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von AnatolGogol
Agent
Titanic (1997) – James Cameron
Was steckt hinter dem Erfolg des Superblockbusters Titanic? Geniales Meisterwerk oder knallhartes Kalkül? Oder am Ende beides? Wirklich vom Hocker konnte mich Jim Camerons Untergangsrekonstruktion nie reissen, aber dennoch juckt es mich alle Jubeljahre mal wieder dem Filme eine neue Chance zu geben. Also schauen wir ahand der durch die gestrige Erneutsichtung aufgefrischten Erkenntnisse doch mal etwas näher hin.
Cameron war zum Enstehungszeitpunkt bereits einer der kommerziell erfolgreichsten Regisseure aller Zeiten, was er vor allem dem Megaerfolg seines Terminator-Sequels und dem direkt hinterhergeschobenen, ebenfalls ausgesprochen gut an der Kinokasse gelaufenen True Lies verdankte. Er wurde seinerzeit als reiner Actionregisseur angesehen, kein Wunder waren seine Filme bis dato doch auch allesamt lupenreine Vertreter des Actiongenres. Allerdings bestätigt ein Blick in Camerons seinerzeitiges Oevre, dass er damals bereits durchaus eine Entwicklung als Filmemacher durchgemacht hatte weg von „der reinen Lehre des Actionfilms“ hin zu einem konsensfähigeren und somit (noch) massentauglicheren Ansatz, der bewusst Elemente von Komödie und Drama in die Dramaturgie miteinbezog. Exemplarisch sei hier vor allem die Vater/Sohn-Beziehung zwischen dem zusehends menschlicher werdenden Killerroboter und dem jungen John Connor in Terminator 2 oder das Beziehungs-Hin-und-Her zwischen Schwarzenegger und Jamie Lee Curtis in True Lies genannt, welche weit über Camerons vorangegangene diesbezüglichen Gehversuche hinausgingen (so bewegte sich beispielsweise der „Mutter-Subplot“ in Aliens eher auf der Meta-Ebene und die durchaus Handlungsentscheidenden Beziehungsprobleme zwischen Harris und Mastrantonio in The Abyss nahmen in Summe dann doch zeitlich eine deutlich untegeordnetere Rolle ein als zB die genannte Entsprechung in True Lies) und gleichzeitig so auch ein Kinopublikum ansprachen, dass normalerweise für „reinrassige“ Actionfilme eher schwerlich zu gewinnen war. Es ist also keineswegs so, dass Cameron bei Titanic als „Crossover-Regisseur“ von 0 auf 100 loslegte, sondern vielmehr, dass er einfach nur den logischen nächsten Schritt machte.
Dieser Schritt ist allerdings zugegebenermaßen dann doch noch mal ein Stückchen größer ausgefallen, als seine vorherigen stilistischen Kurskorrekturen. So nimmt der Drama-Anteil vor allem aufgrund der sich praktisch durch den ganzen Film ziehenden Lovestory zwischen Rose und Jack gut die Hälfte des Films in Anspruch, während sich Jim in der anderen Hälfte dann seinem originären Handwerk, also grossangelegter Action, in gewohnt ausschweifender Art hingibt. Auch wenn die stilistische Zweiteilung des Films auch noch dadurch betont wird, dass die Zäsur quasi zur Mitte des Films erfolgt (nämlich dann, wenn die Titanic unvermeidlicherweise gegen den Eisberg knallt), so unternimmt Cameron auch in der zweiten „Actionhälfte“ wiederkehrende Anstrengungen die Drama-Komponente aufrecht zu erhalten.
Der angesprochene Schritt gerät nicht zuletzt auch deshalb größer, da Cameron mehr noch als in seinen vorangegangenen Filmen ganz offensichtlich bewusst sehr konsensfähige Elemente in seinen Film integriert. Allen voran wird dies in den zentralen Figuren Rose und Jack deutlich - ein Teenager-Pärchen, welches die erste Liebe durchlebt und somit die perfekte Identifikations-/Projektionsfläche für ein zahlungskräftiges jüngeres Publikum – und hier kommt der entscheidende Part – beiderlei Geschlechts darstellt. Die Besetzung der männlichen Hauptrolle mit dem damals durch seine vorangegangene Rolle in Romeo & Julia bereits zum Teenie-Idol aufgestiegenen Leonardo DiCaprio schlägt in die gleiche, auf ein – gerade auch weibliches - Massenpublikum abzielende, Kerbe. Auffallend ist ebenfalls, wie stark Cameron in Titanic mit figürlichen Klischees arbietet, so bleiben die meisten (Neben-)Figuren sehr eindimensional. Das mag charakterlich durchaus eine Enttäuschung sein, erweist sich aber angesicht der Tatsache, dass der Film mit den drei Hauptfiguren Rose, Jack und vor allem der ollen Titanic selbst ein durchaus ausreichendes charakterliches Volumen besitzt als recht effektiv. So lässt beispielsweise der komplett tiefgang-befreite Antagonist Cal (mit großem Gusto an der Übertreibung herrlich zum Besten gegeben von Billy Zane) unser zentrales Pärchen nochmal ein ganzes Stück strahlender erscheinen. Gleiches gilt auch für diverse andere Figuren (etwa die sich im Eigensinn suhlende Mutter DeWitt-Bukater, der durch-und-durch skrupellose Konstrukteur Ismay, der bemittleidenswert-tattrige Kapitän oder die liebenswert-joviale Wuchtbrumme Molly Brown), die so klischeehaft daherkommen, dass es eigentlich nur Kalkül und nicht dramaturgisch bzw. figürlich ernstgemeint sein kann.
Nun muss sich Meisterwerk und kommerzielles Kalkül ja nicht per se ausschliessen, im Falle von Titanic bleibt jedoch festzuhalten, dass trotz allem in Summe durchaus effektiven und funtktionierenden Handwerks der Film vor allem dramaturgisch so einiges an unrunden Stellen aufweist, was dem Prädikat des genialen Wurfs kaum gerecht wird. So fällt vor allem auf, dass Cameron gerade in Hälfte Zwei sich dramaturgisch mehrfach im Kreis bewewgt und handlungtechnische Elemente gleich mehrfach verbrät. Ist es zwingend erforderlich, dass Rose gleich zweimal die Titanic verlassen muss, nur um direkt gleich wieder an Bord zu hüpfen? Ist es wirklich notwendig, dass die beiden Liebenden gleich zwei Mal im Rumpf des Schiffes eingeschlossen sind und sich den Weg an Deck freikämpfen müssen? Gerade diese beiden Handlungselemente verlängern den Film ohne echte Not um rund 20 Minuten, ohne dass er wirklich davon profitieren würde oder die Handlung oder die Figurenentwicklung auch nur einen Schritt vorankommen würden. Dieser dramaturgische Exzess (oder man sollte besser sagen: dramaturgische Redundanz) setzt sich auch im Kleineren fort, wenn Cameron sich mehrfach wiederkehrend dem Schicksal von Kleinstfiguren widmet, die zwar das dramatische Gesamtbild etwas farbenreicher machen, aber letztlich den Film auch ausbremsen (so ist es auch nicht notwendig, dass man die eingesperrte dritte Klasse gleich mehrfach ausführlich bebildert ohne dass es zu einem echten handlungstechnischen Abschluss kommt). Durch diese Redundanz lassen sich die 195 Minuten Laufzeit auch kaum rechtfertigen, da der Film so gefühlt eine gute dreiviertel Stunde länger läuft, als es ihm guttut.
Auch sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Cameron trotz aller Versuche das durch den Untergang entstehende menschliche Leid auf eine persönliche Komponente zu bringen (etwa wenn er kurz bevor das Schiff in die Tiefe geht die im Tod vereinten Familien in ihren Kabinen zeigt) gleichzeitig den Untergang auch recht reisserisch in Szene setzt, etwa wenn er einen Passagier beim Absturz quasi als Bonus auch noch gegen die Schiffschraube brettern lässt. Sowas mag authentisch sein, aber es beweist nicht unbedingt dramatisches Fingespitzengefühl. Für eben jene Fingerfertigkeit ist Cameron dann aber auch der falsche Regisseur, da er am Ende dann doch der Mann fürs Grobe bleibt. Besonders deutlich wird dies auch, als er sich im Moralisieren versucht indem er über die Figur der Mollie Brown (wie auch über den anschliessenden Monolog der alten Rose) den Überlebenden den Spiegel des Egoismus meint vorhalten zu müssen. Besagte Szene ist äusserst plump in ihrer pharisäerhaften Oberlehrer-Moral und spielt damit in der gleichen Liga wie die bereits genannten Klische-Figuren. Zum Meisterwerk taugt das dann wahrlich kaum.
Gelungen ist Cameron hingegen die stimmungsvolle Rekreation der Legende Titanic, welche wie bereits erwähnt so durchaus zur dritten Haupfigur des Films wird. Die Faszination, die bis heute von der Titanic und ihrem unglückseligen Schicksal ausgeht, fängt Cameron perfekt ein und nutzt diese effektiv als Backdrop für seine Liebesgeschichte. Und gerade bei der Inszenierung der Love-Story beweist er durchaus ungeahntes Geschick, so ist die schrittweise Annäherung von Rose und Jack stimmig und glaubhaft entwickelt. Endgültig in seinem Metier ist er dann in Hälfte Zwei bei den grossangelegten Actionszenen, die in ihren besten Momenten sehr dicht an seinem meisterhaft inszenierten The Abyss dran ist. Die Szenen leiden dann eher an der breits erwähnten handlungstechnischen Überflüssigkeit, sind handwerklich aber über jeden Zweifel erhaben. Letzteres lässt sich leider nicht durchgängig von der Effektarbeit sagen. Die Entscheidung in sehr großem Maße auf die seinerzeit noch in ihren Kinderschuhen steckende CGI-Technologie zu setzen lässt den Film teilweise sehr schlecht gealtert aussehen, so erinnern die „Computermännchen“ an Deck der CGI-Titanic nicht selten an die guten alten Sims aus dem Rechner und auch das immer wieder in epischer Breite und allen (nicht sonderlich detaillierten) Einzelheiten gezeigte digitale Schiff schaut eher nach ersten rechnergestützten Gehversuchen denn nach authentischer Rekreation aus.
Fazit: Titanic ist vor allem handwerklich ein unterhaltsamer Film, der zwar nicht in allen Belangen zu überzeugen weiss, aber dennoch immer noch genügend Positives auffährt, um den Zuschauer bei der Stange zu halten. Überraschend ist nachwievor, dass Cameron die erste „romantische“ Hälfte besser gelungen ist als die zweite „actionreiche“ Hälfte, was aber wie erwähnt hauptsächlich dramaturgischen Problemen geschuldet ist. Ein Meisterwerk sehe ich in dem Film nicht mal ansatzweise, nichtzuletzt da er dafür viel zu plakativ, klischeehaft und kalkuliert ist. Andererseits: bei einem astronomischen Budget von 200 Millionen Dollar kann man Camerons bewusstes Kalkül nachvollziehen und gerade auch wenn man sich den massiven Flop seines – wahrlich meisterhaften – The Abyss in Erinnerung ruft, dann ergibt Camerons anschliessene stilistische Entwicklung durchaus Sinn. Als Cameron-Fan der ersten Stunde mag man das bedauern, angesichts Jims Aufstieg zum erfolgreichsten Filmemacher aller Zeiten sind diese Gedankengänge dann objektiv betrachtet aber eher akademische Natur.
Wertung: 6,5 / 10
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"