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von Casino Hille
'Q Branch' - MODERATOR
The Killing - Die Rechnung ging nicht auf
"Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm von deinen Plänen." - Es ist nicht klar, ob Regisseur Stanley Kubrick jenes Zitat des französischen Philosophen Blaise Pascal kannte, als er die Dreharbeiten zu "The Killing" begann. Feststeht aber, dass jener Satz kaum eine bessere filmische Entsprechung hätte finden können, als in Kubricks Adaption des Romans "Clean Break" von Lionel White. In nur 84 Minuten erzählt "The Killing" von einem Heist und der Gruppe Kleinkrimineller, die ihn ausführen wollen. Doch wie der deutsche Titel "Die Rechnung ging nicht auf" bereits verrät, ist Kubricks Thriller-Meilenstein ein Film über unerfüllte Träume, berechtigte Ängste und verzweifelte Taten. Es ist ein Film über verlorene Seelen, die dem Schicksal mit fatalistischer, selbstzerstörerischer Entschlossenheit entgegen treten - und ein komplexes, packendes Spiel mit der Zeit.
Ein solches war es auch, dass Kubrick einst reizte, den Roman von White auf die große Leinwand zu bringen. Unchronologisch brach der Autor seine Geschichte auf und entwickelte so eine eigene Dynamik aus zeitlicher Abfolge und dem Dilemma der einzelnen Charaktere. So verwebt auch Kubrick die Szenenmontage als non-linear zusammenhängend in sein Drehbuch, springt hin und her und widmet sich fragmentarisch jeder Figur so lange, bis sie ihre Funktion für die momentane Handlung erfüllt hat. Fast schon dokumentarisch kommentiert dabei ein leidenschaftsloser Off-Erzähler das Geschehen und jongliert eifrig mit Datums- und Uhrzeitangaben, wie die Regie selbst mit Elementen des Film Noir spielt, zu dessen späten Vertretern sich "The Killing" zählen darf. Nüchtern, beinahe didaktisch werden die Figuren etabliert, sei es der Berufspolizist mit Schulden bei einem Kredithai, der ehemalige Alcatraz-Sträfling mit einer hoffnungslos naiven Verlobten, der Barkeeper mit todkranker Frau oder der Pferderennbahn-Kassierer, der seiner raffgierigen, undankbaren Frau den Lebensstandard finanzieren will. Bereits früh wird vorbereitet, was das geplante perfekte Verbrechen sein soll, wie es ablaufen könnte und woran es möglicherweise scheitern wird. Trotz des zeitweiligen zeitlichen Vorsprungs des Zuschauers gegenüber den Protagonisten liebt Kubrick jedoch die Desinformation: Die genauen Details des Heists bleiben offen und die Psychologie der Figuren gerät rätselhaft unklar.
Erst später, wenn der exzellent getaktete Raubüberfall aus immer wieder unterschiedlicher Perspektive startet und von Vorne begonnen wird, offenbart sich die meisterhafte Vorarbeit. Intelligent und suggestiv arbeitet die dichte Regie die Anspannung und Relevanz der zeitlichen Abfolge heraus, die sie selbst konterkariert. Der minutiöse Plan, bei dem Sekunden von Erfolg und Misserfolg abhängen kann als Quasi-Metapher für die exakt ausgeklügelte filmische Vision ihres Regisseurs verstanden werden. All das funktioniert wie ein Uhrwerk wunderbar: Von fast tragischer Qualität entspinnt sich ein Actionkrimi, dessen Puzzle-artige Struktur sich erst nach und nach entschlüsselt, ehe er detailliert auf seinen unausweichlichen Ausgang zusteuert. Das äußerst reife, progressive und nahezu postmoderne Narrativ entlockt seinen im Mittelpunkt stehenden Schwarzen Schafen, u.a. von Sterling Hayden wunderbar effizient gespielt, eine Grundsympathie, die gut ins Bild zur ungewöhnlich Dialog vernarrten Inszenierung Kubricks passt. Er wagt kaum formelle Experimente, sondern kokettiert mit dem Raum und der Überschaubarkeit der Dinge, nutzt allenfalls Stilmittel, die ohnehin im Noir verankert sind (so filmt er häufig durch Gitterschatten, um die drohende oder emotional bereits bestehende Gefangenschaft einer Figuren zu symbolisieren) oder setzt auf minimal installierte Besonderheiten (seitliche Plansequenzen durch Räumlichkeiten, bei denen selbst die Wände der Kamera nicht im Weg stehen). Besonders dank der vorzüglichen Dialoge des dafür angeheuerten Autoren Jim Thompson ist "The Killing" ein filmischer Leckerbissen, wenn etwa Geld als Äquivalent zur Liebe betrachtet wird oder Gangster zum Synonym für bewunderte Stars, deren erwartbaren Absturz man erleben will, geraten.
Die asynchrone, niemals chaotische Chronologie der Ereignisse erzeugt dabei genauso eine irre Spannung wie der ironische Umgang mit Elementen der damals bereits abklingenden Schwarzen Serie Hollywoods: Enorm hervor sticht hier die vermeintliche Femme Fatale (zwielichtig wie immer: Marie Windsor), die eben keine alles beherrschende, gefährliche Schönheit ist, sondern nur ihren schwachen Ehegatten an der Nase herumführen kann. Gleichzeitig straft Stanley Kubrick all seine Emotionsleugner Lügen, die ihm gerne unterstellen, ein kalter Regisseur zu sein. Immer wieder gewährt er in "The Killing" einen melancholischen, an der Grenze zum melodramatischen Blick auf die Handlungsträger und erzählt durch sie und durch die ergreifende Musik seines Schulkameraden Gerald Fried eine große Geschichte gescheiterter Träume. Dass dieser Traum vom großen Geld durch einen Raubüberfall handelt, ist für ihn unerheblich, es geht nicht um gesetzliche Moral. "The Killing" versteht sich als nicht wertender, aber zweifellos empathischer Blick auf ein Mosaik der Menschlichkeit, der seine eigenen Figuren fast liebevoll untersucht, und schwappt nur ganz am Ende in bitteren Zynismus über. Dort offenbart sich das süffisante Lächeln des perfektionistischen Regisseurs, der nun sein eigenes schwarzhumoriges Fazit zu der einen hoffnungslosen Tätigkeit des Menschen präsentiert, die ihn selbst im Laufe seiner Karriere so berüchtigt machte: Dinge zu planen.
Fazit: Obgleich man einerseits enorm um das Gelingen der Aktion bangt, ist es schwer, sich der Erheiterung zu verweigern, wenn die Rechnung letztlich in der Tat nicht aufgeht. Das fesselnde, lustvolle Spiel mit zeitlicher Verwirrung und punktuell gesetzter Chronologie ist ohne Frage das Aushängeschild des meisterhaft arrangierten Thrillers, welcher noch Jahre später Filmemacher wie Jean-Pierre Melville, Walter Hill, Quentin Tarantino oder Christopher Nolan nachhaltig beeinflusste. Während es mit dem Film Noir, zu dessen späten Vertretern "The Killing" gezählt werden darf, bereits zu Ende ging, war Kubricks Stern gerade aufsteigend und sein mutiger Genrefilm ebnete ihm die Wege zum Ruhm. Verständlich, denn schon hier zeigt sich in der dynamischen Montage und zielsicheren Fokussierung auf narrative Ankerpunkte das Werk eines Regisseurs, der genau wusste, was er wie erreichen wollte. Gerade deshalb ist die präzise Erzählung eines präzisen Raubes eine Erfolgsgeschichte für ihren Macher, inhaltlich aber das Gegenteil: Eine bittere Chronik des Scheiterns.
9/10
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Let the sheep out, kid.