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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Batman Begins
Um mit einem Witz anzufangen: Wie nennt man Reanimation auf filmisch? Reboot. Bei einem Reboot wird eine Filmreihe (also ein filmisches Universum mit einer Grundkontinuität) komplett auf 0 gesetzt und alles bisher bekannte verliert an Gültigkeit/wird neu geschrieben. Ein radikaler Einschnitt, der 2005 einen Filmhelden traf, dessen Reihe sich vor allem kreativ in eine aussichtslose Situation manövriert hatte: Batman alias Bruce Wayne. Ohne auf Tim Burtons oder Joel Schumachers Filme Rücksicht nehmen zu müssen, nahm der Brite Christopher Nolan Platz auf dem Regiestuhl und machte sich auf, die Entstehungsgeschichte und das Innenleben des Fledermaushelden tiefer zu erkunden als bis dato geschiehen. Entstaubt von dem Ballast des fantastischen Elements des Comicbackgrounds Batmans befördert er die bekannten Einzelstücke in eine düstere Realität des 21. Jahrhunderts. Das Ergebnis ist eine belebende und hervorragend erzählte Geschichte über Liebe, Vertrauen, Selbstjustiz, Gerechtigkeit ... und Angst.
Keine Emotion war global in der Zeit nach dem Millennium und 9/11 präsenter als die Angst. Gotham City hat sich unter Nolan vom operettenhaften Glanz entfernt und ist eine kalte Metropole geworden, zerfressen von der Finanzkrise, unterwandert vom Mafiagangster Falcone. Batman tritt in seiner filmischen Auferstehung nicht etwa gegen größenwahnsinnige Psychopathen an, sondern gegen Drogenhandel und Korruption. Dabei ist die Mafia selbst nur der eine Kopf der Hydra, den es zu zerschlagen gilt: Auch die Polizei, die den selbsternannten Rächer (juristisch zurecht) ablehnt und bekämpft, die einflussreichen Politiker und der undurchsichtige Dr. Jonathan Crane (schleimig wie es nur geht: Cillian Murphy) stehen auf seiner Liste. Es ist eine atmosphärische Dichte, die Nolans Film mehr wie ein Figurendrama als wie einen Action-Blockbuster wirken lässt. Die Gefahren entsprechen denen der Realität und der Schurke Scarecrow mag dank eines übernatürlichen Elements zum gefährlichen Terroristen werden, dieses steht jedoch nur sinnbildlich für die Angst selbst, mit welcher Terroristen besonders in den USA die Menschen beeinflussen und schwächen. Der Zuschauer schaut den Figuren nicht bei ihrem Treiben zu, er selbst ist ein Teil der Welt, die Nolan überspitzt, aber stets treffend und wohlüberlegt abbildet, dabei symbolisch (die geteilte Stadt mit dem Elendsviertel auf Arkham Island und dem Untergrund, welcher hier tatsächlich unter der Stadt liegt) Inhalte oft durch Bilder vermittelt - wenngleich es auch viele Dialoge gibt, von exzellenter Qualität, welche gehört werden möchten.
Das alles wird von großartigen Schauspielern verkörpert, die von einem sehr diabolisch aufspielendem Liam Neeson über die weibliche Unschuld in Person von Katie Holmes bis zum moralisch unanfechtbarem Gary Oldman als Polizeioffizier Gordon reichen. Morgan Freeman darf als Lucius Fox zum ersten Mal eine (dem Q aus den James Bond Filmen nach empfundene) Rolle verkörpern, welche Batmans Gadgets erdet und Michael Caine ist als Butler Alfred Herz und Seele der Erzählung und bringt ein wenig humoristische Auflockerung in das Geschehen, spiegelt aber auch den Glauben an Hoffnung und Rettung wieder. Doch der Triumph der Besetzung ist Hauptdarsteller Christian Bale, dessen vielseitige Mimik und sein grandioser Körpereinsatz alle drei Phasen des Superhelden perfekt verkörpern: Den düsteren Dark Knight auf der Jagd nach Vergeltung (und moralischer Legitimierung seiner Verbrechen), den verletzten Jungen, dessen Eltern einem Wahnsinnigen zum Opfer fallen und den Playboy, der die schönsten Frauen der Welt vernascht und die teuersten Autos fährt. Bale ist so gut, dass er in einer dieser Rollen gefangen immer auch die anderen durchblicken lässt und offenbart, dass nicht nur Batman eine Maske trägt. Es ist auch Bruce Wayne, der sich verkleidet, tarnt und verstellt, um sich selbst und die Menschen, die ihm nahestehen, zu schützen. Untermalen tut das der elegante Soundtrack von Hans Zimmer und James Newton Howard, der mühelos die Charakterzüge Batmans musikalisch unterstützt und mit einem Hauptthema aufwartet, dass einfach mitreißend ist. Nicht zuletzt ihretwegen ikonographisch und das Highlight des Filmes: Batmans Flucht vor einer bewaffneten SWAT-Einheit durch einen Schwarm von Fledermäusen.
Der Grundplot (bzw. das Bedrohungsszenario) per se wird keine Innovationspreise gewinnen (und ähnelt frappierend Frank Millers berühmter Graphic Novel "Batman: Year One"), doch "Batman Begins" ist im Kern eher ein Kammerstück, eine intime Darlegung der Persönlichkeit Bruce Wayne und der doch sehr intimen Beziehung der Menschen zu Gotham, dass wie in den Comics ein Spiegelbild der US-amerikanischen Gesellschaft ist. Inszenatorisch fährt Nolan große Geschütze auf - mit Erfolg. Mit der wunderschönen Kameraführung Wally Pfisters und einer klassischen, aber selten so effizent angewandten Erzählstruktur entmystifiziert Nolan den dunklen Ritter eine volle Stunde lang, in dem er auf unterhaltsamste und tragischste Art und Weise dessen Hintergrundgeschichte aufdröselt, um in der zweiten Hälfte die Legendenbildung zu betreiben. Dazu tragen neben den exzellenten Kulissen und Effekten besonders die Actionszenen bei. Schneller geschnitten, als das Auge wahrnehmen kann, geht es dem Publikum schnell wie Batmans Feinden: Man sieht nicht, wer wie geschlagen wird, doch am Ende liegen alle am Boden. Sehr filmisch wird Batmans Agilität auf den Film übertragen sowie eine kolossale Autoverfolgungsjagd mit dem neuen Batmobil (das man nur als Panzer bezeichnen kann) dessen Kraft und Grobschlächtigkeit genüsslich zelebriert oder die Auswirkungen des Angstgases Scarecrows an Horrorfilm-Inszenierungen erinnern. Der Showdown ist dann eine erschreckend konsequente Stuntschau, die handwerklich professioneller nicht sein könnte und durch einen vorherigen Twist eine angenehm dramatische Note erhält. "Batman Begins" ist ein erwachsener Thriller mit echten Charakteren vor authentischer Kulisse und damit die filmgewordene Emanzipation einer einst pubertären Jugendfantasie.
Fazit: Christopher Nolan beweist, dass er die komplexe Materie Batman vollkommen verstanden hat. "Batman Begins" ist ein düsterer, nicht selten erschreckend realistischer Actionfilm mit mythologisch angehauchter Analyse eines der größten Helden der modernen Popkultur. Durch ideale Schauspielleistungen und eine makellose Inszenierung abgerundet wird aus der nur im Kern oberflächlichen Heldenmär eine überaus sehenswerte Erzählung über Dualität und den Kampf eines Mannes gegen Ungerechtigkeiten bis zur Selbstaufgabe - düster, dreckig, dreidimensional. Patient lebt!
9/10
https://filmduelle.de/
https://letterboxd.com/casinohille/
Let the sheep out, kid.