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von ollistone
Agent
Patchinko (AppleTV)
Die japanische Besatzung und Kolonialisierung Koreas ab 1905 bildet das Setting dieser vom Feuilleton geliebten Serie, die in keinem Ranking 2022 fehlt. Die Geschichte beginnt im Jahr 1915 und verfolgt das Schicksal der in ärmlichsten Verhältnissen in einem einfachen Fischerdorf aufwachsenden Sunja. Unterdrückung und Willkür der Besatzer bestimmen den Alltag der Koreaner. Hier beginnt es, und in Tokio im Jahr 1989 endet es. Die jetzt uralte Sunja ist in den 30er Jahren – wie ca. 2 Millionen andere Koreaner – nach Japan ausgewandert, auch hier eine unterdrückte und entrechtete Minderheit. Ihr Enkelsohn Solomon, smarter und erfolgreicher Manager bei einer US-amerikanischen Bank, kehrt nach Tokio zurück, um eine alte Dame, ebenfalls koreanischer Abstammung und mit viel Wut auf Japan und lebenslange Demütigungen im Bauch, zum Verkauf ihres Filetgrundstückes zu bewegen, von dem sich im turbokapitalistischen Japan der späten 80er viele Beteiligte viel Geld versprechen.
„Patchinko“ ist reich an Haupt- und Nebenfiguren, erzählt in acht langen Folgen unchronologisch und wild hin- und herspringend viele Geschichten, viele bleiben aber auch unerzählt (die 2. Staffel wartet offenbar schon), erteilt die eine oder andere Geschichtslektion, wirkt in seinen besten Momenten episch, in anderen allerdings auch arg zähflüssig. Dass mich die Serie mitgerissen hätte, kann ich nicht behaupten, einmal mehr ist da vielleicht auch die Erwartungshaltung ein Problem. Eine Serie, die eigentlich jeder in seinen Top 5 hat, kann ja nur gut sein. Ist sie auf ihre Weise auch, und dennoch fehlt mir einiges für den ganz großen Wurf. Möglicherweise liegt das auch daran, dass der asiatische Film und ich einfach nicht zusammenkommen – auch wenn es sich hier eigentlich um eine US-Produktion handelt. Bei allem respektvollen Interesse an Asien und seiner Kultur komme ich an seine filmischen Werke nicht heran, an Gurken wie „Squid Game“ sowieso nicht, aber auch die Werke eines Wong Kar-Wai oder Filme wie „Hana Bi“ versperren sich mir auf wundersame Weise (wenngleich ich beispielsweise die Zeichentrickfilme eines Miyazaki liebe). Die Figuren bleiben mir oft fremd und distanziert, was bei einer insgesamt achtstündigen Serie einfach ein Problem ist, und solange Ästhetik vor einem entschlossenen Vorantreiben der Handlung steht, bin ich weitgehend raus. Asiatische Filme derart zu verallgemeinern verbietet sich natürlich genauso wie die steile These, dass man überragende darstellerische Fähigkeiten eher auf dem europäischen und amerikanischen Filmmarkt findet, aber das ist auch nicht das Problem von „Patchinko“, dessen Hauptrolle immerhin mit der Oscar-Preisträgerin Yoon Yeo-jeong besetzt ist. Für teilweise ausgedehnt inszenierte tränenreiche und sentimentale Szenen bin ich schlicht zu ungeduldig, und irgendwie hatte ich gehofft, dass die Serie am Ende mehr darstellt als nur die Summe ihrer Einzelteile, im besten Fall einen sich schließenden „Circle of Life“. Das wird teilweise angedeutet, etwa in der Folge, in der Sunja endlich nach Korea zurückkehrt, oder beim eindrucksvoll gestalteten AIDS-Tod von Solomons Halbschwester. Dazwischen finden sich aber so quälend langsame Passagen, dass ich mir Staffel 2 möglicherweise sparen werde.
"Wenn man sämtliche Schöpfungen des weißen Mannes von diesem Planeten entfernte, besäßen seine Ankläger weder Zeit noch Mittel, ja nicht einmal Begriffe, um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen."