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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Vier Western hat Herr Ostholz inszeniert, vielleicht sogar fünf, je nachdem, ob man "Cry Macho" zählt oder nicht. So oder so war sein erster inszenatorischer Ausflug in das Genre, das ihn zur Ikone machte, "Ein Fremder ohne Namen". Ein herrlich beknackter deutscher Titel, enthält er doch überhaupt keinen Informationsgehalt. Es ist ein Western, mit Clint Eastwood in der Hauptrolle, natürlich wird er also ein Fremder sein, und natürlich auch weitgehend ohne Namen, da Clint eben vor allem immer Clint ist.
Jedenfalls lässt sich über "High Plains Drifter", so heißt das Teil eigentlich sagen: Eastwood muss in einer sehr dunklen Lebensphase gesteckt haben, als er den gedreht hat. Es ist ein düsterer, nihilistischer, pechschwarzer Western, aufgeladen mit mythologischem Surrealismus und der Grausamkeit des Alten Testaments. Er wird weithin als seine Abrechnung mit dem Genre angesehen, während andere ihn als seine eigene Variation der Filme betrachten, die er als Schauspieler mit Sergio Leone und Don Siegel gedreht hat. Aber Eastwood geht in Wahrheit noch viel weiter: Er übertreibt und dämonisiert seine Paraderolle als wortkarger Revolverheld zu einem amoralischen, rachsüchtigen Phantom, einer höllischen Kreatur, die plant, den Tag des Jüngsten Gerichts über eine sündige Kleinstadt zu bringen.
Wie diese Gemeinschaft in ihrer verzweifelten Suche nach einem gewalttätigen Retter jegliche Kontrolle an Eastwoods Figur abgibt, die sich innerhalb weniger Minuten als skrupelloser, empathieloser Wahnsinniger und brutaler Vergewaltiger entpuppt, geht über eine Anklage der Erzählmuster eines Genres hinaus. "High Plains Drifter" ist vielmehr eine allegorische Darstellung der vermeintlich zivilisierten Logik des amerikanischen Faschismus. Die übernatürliche Wendung um den Protagonisten (die direkt aus der "Twilight Zone" stammen könnte, und die in der deutschen Synchro leider völlig verschandelt wurde) ist die wichtigste Aussage des Films, da sie den Glauben an einen auserwählten, allmächtigen Messias als Fantasie entlarvt, die aus der unbewusst verdrängten Schuld der gewaltsamen, selbstgerechten Eroberung des nordamerikanischen Kontinents resultiert. Eigentlich spielt Leone hier nicht seine Figur aus der "Dollar"-Trilogie, sondern eine antichristliche Form von Jesus Christus.
Formal ist Eastwood in seinem zweiten Regieprojekt noch weit von seiner späteren Brillanz entfernt und versucht sich an einer Mischung aus düsterem Realismus, Neo-Noir (vor allem in der Verwendung von Schatten) und japanischen gotischen Geistergeschichten, während er noch auf der Suche nach seiner eigenen filmischen Sprache ist. Die daraus resultierende Abstraktheit wird nicht jedem gefallen, und es entsteht die ein oder andere Länge, manche Zuspitzungen sind schon fast zu cartoonesk überzeichnet, aber die zugrunde liegenden Themen sind auch heute noch aktuell. John Wayne hasste diesen Film, nun ja, natürlich tat er das. Eastwood wird es hoffentlich als Kompliment gesehen haben.
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Let the sheep out, kid.