GoldenProjectile hat geschrieben: Suspiria (1977, Dario Argento)
Das freut mich natürlich, dass du Zeit und Muse gefunden hast dir Argentos Hexerei anzuschauen.
GoldenProjectile hat geschrieben: Um es kurz zu machen: Die schauspielerischen Leistungen in Suspiria sind überwiegend hölzern und die Geschichte um ein verfluchtes und von Hexen besessenes Internat wenig innovativ.
Ersteres: unbedingt, zweiteres: ja und nein.
Die meisten von Argentos Filmen zeichnen sich nicht gerade durch grossartige Darstellerleistungen aus (wobei es durchaus auch Ausnahmen gibt), was auch damit zusammenhängt, dass er viele seiner Hauptrollen an noch sehr junge und/oder darstellerisch nur mäßig begabte Schauspieler vergab (wenn du beispielsweise an die Marsillach in Opera denkst). Da das ein sich oftmals wiederholendes Muster bei Argento ist muss man fast annehmen, dass Argento die Darstellerseite bewusst qualitativ unterrepräsentiert, um damit sein eigentliches Hauptaugenmerk - die visuelle Inszenierung – noch weiter zu betonen. Vielleicht ist es aber auch nur ein generelles Desinteresse seineseits an Schauspielern und deren Kunst.
Wie auch immer, Suspiria taugt diesbezüglich tatsächlich als sehr gutes Beispiel, da gerade Jessica Harper wenig mehr zu tun bekommt (bzw. zu tun im Stande ist) als rehäugig und ungläubig durch den märchenhaften Alptraum zu wandeln. Gleiches gilt für alle anderen Schülerinnen der Tanzakademie, wobei man hier auch Argentos Intention berücksichtigen sollte. Originär wollte er Suspiria nämlich mit deutlich jüngeren Mädchen drehen, um so den Märchencharakter noch weiter zu betonen. Da dies aufgrund des expliziten Charakters des Films sowie der Problematik geeignete junge Darsteller zu finden nicht umsetzbar war wich er letztlich auf ältere Elevinnen aus, behielt aber den urspünglichen Gedanken zumindest unterschwellig bei, indem er vereinzelte Hinweise darauf gibt, dass die Schülerinnen eigentlich viel jünger sind als sie äusserlich scheinen (z.B. indem er die Türgriffe viel zu hoch anbringen liess, um so die Mädchen in ihrer Größe „schrumpfen“ zu lassen oder dadurch, dass er die Mädels generell als sehr unreif für ihr scheinbares Alter zeigt).
Es gibt aber dennoch auch in Suspiria vereinzelte darstellerische Lichtblicke, so empfinde ich Rudolf Schündlers Auftritt (der alte Hexen-Experte beim BMW-Gebäude) als sehr gut gespielt (seine Rolle bei Argento ist darüberhinaus ein weiterer deutlicher Beleg dafür, welch feiner Schauspieler er war – etwas was angesichts seines damals wie heute durch die unzähligen Lümmelfilme und seine Rolle als „Knörzerich“ zementiertes Image als darstellerischer Possenreisser durchaus erwähnt werden sollte).
Bezüglich der einfach gestrickten Geschichte bin ich ein wenig hin- und hergerissen. Was die Handlungsentwicklung angeht ist es tatsächlich sehr dünn, was Argento hier auffährt. Andererseits finde ich die Grundidee um die drei Mütter und im speziellen Fall von Suspiria die „Mutter der Seufzer“ wiederum sehr gut wie auch das ganze drumherum mit den jeweils besonderen Gebäuden, der geschichtlichen Komponente und dem „Hofstaat“ der Hexen. Das wird vor allem dann sehr deutlich im Quasi-Nachfolger Inferno, in welchem Argento der zweiten Mutter in New York einen eigenen Film widmet und in welchem viele der in Suspiria bereits eingeführten Elemente wiederum aufgegriffen und variiert werden. Aber im Kern hast du schon recht, es gibt inhaltlich sicherlich tiefschürfendere Filme als Suspiria.
GoldenProjectile hat geschrieben: Das Kunststück liegt in Argentos Inszenierung. Der Maestro des Giallo macht intensiven Gebrauch von ausgetüftelter Lichtsetzung, imposanten Interieurs, grellen Technicolor-Farben, virtuosen Kameratricks und artistischen Bildkompositionen. Diese Werkzeuge dienen ihm simultan sowohl der effektvollen Narration und Stimmungserzeugung als auch der visuellen Ästhetik.
So sehe ich das auch. Auch das zieht sich wie ein roter Faden durch Argentos Werk, dass das „wie“ bei ihm idR viel interessanter und entscheidender ist als das „was“. Dass es ihm in seinem klassischen Kernwerk dennoch fast immer gelingt seine oftmals lediglich zweckdienlichen Plots zum Leben zu erwecken zeigt recht eindrucksvoll, welch großes Talent er für bildliche Inszenierung hat. Das gilt insbesondere für Suspiria, welcher wirklich ein visuell perfekt durchgetakteter Film ist, beginnend von der Primärfarben-Konzeption und der exzessiven Technicolorverwendung über die stark stilisierten Sets, extreme Beleuchtungseffekte, verstörende Kameraeinstellungen, abenteuerliche Kamerafahrten.
GoldenProjectile hat geschrieben: und liefert einen schrägen und visuell ansprechend gestalteten Horror-Reisser ab, der sich die besten zehn Minuten brav bis zum Schluss aufspart statt sein Pulver vorher zu verschiessen.
Die besten zehn Minuten des Films würde ich eher gleich zu Beginn sehen. Der Einstieg mit Suzys Ankunft am Flughafen, ihr Kampf mit den Naturgewalten auf dem Weg zum Taxi, die gespenstische Fahrt durch den nächtlichen Wald, die verstörende Ankunft an der Akademie, die noch verstörenderen Szenen mit den beiden Mädchen und als Höhepunkt
ihr äusserst drastisch in Szene gesetztes Ende
– das ist für mich die ultimative Horrorszene überhaupt, da in sich komplett stimmig und perfekt aufeinander abgestimmt (zB in ihrer dramaturgischen Konzeption beginnend aus dem Blickwinkel von Suzy, dann überlappend in den Szenen an der Akademie und im Wald, dann wechselt der Film plötzlich in die Perspektive des flüchtenden Mädchens). Dieses Höchst-Niveau erreicht der Film im Anschluss nie wieder ganz, obwohl es Argento auch hier wieder sehr clever macht, indem er seine großen Schockszenen dramaturgisch sehr effektiv anordnet und dem Zuschauer immer dann, wenn er etwas zu Ruhe gekommen ist den nächsten Hieb verpasst. Diesbezügliche Höhepunkte sind
das Ende von Suzys Freundin in dem äusserst verstörenden undurchdringlichen Drahtlabyrinth sowie das Ende des Pianisten, welches wiederum eine konzeptionelle Meisterleistung darstellt, da der Clou der Szene völlig überraschend kommt aufgrund der scheinbar sicherern Örtlichkeit (hell erleuchteter, großer menschenleerer Platz) und angesichts dessen, wie Argento zuvor den ganzen Film das „Mordinstrument“ eingeführt hat (der Blindenhund an sich ist ja schon per Definition Freund und Helfer seines Herrn, zudem wittert er das Böse in Person des kleinen Hexenneffen und beisst ihn (oder auch nicht, je nachdem, ob man den WOrten der Hexen glauben schenkt oder nicht), wodurch er klar als "einer der Guten" etabliert wird).