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von AnatolGogol
Agent
Ich habe am Wochende jetzt Camerons neustes blaues Wunder sehen können und da ich just vor einer Woche auch seinen ersten Avatar aufgefrischt habe dachte ich mir, ich schreibe mal ein paar Zeilen dazu.
Vorweg: meine Art Film ist das nicht, mir ist das einfach viel zu künstlich, als dass es mir gelingen könnte mich hier völlig in die von Cameron erzeugten Fantasiewelten fallen zu lassen. Und letzteres ist vermutlich essentiell, um die Filme wirklich wertschätzen zu können. Die technische Barriere ist für mich hier einfach zu groß, da ich eine durchgängige digitale Sterilität und Künstlichkeit wahrnehme. Es ist, also ob ich einem Videospiel zuschauen würde - und das nicht nur in visueller Hinsicht, doch dazu gleich noch mehr. Dennoch ein kurzes Wort zur Effektqualität: die ist sicherlich beeindruckend in ihrer vielfältigen Umsetzung fremder Welten und Lebensformen, gleichwohl ist das relative Alter der digitalen Effekte in Teil 1 bereits nach weniger als 15 Jahren deutlich wahrnehmbar (etwas, was er dann zB auch mit Titanic gemein hat). Das ist insofern bemerkenswert, da Camerons Filme vor Titanic sich diesbezüglich eigentlich gut bis sehr gut gehalten haben, wobei hier aber natürlich der Anteil digitaler Helfershelferchen auch deutlich geringer war - ich lasse das einfach mal so stehen.
Die Tatsache, dass die visuelle Umsetzung des blauen Spektakels mich weitgehend ohne Begeisterung zurück lässt ist natürlich eine schwere Bürde für einen von vorneherein derart auf Schauwerte setzenden Film. Dennoch denke ich, dass ich hier durchaus einen gewissen Spass mit den Filmen hätte haben können, wenn sie nicht auch noch eine weitere meiner Grunderwartungen, die ich an Filme habe, nicht recht erfüllen würden. Ich spreche von einer zumindest soliden dramaturgischen und figürlichen Grundlage, auf der sich ein Film entwickeln kann. Und in beidem enttäuschen mich die Avatar-Filme. Sowohl Teil 1 als auch Teil 2 teilen sich dabei die gleichen Probleme, allerdings macht sich die im Sequel aus mehreren Gründen wesentlich deutlicher bemerkbar.
Die aus diversen bekannten inhaltlichen Versatzstücken zusammengebaute Grundstory von Teil 1 (mit viel tanzendem Wolf) finde ich dabei wesentlich unproblematischer als die weitgehend blass und konturlos bleibenden zentralen Figuren. Das ist sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass hinter den digitalen Avataren so ziemlich jedes Schauspiel verschwindet. Es mag beeindruckend sein, was man da heute alles bei der Umsetzung digitaler Figuren erreicht hat, aber es ist immer noch meilenweit von der eindrucksvollen darstellerischen Leinwand des menschlichen Gesichts entfernt. Entsprechend ist es dann eigentlich auch nicht verwunderlich, dass Antagonist Stephen Lang den grössten darstellerischen Eindruck auf mich hinterliess, da er ja den unschlagbaren Vorteil hatte, den ganzen Film über real agieren zu dürfen. Jedenfalls in Teil 1, denn hier kommen wir schon zu einem der Punkte, warum Teil 2 für mich noch wesentlich mehr unter den gleichen Problemen leidet, nämlich die ausschliessliche figürliche Fokussierung auf digitale Charaktere. So muss der charismatische reale Lang-Schurke aus Teil 1 im Sequel dann einem konturlosen digitalen Lang-Avatar weichen. Hinzu kommt, dass sich gerade Teil 2 sehr viel Zeit für seine digitalen Figuren nimmt, es ihm aber in meinen Augen nie wirklich gelingt, sie dem Zuschauer nachhaltig nahe zu bringen. Am deutlichsten wird dies für mich im Tod einer der Hauptfiguren, bei dem ich keinerlei emotionale Beteiligung hatte. Cameron war zwar nie ein Meister emotionaler Inszenierung, es gelang ihm früher aber immer wieder gezielte emotionale Höhepunkte in seine Filme zu integrieren (zB Lindsays Tod in The Abyss oder Jacks Ende in Titanic). Da hatte er aber auch formidable Schauspieler, die ihn hier unterstützten. Der bewusste Verzicht darauf ist in meinen Augen in Kombination mit der ebenfalls bewussten komplett digitalen visuellen Gestaltung eine allzu große Bürde für eine erfolgreiche filmische Emotionsvermittlung.
Und das bringt mich dann auch schon zu meinem dritten und letzten Kernkritikpunkt, nämlich dass es Cameron nicht gelingt die durchaus üppige Laufzeit für mich überzeugend zu befüllen. Auch hier ist Teil 2 die eindeutige Steigerung von Teil 1. Aber auch hier gilt, dass es nichts ist, was man bei Cameron nicht früher auch schon so oder so ähnlich gesehen hat. Meiner Einschätzung nach ist jeder von Camerons Filmen in den jeweils kürzeren Fassungen seinen längerlaufenden Pendents klar überlegen. Das mache ich zum einen an einem besseren dramaturgischen Rhythmus fest und zum anderen an der Tatsache, dass Camerons Filme mit zunehmender Laufzeit ausfransen und sich teilweise in Redundanz verlieren. Und ganz ehrlich: mittlerweile drängt sich mir mir hier schon der Verdacht auf, dass der von mir bis in die frühen 90er so kultisch verehrte Regisseur in Wahrheit nie so gut war, wie ich ihn gesehen habe bzw. die Qualität seiner von mir so geschätzten Filme Terminator, Aliens und The Abyss nicht zuletzt durch die Tatsache zustande kam, dass er sich externen Einschränkungen fügen musste und gerade nicht seine Idealvorstellungen umsetzen konnte. Das wären bei Aliens und The Abyss die vom Studio auferlegten Kürzungen zugunsten einer kürzeren Laufzeit und beim ersten Terminator die Beschränkungen (aufs Wesentliche) durch das knapp bemessene Budget. Beginnend mit T2 änderte sich dies, da er spätestens durch den enormen Erfolg des Cyborg-Sequels in der Lage war seine Filme gemäß seinen Idealvorstellungen um- und durchzusetzen. Und nochmal ganz ehrlich: ich bewundere Cameron für seine Kühnheit, mit der er extrem-budgetierte und technisch ambitionierte Filme wie Titanic und Avatar gegen alle Widerstände umgesetzt hat. Den Erfolg wie auch den Status als erfolgreichster Filmemacher aller Zeiten hat er sich nicht zuletzt durch diese Kühnheit auch redlich verdient. Als Filmemacher sehe ich ihn aber leider mittlerweile aus den genannten Gründen sehr kritisch und ende meinen Text mit der nüchternen Feststellung, dass seine Art Filme zu drehen mich einfach nicht mehr erreicht.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"