AnatolGogol hat geschrieben: 10. August 2020 07:56
Nun denn, frei nach Dr. Lecker: Quid pro quo!
Welch Freude, Anatol! Bzw. ist es für mich gleich eine doppelte Freude: Einerseits, weil ich endlich meinen Wetteinsatz gebracht habe und damit einer der ältesten Foren-Runninggags endlich sein würdiges Ende gefunden hat. Andererseits, da ich dir durch unsere Wette "Barquero" ans Herz legen konnte und er dir ja trotz einiger Schwächen auch tatsächlich Gefallen hat! Für mich ist "Barquero" einer der allerbesten Filme des Genres, und das ist sicherlich eine sehr ungewöhnliche Wahl, der viele Western-Fans widersprechen würden, liegt für mich aber in einem ganz wesentlichen Kern verborgen, der natürlich vollkommen subjektiv ist: Gemeint ist die wie ich finde erfrischende, weil extrem simple und aufregende Prämisse: Kein einsamer, stiller Rächer auf der Suche nach Vergeltung steht im Mittelpunkt, sondern ein Fährmann, der es überhaupt nicht einsieht, mit seiner geliebten kleinen Fähre einen fiesen Gangster über den Fluss kommen und damit auch vor dem Gesetz entkommen zu lassen.
Dazu kommt eine – wie ich finde – überragende Synchro mit wunderbar zitierfähigen Sprüchen. Ein persönliches Highlight ist in der Hinsicht, als Phil zu dem Gefangenen aus Remys Bande sagt "Wenn du auch nur zu atmen wagst, dann schneide ich dir die Kehle durch. Blinzen ist auch verboten" und dieser hörbar angestrengt und voller Angst aufstößt. Was Phil wie kommentiert? "Na gut, schlucken darfst du."
AnatolGogol hat geschrieben: 10. August 2020 07:56
Dabei ist unverkennbar, dass Barquero vor allem hinsichtlich der Figurenzeichnung an einem deutlich ambivalenteren Weltbild interessiert ist und weitgehend (zumindest über weite Strecken) auf eine klare schwarz/weiß-Trennung verzichtet. So ist Lee Van Cleefs Figur zwar klar der Protagonist des Films, entpuppt sich aber im Verlauf der Handlung mehr und mehr charakterlich fragwürdige Figur, welche sich auch nicht zu schade ist die Notlage einer Frau skrupellos zum eigenen Vergnügen auszunutzen. Die Rolle des Antagonisten in Barquero nimmt Warren Oates ein, dessen Figur bereits in der ersten Szene als eiskalter Mörder eingeführt wird und der im Verlauf des Films immer mehr dem Wahnsinn verfällt. Interessanterweise bekommt aber auch diese fast ausschliesslich negativ gezeichnete Figur durchaus einige menschliche Apspekte verpasst, so vor allem im vertraut-freundschaftlichen Verhältnis zu seiner von Kerwin Mathews gespielten rechten Hand (was vor allem hinsichtlich des Finales sich von elementarer Bedeutung zeigen soll)
Sehr schön geschrieben und insbesondere die ambivalente Figurenzeichnung ist eine elementare Stärke von "Barquero". Der Film baut sich quasi komplett um das Figuren-Quartett: Travis und Phil auf der einen und Remy und Marquette auf der anderen Seite des Flusses. Und gerade die Gemeinsamkeiten zwischen Travis und Remy (die sich auch jeweils in ihrer Beziehung zu ihren Counterparts offenbaren) sind für mich ein wesentliches Merkmal für die Spannung des Films, den ich als psychologischen Thriller einordnen würde. "Barquero" hat ja durchaus Parallelen zu ähnlichen ruhigeren psychologischen Katz-und-Maus-Spielen, ich denke da etwa an "Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 1-2-3" von 1974. Nur kommt bei "Barquero" hinzu, dass der Film dies nicht nur erstaunlich konsequent durchzieht, in dem er wirklich jedem Charakter im gleichen Maße sympathische und unsympathische Züge und Sequenzen zugesteht, sondern wie ich finde die Geschichte ihre ganze Raffinesse aus diesem Verhältnis gewinnt. Deshalb stimmt es auch, wenn du schreibst…
AnatolGogol hat geschrieben: 10. August 2020 07:56
Die starke örtliche Gebundheit des Films (mit Ausnahme des anfänglichen Überfalls von Oates Bande spielt der komplette Film an den durch die Fähre getrennten Flußufern) verleiht dem Film zwar eine Art Alleinstellungsmerkmal, sorgt im negativen Sinn aber auch dafür, dass trotz diverser Einzelabenteuer die Handlung auch etwas statisch bleibt. Das wäre dann auch mein größter Kritikpunkt, nämlich dass der Film trotz aller interessanten inhaltlich Ansätze und kompetent inszenierter Actionelemente eben etwas unspektakulär bleibt.
…, dass "Barquero" bezogen auf seine Plot-Eskalationen (also Actionszenen, Shootouts, das ganze Western-Zeugs) eher unspektakulär bleibt und nur auf wenige wohl dosierte Szenen in dieser Hinsicht setzt. Ich sehe das aber gar nicht als negativ, denn "Barquero" will eben kein "Die Rechnung wird mit Blei bezahlt", "Von Mann zu Mann" oder "Hängt ihn höher" sein. Das mag aber sicherlich einerseits von der eigenen Erwartungshaltung abhängen und andererseits davon, wie sehr man von diesem ruhigen Thriller gefesselt wird. Ich für meinen Teil könnte Lee Van Cleef (einer der coolsten Socken der Filmgeschichte, der Mann hat immerhin seine eigene "Lucky Luke"-Figur und cooler kann man nicht sein) stundenlang dabei zusehen, wie er mit knautschigem Blick über den Fluss blickt und die aufgebrachten Siedler stoisch anschweigt, und auf seinem Weg beharrt, in der Wildnis weiter abzuwarten. Außerdem gibt es wie ich finde schon auch eine direkte Suspense-Einheit, also eine "unmittelbare Bedrohung": Immerhin rennt beiden Parteien die Zeit davon. Remy kann nicht ewig sein Spielchen am Fluss treiben, da ihm die Gesetzeshüter im Nacken sitzen und die Siedler auf ihrer Seite halten ihre brenzlige Situation kaum aus und stehen immer wieder kurz vor der Meuterei Travis gegenüber. Diese Konstellation ist auch in dem Sinne keine pure Behauptung, sondern wirkt sich direkt auf das Verhalten der Charaktere auf – insbesondere ist das prägnant im Falle von Warren Oates zu beobachten, der seinen Gangster übrigens hinreißend spielt und auch die späteren Aspekte wunderbar schaukelt, wenn Remy immer mehr dem Wahnsinn verfällt. Gordon Douglas inszeniert das auch mit einer schön klaustrophobischen Regie, und besonders die nächtlichen stimmungsvollen Szenen sehen wie ich finde einfach blendend aus, ohne das die Regie so vordergründig auffällt wie etwa bei Sergio Leone oder Sergio Corbucci. Und habe ich schon den Soundtrack von Dominic Frontiere erwähnt? Wie ich finde seine beste Arbeit (von allen, die ich kenne) und das Main Theme ist wahnsinnig eingängig.
AnatolGogol hat geschrieben: 10. August 2020 07:56
Ein weiterer inhaltlicher Aspekt, mit dem der Film spielt ist die Bedeutung des titelgebenden Fährmannes als eine Art Wächter zwischen Zivilisation und Wildnis und wenn man so will zwischen Leben und Tod. Diese mythologische Bedeutung wird u.a. in einem Monolg von Van Cleef, in welchem er beschreibt warum er die Fähre gebaut hat, thematisiert und nicht zuletzt auch dadurch, dass der „Barquero“ kein „normaler“ Mensch ist, sondern ein Außenseiter, der zwar eine für die Stadtgemeinschaft wichtigen Aufgabe erfüllt (eben als Bindeglied zwischen Zivilisation und Wildnis), ihr aber nicht angehört.
Hier kommt dann wieder meine subjektive Bewunderung für den Film zutrage, denn dieser mythologische Ansatz ist nicht nur enorm spannend, sondern auch im angemessenen Rahmen Teil des Plots. Der Fährmann als solcher ist ja schon eine mythologisch aufgeladene Figur (das bleibt bei dem Stoff gewissermaßen also gar nicht aus) und in meinen Augen gelingt es dem Drehbuch von William Marks und George Schenck, mit den Bezügen und Querverweisen zu mythologischen Stoffen u.a. auch, das Alleinstellungsmerkmal des Films weiter zu schärfen. Natürlich spielen auch andere Western, insbesondere Italowestern, mit ähnlichen Materialen, aber hier ergibt es sich nicht nur absolut schlüssig aus dem Plot, sondern schafft auch eine weitere Facette der Travis-Figur: Dein letzter Satz beschreibt es sehr gut, denn er ist eine Art stiller Wächter, der selbst nie ein Teil dessen sein kann, welches er durch seine Stellung beschützt. Natürlich schwingt da ein ganzer Hauch Lagerfeuerromantik mit rein, denn auch hier muss ein Mann tun, was ein Mann tun muss, aber es passt zu Travis und es passt zum Plot. Auch mit der Auflösung, die du meine ich als etwas simpel bezeichnest, habe ich keine wirklichen Probleme. Ja, da steckt sicherlich eine Moral hinter, moralisierend ist der Film aber dennoch nicht wirklich. Außerdem ist die tolle Endszene viel zu gut, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Kurz, kompromisslos, schlüssig.
AnatolGogol hat geschrieben: 10. August 2020 07:56
Dennoch ist Barquero ein sehenswerter Western, der weitgehendgekonnt zwischen US- und Italowestern pendelt und vor allem durch seine interessante Charakterkonstellation zu überzeugen weiß.
7 / 10
Freut mich auf jeden Fall, dass du diese Genre-Perle entdeckt hast (ich meine mich zumindest zu erinnern, dass du den vorher nicht kanntest oder?). Feines Review, bei mir ist einfach noch ein großer Schwung mehr Begeisterung dabei. Darf ja auch mal sein.
Übrigens habe ich im passenden Thread mal meinen Remake-Wunsch zu "Barquero" mit alternativer Besetzung und eigener Herangehensweise (in Kurzform: Stärkerer Ausbau auf den mythologischen Aspekt des Films) geäußert. Vielleicht für dich interessant:
viewtopic.php?p=313616&sid=2d5ad3059b5a ... cc#p313616