Re: Der Dario Argento Thread

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Suspiria (1977, Dario Argento)

Was macht einen guten Horrorfilm aus? Schockeffekte und Jump-Cuts? Blut und Gewalt? Ekelerregende Abneigung? Eine unheilvolle und dichte Atmosphäre? Eine surreale Perversion des Banalen und Bekannten? Die Antwort liegt wohl irgendwo dazwischen und ist vom Geschmack des Zuschauers sowie vom Gesamtkontext des Films abhängig. Im Falle von Dario Argentos vielleicht berühmtestem Film aber ist des Rätsels Lösung ganz einfach, denn der Italiener bedient sich bei der Umsetzung all dieser Mechanismen gleichzeitig.

Um es kurz zu machen: Die schauspielerischen Leistungen in Suspiria sind überwiegend hölzern und die Geschichte um ein verfluchtes und von Hexen besessenes Internat wenig innovativ. Das Kunststück liegt in Argentos Inszenierung. Der Maestro des Giallo macht intensiven Gebrauch von ausgetüftelter Lichtsetzung, imposanten Interieurs, grellen Technicolor-Farben, virtuosen Kameratricks und artistischen Bildkompositionen. Diese Werkzeuge dienen ihm simultan sowohl der effektvollen Narration und Stimmungserzeugung als auch der visuellen Ästhetik. Am deutlichsten wird dies bei den nächtlichen Horrorszenen in seinem absurden Geisterhaus, die wie eine abstrakte Geisterbahnfahrt anmuten und den wuchtigen Avantgarde-Progrock-Soundtrack der italienischen Band Goblin clever mit Momenten von spannungserzeugender Stille kontrastieren.

"One of the scariest Movies of all time": Das Versprechen des DVD-Covers wird vom Film selber zwar nicht ganz eingehalten - auch wenn es ein paar wirklich verstörende Momente gibt - dennoch wird einem gute und vor allem ungewöhnliche Unterhaltung geboten. Argento zieht alle Register, was angesichts des wenig interessanten Grundmaterials schon beachtlich ist, und liefert einen schrägen und visuell ansprechend gestalteten Horror-Reisser ab, der sich die besten zehn Minuten brav bis zum Schluss aufspart statt sein Pulver vorher zu verschiessen.

Wertung: 8 / 10
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Re: Der Dario Argento Thread

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GoldenProjectile hat geschrieben: Suspiria (1977, Dario Argento)
Das freut mich natürlich, dass du Zeit und Muse gefunden hast dir Argentos Hexerei anzuschauen. :)
GoldenProjectile hat geschrieben: Um es kurz zu machen: Die schauspielerischen Leistungen in Suspiria sind überwiegend hölzern und die Geschichte um ein verfluchtes und von Hexen besessenes Internat wenig innovativ.
Ersteres: unbedingt, zweiteres: ja und nein.

Die meisten von Argentos Filmen zeichnen sich nicht gerade durch grossartige Darstellerleistungen aus (wobei es durchaus auch Ausnahmen gibt), was auch damit zusammenhängt, dass er viele seiner Hauptrollen an noch sehr junge und/oder darstellerisch nur mäßig begabte Schauspieler vergab (wenn du beispielsweise an die Marsillach in Opera denkst). Da das ein sich oftmals wiederholendes Muster bei Argento ist muss man fast annehmen, dass Argento die Darstellerseite bewusst qualitativ unterrepräsentiert, um damit sein eigentliches Hauptaugenmerk - die visuelle Inszenierung – noch weiter zu betonen. Vielleicht ist es aber auch nur ein generelles Desinteresse seineseits an Schauspielern und deren Kunst.

Wie auch immer, Suspiria taugt diesbezüglich tatsächlich als sehr gutes Beispiel, da gerade Jessica Harper wenig mehr zu tun bekommt (bzw. zu tun im Stande ist) als rehäugig und ungläubig durch den märchenhaften Alptraum zu wandeln. Gleiches gilt für alle anderen Schülerinnen der Tanzakademie, wobei man hier auch Argentos Intention berücksichtigen sollte. Originär wollte er Suspiria nämlich mit deutlich jüngeren Mädchen drehen, um so den Märchencharakter noch weiter zu betonen. Da dies aufgrund des expliziten Charakters des Films sowie der Problematik geeignete junge Darsteller zu finden nicht umsetzbar war wich er letztlich auf ältere Elevinnen aus, behielt aber den urspünglichen Gedanken zumindest unterschwellig bei, indem er vereinzelte Hinweise darauf gibt, dass die Schülerinnen eigentlich viel jünger sind als sie äusserlich scheinen (z.B. indem er die Türgriffe viel zu hoch anbringen liess, um so die Mädchen in ihrer Größe „schrumpfen“ zu lassen oder dadurch, dass er die Mädels generell als sehr unreif für ihr scheinbares Alter zeigt).

Es gibt aber dennoch auch in Suspiria vereinzelte darstellerische Lichtblicke, so empfinde ich Rudolf Schündlers Auftritt (der alte Hexen-Experte beim BMW-Gebäude) als sehr gut gespielt (seine Rolle bei Argento ist darüberhinaus ein weiterer deutlicher Beleg dafür, welch feiner Schauspieler er war – etwas was angesichts seines damals wie heute durch die unzähligen Lümmelfilme und seine Rolle als „Knörzerich“ zementiertes Image als darstellerischer Possenreisser durchaus erwähnt werden sollte).

Bezüglich der einfach gestrickten Geschichte bin ich ein wenig hin- und hergerissen. Was die Handlungsentwicklung angeht ist es tatsächlich sehr dünn, was Argento hier auffährt. Andererseits finde ich die Grundidee um die drei Mütter und im speziellen Fall von Suspiria die „Mutter der Seufzer“ wiederum sehr gut wie auch das ganze drumherum mit den jeweils besonderen Gebäuden, der geschichtlichen Komponente und dem „Hofstaat“ der Hexen. Das wird vor allem dann sehr deutlich im Quasi-Nachfolger Inferno, in welchem Argento der zweiten Mutter in New York einen eigenen Film widmet und in welchem viele der in Suspiria bereits eingeführten Elemente wiederum aufgegriffen und variiert werden. Aber im Kern hast du schon recht, es gibt inhaltlich sicherlich tiefschürfendere Filme als Suspiria.
GoldenProjectile hat geschrieben: Das Kunststück liegt in Argentos Inszenierung. Der Maestro des Giallo macht intensiven Gebrauch von ausgetüftelter Lichtsetzung, imposanten Interieurs, grellen Technicolor-Farben, virtuosen Kameratricks und artistischen Bildkompositionen. Diese Werkzeuge dienen ihm simultan sowohl der effektvollen Narration und Stimmungserzeugung als auch der visuellen Ästhetik.
So sehe ich das auch. Auch das zieht sich wie ein roter Faden durch Argentos Werk, dass das „wie“ bei ihm idR viel interessanter und entscheidender ist als das „was“. Dass es ihm in seinem klassischen Kernwerk dennoch fast immer gelingt seine oftmals lediglich zweckdienlichen Plots zum Leben zu erwecken zeigt recht eindrucksvoll, welch großes Talent er für bildliche Inszenierung hat. Das gilt insbesondere für Suspiria, welcher wirklich ein visuell perfekt durchgetakteter Film ist, beginnend von der Primärfarben-Konzeption und der exzessiven Technicolorverwendung über die stark stilisierten Sets, extreme Beleuchtungseffekte, verstörende Kameraeinstellungen, abenteuerliche Kamerafahrten.
GoldenProjectile hat geschrieben: und liefert einen schrägen und visuell ansprechend gestalteten Horror-Reisser ab, der sich die besten zehn Minuten brav bis zum Schluss aufspart statt sein Pulver vorher zu verschiessen.
Die besten zehn Minuten des Films würde ich eher gleich zu Beginn sehen. Der Einstieg mit Suzys Ankunft am Flughafen, ihr Kampf mit den Naturgewalten auf dem Weg zum Taxi, die gespenstische Fahrt durch den nächtlichen Wald, die verstörende Ankunft an der Akademie, die noch verstörenderen Szenen mit den beiden Mädchen und als Höhepunkt
Spoiler
ihr äusserst drastisch in Szene gesetztes Ende
– das ist für mich die ultimative Horrorszene überhaupt, da in sich komplett stimmig und perfekt aufeinander abgestimmt (zB in ihrer dramaturgischen Konzeption beginnend aus dem Blickwinkel von Suzy, dann überlappend in den Szenen an der Akademie und im Wald, dann wechselt der Film plötzlich in die Perspektive des flüchtenden Mädchens). Dieses Höchst-Niveau erreicht der Film im Anschluss nie wieder ganz, obwohl es Argento auch hier wieder sehr clever macht, indem er seine großen Schockszenen dramaturgisch sehr effektiv anordnet und dem Zuschauer immer dann, wenn er etwas zu Ruhe gekommen ist den nächsten Hieb verpasst. Diesbezügliche Höhepunkte sind
Spoiler
das Ende von Suzys Freundin in dem äusserst verstörenden undurchdringlichen Drahtlabyrinth sowie das Ende des Pianisten, welches wiederum eine konzeptionelle Meisterleistung darstellt, da der Clou der Szene völlig überraschend kommt aufgrund der scheinbar sicherern Örtlichkeit (hell erleuchteter, großer menschenleerer Platz) und angesichts dessen, wie Argento zuvor den ganzen Film das „Mordinstrument“ eingeführt hat (der Blindenhund an sich ist ja schon per Definition Freund und Helfer seines Herrn, zudem wittert er das Böse in Person des kleinen Hexenneffen und beisst ihn (oder auch nicht, je nachdem, ob man den WOrten der Hexen glauben schenkt oder nicht), wodurch er klar als "einer der Guten" etabliert wird).
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Re: Der Dario Argento Thread

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je mehr ich mich mit Argento befasse, desto mehr komme ich zur Erkenntnis, dass die einzigen beiden wirklichen Meisterwerke "Tenebre" (für mich eine Bankmarke für einen wirklich guten Horror-Film!!!) und "Das Geheimnis der Schwarzen Handschuhe" (der junge Mario Adorf - ein Genuß!!!) sind.
Da hat wohl ein blindes Huhn zwei Goldkörner gefunden. "Opera" und "Phantom der Opera" sind reinster Schwachsinn, "Sleepless" (BTW mit dem großartigen Max von Sydow!!!!) und "Aura" sind nette Konfektionsware -die gehen so. Der Rest?? Zugegeben, den habe ich noch nicht gesehen, aber????
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Re: Der Dario Argento Thread

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NickRivers hat geschrieben:Der Rest?? Zugegeben, den habe ich noch nicht gesehen, aber????
Vernachlässigbar angesichts der Tatsache, dass das lediglich 70% von Argentos Gesamtwerk ausmacht und sich darunter so filmhistorisch unwichtige Werke wie Suspiria und Profondo Rosso befinden.
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Re: Der Dario Argento Thread

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Vermutlich sollte man dir von diesem Vorhaben eher abraten, nachdem du bei Opera das Fehlen jeglichen Tiefgangs und Komplexität vermeint hast festzustellen. Es könnte durchaus passieren, dass dir das gleiche auch bei Suspiria und Profondo Rosso passiert. Also sag nicht, du wärst nicht gewarnt worden! Und nochwas für stille Stunden zum Nachdenken: es ist reichlich sinnfrei ein Gesamturteil über das Werk eines Künstlers abzugeben, wenn man noch nicht einmal ein Drittel des Werks gesehen hat und das was man an wenigem gesehen hat sich auch noch zur Hälfte aus Filmen rekrutiert, die gemeinhin im unteren Teil des Oevres eingeordnet werden.
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Re: Der Dario Argento Thread

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AnatolGogol hat geschrieben:Auch das zieht sich wie ein roter Faden durch Argentos Werk, dass das „wie“ bei ihm idR viel interessanter und entscheidender ist als das „was“.
Wie bei allen wirklich großen Regisseuren, weswegen Argento auch durchaus einer ist, dessen Filme eigentlich immer interessant sind, selbst die missratenen.
GoldenProjectile hat geschrieben:"One of the scariest Movies of all time": Das Versprechen des DVD-Covers wird vom Film selber zwar nicht ganz eingehalten - auch wenn es ein paar wirklich verstörende Momente gibt -
Definitiv ein Film - das verspreche ich - den du mit etwas Abstand von 1-2 Jahren noch einmal sehen solltest. Der wird auf alle Fälle bei dir noch reifen und wachsen.
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Re: Der Dario Argento Thread

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AnatolGogol hat geschrieben:Das freut mich natürlich, dass du Zeit und Muse gefunden hast dir Argentos Hexerei anzuschauen. :)
Selbstvernatürlich, das hat sich wunderbar ergeben. Ich habe letzte Woche zufällig einen früheren Arbeitskollegen getroffen der mich gleich eingeladen hat, mir seine Filmsammlung zu zeigen. Da war das gute Stück dann schnell ausgeliehen.
AnatolGogol hat geschrieben:Es gibt aber dennoch auch in Suspiria vereinzelte darstellerische Lichtblicke, so empfinde ich Rudolf Schündlers Auftritt (der alte Hexen-Experte beim BMW-Gebäude) als sehr gut gespielt.
Ja, der war gut, und auch Alida Valli als alte Giftnudel fand ich nicht schlecht. Aber die Ballerina-Mädels sind teilweise echt nahe der Schmerzgrenze. Ich habe den Film auf englisch gesehen (ich wollte eigentlich italienisch, aber es gab keine Untertitel) und weiss nicht wie viel davon die Originalstimmen sind, aber sprachlich und ehrlich gesagt teils auch dialoglich (was sich natürlich auch gegenseitig beeinflusst) ist das nicht das gelbe vom Ei.
AnatolGogol hat geschrieben:Die besten zehn Minuten des Films würde ich eher gleich zu Beginn sehen. – das ist für mich die ultimative Horrorszene überhaupt
Der Anfang ist sehr gelungen, auch wenn mich der Perspektivenwechsel zwischen den beiden mir zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend unbekannten Mädchen zunächst ein wenig irritiert hat (ich und meine Argento-Verständigungsprobleme...). Ich meinte auch vielmehr, dass das Ausmass an übernatürlichem Horror und Grusel vorher nie so hoch ist wie in den letzten Minuten, sich der Film also in Bezug darauf immer weiter steigert und erst am Schluss die Katze bzw. die Hexe aus dem Sack lässt.
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Re: Der Dario Argento Thread

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"Tenebre" braucht bei mir nicht zu reifen. Es wäre schön gewesen, Argento hätte einfach so weiter gemacht. Er wäre für mich gleichbedeutend wie Stanley Kubrik oder Alfred Hitchcock.
Wie sich die zwei Krimis in einen verweben wie in "Tenebre" ist schlichtweg genial, einzigartig und macht das Meisterwerk zeitllos und es schreit förmlich nach einem Hollywoos-Remake.
Ich bin noch immer verdutzt, wie jemand, der so etwas geniales geschaffen hat, dann so einen Mist wie "Opera" und noch schlimmer "Phantom der Opera" drehen hat können.
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Re: Der Dario Argento Thread

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AnatolGogol hat geschrieben:Ich bin schon gespannt, welches Spielzeug als nächstes dran kommt. :)
Das andere rote natürlich.

Nachdem mir Suspiria und Opera gut gefallen aber mich nicht ganz vom Sockel gehauen haben war Profondo Rosso nun die ersehnte Argento-Grosstat. Ein exzellenter Film, sei es als Krimi, als Horror, als Giallo oder einfach als beste Unterhaltung für zwei kompakte Stunden. Wie die Mord- und Gruselszenen immer derber und dichter und die auflockernden und humoristischen Elemente immer rarer werden ist eine Wohltat und so gelingt es Argento, die Spannungsschraube schrittweise anzuziehen, bis einem zum Ende hin immer häufiger der Atem stockt. In Bezug auf Blut und Schocks zieht er dabei wieder alle visuellen Register und spielt seine Meisterschaft in Sachen Montage, Kamera und Farben geschickt und ich meine auch subtiler und damit zielgerichteter und effektvoller aus als in den beiden oben genannten Filmen. Die erwähnten Auflockerungen betonen ausserdem die Wirkung der Mord- und Spannungsszenen umso mehr und treiben die Geschichte dynamisch voran. David Hemmings, der hier aussieht wie der Bruder von Paul McCartney, ist als cooler Kauz auch eine ganz andere Hausnummer als die kreischenden Gören in Opera und Suspiria, der ideale Protagonist halt und seine Schlagabtausche mit Daria Nicolodi sind herrlich pointiert geschrieben und gespielt. Gibt schon wieder sage und schreibe 9 Punkte für den packenden Filmabend. Ich bin in Fahrt!
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Re: Der Dario Argento Thread

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GoldenProjectile hat geschrieben:Das andere rote natürlich.
Yippie! Hatte ich insgeheim gehofft und trifft sich auch gut, da ich ihn ebenfalls erst jüngst gesehen habe.
GoldenProjectile hat geschrieben:Nachdem mir Suspiria und Opera gut gefallen aber mich nicht ganz vom Sockel gehauen haben war Profondo Rosso nun die ersehnte Argento-Grosstat.
Amen. Für mich ist Profondo Rosso mittlerweile Argentos mit Abstand bester Film. Und nicht nur das, ich halte den Film schlicht für ein Meisterwerk und zähle ihn zu den besten Filmen überhaupt. Allerdings hat der Film bei mir Zeit benötigt, bei Erstsichtung fand ich ihn nur gut, vor allem die vielen Dialogpassagen und die sehr ausladend inszenierten atmosphärischen Szenen empfand ich als Schwachpunkt. Was geradezu ironisch ist, da mittlerweile diese Elemente den Film für mich erst zur Großtat machen.
GoldenProjectile hat geschrieben:Ein exzellenter Film, sei es als Krimi, als Horror, als Giallo oder einfach als beste Unterhaltung für zwei kompakte Stunden. Wie die Mord- und Gruselszenen immer derber und dichter und die auflockernden und humoristischen Elemente immer rarer werden ist eine Wohltat und so gelingt es Argento, die Spannungsschraube schrittweise anzuziehen, bis einem zum Ende hin immer häufiger der Atem stockt.
Absolut, die Mischung aus Giallo und Screwball-Komödie ist dann auch einer der Punkte, warum der Film so einzigartig ist und eine so herausragende Stellung in seinem Subgenre einnimmt. Weit über die Hälfte des Films ist Profondo Rosso ja eigentlich sogar mehr Komödie denn Thriller und es sind eher die Mordszenen, die die Komödie „auflockern“. Erstaunlich und wie bereits angedeutet letztlich auch elementar ist auch wie Argento mit betonter Langsamkeit Spannung erzeugt. Exemplarisch ist hier sicherlich die Szene, in der Marc die verlassene Villa untersucht. Spannung und Atmosphäre werden hier ins Unermessliche gesteigert, nicht zuletzt durch den kongenialen Goblin-Soundtrack. Argento schafft es mit seiner Inszenierung dem Zuschauer das Gefühl zu vermitteln allein zu sein und sich dennoch gleichzeitig beobachtet zu fühlen – etwas, was sich durch den ganzen Film hindurch zieht, aber insbesondere stark in der Villa-Szene zur Geltung kommt
Spoiler
(und Argento lässt es letztlich ja dann sogar offen, ob bei Marcs erstem Besuch überhaupt jemand anwesend ist)
.
GoldenProjectile hat geschrieben:In Bezug auf Blut und Schocks zieht er dabei wieder alle visuellen Register und spielt seine Meisterschaft in Sachen Montage, Kamera und Farben geschickt und ich meine auch subtiler und damit zielgerichteter und effektvoller aus als in den beiden oben genannten Filmen.
Die Mordszenen sind in der Tat durchkomponierte kleine Meisterwerke in einem Gesamt-Meisterwerk. Genial ist auch der Einfall den Zuschauer mitleiden zulassen, indem man Tötungsvarianten wählte, die jedermann aus dem täglichen Leben vertraut sind
Spoiler
(jeder hat sich schon mal verbrüht oder die Zähne angeschlagen)
. Wie so oft bei Argento ist es vor allem die Verbindung von Filmkunst und extremem Härtegrad, die den Zuschauer so gebannt das Gezeigte verfolgen lassen. Der Mann war diesbezüglich in seiner Hauptschaffensphase schon ein Ausnahmekönner.
GoldenProjectile hat geschrieben:Die erwähnten Auflockerungen betonen ausserdem die Wirkung der Mord- und Spannungsszenen umso mehr und treiben die Geschichte dynamisch voran. David Hemmings, der hier aussieht wie der Bruder von Paul McCartney, ist als cooler Kauz auch eine ganz andere Hausnummer als die kreischenden Gören in Opera und Suspiria, der ideale Protagonist halt und seine Schlagabtausche mit Daria Nicolodi sind herrlich pointiert geschrieben und gespielt.
Wobei gerade die Screwball-Elemente nicht nur Auflockerung sind, sondern auch das sich durch den gesamten Film ziehende Thema der Hinterfragung typischer Geschlechterrollen sehr effektiv abbilden. Argento spielt praktisch die ganze Zeit damit die typischen Geschlechterrollen zu brechen,
Spoiler
so ist Marc eher der Schwächling (am deutlichsten natürlich durch die entzückende Armdrück-Szene zum Ausdruck gebracht) im ungleichen Ermittler-Team, während Gianna die Mutige und Tatkräftige ist. Hier rettet nicht der Mann das Fräulein in Not, sondern umgekehrt. In dieselbe Kerbe schlägt auch die Thematisierung von Marcos Sexualität, bei der Argento den Rollentausch auf die Spitze treibt, indem er ein Frau einen transsexuellen Mann spielen lässt (etwas, was er Jahre später in Tenebre wiederholen sollte, nur da dann umgekehrt). Nicht zuletzt ist die Brechung der typischen Geschlechterrollen aber auch der wohl eindeutigste Hinweis auf die Identität des Mörders (sieht man mal davon ab, dass Argento das Rätsel ja bereits in den ersten Minuten im Bild – wenn auch geschickt versteckt - auflöst).
GoldenProjectile hat geschrieben:Gibt schon wieder sage und schreibe 9 Punkte für den packenden Filmabend. Ich bin in Fahrt!
Sehr schön, na dann: keep on rollin‘!

Abschliessend noch eine Frage zu Profondo Rosso: bist du der Auflösung der Morde auf die Schliche gekommen oder wurdest du am Ende überrascht?
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Re: Der Dario Argento Thread

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AnatolGogol hat geschrieben:Für mich ist Profondo Rosso mittlerweile Argentos mit Abstand bester Film.
Sehr gut. Ich meine mich zu entsinnen dass das früher noch Suspiria war, aber ich begrüsse dein Umdenken natürlich sehr. Der Hexenzauber liegt bei mir wohl bei 8 Punkten mit Tendenz zu 7,5 und der Screwball-Slasher mehr bei 9 mit Tendenz zu 9,5.
AnatolGogol hat geschrieben:Exemplarisch ist hier sicherlich die Szene, in der Marc die verlassene Villa untersucht. Spannung und Atmosphäre werden hier ins Unermessliche gesteigert, nicht zuletzt durch den kongenialen Goblin-Soundtrack. Argento schafft es mit seiner Inszenierung dem Zuschauer das Gefühl zu vermitteln allein zu sein und sich dennoch gleichzeitig beobachtet zu fühlen – etwas, was sich durch den ganzen Film hindurch zieht, aber insbesondere stark in der Villa-Szene zur Geltung kommt
Spoiler
(und Argento lässt es letztlich ja dann sogar offen, ob bei Marcs erstem Besuch überhaupt jemand anwesend ist)
.
Absolut, vor allem als Marc im überschwemmten Keller nach einem besseren Werkzeug für das Abkratzen der Tapete stöbert deutet die Kamera da etwas in Bezug auf deinen Spoiler an. Der erste Besuch war für mich einer der Höhepunkte, wie Argento da ewig auf die schaurige Wandmalerei, die Marc nach und nach freirubbelt, draufhält, kongenial untermalt vom exzentrischen Goblin-Soundtrack den ich oben sträflicherweise vergessen habe.
AnatolGogol hat geschrieben:Die Mordszenen sind in der Tat durchkomponierte kleine Meisterwerke in einem Gesamt-Meisterwerk. Genial ist auch der Einfall den Zuschauer mitleiden zulassen, indem man Tötungsvarianten wählte, die jedermann aus dem täglichen Leben vertraut sind
Spoiler
(jeder hat sich schon mal verbrüht oder die Zähne angeschlagen)
. Wie so oft bei Argento ist es vor allem die Verbindung von Filmkunst und extremem Härtegrad, die den Zuschauer so gebannt das Gezeigte verfolgen lassen. Der Mann war diesbezüglich in seiner Hauptschaffensphase schon ein Ausnahmekönner.
Auch Amen. Was ich bei Argento manchmal nicht so mag ist sein Hang zu teils sehr schnellen Zooms, da fände ich in den meisten Fällen eine langsamere Kamerafahrt oder einen Schnitt als Alternative besser. Ist mir auch in Profondo Rosso an wenigen Stellen negativ aufgefallen, aber ist zum Glück nur sehr selten der Fall. Die meiste Zeit dominiert die gelungene Verknüpfung aus Kameraführung und Schnitt.
AnatolGogol hat geschrieben:Wobei gerade die Screwball-Elemente nicht nur Auflockerung sind, sondern auch das sich durch den gesamten Film ziehende Thema der Hinterfragung typischer Geschlechterrollen sehr effektiv abbilden. Argento spielt praktisch die ganze Zeit damit die typischen Geschlechterrollen zu brechen,
Spoiler
so ist Marc eher der Schwächling (am deutlichsten natürlich durch die entzückende Armdrück-Szene zum Ausdruck gebracht) im ungleichen Ermittler-Team, während Gianna die Mutige und Tatkräftige ist. Hier rettet nicht der Mann das Fräulein in Not, sondern umgekehrt. In dieselbe Kerbe schlägt auch die Thematisierung von Marcos Sexualität, bei der Argento den Rollentausch auf die Spitze treibt, indem er ein Frau einen transsexuellen Mann spielen lässt (etwas, was er Jahre später in Tenebre wiederholen sollte, nur da dann umgekehrt).
Absolut, hier kann man natürlich noch ergänzen dass
Spoiler
es in Profondo Rosso ausnahmsweise die Frau ist, die den Mann gerne rasch und unkompliziert ins Bett bringen möchte. Und wie sich Hemmings dagegen "sträubt" ist herrlich.
AnatolGogol hat geschrieben:
Spoiler
sieht man mal davon ab, dass Argento das Rätsel ja bereits in den ersten Minuten im Bild – wenn auch geschickt versteckt - auflöst
Ich habe am Schluss gar nicht mehr zurückgespult,
Spoiler
man sieht also das vermeintliche Gemälde/den Spiegel am Anfang schon, inklusive Täterin?
AnatolGogol hat geschrieben:Abschliessend noch eine Frage zu Profondo Rosso: bist du der Auflösung der Morde auf die Schliche gekommen oder wurdest du am Ende überrascht?
Ich habe mir da wie meistens während des Films nicht allzu viele Gedanken gemacht, aber sagen wir es so
Spoiler
als in der Schulbibliothek Carlo auftaucht empfand ich es nicht als grosse Überraschung, die eigentliche Auflösung mit der Mutter dann aber schon
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Re: Der Dario Argento Thread

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GoldenProjectile hat geschrieben:Sehr gut. Ich meine mich zu entsinnen dass das früher noch Suspiria war, aber ich begrüsse dein Umdenken natürlich sehr. Der Hexenzauber liegt bei mir wohl bei 8 Punkten mit Tendenz zu 7,5 und der Screwball-Slasher mehr bei 9 mit Tendenz zu 9,5.
Ja, Suspiria war bis vor einiger Zeit noch mein Favorit in Argentos Oevre, mittlerweile hat er bei mir aber doch etwas verloren, während Profondo Rosso steigt und steigt und mir mit jeder Sichtung besser gefällt. Suspiria ist aber auch ein recht spezieller Film und ich habe die Erfahrung gemacht, dass es extrem davon abhängig ist, in welcher Stimmung und Atmosphäre ich den Film sehe wie er mir dann letztlich gefällt. Abends im Winter, wenn man schon selbst so ein klein wenig von des Tages Mühen müde ist, ohne dass jedoch die Aufmerksamkeit darunter leidet, dann entfaltet der Film sein Sinnebetörendes Spektakel am besten – zumindet bei mir. Genau so verhält es sich mit der „Fortsetzung“ Inferno, der sogar noch stärker als Quasi-(Alp-)Traum konzipiert ist. Übrigens ein sehr empfehlenswerter Film, den ich mittlerweile gleichauf mit Suspiria sehe (ich erwähne es vorsorglich, für den Fall, dass er dir mal über den Weg läuft und Mother of Tears dir vielleicht dann schon die Lust an der Hexerei genommen hat – aber genug geunkt :D )
GoldenProjectile hat geschrieben: Auch Amen. Was ich bei Argento manchmal nicht so mag ist sein Hang zu teils sehr schnellen Zooms, da fände ich in den meisten Fällen eine langsamere Kamerafahrt oder einen Schnitt als Alternative besser. Ist mir auch in Profondo Rosso an wenigen Stellen negativ aufgefallen, aber ist zum Glück nur sehr selten der Fall. Die meiste Zeit dominiert die gelungene Verknüpfung aus Kameraführung und Schnitt.
Heutzutage ist der Zoom ja ziemlich aus der Mode gekommen und wir oftmals fast schon etwas verpönt angesehen. Mich stört es eigentlich nur sehr selten und zumeist auch nur dann, wenn es besonders „reisserisch“ eingesetzt wird, um Sachen übermäßig zu betonen. Das ist finde ich bei Argento glücklicherweise weniger der Fall, obwohl der Zoom schon häufiger zum Einsatz kommt (gehörte im italienischen Genrekino aber halt auch zum permanent eingesetzten kleinen 1x1 der Kameraarbeit).

GoldenProjectile hat geschrieben: Absolut, hier kann man natürlich noch ergänzen dass
Spoiler
es in Profondo Rosso ausnahmsweise die Frau ist, die den Mann gerne rasch und unkompliziert ins Bett bringen möchte. Und wie sich Hemmings dagegen "sträubt" ist herrlich.
Richtig und das ist ungewöhnlich genug für Protagonisten in Argentos Filmen, die idR eher als recht hemmungslose Frauenvernascher in Szene gesetzt werden (z.B. alle Protagonisten in den Filmen seiner „Tier“-Trilogie).
GoldenProjectile hat geschrieben: Ich habe am Schluss gar nicht mehr zurückgespult,
Spoiler
man sieht also das vermeintliche Gemälde/den Spiegel am Anfang schon, inklusive Täterin?
Spoiler
Ja, auch die Einstellung zu Beginn zeigt schon klar erkennbar das reflektierte Gesicht der Mutter. Ich garantiere dir: du wirst es bei künftigen Sichtungen NIE wieder NICHT sehen und man ist verblüfft, dass es einem nicht von Anfang an aufgefallen ist (wobei das stark geschminkte Gesicht der Mutter schon sehr gut „untertaucht“ in Mitten der gespenstischen Fratzen des reflektierten Bildes und die Einstellung auch nur recht kurz ist).
AnatolGogol hat geschrieben:Ich habe mir da wie meistens während des Films nicht allzu viele Gedanken gemacht, aber sagen wir es so
Spoiler
als in der Schulbibliothek Carlo auftaucht empfand ich es nicht als grosse Überraschung, die eigentliche Auflösung mit der Mutter dann aber schon
Ich bin bei Erstsichtung nicht draufgekommen, obwohl ich munter mitgerätselt habe.
Spoiler
Es ist auch clever gemacht, dass Argento hier die Trennung zwischen heiterem und ernstem Teil erneut bricht und dazu nutzt, seinen Täter nicht zu offenbaren. Denn die Mutter tritt ja den ganzen Film über eigentlich nur als Karrikatur und comedic relief auf (obwohl selbst diese Szenen bereits subtil Bezug auf ihr Schicksal und damit auf die Auflösung nehmen, etwa wenn sie davon berichtet, dass sie ihr früheres Leben als Schauspielerin zu Gunsten der Familie aufgegeben hat. Hier wird die tiefe Traurigkeit der Figur schon gezeigt, obwohl diese den Zielen der Inszenierung dienend natürlich der Exzentrik untergordnet wird). Was ich an Profondo Rosso auch so grandios finde ist, dass Argentos Inszenierung den Zuschauer mehrfach in die Falle gehen lässt, indem er ihm den vermeintlichen Täter präsentiert. Ganz stark finde ich beispielsweise die Szene, als Marc wieder erwacht, nachdem er bei seinem zweiten Besuch in der Villa K.O. gegangen war. Die Art wie Argento dieses langsame Erwachen und noch Benommensein in Szene setzt und wie er Gianna vor dem Hintergrund der Flammen fast schon diabolisch zeigt lässt für einen kurzen Moment nur den Schluss zu, dass Gianna hinter all den Morden steckt. Auch Carlos Entlarvung gelingt absolut überzeugend, obwohl das technisch ja gar nicht möglich ist (wie Marc es wenig später dann auch bemerkt). Viel interessanter ist aber, dass Argento hier dem Zuschauer gar kein echtes Motiv (außer dem kurzen Flashback an den Mord gleich zu Beginn und der Kinderzeichnung) liefert und dennoch kauft man ihm Carlo als Mörder ab (obwohl man gerade dadurch ja merken sollte, dass da was nicht stimmt). Wie das alles reibungslos funktioniert ist bemerkenswert, auch weil Argento immer wieder kleine Hinweise über den ganzen Film verstreut. Etwa in Person des kleinen Mädchens, das die Eidechsen quält, was ein eindeutiger Fingerzeig auf das Geschlecht des Mörders ist.
"Ihr bescheisst ja!?" - "Wir? Äh-Äh!" - "Na Na!"