuten, das hier besprochene Unglück, ist eine der tollsten Actionszenen jüngerer Zeit, war enorm schockierend. "The White Lotus" hat mich auch begeistert, aber Staffel 2 gefiel mir dann nicht mehr so, da wurde es etwas schwächer, nicht mehr ganz so witzig.
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Re: Der TV Serien Thread

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Casino Hille hat geschrieben: 24. Januar 2023 15:33 "The White Lotus" hat mich auch begeistert, aber Staffel 2 gefiel mir dann nicht mehr so, da wurde es etwas schwächer, nicht mehr ganz so witzig.
Bin jetzt mit Staffel 2 durch und immer noch restlos begeistert. Staffel 1 mag vielleicht noch etwas böser, frecher gewesen sein, ist mit seinen auf das Hotelgelände reduzierten Schauplätzen allerdings der zweiten etwas unterlegen, die mit ihren herrlichen Aufnahmen von Taormina und Palermo begeistern kann. Entscheidend ist aber, dass beide Staffeln durch eine Figurenzeichnung glänzen, die ihresgleichen sucht. Jeder einzelne Charakter ist so unfassbar gut herausgearbeitet (man liebt jede Figur, ohne sie wirklich zu mögen) und agiert auf so intelligente Weise mit den anderen Figuren, dass es schon fast magisch ist. Allein wie diese beiden jungen Prostituierten es schaffen, alle Protagonisten miteinander zu verbinden, ohne dass diese jemals in irgendeinem direkten Kontakt zueinander gestanden hätten - wie hier ein Spinnennetz der Beziehungen geknüpft wird, das ist wirklich ganz hervorragende Drehbuch-Arbeit. Und immer mit dem richtigen Timing und dem richtigen Fingerspitzengefühl. Nie zu viel, nie over the top.

Und wie schön und überraschend ist es denn bitte, einen guten alten Bekannten von den "Sopranos" wiederzutreffen? Den hatte ich echt nicht mehr auf dem Schirm.
"Wenn man sämtliche Schöpfungen des weißen Mannes von diesem Planeten entfernte, besäßen seine Ankläger weder Zeit noch Mittel, ja nicht einmal Begriffe, um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen."

Re: Der TV Serien Thread

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Ja, es geht. Hinsichtlich der Herausarbeitung der Charaktere zeigt gerade HBO mit "The Last of Us" wieder, was möglich ist, das ist für mich die beste Serie seit "Watchmen" von 2019. Ganz große Erzählkunst, wahnsinnig vielschichtig, mehrdimensional und komplex – obwohl die Geschichte so einfach ist, wie man es sich nur vorstellen kann.
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