Re: Der Stanley Kubrick Thread
151Geht mir genauso. Ende der 80er gelesen und weiß praktisch nichts mehr davon. Fand aber damals durch den Film gut umgesetzt.
Vollkommen richtig und je nachdem, wo man liest und wen man fragt, kannte Kubrick den Inhalt des 21. Kapitels sehr wohl oder erfuhr während der Dreharbeiten davon, hielt es aber für absurd und war der Ansicht, es stelle den ganzen Roman auf den Kopf (was gewissermaßen auch stimmt). Er blieb daher beim sehr düsteren Ende, wie wir es aus dem Film kennen, anstatt vergleichsweise hoffnungsvoll versöhnlich zu enden wie Autor Anthony Burgess es tat. Der Roman wird gewissermaßen auf den letzten Metern zu einem Moralstück, während der Film (und die damalige US-Ausgabe des Buchs, welche das letzte Kapitel nicht enthielt) ambivalent ausgeht. Burgess selbst dazu: "My book was Kennedyan and accepted the notion of moral progress. What was really wanted was a Nixonian book with no shred of optimism."Maibaum hat geschrieben: 2. November 2019 14:37 Auch wenn Kubrick das Kapitel gekannt hätte, heißt das ja nicht, daß er es auch benutzt hätte.
Jain, denn die kleine Änderung gegen Ende ist ja in dem Fall das Weglassen des Kapitels in der US-Ausgabe und dann eben auch in der ansonsten für Kubrick sehr werkgetreuen Verfilmung. So gesehen verändert das letzte Kapitel den Inhalt des Romans auch nicht. Chronologisch vielleicht schon beim Lesen, aber Burgess hat die Geschichte von Anfang an von diesem Ende aus gedacht, es ging ihm um einen Reifeprozess und die moralische Lektion, dass jeder Jugendliche auf natürlichem Weg aus seiner gewalttätigen Phase rauswächst. Deswegen braucht es auch keine Umerziehung von oben, die ohnehin nicht von Dauer ist oder funktionieren kann, weil wir alle in uns die Fähigkeit haben, von selbst diese Reifung zu vollziehen. Für sich betrachtet ist das der Inhalt des Buches: Am Ende siegt der freie Wille von Alex, und er entfernt sich von seinen gewalttätigen Tagen auf ganz natürliche Weise. Und damit führt Burgess den staatlichen Apparat und seine Methoden vor. Kubricks Film endet anders, und verändert in die Tat die Aussage und den Inhalt des Romans durch Auslassung. Der von Burgess erdachte Konflikt zwischen Libido und Kulturwesen kann bei Kubrick nicht überwunden oder aufgelöst werden und das ist dann eine ganz andere Geschichte, obwohl sie fast deckungsgleich verlaufen bis zur Schlusspointe.Maibaum hat geschrieben: 2. November 2019 14:37 Ob es für den Roman Sinn macht ist die gleiche Frage, weil es den Inhalt des Romans in gewisser Hinsicht komplett verändert. Wie man überhaupt mit kleinen Änderungen gegen Ende eines Werkes dessen Aussage auch ins Gegenteil kehren kann.
Dass sie existieren ist mir natürlich auch klar, aber es sind eben doch Filme, die in erster Linie als Filmklassiker bzw. Filmische Meisterwerke angesehen werden und erst in zweiter oder dritter Linie auch mal als Romanverfilmungen, und so nehme ich sie auch wahr.vodkamartini hat geschrieben: 3. November 2019 10:51 Das geht mir anders, ist mir bei beiden voll bewusst, habe aber auch beide Romane gelesen.
Ich bin da in der Regel nicht so interpretierfreudig und habe dieses Detail in der Schlussszene auch nicht so genau beobachtet. Vielleicht weil der gute Alex aus seiner Perspektive gar nicht wirklich in den Kategorie einvernehmlich und vergewaltigend denkt, bzw. es für ihn keine Rolle spielt? Würde doch irgendwie zur Figur passen.Casino Hille hat geschrieben: 3. November 2019 17:49 Zum Filmende von "A Clockwork Orange", an die Eingeweihten: Deutet ihr das Ende alle so, dass Alex einfach wieder in seine alten Gewohnheiten zurückfällt ("I was cured, alright") und wieder der triebgesteuerte Gewalttäter ist? Ich bin mir sehr sicher, dass Kubrick das Ende so meint und es spricht alles (u.a. die Romanvorlage) dafür, nur eine Sache irritiert mich: Warum ist der letzte Sex im Film dann doch relativ einvernehmlich? In meiner Erinnerung wirkt die Frau in dieser surrealen Sequenz nicht gerade so, als wolle sie Alex entkommen, sondern sei leidenschaftlich mit beim Liebesakt dabei. Wäre es für die Aussage des Films nicht naheliegender, eine Vergewaltigung statt einvernehmlichen Sex zu zeigen?
...und kann das ehrlich gesagt grade nicht so nachvollziehen (ich könnte es sehr gut nachvollziehen, wenn du von 2001 sprechen würdest). Clockwork Orange nimmt sich teilweise schon Zeit, Dinge auch mal zeitlich sehr ausführlich zu zeigen (die Präsentation des rehabilitierten Alex auf der Bühne oder sein Abendessen beim verkrüppelten Schriftsteller kommen mir in den Sinn), aber überschaubar finde ich die Anzahl der Szenen bei der Vielzahl von Ortswechseln (auch bei Orten, die von der Handlung wiederholt aufgesucht werden) überhaupt nicht, und gestreckt auch nicht, dafür gibt's doch zu jeder etwas längeren Szene sicher auch eine kurze. An welche Szenen denkst du?AnatolGogol hat geschrieben: 10. April 2016 17:42 Clockwork Orange (1971) - Stanley Kubrick
Ein recht überschaubarer Inhalt wird von Kubrick in einer ebenfalls überschaubaren Anzahl an Szenen erzählt, von denen jede einzelne von ihm aufs äußerste gestreckt wird.
Puh, das ist schon ein bisschen lange her, um de en detail darauf antworten zu können. Die Umprogrammierung von Alex fand ich z.B. sehr langatmig und inhaltlich wenig abwechslungsreich. Ich kann dir da leider nicht wirklich konkreter antworten, sorry.
Amen! Bestätigt sich bei mir alle paar Jahre eindruckvoll, wenn auch nur vor der Glotze. Da bin ich dann auch gerne mal ein bisschen neidisch, weil mir Clockwork genau wie Mulholland Drive noch in der Kinobilanz fehlt. Ansonsten kann ich mich aber nicht beschweren, dieses Jahr sind immerhin noch Kurosawa und Kobayashi dazugekommen und es sieht so aus als ob bald der Godfadda seinen fünfzigsten Geburtstag auf der Leinwand feiern darf.
Zurück zu „Cinema- Das Filmforum“