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von 00T
Agent
Da mir schon länger sehr missfällt, wie peinlich wenig ich eigentlich aus Meister Clints Regiefilmographie kenne, habe ich kürzlich mit der Schließung dieser Lücken begonnen und etwas wahllos ein paar seiner jüngeren Filme herausgesucht, die mir gerade so zur Verfügung standen und die ich noch nicht kannte. Herausgekommen ist dabei folgendes, eigentlich gar keine schlechte Ausbeute:
Million Dollar Baby (2004)
Ich hatte aufgrund der Filmbeschreibung eigentlich eine Art weibliche Rocky-Version erwartet, und die erste Filmhälfte kommt diesem Eindruck durchaus nahe. Die wohlige Underdog-Erfolgsstory kippt aber zur Mitte des Films dann sehr böse und entwickelt sich zum genauen Gegenteil, weswegen der Film dann doch eher als eine Art Anti-Rocky bezeichnet werden kann. Ein überaus deprimierender Film, aber auch ein sehr schönes Charakterdrama, welche das Innenleben seiner Figuren, die alle auf ihre eigene Art und Weise kaputt sind, wunderbar ausleuchtet. Darstellerisch ist das zudem alles auf höchstem Niveau, neben dem gefühlvollen Spiel von Clint Eastwood selbst brilliert Morgan Freeman in seiner möglicherweise besten Rolle. Und mit der jede Szene für sich einnehmenden Hilary Swank kann es hier darstellerisch sowieso keiner aufnehmen.
Punkte: (10/10)
Sully (2016)
An "Sully" ist allein schon erfreulich, dass Eastwood hier nicht in das im amerikanischen Kino so verbreitete Muster der übertrieben pathetischen Heldenverehrung verfällt, sondern bei der Schilderung der beeindruckenden Leistung des Hauptcharakters bewusst auf große Gesten verzichtet. Natürlich ist klar, dass der von Tom Hanks angenehm subtil und menschlich gespielte Sully am Ende trotz der gegen ihn erhobenen Vorwürfen rehabilitiert wird, aber dies wird alles so unaufgeregt und effektiv erzählt, dass es sehr gut funktioniert. Dazu gehört die gelungene Verteilung der Szenen der eigentlichen Flugzeuglandung über den ganzen Film, sodass sich das gesamte Bild erst spät ergibt. Dazu ist die Verknüpfung dessen mit Sullys eigenen Selbstzweifeln und Ängsten, die in ihrer Bildsprache teils auf erschreckende Weise an das große amerikanische Trauma des 21. Jahrhunderts erinnern, erstaunlich gut gelungen hebt den Film in Sachen Charakterstudie auf eine höhere Ebene. Der Film erzählt über den Menschen im Cockpit und vergisst dessen Menschsein dabei nie, anders als das antagonistische Gremium, gegen welches sich Sully behaupten muss. Der ganz große Wurf ist "Sully" vielleicht nicht, aber auf jeden Fall eine der besten amerikanischen Heldengeschichten der letzten Jahre, die zeigt: Es geht auch ohne großen Pathos.
Punkte: (8/10)
The Mule (2018)
Ich weiß schon, dass Eastwood noch mehr Filme nach diesem hier gedreht hat, aber eigentlich wirkt dieser Film wie eine gelungene Abschiedsvorstellung des guten Clint. Diese entschleunigte und sympathische Mischung aus Altersdrama und Kriminalfilm ist in keiner Hinsicht herausragend, aber bietet eine charmante Autotour durch die Vereinigten Staaten, die sowohl Charakterstudie als auch Mafiafilm ist, und dabei einige gelungene Spannungsmomente aufweisen kann. Das Ende mag ein wenig zu rührselig für meinen Geschmack sein, kann sich aber vor den ganz großen Kitschvorwürfen retten. Insgesamt ein schön ruhiges Alterswerk, das auf jeden Fall mal eine Sichtung lohnt.
Punkte: (7/10)
"East, West, just points of the compass, each as stupid as the other."
(Joseph Wiseman in Dr. No)