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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
The Hateful Eight
Ursprünglich wollte Quentin Tarantino seinen zweiten geplanten Western nach "Django Unchained" gar nicht mehr in die Tat umsetzen, als das Drehbuch in die Öffentlichkeit gelangte. Und man kann nur höchstglücklich sein, dass der Meister es sich noch einmal anders überlegt hat, denn, so viel soll vorweg verraten werden, "The Hateful Eight" ist nicht nur einer der besten Filme der letzten Jahre und eine unglaubliche Steigerung zum eh schon atemberaubenden Vorgänger, sondern neben seinen politisch-historischen Themen auch das perfekte exemplarische Beispiel für kongeniale Spannungserzeugung und all das im Rahmen eines Western-Kammerspiel-Crossovers. Kann da noch etwas schiefgehen? Mitnichten!
Tarantino nähert sich seinen großen filmischen Vorbildern mit unerschütterlicher Konsequenz an: Im 70-Millimeter-Breitwandformat-Gewand präsentiert sich sein neuester Streich, dazu gibt es einen Soundtrack von dem einzig wahren Westernkomponisten Ennio Morricone, der mit seiner Musik alleine "The Hateful Eight" zu einem der lohnendsten Kinobesuche seines Jahres machen dürfte. Und das 70mm Format zahlt sich aus: Mit von gewaltiger Schönheit strotzenden Panorama-Aufnahmen begeisternder Qualität eröffnet er seinen Film, nur um recht schnell jedes Geschehen erst in eine Kutsche und dann in eine dunkle Blockhütte zu verbannen. Was erst ein großer Widerspruch zu sein scheint, wird zum größten Geniestreich in Tarantinos Regiekarriere. Nichts zeugt mehr von der klaustrophobischen Spannung in den engen Räumlichkeiten als die opulent tiefenscharfe Optik, die lieber ausführlich das Geschehen in den Gesichtern der brillant besetzten Akteure erforscht als die kalten Landschaften außerhalb. "The Hateful Eight" könnte damit oft auch als filmisches Theaterstück durchgehen, ohne aber jemals theatralisch zu sein. Trotz zahlreicher Anachronismen (oft sprachlicher Natur) ist sein Film ein unter die Haut gehendes Personendrama, dass schnell offenbart, dass nicht nur niemand das ist, was er scheint, sondern es hier auch noch im größeren Sinne um etwas ganz anderes geht. Weiß und Schwarz, Mann und Frau, Norden und Süden, Neid und Verachtung, Tarantino gelingt es, mit geschickten Gegensatzpaaren unter den Figuren nicht nur das größtmögliche Spannungspotenzial auszunutzen, sondern auch ein politisch-historisches Statement zu verbreiten.
Nicht umsonst ist es einzig und allein Kurt Russells Hangman-Charakter, der mit seinem zivilisiertem Willen, seine Gefangene nicht tot, sondern lebendig der Justiz zu übergeben, wie ein Fremdkörper wirkt, doch auch er kann jene moralische Überlegenheit nicht bis zum Ende durchhalten. Und auch der fantastisch um sein Leben spielende Samuel L. Jackson kann sich als Nigger zwischen den weißen Männern nur durch die Lüge behaupten, einen Brief des glorreichen US-Präsidenten Lincoln (als Sinnbild des amerikanischen Traums) sein Eigen zu nennen. Zwischen all den Männern, die von einer nihilistisch-bestialischen Mörderin (hervorragend: Jennifer Jason Leigh) zum Narren gehalten werden, verlieren Begriffe wie Androkratie und Patriarchat schnell an Gewicht und Aussagekraft und wenn sich im letzten gewalttätigen Drittel, indem all die aufgebauten Spannungen zu einer unweigerlichen Explosion gelangen, zwischen all den Leichen und abgefeuerten Kugeln nur noch niedere Kopfgeldjäger und abgezockte Verbrecher gegenüberstehen, scheint unweigerlich die düstere Macht des Kapitalismus jedes bisschen Menschlichkeit aus der blutgetränkten Kulisse vertrieben zu haben. Die grandiose Besetzung neben den drei deutlich im Vordergrund stehenden Akteuren (u.a. Walton Goggins, Tim Roth, Michael Madsen und Channing Tatum) sorgt zuletzt dafür, dass dieser intellektuelle wie brutale Film einen edlen Touch bekommt, ohne jemals aufgesetzt zu wirken. Hier hat keiner nichts und jeder alles verdient!
Die enorme Länge des Films kommt Tarantino dabei sogar zu Gute. Mit erschreckender Präzision macht er sich die repetitiven Abläufe seiner Handlung (wie das mehrfache Zunageln der Tür) zu Nutze, um Unruhe und Irritation zu verbreiten, setzt geschickte Rückblenden famoser surrealer Natur, eröffnet endlos wirkende unnötige Dialoge, um ihnen mal spätere Relevanz zuzugestehen oder sie einfach im Sande verlaufen zu lassen... immer wieder gelingt es ihm, den Zuschauer zu verblüffen (erst recht, als nach 100 Minuten das erste Mal auktoriale Erzählungen das Geschehen ergänzen) oder zu schockieren und seine als Ode an die Langsamkeit empfundenen expositionellen Züge werden zur eigentlichen Ästhetik an sich. Doch nur die thematischen Gegenüberstellungen alleine reichen Tarantino noch nicht, um den letzten Biss zum Kriminalspiel beizutragen: Wie der Titel andeutet, geht es in "The Hateful Eight" vor allem um Hass und wie der Hass langsam jede Möglichkeit auf Hoffnung tilgt. So ist der tödliche Schneesturm als metrologisches Element nur die Spitze des Eisberges eines fortwährenden Strudels tiefer abstoßender Gefühle für den jeweils anderen, die dem Zuschauer die erschütternde Erkenntnis näherbringen, dass Helden in dieser Welt nicht existieren, nicht existieren dürfen oder gar existieren können. Selbst Jacksons Warren, der am ehesten zum Sympathieträger taugt, hat seine Gräueltaten verbrochen, muss als kleinstes Übel aber letztendlich zum notwendigen Festklammern an verlorenen Werten missbraucht werden, was der Geschichte eine niederschmetternde tragische Qualität verleiht, von der andere Autoren nur träumen können. Und so ist ganz am Ende von den Panorama-Landschaften draußen oder von der anfangs trügerischen Idylle sowie der kurz angedeuteten Menschlichkeit im Gefallen am tierischen Abschlachten des Gegenübers (was erst dann seine wahre Bedeutung erlangt, wenn man dies auf die von Tarantino ständig angedeuteten Sezessionskriege der damaligen Zeit projiziert) nichts übrig geblieben, außer der Feststellung, dass am Ende alle Parteien nur gescheitert sind, weil sie scheitern mussten, weil es ihre Bestimmung und ihre einzige Funktion war, unterzugehen.
Fazit: Nur selten treffen thematische Geschlossenheit, auf den Punkt interpretierte schauspielerische Leistungen und visuelle ästhetische Brillanz so unmittelbar aufeinander, wie es in Quentin Tarantinos "The Hateful Eight" geglückt ist. Und so darf, kann und sollte man winzige dramaturgische Feinheiten verzeihen, wenn das Endresultat dermaßen überzeugend eine düstere, beinahe vorapokalyptische Stimmung zeichnen kann, die noch lange nach dem Einsetzen des Abspanns unter phänomenaler musikalischer Unterstützung dem Zuschauer im Kopf nachhallen wird. Der Glaube an eine bessere Welt und die Hoffnung sterben eben bekanntlich zuletzt... aber sie sterben.
10/10
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Let the sheep out, kid.