Re: Zuletzt gesehener Film

7876
GoldenProjectile hat geschrieben:
BlofeldsKatze hat geschrieben:Was genau ich von der Auflösung halten soll weiß ich noch nicht so ganz, aber vielleicht gibt da ja Teil 2 mehr Aufschluss.
7,5/10
Ja, der generische und schwache Teil versucht nachträglich, alles zu Tode zu erklären. Spar dir den lieber.

Erster Teil 8 /10
Zweiter Teil 3,5 / 10
Ah, Mist, irgendwie hab ich sowas erwartet.
Dabei hat die ganze Thematik ja durchaus Potenzial für weitere, genauso spannende Filme wie Teil 1.
The name's Bond, James Bond.

Psychosen einer Primaballerina

7880
Black Swan

Zuerst ein Grand jeté, in der Luft ein Arabesque, bevor auf ein Fouetté en tournant und eine Pirouette ein Ailes de Pigeon folgt. Doch Grazie und technisches Können allein reichen der Primaballerina Nina im 2010er "Black Swan" von Darren Aronofsky noch lange nicht, um die einmalige Doppelrolle ihres Lebens auszufüllen: Sie soll in einer modernen Adaption von Pjotr Iljitsch Tschaikowski's "Schwanensee" sowohl den unschuldigen, lieblichen, reinen weißen Schwan Odette als auch den ihrem Wesen fernen dunkel-anziehend, verführerischen schwarzen Schwan Odile verkörpern. Ihr Perfektionismus stößt da an ihre Grenzen, wo sie mit hyperkontrollierter Selbstbeherrschung nur verlieren kann: Ihrer Odile mangelt es an Erotik, an Charisma, am natürlichem Sujet. Und so erzählt "Black Swan" von einem Danse Macabre, von den unerbittlichen Qualen des Method Actings, wenn die Psyche dem fragilen Körper ein verzweifeltes Gnothi seauton aufzwingt.

Regisseur Aronofsky ist noch nie als Mann der leisen Zwischentöne bekannt gewesen, und so macht er sich den exzessiven Ausdruck des Balletts zu Gunsten, um durch ihn seine theatralische filmische Ausgestaltung zu rechtfertigen. Was als Milieustudie und präzise beobachtetes Drama einer jungen Frau zu beginnen scheint, entwickelt sich bald zu einem anschwellenden Psychothriller mit eindeutiger Horrorfilm-DNA, der zwischen Wahnvorstellungen und Schockmomenten an Subtilität kaum Interesse zeigt. Je mehr Nina ihr zerbrechliches Selbst transzendiert, je mehr sie sich der Metamorphose ihrer Rolle hingibt, umso mehr verliert sich ihre bisherigen Wesenszüge: Aronofsky fragt nach dem Zusammenhang zwischen Geist und Körper, aber auch nach der Wechselwirkung von Sex und Kunst. Nina's sexuelle Unerfahrenheit (besonders deutlich in ihrem rosarot tapezierten Zimmer in der Wohnung der Mutter, das Bett von Kuscheltieren dominiert) ist das, was ihr bei der Annahme von Odile im Weg steht. So muss sie erst nach und nach ihre Triebe und Sinnlichkeiten erforschen, bekommt vom Tanzdirektor die Masturbation als Hausaufgabe verordnet, der selbst hervorgerufene Orgasmus soll in ihr jenes animalische Verlangen nach Laszivitäten wecken, doch es wird erst Tanzkonkurrentin Lily sein, deren luder- und lasterhaftes Auftreten sie zu einen Ausflug in das Nachtleben Los Angeles' und fortan in den Wahnsinn treibt.

Mit Natalie Portman als Hauptdarstellerin ist Aronofsky ein Glückstreffer gelungen. Sie meistert mit facettenreichen Akzenten alle Stufen ihrer komplexen Rolle, und macht nicht nur die zentrale Wandlung Ninas absolut glaubhaft, sondern weiß auch die vielen kleinen Herausforderungen der jeweiligen Szenen mühelos und doch mühevoll ausschauend nach außen zu tragen. Ninas nah an der Bulimie befindliche, von Dermatillomanie gezeichnete Zerbrechlichkeit, schwebt über ihrem Minenspiel wie ein Damoklesschwert und was sie in den hypnotischen Tanzszenen nur über ihre Augen, über ihr Stöhnen und ihre Leidenschaft transportiert, überragt jeglichen Zweifel an der Echtheit des Martyriums ihres Charakters. Für 108 Minuten lebt Portman den weißen Schwan, der eigentlich der schwarze Schwan sein möchte. Doch könnte die talentierte Schauspielerin nicht so grandios auftrumpfen, würden ihr ihre Nebenakteure nicht derart glänzend die Bälle zuspielen: Vincent Cassel begeistert als Agent Provocateur in Gestalt des diabolischen Ballettdirektors, und Mila Kunis steht die hinterhältige Schlange so gut zu Gesicht, dass ihr selbstbewusst viriles Auftreten der im Script simplen Gegenüberstellung von Mauerblümchen Nina und Sexbombe Lily eine ungeahnte, vielleicht sogar ungewollte Tiefe indoktriniert. Einzig Barbara Hershey kann sich als Ninas fast schon vom Erfolg ihrer Tochter besessene Mutter nie aus der Klischeehaftigkeit ihrer Rolle befreien, bleibt eine abstrakte, funktional ausgerichtete Drehbuch-Konstruktion.

In ihr verdeutlicht sich gut, weshalb die Intentionen der Regie sich gelegentlich als überambitioniert entlarven. Immer wieder an erkennbaren Genrevorbildern (auch literarischen, etwa "Der Doppelgänger" von Fjodor Dostojewski) orientiert ist der vornehmlich in Handkameras gefilmte "Black Swan" eine Mischung aus großem Suspense, echtem Thrill im Stile der Altmeister Alfred Hitchcock oder Brian De Palma und den Elementen des trashigen Gore-Kinos, stets gefilmt in der Aufmachung des Dokumentarfilms. Der Cinéma vérité Look ist omnipräsent, besonders, wenn Aronofsky mit seiner Kamera gefühlt minutenlang stoisch dem Hinterkopf von Portman durch die Straßen bis zur Tanzprobe folgt. Seine visuelle Aufmachung, besonders die Horroreffekte, sind effektiv, präzise gesetzt und schocken, doch fallen sie nicht selten auch plakativ und platt aus, wenn etwa Nina aus einer selbst erzeugten Rückenwunde eine schwarze Feder herauszieht, ist dies zu eindeutig und überladen in seiner Symbolik. Die Parallelen zur "Schwanensee"-Handlung beschränken sich auf die schon in Titel und Prämisse ausgestellte Schwarz-Weiß-Kontrastierung, die elementare Bedeutung der Clubnacht Ninas wird in lässiger kaleidoskopischer Schnittfolge zum Exzess getrieben. Das alles entwickelt ein eigenes Pacing, einen eigenen Look, eine eigene kühle Atmosphäre im Sinne eines Stanley Kubrick Films, doch ergründet es nie die Tiefen, die eine Charakterstudie verlangt, womit "Black Swan" mehr spannende, gruselnde Unterhaltung denn analytisches Psychogramm darstellt.

Fazit: Es tut gut, dass Filmkomponist Clint Mansell fast durchgängig auf den musikalischen Themen Tschaikowskys' aufbaut. Die träumerische Romantik und die in der Tat tänzerischen Darbietungen insbesondere der Hauptdarstellerin Natalie Portman erweisen sich als die größte Stärke des Films, auch wenn früh klar wird, dass hinter der Staffage des Balletts finstere Abgründe liegen. Das bemerkenswerte an "Black Swan" ist seine fehlende Berührungsangst, die Mittel großer filmischer Glanztaten genauso eindeutig zu zitieren wie sie mit campigen Elementen der Trivialunterhaltung zu vermengen, und beides nur als Aufhänger für eine moderne Adaption der "Schwanensee"-Geschichte zu nutzen. Aus diesen ungleichen Inspirationsquellen gewinnen Aronofsky und sein Film eine heimliche, verborgene destruktive Energie, die das unweigerliche tragische Crescendo früh einleitet und in seiner finalen Wirkung begünstigt, was "Black Swan" gleichermaßen mitreißend wie auch absurd werden lässt.

8/10
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Re: Zuletzt gesehener Film

7881
Sehe ich ganz ähnlich, nur würde mit weniger Fremdwörtern und mehr Fokus auf die klischeehaften Elemente des Films 1-2 P. weniger geben. Diese Mutter ist zwar eine gute Verkörperung der Klischees, doch sind sie nicht alle in ihr vereint. Masturbation als Zeichen des sexuellen Erwachens eines Mädchens, Ballett als Knochenarbeit, die schnell gar nicht mehr schockierenden Horror-Schock-Elemente ziehen den Film runter, je besser er wird.
It's the BIGGEST... It's the BEST
It's BOND

AND BEYOND

Re: Psychosen einer Primaballerina

7882
Ballett ist aber im Kino nicht immer ein Synonym für Knochenarbeit gewesen. Ich stimme dir insofern zu, als dass Tanz ganz allgemein in cineastischen Gefilden gerne als Ausdruck von Disziplin verwendet wird, gerade die hier jedoch zentral positionierte Primaballerina ist aber doch weitaus häufiger das Sinnbild für Zerbrechlichkeit und Unschuld gewesen (weshalb es sehr spannend ist, dass dieser Film von einer Ballerina handelt, der genau diese Eigenschaften im Weg stehen). Dass Black Swan ein Problem mit zu vielen Klischees hat, finde ich gar nicht unbedingt, weil er dafür eben auch sehr natürlich agierende Darsteller und viele packende Momente aufweist, sowie die grundsätzliche Konstruktion des Films schon ein gemeines Biest ist. Problematisch ist für mich eher, dass Aronofsky sich mit seiner für ihn üblich wenig subtilen Inszenierung zwar ganz und gar seinen Vorbildern verschreibt, dem Film dabei aber mehr Substanz andichten will, als ihm eigentlich innewohnt, auch wenn viele seiner platten Symboliken wohl eher dazu dienen sollten, den Film einfacher und verständlicher zu machen. Das ist effektiv, gerade weil dem Horror so das Motiv der Willkür anhaftet, aber es ist auch ein bisschen Filmschauen für Dummies, um möglichst wenige zu verlieren. Dennoch ist Black Swan weit davon entfernt, Kino für die breite Masse zu sein und es ist auch sein bislang bester Film.
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Re: Zuletzt gesehener Film

7884
Erstmal kann ich das Kompliment nur zurückgeben. Interessant, dass wir offenbar beide Aronofskys Inszenierung zwar durchaus schätzen, aber Portman als den zentralen Motor für das Glücken des Schwarzen Schwans ansehen. Ich finde es schon bewundernswert, wie gut sie hier ist, und das dürfte zusammen mit ihrer Darstellung von Mrs. Kennedy im letzten Jahr in "Jackie" die bislang beste Darbietung ihrer an Höhepunkten nicht armen Karriere sein. Die sexuelle Verklemmtheit fand ich gar nicht mal so extrem ausgeprägt, zumindest der eine tatsächlich "erotische" Moment zwischen den beiden Damen war sogar ziemlich clever inszeniert, da hier der Anteil an Wahnvorstellungen Nina's praktisch direkt aus ihrer wachsenden sexuellen Erregung resultiert (wie es ja auch psychologisch zutreffend ist). Wahr ist, dass der Clubausflug für das, was Nina passiert sein soll, recht harmlos bleibt, hier könnte man aber auch aufführen, dass die Regie die Austauschbarkeit ihrer Handlungen versinnbildlichen will. Ebenso erachte ich wie du den Trash-Anteil gekoppelt mit klassischen Thrill-Szenen als mutig und eigenwillig, aber in seiner Symbolik eben nicht immer ausgereift (das kann man als Holzhammer (also als Interpretationshilfe fürs Publikum) empfinden oder sogar einen Schritt weiter gehen und Aronofsky unterstellen, seinen Film mit diesen künstlichen Mitteln intellektuell aufwerten zu wollen, was ich hier aber ausdrücklich nicht ausschließlich tun möchte). Zu den Nebendarstellern: Cassel hat mir schon richtig Spaß als "Regisseur" gemacht, die Rolle war ihm wie auf den Leib geschrieben, genauso ist auch natürlich Winona Ryders Kurzauftritt als "sie selbst" garantiert erwähnenswert.

Wie stehst du ansonsten zur Filmografie vom Darren? Sein hochgelobter Requiem for a dream ist mir beispielsweise ebenfalls viel zu dick aufgetragen, dafür ist The Wrestler noch ziemlich gut.
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Re: Zuletzt gesehener Film

7885
ich grätsch mal kurz rein: den Schwan fand ich auch ziemlich gut, auch den Wrestler, vor allem natürlich wegen Mick. The Fountain war dagegen langweiliger Kokolores und Noah lachhaftes Kasperletheater. Von daher tue ich mich schwer damit Aronofsky einzustufen, mal seine nächsten Filme abwarten.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"

Re: Zuletzt gesehener Film

7886
Ja, das trifft es ganz gut. Mein Problem ist bei Aronofsky auch seine sehr aussparende Subtilität, seine Filme wollen eigentlich alle am ganz großen Rad drehen und auf jeden Fall dafür sorgen, dass auch jeder mitkriegt, dass hier am ganz großen Rad gedreht wird. :wink: Black Swan halte ich eben auch deshalb für seinen bislang besten Film, nicht, weil es vielleicht zusammen mit dem Wrestler der zugängigste ist, sondern weil dort seine theatralische Visualisierung eine inhaltliche Entsprechung im doch sehr überschwänglichen Opern-Metier erfährt. In diesem Sinne fast schon klug und selbstreflektiert von ihm, sich in diese Gefilde zu begeben.
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Re: Zuletzt gesehener Film

7889
Get Out (2017, Jordan Peele)

Der Titel ist irreführend: Eigentlich sollte es heissen "Get in (your nearest Cinema)". Sorgen muss man sich aber keine machen, das Debütwerk von Jordan Peele ist sowohl finanziell als auch von Kritikerseite der Überraschungserfolg des Jahres, und das nicht zu Unrecht. Der TV-Komödiant bietet eine messerscharfe und bitterböse Satire auf amerikanische Gesellschaftsstrukturen, besonders die klassische Schwarz-Weiss-Kluft, komödiantisch angereichert und verpackt als Horrorfilm. Peele interessiert sich dabei weniger für ein konventionelles moralinsaures Anti-Rassismus-Plädoyer, sondern spielt hemmungslos mit den Genres und ihren Klischees, schwarzem Humor und filmhistorischen Querverweisen. Herausgekommen ist ein erfrischend eigensinniger Film ohne Berührungsängste. Bitte mehr davon - aber auch hier ist alles im grünen Bereich und ein weiterer Peele-Film angeblich schon in Planung.

Wertung: 8 / 10
We'll always have Marburg

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Re: Zuletzt gesehener Film

7890
Irgendwie verleiten mich die ganzen Lobhudeleien - die auch alle ins selbe Horn stoßen - immer mehr zu moderatem Desinteresse. :wink: Der langt mir auch im Heimkino. Da muss ich in den nächsten zwei Wochen schon unbedingt ins Kino wollen und nichts anderes finden.
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