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Re: Die Filme von Denis Villeneuve

Verfasst: 19. Oktober 2017 14:10
von craigistheman
Casino Hille hat geschrieben:Ich finde die Story leider ziemlich unfreiwillig komisch (Ernsthaft? Das ist der philosophische Unterbau für so einen Film? Im 21 Jahrhundert? Gähn.) und den Film so prätentiös überlang und konstruiert, das sollte 2017 eigentlich besser gehen. Lustig war aber, dass dem Film dann nach über 2 Stunden endlich einfiel, dass er ein Blade Runner Sequel ist und dann noch schnell Ford kam und die ganze Story auf mega überkomplizierte Weise mit dem Erstling verbunden wurde. Da helfen dann auch die beeindruckenden, aber auch etwas toten digitalen Bilder nicht viel. 5 Punkte.
Echt? Du fandest die Bilder tot? Ich fand sie im Gegenteil sehr lebendig und "real". Ist mit das beste, was ich an CGI-Arbeit bisher gesehen habe. Aber gut, die Wahrnehmungen sind ja (Gott sein Dank auch) unterschiedlich.
Ehrlich gesagt ging mir die Story wenn ich genauer darüber nachdenke am zensiert vorbei.

Re: Die Filme von Denis Villeneuve

Verfasst: 19. Oktober 2017 16:55
von Casino Hille
Ja, genau. Die Story ist total uninteressant und in ihren philosophischen Fragestellungen erstaunlich altbacken, die Themen sind alle längst auserzählt und was neues fällt Villeneuve nicht ein. Die Kameraarbeit von Deakins ist natürlich super (obgleich der digitale Look gegenüber dem analog gefilmten Vorgänger schon an Atmosphäre einbüßt), aber das Setdesign unglaublich langweilig. Es kann doch nicht wahr sein, dass man ein Sequel zu Blade Runner macht und nicht eine einzige Kulisse hinbekommt, die verdammt nochmal einprägsam ist (eines der Erkennungsmerkmale überhaupt des Erstlings waren doch seine prächtigen Sets). Ein vollkommen überflüssiges Sequel.

Re: Die Filme von Denis Villeneuve

Verfasst: 21. Oktober 2017 14:23
von Funksoulbrother
So, nach der Zweitsichtung von Blade Runner 2049 lege ich mich jetzt auf eine Bewertung mit 9 von 10 Punkten fest.

Der Film ist und bleibt ästhetisch ein unfassbares Brett.

Ja, der Film ist wirklich langsam, aber ich finde nicht, dass der Film überflüssige Szenen besitzt. Wenn man mag, kann man ihn inszenatorisch etwas kürzen - und vielleicht 15 bis 20 Minuten herausnehmen, was aber wahrscheinlich auf Kosten seiner Atmosphäre gegangen wäre. Der Plot ist nicht überkonstruiert und hält aus K.s Perspektive einige vor allem emotionale Twists bereit.

Es kommt sehr darauf an, ob es dem Zuschauer gelingt, emotional zu K. eine Verbindung aufzubauen, oder nicht. Mir ist das gelungen, denn sein Schicksal ist schon sehr traurig - seine Emotionen werden von Ryan Gosling im Film - bis auf ganz wenige Ausnahmen - extrem konsequent unterspielt (was ich sehr gut finde). Bei der Zweitsichtung gelang mit diese Empathie bzw. Sympathie mit K. sehr gut.

Überhaupt ist Villeneuves Sequel für mich auch ein Film, bei dem sich das wiederholte Sehen sehr lohnt - nicht nur, um viele kleine Details zu entdecken, sondern um noch einmal - im Wissen um den Plot - kritisch zu überprüfen, wie stimmig die Geschichte letztendlich erzählt wird. Ich finde die Geschichte sehr schlüssig (ja, es gibt Plotlöcher, aber die gibt es in jedem Film).

Ich fand auch die Nebenhandlung mit der "Love-Story" - oder "Anti-Love-Story"(?) - zwischen "Joe" K. und Joi nicht überflüssig, sondern sehr wichtig, um K. und seine Handlungen - insgesamt: seine stille Tragik - besser zu verstehen.

Auch ist der Film nicht flach oder gestrig, er strotzt vor Anspielungen auf Entwicklungen unserer Gegenwart. Insgesamt synthetisiert er gelungen viele Themen aus (auch meisterhaften) Science-Fiction-Filmen der letzten Jahre zum Thema Transhumanismus - z. B. aus "Her" oder "Ex Machina" -, um sie dann, ohne Verrat am Original zu üben (egal, in welcher Version man den Ur-"Blade Runner" präferiert), in dessen DNA bzw. Code einzuschreiben. (Und nein, die "ewige" Frage, ob Deckard ein Mensch oder ein Replikant (evtl. Nexus 7, zusammen mit Rachael) ist, wurde in "Blade Runner 2049" gerade nicht beantwortet!).

Das Ende ist übrigens wunderschön (wenn auch nicht so emotional wie im Original).

Was man dem Film ankreiden kann - wenn man möchte -, ist, dass er mit Niander Wallace einen unterentwickelten "villain" hat (Silvia Hoeks als "henchwoman" ist hingegen der Wahnsinn), und dass die Musik von Zimmer und Wallfisch zu platt ist.

Alles andere ist - so finde ich - über jeden Zweifel erhaben und grandios.

Und ich finde es gut, dass sich Villeneuve mit seinem Erzählstil nicht durch die Sehgewohnheiten des Durchschnitts hat korrumpieren lassen.

Die Frage ist nur, ob Warner Brothers Und Sony Pictures wussten, was sie taten. Die gemessen am Budget mageren Box-Office-Zahlen waren nämlich zu erwarten.

P.S.: Jetzt freue ich mich darauf, wie die sehr empfehlenswerte Serie "Humans" in der zweiten Staffel weitergeht und was mir die erste Staffel von "Westworld" bringen wird.

Re: Die Filme von Denis Villeneuve

Verfasst: 21. Oktober 2017 14:36
von Casino Hille
Doch, der Film ist flach und gestrig. Oder zumindest seine Inhalte sind es. Das ist in Sci-Fi-Filmen und Büchern und Serien in den letzten 30 Jahren so oft durchgekaut worden, dass man schon etwas mehr braucht, um da noch aufzufallen. Der erste Blade Runner war inhaltlich seiner Zeit ebenfalls schon hinterher, prägte mit dem Cyberpunk-Look aber enorm und war deshalb alleinstehend genug, um in Verbindung mit seinen Inhalten zu überzeugen. Dieses Neue fehlt dem Sequel und ich fand das Narrativ doch arg vorhersehbar und es verlief dann ja auch genauso, wie man es erwarten konnte. Ich stimme aber zu, Gosling ist sehr gut in dem Film, auch wenn er letztlich nicht mehr tut, als sein bereits häufig gezeigtes Understatement auf die Spitze zu treiben.

Re: Die Filme von Denis Villeneuve

Verfasst: 21. Oktober 2017 14:38
von Funksoulbrother
Zum Glück gehen Meinungen auseinander. :3d:

Und Villeneuves Stil ist ja jetzt laut Selbstauskunft nicht so dein Ding.

Re: Die Filme von Denis Villeneuve

Verfasst: 21. Oktober 2017 14:49
von GoldenProjectile
Funksoulbrother hat geschrieben:Der Film ist und bleibt ästhetisch ein unfassbares Brett.
Finde ich jetzt nicht. Das ist sehr schön fotografiert aber ich finde schon nur das mystisch blau ausgeleuchtete Original mit seiner wilden, schmutzigen Zukunftsvision schöner als der 2049er mit seinen spartanisch ausgestatteten, im üblichen digitalen Farbtopf ersaufenden Bildern (dieses Orange kann ich bald nicht mehr sehen). Und in den letzten Jahren gab es viele Filme in teils visuell viel schlichteren Genres, die mich ästhetisch mehr beeindruckt haben. Nocturnal Animals zum Beispiel.

Re: Die Filme von Denis Villeneuve

Verfasst: 21. Oktober 2017 14:55
von Funksoulbrother
GoldenProjectile hat geschrieben:Und in den letzten Jahren gab es viele Filme in teils visuell viel schlichteren Genres, die mich ästhetisch mehr beeindruckt haben.
Ja, das unterschreibe ich (fast). Ich würde nur das Wort "viele" vor dem Wort "Filme" streichen. Aber auch wenn es ein paar Filme gibt, die ästhetisch noch brillanter sind, heißt das ja noch nicht zwangsläufig, dass "Blade Runder 2049" ästhetisch nicht ästhetisch sehr wuchtig ist.

(P.S.: Roger Deakins ist sicherlich ein herausragender Kameramann, aber ich finde es übertrieben, ihn jetzt zum Gott unter den Kameramännern zu erklären, so wie es ja gerne gemacht wird. Es gibt gegenwärtig einige Leute, die ihr Handwerk auf vergleichbarem Niveau wie Deakins beherrschen.)

Re: Die Filme von Denis Villeneuve

Verfasst: 21. Oktober 2017 15:27
von Casino Hille
Eric hat recht, Blade Runner 2049 schaden die digitalen Bilder enorm, es nimmt dem Sequel im Vergleich zum Original die Plastizität.

Und was Villeneuves "Stil" mit dem Inhalt des Films zu tun haben sollte, erschließt sich mir nicht.

Re: Die Filme von Denis Villeneuve

Verfasst: 21. Oktober 2017 16:13
von Funksoulbrother
HCN007 hat geschrieben:
Spoiler
1. Wie fandet ihr die "Weiterentwicklung" der Idee einer sexuellen Handlung mit einem "Programm" aus "Her" wie es Joi mithilfe der Prostituierten Replikantin Mariette und K macht ?

2. K ist ja an sich eine tragische Figur, der erst im Laufe der Handlung die Meinung entwickelt, der Sohn von Deckard und Rachel zu sein und dann feststellt, dass er nur ein Bauernopfer in der Revolution der Replikanten ist.

3. Auch die Beziehung zum Joi-Hologramm ist natürlich tragisch, denn er erkennt am Ende, dass alles von ihr nur das gewesen ist, was er hören und sehen wollte.

4. Hat jemand von euch an Ana Stelline gedacht, als es um die Frage nach dem Kind von Rachel und Deckard geht ?

5. Wie fandet ihr die Integration von Rachel und einer digitalen Sean Young (das ist bis auf die "Augenfarbe" perfekt gewesen und klar bat esser als z.B. Moff Tarkin und Leia in "Rogue One"

6. Irgendwie gab es für mich 3 Möglichkeiten, wer am Ende die Schwester von K hätte sein können, wäre er tatsächlich der Bruder gewesen (ich habe zeitweise dran gedacht, dass beide Zwillinge am Ende überlebt haben - "Unterlagen fälschen" ) und die wären für mich entweder die Prostituierte, Luv oder eben Ana Stelline gewesen.

7. Der Film hat für mich die Frage beantwortet, dass Deckard ein Replikant ist, weil er erschaffen worden ist, sich in Rachel zu verlieben und ein Kind mir ihr zu zeugen !

8. ganz allgemein besteht natürlich die Frage bei den Replikanten, ob man ihnen ein vollständiges biochemisches Konzept zur natürlichen Fortpflanzung mit dem Samen einpflanzen und gedeihen lassen gegeben hat, ansonsten würde das ja so nicht funktionieren.

9. War das Ende für euch gut gewählt ? oder hat euch doch noch eine genaue Beantwortung des Schicksals von Niander Wallace und K, der Ausgang der Replikantenrevolution, mehr Interaktion zwischen Vater und Tochter gefehlt ?
Spoiler
zu 1.) Bei der Erstsichtung fand ich die Szene seltsam und potenziell überflüssig, bei der Zweitsichtung fand ich die Szene interessant, traurig und notwendig, um einerseits Jois rätselhaften Status - Hat sie ein Bewusstsein? Ist sie eine Person? Denkt und fühlt sie? - genauer zu reflektieren und zweitens die maßlose Traurigkeit von K.s Leben zu verdeutlichen.

zu 2.) K. ist in gewisser Weise der Anti-Neo. Er ist nicht "der Auserwählte", nimmt aber stattdessen sein Schicksal in die eigene Hand und tut am Ende das, was ihm richtig erscheint. Aber die Frage bleibt, inwieweit er einen freien Willen hat.

zu 3.) Ja, die überdimensionierte holografische Joi-Werbung sorgt dafür, dass K. am Ende verständlicherweise nicht mehr daran glaubt, das Joi wirklich etwas für ihn empfunden hat. Zumindest zweifelt er daran. Auch hier können wir nicht wissen, ob Joi nicht vielleicht doch etwas für K. empfunden hat - auch wenn das im Licht der Joi-Werbung sehr, sehr unwahrscheinlich erscheint.

zu 4.) Ja, ich hatte Dr. Stelline im Verdacht, das Kind zu sein, aber das hat mich nicht gestört, dass ich dem Twist auf die Schliche gekommen bin. BR2049 ist für mich kein Film, der von den Twists für die Zuschauer lebt, sondern von den Twists, die die Geschichte für K. und für seine persönliche Entwicklung bereithält.

zu 5.) Die digitale Rachael sag eigentlich sehr gut aus. Die Mundpartie wirkte ein bisschen künstlich. Ich bin interessiert, wie der Film in 2D aussieht, weil ich ihn im Kino nur in 3D sehen konnte.

zu 6.) Luv war für mich nie eine Kandidatin (rein intuitiv), Mariette auch nicht (weil ich nicht an eine potenzielle Inzest-Thematik geglaubt habe) - ich hatte auf Ana Stelline gesetzt.

zu 7.) Nein. Niander Wallace spielt nur "mind games" mit Deckard, weil er an die für ihn relevanten Informationen zum Verbleib seines Kindes bzw. zu Freysa, die das Kind ja zusammen mit Sapper versteckt hat, kommen will. Er äußert sich ganz bewusst sehr zweideutig über Deckards Status als Replikant, weil er es nur als eine Möglichkeit anspricht, um den alten Mann weichzuklopfen.

zu 8.) Tyrrell hat das zumindest wohl bei Rachael getan (und wenn überhaupt noch bei anderen, dann vielleicht noch bei Deckard - wenn er ein Nexus-7-Replikant ist). Der Blackout hat dann das Wissen um Tyrrells geheime Technologie ausgelöscht - so sagt jedenfalls Wallace in seinem ersten Monolog vor seinem Nexus-9-Prototyp, den er dann ja auch enttäuscht abmurkst, während Luv dabei ganz heimlich eine Träne verdrückt.

zu 9.) Das Ende war in seiner Offenheit für mich absolut perfekt. K. opfert sich und stirbt (das machen die übernommenen Vangelis-Klänge von Roy Battys Sterbeszene hier für mich absolut eindeutig, aber von mir aus kann man das auch anders interpretieren), Deckard begegnet zum ersten Mal seiner Tochter, Niander Wallace und seine Corporation bleiben eine Bedrohung für beide, die Nexus-7-Replikanten um Freysa und Mariette formieren im Untergrund weiter den Widerstand und sind möglicherwiese auch für Vater und Tochter nun eine Gefahr, wenn beide nicht bei der großen Revolution mitspielen wollen (ich denke, dass Ana in Wirklichkeit gesund ist, und das mit ihrer Immunschwächekrankheit nur ein Trick der Replikanten-Resistance war, um sie irgendwo unauffällig in Sicherheit bringen zu können). Der Film ist vergleichbar offen wie das Original (nur sind die Fragen andere), und das finde ich sehr gut.

Re: Die Filme von Denis Villeneuve

Verfasst: 21. Oktober 2017 16:35
von Casino Hille
Das Ende ist natürlich notwendig, damit die nächste der kommenden 4 Fortsetzungen da ansetzen kann.

Re: Die Filme von Denis Villeneuve

Verfasst: 21. Oktober 2017 16:43
von Funksoulbrother
Die kommen nach dem Box-Office doch niemals. Es sei denn, die Japaner und die Chinesen rennen wie die Wahnsinnigen in den Film und heben ihn irgendwo noch ein 400-Millionen-Dollar-Gesamteinspiel. Und selbst dann wird das bestimmt nicht passieren.

Das offene Ende habe ich nicht als das übliche Sequelitis-Syndrom empfunden. Jedenfalls ging es Hampton Fancher und Denis Villeneuve da sicher nicht drum.

Solche Gedanken hat wohl am ehesten noch Ridley Scott, der jetzt im hohen Alter von seinen frühen und früheren Großtaten nicht lassen kann. Vielleicht macht er noch ein Gladiator-Prequel. Scott ist definitiv über seinen Zenit. Mit dem Director's Cut von "Kingdom of Heaven" hat er - unter weitem Ausschluss der breiten Öffentlichkeit aufgrund des sehr, sehr mäßigen Theatrical Cut - seinen letzten wirklich großen Film gemacht.

Re: Die Filme von Denis Villeneuve

Verfasst: 21. Oktober 2017 16:49
von Casino Hille
Hoffentlich kommen die nicht. Etwas uninteressanteres als ein "Rise of the Replicants" kann es gar nicht geben im Kino. Obwohl ein Pacific Rim Crossover sicher seinen Reiz hätte.

Re: Die Filme von Denis Villeneuve

Verfasst: 21. Oktober 2017 16:54
von Funksoulbrother
Ein "Pacific Rim" - "Godzilla vs. King Kong" - "Transformers" - "Jurassic World " - "Fast and Furious" - Crossover.

Oder: "Braveheart 2 - Niander Wallace Returns"
Oder: "Pulp Fiction 2 - Niander Wallace's Wife Strikes Back"
Oder: "Niander Wallace & Gromit - The Wrong Trousers, Part 2"

Re: Die Filme von Denis Villeneuve

Verfasst: 22. Oktober 2017 11:09
von Maibaum
Funksoulbrother hat geschrieben:
(P.S.: Roger Deakins ist sicherlich ein herausragender Kameramann, aber ich finde es übertrieben, ihn jetzt zum Gott unter den Kameramännern zu erklären, so wie es ja gerne gemacht wird. Es gibt gegenwärtig einige Leute, die ihr Handwerk auf vergleichbarem Niveau wie Deakins beherrschen.)
Aber in der Regel bestimmt der Regisseur die Bilder mit, oder gestaltet sie alleine, und der Kameramann ist halt dafür da das zu liefern was der Regisseur von ihm fordert. Das ist natürlich jetzt eine Vereinfachung, aber so macht es am meisten Sinn.

Re: Die Filme von Denis Villeneuve

Verfasst: 22. Oktober 2017 11:16
von vodkamartini
Ja, aber Regisseure bestimmen auch mit, welchen Kameramann sie wollen, da sie seinen Stil mögen.