Ich möchte eine Alternative zu den alternativen Enden anbieten: einen alternativen Beginn! Denn wenn mich eine Sache an NTTD nicht loslässt, seit ich ihn im Kino gesehen habe, dann, wie unsympathisch und unfassbar dumm James Bond auf mich wirkt, als er in Matera ernsthaft Madeleine für eine Verräterin hält (obwohl es keinerlei Anzeichen dafür gibt) und dann auch noch kurz drüber nachdenkt, sie einfach im Kugelhagel verrecken zu lassen. Ich behaupte, die PTS lässt sich leicht sehr viel besser schreiben und die Auswirkungen würden sogar den gesamten Film positiv beeinträchtigen. Nun gut, also long story as short as possible:
Ich möchte nur eine Sache ändern: Nicht auf Bond wird in Matera ein Anschlag verübt, sondern auf Madeleine. Nach der tollen Szene in Norwegen besucht Bond in Matera das Grab von Vesper. Er hat einen Zettel geschrieben, den er verbrennen will, aber (ab hier verändern wir die PTS des Films) er kommt nicht dazu, ihn anzuzünden, denn: Ein Junge kommt herbei geeilt und bittet ihn um Hilfe, seinem Vater sei etwas Schreckliches passiert. Natürlich will Bond dem Jungen helfen und folgt ihm, aber der Junge rennt so schnell, dass Bond nicht mithalten kann und ihn kurz aus den Augen verliert. Letztlich lockt das Kind ihn in eine Sackgasse, dort steht der Junge nur und grinst breit. Er hält Bond ein Handy hin, wir hören Blofeld's Stimme. Der sagt irgendwas Waltz-mäßig bedeutungsschwangeres darüber, dass es am Ende so laufen wird wie immer: Mit einer Frau, für deren Tod allein Bond verantwortlich ist (als Anspielung auf seine "Author of all pain"-Grützenansprache in SP, in der er erwähnt, dass er Vesper und M indirekt töten ließ, um Bond zu schaden). Eine Explosion ist zu hören, Bond sieht Teile des Hotels, in dem er und Madeleine abgestiegen sind, in Flammen stehen. Er nimmt die Beine in die Hand, sprintet zum Aston Martin zurück und gibt Vollgas. Title Sequence (denn nicht jede PTS muss 45 Minuten lang sein).
Wir beginnen nach der Title Sequence wenige Minuten vor der Explosion mit Madeleine im Hotel. Ihr fällt jemand in der Lobby auf, der sich verdächtig verhält und geht ruhig, aber bestimmt ins Hotelzimmer zurück. Der Mann und ein weiterer folgen und brechen in ihr Zimmer ein, aber von Madeleine fehlt jede Spur. Wir wiederholen gewissermaßen die Norwegen-Szene. Maddie hat längst die Finger an eine Waffe bekommen und kann mithilfe des Überraschungsmoments die Oberhand gewinnen (denn sie ist kein kleines blondes hilfloses Ding mit Rehaugen, dass von unserem James unbedingt gerettet werden muss, wir leben im Jahr 2021). Sie rennt auf den Flur hinaus, aber da ist schon der nächste Typ in Position, der prompt das Feuer eröffnet. Madeleine geht in Deckung. Der Kerl wirft eine Granate zu Madeleine. Sie nimmt die Granate und wirft sie zu dem Mann zurück. Explosion, ein Teil der Hotelwand ist gesprengt, Feuer bricht aus. Maddie rennt über einen Notausgang nach draußen, versteckt die Schusswaffe hinter ihrem Rücken, versucht, so unauffällig wie möglich zu wirken.
Draußen sieht sie Primo und 2-3 weitere verdächtige Herrschaften mit Motorrädern aufgebracht in Richtung Hotel starren. Sie geht in die entgegengesetzte Richtung, mit dem Rücken also zu den Spectre-Leuten, Primo aber sieht ihre Pistole hinten aus der Hose luken. Sofort steigen er und die Männer auf die Motorräder und geben Gas. Madeleine bemerkt das, schießt viermal in deren Richtung (bis die Waffe klickt, Munition leer) und rennt zwischen den Gebäuden durch. Gerade als Primo direkt hinter ihr ist und seine Maschinenpistole auf Madeleine richtet, hören wir das Bond-Theme und sehen den Aston Martin um die Ecke flitzen, wie er in Primo kracht und den Typen ein paar Meter durch die Luft schickt. Er wirbelt am Boden herum, fasst sich danach ans verletzte Auge. Madeleine springt auf den Beifahrersitz des Aston und wir bekommen eine lange, aufwendige Verfolgungsjagd – nur ohne den ganzen "Ich bleibe jetzt ruhig hier stehen und deute an, dass ich dich kaltschnäuzig an Spectre opfere"-Bullshit.
Die Verfolgungsjagd kann jetzt auch etwas mehr charakterliche Dynamik gut vertragen. Warum nicht zum Beispiel einbauen, dass Madeleine während der Jagd einmal einen der Knöpfe drückt und ein Gadget aktiviert? So bekommen wir im Verlauf der Action die Illusion eines gut zusammenpassenden Paars, welches auch als Team funktioniert. Da in SP die Beziehung zwischen Bond und Madeleine im besten Fall unterentwickelt, im schlimmsten Fall nicht vorhanden war, können wir in NTTD diese Actionszene nutzen, um zu zeigen, wie gut die zwei zusammenarbeiten. Wir merken, wie Madeleine sich sicher und stark fühlt, wenn Bond bei ihr ist, wie beschützt sie sich durch seine Präsenz und seine Erfahrung fühlt. Gleichzeitig spielt Craig die Szene aber angespannt. Er hätte Madeleine fast verloren und er allein ist dafür verantwortlich, sie jetzt zu beschützen. Er sagt ihr, er werde zum Bahnhof fahren, dass sie untertauchen müssen, sich verstecken, ein neues Leben anfangen, mit anderen Namen, neuen Identitäten. Sie können nur sicher sein, wenn sie alles, was es je in ihrem Leben gab, hinter sich lassen, wenn es keine Beziehung mehr zu ihrem früheren Leben gibt. Madeleine gibt sich zuversichtlich.
Am Bahnhof dann steigen beide aus und rennen zum Zug. Bond bleibt aber irgendwann stehen, fasst sich in die Tasche und zieht die Notiz heraus, die er an Vespers Grab verbrennen wollte. "I should have protected you. I'm sorry. Forgive me." Er geht Madeleine nach, sagt ihr, sie müsse alleine einsteigen, sie wäre in seiner Gegenwart nie sicher. Wie er gesagt hat: Alles aus ihrem früheren Leben muss zurückgelassen werden. Sie sagt: "If you want to protect me, don't leave me alone. Come with me." Er antwortet: "If I am no longer by your side, they will have no reason to hunt you down. There is no other way. There is no time for us." Der Zug fährt davon, Bond bleibt zurück
5 Jahre später, der Rest des Films läuft wie zuvor.
Ich denke, der Film hätte von einer solchen Änderung massiv profitiert, weil er motivisch den Tod von Bond im letzten Drittel vorweggenommen hätte. So, wie es aktuell in NTTD ist, hat das leider gar keinen motivischen Zusammenhang. Bond misstraut Madeleine zu Beginn des Films, erfährt später, er lag falsch, entschuldigt sich und fertig ist die Laube. Sein Tod steht in keinem direkten Bezug zu der Art und Weise, wie er Madeleine in Matera behandelt. Das ist kein gutes Storytelling. Da ist kein Motiv hinter. Besser wäre, den Film so zu beginnen, dass Bond bereits aus freien Stücken Madeleine verlässt, um sie zu beschützen. Dass er sich von ihr distanziert, um sie zu retten. Genau dann können wir das im Finale nämlich nochmal aufgreifen. Wenn Bond jetzt, verseucht mit den Nanobots, oben auf dem Dach steht, in die Roland-Emmerich-Sonne schaut und mit Maddie quatscht, sagt diese wieder: "If you want to protect me, don't leave me alone. Not again." Aber er antwortet dieses Mal: "You don't need my protection. You took care of her. For five years. Look at her, she's perfect." "She is", antwortet sie. "You'll be fine", sagt Bond. Sie fragt: "So there really is no time for us?" Und er flüstert: "You have all the time in the world."
Fertig. Motivischer Zusammenhang, klare Charakterentwicklung. Bond wird von jemandem, der die Last der Welt auf seinen Schultern trägt und sein eigenes Glück opfert, um seine Liebsten zu schützen, zu jemandem, der in Frieden stirbt, in dem Wissen, dass Madeleine ohne ihn zurechtkommen und Mathilde beschützen kann. Jetzt hat die Tochter einen Sinn (darüber hinaus, Bonds Tod ganz besonders dolle traurig zu machen), denn sie ist das Vermächtnis, das Bond nicht beschützen wird können, aber er Madeleine als Zeichen seiner Entwicklung übergeben kann. Jetzt ergibt das Motiv Zeit Sinn, weil es von Beginn an Teil des Films ist und nicht irgendwann plötzlich im Drehbuch auftaucht und das große Rad des Narrativs sein soll. Und jetzt könnte man mit wenig Aufwand und minimalen Überlegungen sogar Nomis Rolle leicht anpassen, um auch sie spielerisch easy in das Motiv einzubetten (in dem nicht sie ihm die "007" zurückgibt, sondern er sie ihr überlässt, weil er anerkennt, dass sie die Welt genauso gut beschützen kann wie es ihm mehrfach gelungen ist). Jetzt hat der Film sogar eine feministische Botschaft über starke Frauenfiguren, obwohl Bond weiterhin im Mittelpunkt von allem steht. Und dafür braucht der Film kaum umgeschrieben werden, selbst der (für mich persönlich kitschige) Tonfall der Sterbeszene bleibt unangetastet.
Viel Spaß euch allen, zerfetzt mich und mein Geschreibsel!
