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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
Jupiter Ascending
Erinnern Sie sich an die Zeiten, als die Wachoswki-Geschwister mit ihrem 99er Überraschungshit "Matrix" große Erfolge feierten und mit ihrer klugen Verbindung von bombastischem Actionkino und nachdenklichen philosophischen Geschichten ein kleines Stück Filmgeschichte schrieben? Wenn ja, können Sie sich noch daran erinnern, wie 2003 ein empörtes Raunen durch die Filmwelt ging, als die Nachfolger "Matrix Reloaded" und "Matrix Revolutions" an den hohen Erwartungen der Kritiker und Zuschauer zerschellten? Wissen Sie noch, wie diese beiden Filme dermaßen zerrissen wurden, als stünden sie allein für alles schlechte, dass man dem Kino allgemein attestieren kann? "Jupiter Ascending", der 2015 erschienene neueste Streich der beiden ehemaligen Kino-Visionäre, ist tatsächlich so schlecht!
Nichts, aber auch gar nichts will an "Jupiter Ascending" funktionieren. Anfangen tut das mit dem selten dämlichen Drehbuch, dass einfach sämtliche Motive der "Matrix"-Trilogie wiederholt und mit einer langweiligen moderinisierten Aschenputtel-Handlung aufpeppelt, an einer Stelle sogar eine komplett absurde Regierungskritik übt. Gerade zu grotesk versuchen die Wachowskis, ähnlich dem ersten "Krieg der Sterne", ein lebendiges und gefülltes Universum zu erschaffen, scheitern aber bereits hier an der Redundanz all ihrer optischen und inhaltlichen Ideen, die zu keinem Zeitpunkt über den Status kalter Massenproduktionen herauskommen. Trotz bis ins letzte Detail perfekt ausgeklügelter CGI-Effekte en masse, die in dieser optischen Brillanz neue Standards für das Kino schaffen, sieht "Jupiter Ascending" durchgehend langweilig aus, auch, weil die Architekturen der Welten zu verworren und mythologisch-verschwurbelt prätentiös gestaltet wurden und man sich ständig in einem abstrakten Kunstgemälde gefangen sieht. Leider tragen zu dieser Künstlichkeit die extrem schwachen Dialoge bei, die oft dermaßen aufgesetzt wirken und außerdem komplett den Eindruck erwecken, in tausendfachen Variationen bereits gehört worden zu sein. Spannend ist das mittlerweile gar nicht mehr, "Jupiter Ascending" kommt allein inhaltlich mindestens 30 Jahre zu spät. Dass Channing Tatum als Strahlemann mit alberner Wolfsfrisur und peinlichen Fliegeschühchen auf der Suche nach seinen verlorenen Engelsflügeln (kein Scherz...) durch die komatöse Erscheinung wandelt, verschlimmert die unfreiwillige Komik nicht unerheblich.
Darstellerisch ist "Jupiter Ascending" leider ebenfalls eine Nullnummer. Während Tatum als charismatischer Leinwandheld vollends versagt, wirkt Mila Kunis als Jupiter merkwürdig teilnahmslos und scheint von den Dimensionen, die sich ihr eröffnen gänzlich unbeeindruckt - kaum eine Erwähnung wert, dass sie als Damsel In Distress nach etwa 30 Minuten ohnehin nur noch dazu da ist, andauernd von Tatums Wolfsmensch gerettet zu werden und sich hemmungslos in ihn zu verlieben. Daneben quälen sich unter anderem ein sichtlich gelangweilter Sean Bean durch das Krawallfeuerwerk und Eddie Redmayne gibt als Schurke die wohl fürchterlichste Overacting-Darstellung seit Jahren ab, so scheint ihm jedes gesprochene Wort körperliche Schmerzen zu verursachen und seine Schreianfälle ganze Galaxien zu erschüttern. Ansonsten bleibt "Jupiter Ascending" erstaunlich leer, die Ideen der Menschen als Energiereserven und der durch eine Prophezeiung zur Rettung der Welt auserkorene hat man alle schon mal irgendwo gesehen, der Score von Michael Giacchino töst mit derartigem Rums daher, dass er den peinlichen Eindruck der Chose unangenehm verstärkt. Dazu kommen Szenen, die nicht den Hauch eine Sinnes ergeben, unangenehme philosophische Exkurse, die so tiefgründig wie die eigene flache Hand sind (und vermutlich nur des "Matrix"-Rufes der Regisseure wegen überhaupt eingebettet wurden in das enorm instabile Konstrukt) und eine Fülle an Anspielungen auf ein Universum, dass kein Profil hat und für das man sich ohnehin nicht interessiert. Das hier wohl wirklich versucht werden sollte, aus einem Nichts an beinahe allem ein Franchise zu kreieren, ist so witzig wie schockierend zugleich.
Einzig punkten könnte "Jupiter Ascending" also durch die Actionszenen, doch auch hier machen gute Effekte noch keinen guten Film. Was die Wachowskis an nicht enden wollenden Actionorgien auf den Zuschauer loslassen, übertrifft in seinen Ausmaßen selbst die härtesten Konfrontationen der jüngeren "Star Wars"-Prequels. In endlosen Verfolgungsjagden durch Großstädte, außerirdische Industriekomplexe (hier wird es besonders wahnwitzig) oder Asteroidenfelder rasen und jagen die Raumschiffe sich in gigantischen Materialschlachten, die Kamera mal nah, mal fern, mal aus der Vogelperspektive, meist jedoch aus der Verfolgerperspektive, manchmal mit 180 Grad Fahrten gefilmt, aber stets zu hektisch, zu wild, zu unfokussiert, der Schnitt von Alexander Berner katastrophal rhythmus uneinheitlich, sodass schnell auf der heimischen Couch das Spiel "Suche die Protagonisten im Bild" entstehen könnte. Alles an der Action des Sci-Fi-Flicks steht unter dem Prädikat "Reizüberflutung", bunte Bildchen explodieren in Hülle und Fülle und ploppen nach Belieben auf, doch jede Übersichtlichkeit, jedes Gefühl für das Geschehen oder die irgendwo am Rande des Bildes umher irrenden Charaktere geht dabei verloren, man geistert orientierungslos zwischen den Bildern hin und her. Ärgerlich und enttäuschend geraten so stolze 127 Minuten Screentime, bei denen man aber schon nach spätestens einer Stunde nicht mehr so recht weiß, wer grade warum mit wem und es auch vermutlich gar nicht mehr wissen will, erst recht nicht, wenn der dicke Pathos ertönt und Tatum zur nächsten Rettungsmission für Mila Ku, äh, Jupiter Jones aufbricht...
Fazit: Wenn die Wachowskis nach "Matrix" jemals so etwas wie ein kulturelles Phänomen gewesen sein sollten, gelingt es ihnen, mit "Jupiter Ascending" mit nur einem Film ihrem Status und Ruf ein eigenes Grab zu schaufeln und diesen mit dem Sargnagel auf immer in der kalten Erde zu verdammen. "Jupiter Ascending" ist ein technisch brillanter Film und der feuchte Traum jeder Effektschmiede... alles andere hingegen spottet der Bezeichnung als "Unterhaltungsfilm" fast gänzlich, höchstens die einleitenden dreißig Minuten können noch einigermaßen als akzeptabel angesehen werden. Danach präsentiert sich ein Albtraum-"Spektakel", wie man es noch nie gesehen hat, mit lauter Versatzstücken, die man schon tausendfach gesehen hat, zusätzlich zu der Einsicht, dass einem das alles vollständig ohne Selbstironie präsentiert wurde, was zur bitteren Erkenntnis führt: Die meinten das tatsächlich ernst!
2/10
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Let the sheep out, kid.