Re: Die Filme des Sidney Lumet

16
AnatolGogol hat geschrieben:Mal eine Frage an den glühenden 12 Geschworenen-Anhänger Hille: beschränkt sich deine Begeisterung auf diesen Film oder setzt sich die bei dir auch im restlichen Lumet-Oevre fort?
Ich habe ironischerweise von Lumet gar nicht mal allzu viele Filme konsumiert in den letzten Jahren und die paar, die ich kenne, haben nicht den Eindruck von 12 Angry Men hinterlassen, aber ich schätze Lumet als Regisseur doch sehr, weil er eigentlich immer den richtigen Ton in seinen Filmen getroffen hat und dennoch sehr unkonventionell an seine Stoffe herangegangen ist, ich widerspreche da Maibaum auch vorne weg in jeder Hinsicht, an Lumets Filmen war nie etwas theaterhaft und da hat die Inszenierung das filmische nie gesucht, sondern miteingebracht. Natürlich hat er ein paar Mal ganz übel daneben gegriffen (The Wiz oder Dog Day Afternoon sind dezent misslungen), aber selbst das fand ich dann doch immer noch interessant anzuschauen. Tatsächlich beschränkt sich diese enorme Begeisterung auf die 12 Angry Men, obwohl ich besonders The Hill, Murder on the Orient Express, The Morning After und The Anderson Clan sehr mag.
https://filmduelle.de/
https://letterboxd.com/casinohille/

Let the sheep out, kid.

Re: Die Filme des Sidney Lumet

18
vodkamartini hat geschrieben:Ich finde die Ustinov-Poirot-Streifen "Das Böse unter der Sonne" und v.a. "Tod auf dem Nil" erheblich spannender und unterhaltsamer als "Orientexpress", der aber auch ok ist..

Mmmh, spannender würde ich jetzt nicht sagen, aber sie haben etwas andere Qualitäten. Wobei ich Tod auf dem Nil für den deutlich besseren der beiden halte und auch als leicht überlegen gegenüber dem Orientexpress. Die Ustinovs leben halt auch von ihrer tollen Art Deco-Ausstattung und ihrem hervorragen eingefangenen exotischen bzw. mediterranen Flair. Orientexpress ist nüchterner und methodischer als die eher auf Unterhaltung und Schauwerte ausgerichteten Ustinovs. Spannend finde ich eigentlich keinen der Filme, gut bei Erstsichtung rätselt man bei den whodunnits mit, aber um wirklich spannend zu sein, sind die Filme zu relaxt - gerade die Ustinovs. Aber was macht das schon, wenn man das Dreamteam Ustinov und Niven hat: "Ahhhh - Colonel Race!!!" "Seulement les vacances!" "Schelm!" :D :D
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Die Filme des Sidney Lumet

19
Natürlich ist die Spannung bei einer Zweitsichtung weg. Ein Problem der whodunit-Streifen/Bücher. "Tod auf dem Nil" ist aber schon auch ein guter Thriller, sicherlich von der leichteren Sorte. Und Ustinov ist einfach die perfekte Poirot-Besetzung, da kann der blasse Finch überhaupt nicht mithalten. Orientexpress ist mir auch etwas zu episodenhaft im Sinne der Abteil-Abklapperei angelegt.
http://www.vodkasreviews.de


https://www.ofdb.de/autor/reviews/45039/

Re: Die Filme des Sidney Lumet

20
vodkamartini hat geschrieben:Natürlich ist die Spannung bei einer Zweitsichtung weg. Ein Problem der whodunit-Streifen/Bücher. "Tod auf dem Nil" ist aber schon auch ein guter Thriller, sicherlich von der leichteren Sorte. Und Ustinov ist einfach die perfekte Poirot-Besetzung, da kann der blasse Finch überhaupt nicht mithalten. Orientexpress ist mir auch etwas zu episodenhaft im Sinne der Abteil-Abklapperei angelegt.

Aber episodenhaft ist Tod auf dem Nil doch auch, da wird ja auch ein Passagier nach dem anderen abgeklappert - nur eben an unterschiedlichen Stellen des Bootes. Ich fand die Filme auch bei Erstsichtung nicht wirklichlich spannend muss ich sagen, eher ein Rätselspass. Spannung hängt ja auch nicht zwangsläufig mit Unwissenheit zusammen, Psycho finde ich zB immer noch sauspannend, obwohl ich den ollen Norman ja mittlerweile bestens kenne (von "Mutter" ganz zu schweigen). Finch - du meinst Finney? Den finde ich nicht blass, er spielt die Rolle halt weniger leutselig und komödiantisch als Ustinov sondern eher verschroben. Passt wie ich finde auch sehr gut und gibt seiner Interpretation eine ganz eigene Note.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Die Filme des Sidney Lumet

21
Ok, Rätselspaß trifft es wahrscheinlich besser. Stimmt, natürlich Finney, aber neien, seine Leistung gefällt mir nicht bzw. seine Poirot-Interpretation. Ich fand Orientexpress immer recht schleppend und holpernd, während "tod auf dem Nil" für mich flüssiger wirkte.
http://www.vodkasreviews.de


https://www.ofdb.de/autor/reviews/45039/

Re: Die Filme des Sidney Lumet

22
Casino Hille hat geschrieben:Natürlich hat er ein paar Mal ganz übel daneben gegriffen (The Wiz oder Dog Day Afternoon sind dezent misslungen), aber selbst das fand ich dann doch immer noch interessant anzuschauen.
Lumet hat schon einige sehr vergessenswerte Filme gemacht, etliche sind hierzulande auch nie veröffentlicht worden, aber Dog Day Afternoon gilt doch oft als sein Bester.

Finneys eigenwillge Poirot Darstellung mag ich sehr. Die Poirots mit Ustinov sind mittelmäßige Durchschnittskrimis.

Re: Die Filme des Sidney Lumet

23
Lumet auf dem Entertainometer Teil 1:


1957: Die zwölf Geschworenen (12 Angry Men) 7/10
1958: Eines Tages öffnet sich die Tür (Stage Struck) -
1959: So etwas von Frau! (That Kind of Woman) -
1959: Der Mann in der Schlangenhaut (The Fugitive Kind) 5
1961: Blick von der Brücke (Vu du Pont) -
1962: Long Day’s Journey Into Night -
1964: Der Pfandleiher (The Pawnbroker) 5/10
1964: Angriffsziel Moskau (Fail-Safe) 7/10
1965: Ein Haufen toller Hunde (The Hill) 8/10
1966: Die Clique (The Group) -
1966: Anruf für einen Toten (The Deadly Affair) (Regie/Produktion) 6/10
1968: Bye Bye Braverman (Regie/Produktion) -
1968: Die Möwe (The Seagull) (Regie/Produktion) -
1969: Ein Hauch von Sinnlichkeit (The Appointment) ?
1970: Blutsverwandte (Last of the Mobile Hot Shots) (Regie/Produktion) 6
(1970: Dann war mein Leben nicht umsonst – Martin Luther King (King: A Filmed Record… Montgomery to Memphis) [Dokumentarfilm; Regie zusammen mit Joseph L. Mankiewicz] ) -
1971: Der Anderson Clan (The Anderson Tapes) 6
1972: Child’s Play -
1973: Sein Leben in meiner Gewalt (The Offence) 7
1973: Serpico 6,5
1974: Aus Liebe zu Molly (Lovin’ Molly) 5
1974: Mord im Orient-Expreß (Murder on the Orient Express) 7
1975: Hundstage (Dog Day Afternoon) 8
1976: Network 8
1977: Equus – Blinde Pferde (Equus) 4
1978: The Wiz – Das zauberhafte Land (The Wiz) -

Re: Die Filme des Sidney Lumet

24
Maibaum hat geschrieben:Lumet hat schon einige sehr vergessenswerte Filme gemacht, etliche sind hierzulande auch nie veröffentlicht worden, aber Dog Day Afternoon gilt doch oft als sein Bester.
Ja, aber auch seine schlechten Filme waren immer noch interessant zu sehen. Und tut DDA das? Kann ich nicht bestätigen.
Maibaum hat geschrieben:Finneys eigenwillge Poirot Darstellung mag ich sehr. Die Poirots mit Ustinov sind mittelmäßige Durchschnittskrimis.
Zustimmung. Orient Express ist auch viel spannender als die Ustinov Filme.
https://filmduelle.de/
https://letterboxd.com/casinohille/

Let the sheep out, kid.

Re: Die Filme des Sidney Lumet

25
Casino Hille hat geschrieben:
Maibaum hat geschrieben:Lumet hat schon einige sehr vergessenswerte Filme gemacht, etliche sind hierzulande auch nie veröffentlicht worden, aber Dog Day Afternoon gilt doch oft als sein Bester.
Ja, aber auch seine schlechten Filme waren immer noch interessant zu sehen. Und tut DDA das? Kann ich nicht bestätigen.
Ja tut er, es ist neben den 12 Angry Amigos sein geschätztester Film.

Und wenn alle seine Filme zumindest noch interessant waren, dann können ja keine schlechten dabei gewesen sein.

Re: Die Filme des Sidney Lumet

28
Maibaum hat geschrieben:
Casino Hille hat geschrieben: Finneys eigenwillge Poirot Darstellung mag ich sehr. Die Poirots mit Ustinov sind mittelmäßige Durchschnittskrimis.
Ich mag Ustinovs Darstellung sehr und halte Orientexpress für einen mittelmäßigen Durchschnittskrimi.
http://www.vodkasreviews.de


https://www.ofdb.de/autor/reviews/45039/

Re: Die Filme des Sidney Lumet

29
AnatolGogol hat geschrieben:1978: The Wiz – Das zauberhafte Land (The Wiz) 3 / 10
Der kommt bei mir viel besser weg: 6/10 würde ich geben.

Der Film ist auf den ersten Blick ein Zusammenschnitt aus langweilig gedrehten Musiknummern und Dialog-Szenen in billigen Studio-Kulissen. Dabei werden jede Menge Stars verheizt. Und Diana Ross mit 33 Jahren als Dorothy zu besetzen, ist und war eine große Fehlbesetzung. Aber Berry Gordy wollte seine Motown-Stars eben pushen. Da kommt dann sowas bei raus.

Aber über die Jahre hat der Film für mich seinen ganz eigenen Charme entwickelt.
Ich würde es nicht unbedingt als Trash bezeichnen, aber es geht ein bisschen in die Richtung.
Er hat seinen ganz eigenen Stil. Würde ihn schon als Kult bezeichnen.

Landet bei mir auch ab und zu noch im Player.

Re: Die Filme des Sidney Lumet

30
Ich habe die Tage Lumets ersten und letzten Film geschaut. Das geht schneller, als alle seine Filme zu sehen und zählt auch so ungefähr. Clever, nicht wahr?

12 Angry Men finde ich immer noch sehr stark, der ist wahnsinnig gut und spannend strukturiert, gerade auch in Bezug auf die Charaktere, die nach neunzig Minuten dreidimensionaler und vertrauter sind sowie stimmiger und konsequenter agieren als andere Charaktere nach zwanzig Sequels. Ich finde auch nicht dass der Film zu theaterhaft wirkt, zu viel trägt Lumet bei durch die Schauspielführung, das Wechselspiel aus Kamerafahrten und Schnittfolgen sowie dem visuellen Kontrast aus angespannter Konzentration und aufgekratzter Unruhe. Immer noch ein toller Film. Für mich 9,5 Punkte.

Before the Devil knows you're dead habe ich zum ersten Mal gesehen. Ein dramatischer, fast fatalistischer Thriller mit einer alles andere als vorhersehbaren Geschichte. Auch hier agieren die Charaktere oftmals sehr überraschend, aber eben auch konsequent und stimmig in Bezug auf die Handlung. Philipp Seymour Hoffman und Ethan Hawke sind sehr stark. Visuell ist das nicht die Speerspitze der Filmkunst und gerade die polternden Freeze-Frame-Montagen bei den Zeit- und Charaktersprüngen sind ein etwas unpassendes da ziemlich aufdringliches und lärmiges Stilmittel, aber die clever versponnene Handlung und das Figurengeflecht machen aus dem Film einen für die Erstsichtung eben sehr spannendes, da nie wirklich vorhersehbares Erlebnis. Für's erste starke 8 Punkte.
We'll always have Marburg

Let the sheep out, kid.