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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
James Bond 007 - GoldenEye
Mit dem Ende des Kalten Krieges endete auch die Ära 007. In einer Welt der Entspannung, des Friedens und der aufgelösten Feindbilder erschien der britische Spion im Auftrag ihrer Majestät wie ein Anarchonismus auf zwei Beinen. So kam es auch, dass erst 1995, ganze sechs Jahre nach dem letzten Serienbeitrag, sich Produzent Albert R. Broccoli mit einem ganz neuen Team hinter der Kamera an einen Bondfilm rantraute. Regisseur Martin Campbell eröffnet sein Spektakel im Jahr 1986 und präsentiert in den ersten 10 Minuten die Kurzversion eines "klassischen" Bondfilmes: Risiko, Spannung, Ernsthaftigkeit, coole Oneliner und einen absurd bekloppten Stunt als krönenden Abschluss. Danach jedoch verändert sich das Gesicht der Erde: Ein Weltreich versinkt, Hammer und Sichel gehen zu Boden, brechen. In den Trümmern bleiben Pistolen, Magazine, Frauenaugen, Gesichter. Identität, nicht Konformität.
Campbell entwickelt seinen Film merklich auf dem Fundament der Vorgänger, analysiert aber gleichermaßen Stärken und Schwächen der beliebten Heldenfigur und arbeitet mit beiden sehr konkret. Der Ire Pierce Brosnan, welcher hier zum ersten Mal James Bond verkörpert, gibt sich als Mischung aus den besten Elementen seiner Vorgänger: Ein wenig Machogehabe à la Sean Connery, der ironisch-süffisante Humor von Roger Moore und auch die menschlichere verletzliche Ader von Timothy Dalton scheinen durch, gemischt mit ein wenig snobistischem Getue, welches Bond umso unpassender in der modernen Welt scheinen lässt. Grandios, wie Campbell den Mythos anfangs aufleben lässt, um Bond in den eigenen vier Wänden des britischen Geheimdienstes vor vollendete Tatsachen zu stellen: Miss Moneypenny (gespielt von der süßen Samantha Bond) ist eine emanzipierte Dame, die die Schmachterei satt hat und ihn der sexuellen Belästigung anklagt, M ist nun eine von Judi Dench mit eiskalter Mine gespielte Frau, die ihn einen frauenfeindlichen Dinosaurier und Relikt des kalten Krieges nennt. Der Bösewicht wird später nicht nur Bonds Patriotismus und sein veraltetes nationales Selbstverständnis in Frage stellen, sondern auch sein ungebündeltes Martinischlürfen und seinen Frauenverschleiß ankreiden. "GoldenEye" traut sich, Bonds Strahlemannimage und das Franchise selbst immer wieder (ähnlich den Medienberichten im Vorfeld des Filmes) als veraltet zu zeigen (selbst Qs Gadgets wie ein groß angekündigt mit Waffen bestückter BMW kommt gar nicht zum Einsatz), um gleichzeitig im weiteren Verlauf das Gegenteil unter Beweis zu stellen. Éric Serra, der die musikalische Untermalung übernahm, liefert passenderweise einen beeindruckend überwältigenden kalten, recht elektronischen Soundtrack, in dem das Bondthema ähnlich wie die Figur wie ein letztes Überbleibsel vergangener Zeiten anmutet.
Die Besetzung von "GoldenEye" ist fabelhaft gefüllt mit jungen und frischen Gesichtern. Sean Bean als Fiesling ist nicht etwa ein alter Mann in seinem Superversteck, sondern ein junger Idealist, der seine eigene Rechnung mit Großbritannien und Bond hat, auch Izabella Scorupcos Bond-Girl ist kein dummes Küken, sondern eine eigenständig ermittelnde und durch klare Motive gekennzeichnete Frau und Gottfried Johns russischer Genral Ourumov kein einfacher Standard-Villain, sondern für Bond kein gänzlich unbeschriebenes Blatt. Diese Hintergründe machen "GoldenEye" persönlich und emotional, ohne ihn seiner Identität als Actionfilm zu berauben. Übertreiben tut Campbell leider etwas mit den vielen Nebenfiguren, die er seinem Film zumutet: Zwar ist Famke Janssen als boshafte Femme Fatale Xenia Onatopp (Ohne Top?) hervorragend besetzt, aber auch zu überzeichnet agierend und Robbie Coltrane und Joe Don Baker als Verbündete (wider Willen) bremsen den Erzählton der ersten Hälfte doch etwas aus, sodass "GoldenEye" etwas braucht, um in Fahrt zu kommen, auch weil zu Beginn noch nicht wirklich klar wird, welches Ziel die Handlung verfolgt und wohin es mit Bond gehen soll. Alan Cumming spielt zudem eine sehr nervtötende Klischee-Ausgabe des verkannten Computer-Genies, ohne der altbekannten Rolle um eine neue Komponente zu ergänzen, er bleibt mit seinem aus der Reihe fallenden Overacting damit ein eher merkwürdiger Sidekick des Schurken, der aber Gott sei Dank nicht allzu viele Szenen hat.
Doch neben den Charakteren muss Campbell noch etwas anderes in die beginnenden 90er transportieren: Die Action. Und diese kann sich nicht nur sehen lassen, sondern ist für das relativ bescheidene Budget von 50 Millionen Dollar auch erstaunlich üppig. Das brillante Intro dürfte ohnehin in die Analen der Filmgeschichte eingegangen sein, doch danach herrscht erstmal noch erstaunliche Ebbe. "GoldenEye" nimmt sich viel Zeit, Bond einer Frischzellenkur zu unterziehen und all die geliebten Elemente (Aston Martin, Casinoszene, Martini, "Bond, James Bond") zurückzubringen, dass dafür erstmal kein Platz ist. Doch nach etwa einer Stunde, wenn sich die Fronten im Film verhärten und die Geschichte loslegt, präsentiert Campbell Action an Action. Da schnappt sich 007 dann schon mal ein Maschinengewehr und ballert sich brutal durch russische Armeesoldaten, stürzt mitten über Kuba mit einem Flugzeug ab und zerlegt am Ende im Alleingang die gigantische (an Ken Adam erinnernde) Schurkenbasis, um im Endkampf mit seinem ihm physisch ebenbürtigen Villain einen packenden und äußerst rauen Zweikampf mit massig Stunts zu zeigen. Spätestens aber, wenn Brosnan in einem Panzer sitzend halb St. Petersburg zerlegt und sich danach nur cool die Krawatte richtet, ist Bond endgültig wieder da, wo er hingehört. Als letzte Besonderheit fällt Campbells Tunnelblick-artige Inszenierung auf. Seine Locations beutet er kaum auf ihre Exotik hin aus, lässt Phil Meheux oft von unten filmen und allgemein sehr zentriert auf die Charaktere. Ein Stil, an den man sich anfangs gewöhnen muss, der "GoldenEye" aber auch einen recht düsteren und erfreulich ernsten, manchmal aber etwas aufgesetzt wirkenden, Touch gibt.
Fazit: Er ist zurück. Allen Zweifeln zum Trotz erkämpft James Bond sich auch im vierten Jahrzehnt in Folge wieder die Spitze des Genres und präsentiert ein fantastisch getrickstes (die Modelle sind ein wahrer Hochgenuss) und stilistisch eigenständiges Actioninferno, dass gleichzeitig den Weg für zukünftige Abenteuer ebnet und Bond genauso sehr von seinen angestaubten Elementen befreit, wie diese zeitgenössisch neu aufbereitet werden. Die eigentliche, anfangs etwas zu ausführlich und komplizierte Handlung, ist da nur ein unwichtiges Mittel zum Zweck.
8/10
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Let the sheep out, kid.